Ahmet Iscitürk: Lieb und teuer (IGM-Kolumne)

Spiele der nächsten Generation werden höchstwahrscheinlich die bisherige Preis-Höchstgrenze knacken und das ist gut so, meint Ahmet Iscitürk
23. August 2020 - 12:56
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Ahmet Iscitürk

Wer NBA 2K21 für PS5 oder Xbox Series X vorbestellt, muss 74,99 € hinblättern. Auch andere NextGen-Titel werden die alte Preisschallmauer durchbrechen. Wobei es kein wirklich großer Sprung ist, schließlich schlagen neue PS4-Vollpreistitel wie Ghost of Tsushima mit knapp 70 € zu Buche. Trotzdem gibt es Menschen, die sich darüber empören. Einige haben sogar versucht, Shitstorms anzuzetteln. Glücklicherweise ist es ihnen nicht einmal im Ansatz gelungen und ich hoffe, dass sich diese Jammerlappen für ihre schäbigen Absichten schämen.

Eine Preiserhöhung ist nicht nur völlig okay, sondern auch längst überfällig. Alles wird ständig teurer, aber die Bepreisung von Videospielen hat sich in den vergangenen Jahren kaum verändert. Für das Gamecube-Spiel Eternal Darkness habe ich vor 18 Jahren knapp 60 € bezahlt, und wenn man noch weiter in die Vergangenheit blickt, wird's richtig krass. Für manche Super Nintendo- oder N64-Importe musste ich 220 Deutschmark auf den Tisch legen! Okay, da war meist noch ein Adapter dabei, um die Kompatibilität mit PAL-Konsolen sicherzustellen. Trotzdem zeigen diese Beispiele, dass mein liebstes Hobby nicht wirklich teurer wurde. Free2Play-Grütze, die geistig Minderbemittelte in den Teufelskreis der Microtransactions lockt, klammere ich bewusst aus. Das sind keine Games, sondern spendenbasierte Geschäftsmodelle mit spieltypischen Elementen.

Was aber definitiv gestiegen ist: die Entwicklungskosten der meisten Games. Heute stellen sie die Produktionsbudgets großer Hollywood-Blockbuster in den Schatten – außer natürlich, es handelt sich um „Indie-Spiele mit Retro-Charme“. Bin ich eigentlich der Einzige, der bemerkt, dass Indie-Retro-Games für Mängel gelobt werden, die bei AAA-Titeln immer für Punktabzug sorgen? Während ein AAA-Titel unter beschissenen Grafik leidet, gewinnt das Indie-Retro-Game dadurch erst seinen charakteristischen Charme. Geht es eigentlich noch ungerechter?

Zurück zum Thema: Für bahnbrechende Meisterwerke wie The Last of Us 2 oder Half-Life: Alyx würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, 100 € oder mehr bezahlen. Jeder einzelne Cent wäre gut angelegt. Große Kunst muss gebührend honoriert werden und deshalb fände ich es nur fair, wenn sich besonders aufwendige Produktionen preislich von „normalen“ Titeln abheben würden. Es wäre mir jedenfalls lieber, als die aktuelle Praxis, jedes Spiel in zig Editionen anzubieten und die Käufer zu verwirren. CD Projekt RED hat deshalb meine ausdrückliche Erlaubnis, für Cyberpunk 2077 stabile 120 € aufzurufen.

Tatsächlich haben mich die günstigen Next-Generation-Spielepreise überrascht, denn ich ging von einer unverbindlichen Preisempfehlung von mindestens 79,99 € aus. Wobei die UVP sowieso kaum noch Relevanz hat und viele Spiele bereits am Erstverkaufstag günstiger angeboten werden. Der Preisverfall beginnt, sobald das Spiel im Regal steht. Und nach ein paar Wochen wird es quasi verramscht. Viele Gamer schlagen deshalb bekanntlich nicht mehr am Launch-Tag zu, sondern erst nach einer signifikanten Preissenkung. Es wurde ihnen regelrecht antrainiert, zumal sich ein Day-One-Kauf heutzutage wie ein Beta-Test anfühlt. Geiz ist nicht nur geil, sondern er bewahrt den Spätkäufer in vielen Fällen vor einem fehlerhaften Produkt.

Wäre es eine praktikable Option, den Preis eines Spiels von der Qualität und dem Produktionsbudget abhängig zu machen? Ein hochwertiger Designer-Sneaker kostet ja auch mehr als der modische Freizeitschuh von KiK, und im Kino muss man für einen 3D-Film mit Überlänge ebenfalls tiefer in die Tasche greifen. Des Weiteren könnte ich mir ein unabhängiges Gremium vorstellen, das besonderen Titeln wohlklingende Prädikate verleiht, die wiederum einen höheren Preis rechtfertigen. Zum Beispiel „Bugfrei am Erstverkaufstag“, „Keine Lootboxen“ oder „Storytechnisch über Kindergartenniveau“. Zumal ein hoher Preis sexy wirkt, denn ein Produkt, das sich nicht jeder arme Schlucker leisten kann, weckt Begehrlichkeiten. Damit würde man Videospielen auch den Weg in deutlich mehr Instagram-Storys bahnen. Es ist einfach an der Zeit, out of the Box zu denken und auch beim Pricing neue Experimente zu wagen. (AI)