Ahmet Iscitürk: Messen oder vergessen? (Kolumne)

Die gamescom 2020 findet vom 27. bis 30. August ausschließlich digital statt. Chance oder fauler Kompromiss, fragt sich IGM-Kolumnist Ahmet Iscitürk
15. Juni 2020 - 15:45
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Ahmet Iscitürk

Ist eine Messe auch dann noch eine Messe, wenn sie lediglich in digitaler Form existiert? Vielleicht handelt es sich dabei um eine rein philosophische Frage, denn für mich existierte die gamescom immer nur digital. Ich habe mich online über die Messehighlights informiert und das war's. Viel Weltbewegendes blieb nach der E3 ohnehin nicht übrig. Allerdings verzichten die Veranstalter der Electronic Entertainment Expo auf eine coronabedingte Digital-Variante. Erkennen sie das Potenzial nicht? Sägen sie damit am eigenen Stuhl? Als ich den Vertreter eines großen Technikherstellers gefragt habe, warum sein Unternehmen keine digitalen Messeauftritte plant, lautete die knappe Antwort: „Könnte man machen, aber das wäre halt scheiße“.

Die Koelnmesse versucht, die digitale Messe als Chance zu verkaufen und Geschäftsführer Oliver Frese erklärt deshalb voller Zuversicht: „Die gamescom kann zwar in diesem Jahr leider nicht in Köln stattfinden, dafür wird aber niemand im Internet an ihr vorbeikommen.“ Statt Ausstellern teure Standflächen zu vermieten, wird man zum werbefinanzierten Content-Anbieter. Was bedeutet das für die Gaming-Presse? Manche befürchten, dass es die Messeberichterstattung von pcgames.de und gamestar.de obsolet macht, wenn die Koelnmesse alle Informationen und Inhalte auf dem Silbertablett serviert. Ich halte das für weniger problematisch, denn gerade im Rahmen einer mehrtägigen, digitalen Werbeveranstaltung sind unabhängige Meinungen wichtig.

Es ist schwer zu sagen, wie „relevant“ die gamescom wirklich für die Branche ist. Ich kenne viele Branchenvertreter, die das Ganze als kostspieliges, aber notwendiges Übel betrachten. Eine Veranstaltung, um dicke Kinder mit Gratis-Merch zu versorgen und wichtige Handelspartner bauchzupinseln. Andere begreifen die Messe als unverzichtbaren Hotspot, der mit seinen jährlichen Besucherrekorden ein wichtiges Signal setzt. Früher schien das Thema Gaming für deutsche Politiker nur in Verbindung mit Amokläufen interessant zu sein. Ich denke, dass die gamescom gerade hier wichtige Türen geöffnet hat. Wenn Hunderttausende wegen Videospielen nach Köln pilgern, kann man nicht mehr von einem nieschigen Soziopathen-Gathering sprechen.

Eigentlich ist es müßig, über Sinn oder Unsinn einer digitalen gamescom zu diskutieren. Was wäre denn die Alternative? Gar nix zu veranstalten? Wer würde davon profitieren? Genau. Niemand. Andererseits kochen viele Publisher ohnehin ihr eigenes Süppchen und präsentieren ihre Neuheiten im Rahmen hauseigener Streaming-Events. Daher frage ich mich, ob die E3 durch ihre Corona-Auszeit in die Bedeutungslosigkeit abrutschen und leise sterben oder 2021 ein dickes Comeback feiern wird. Was wäre langfristig gesehen besser für die Spieleindustrie? Weiterhin zwei fette Großveranstaltungen bespaßen oder sich auf ein Event konzentrieren? Würde man auch nur ein Spiel weniger verkaufen, wenn es keine ortsgebundenen Messen mehr gäbe?

Jetzt komme ich zum Punkt. Ich glaube, dass sich Gaming-Begeisterte selbst feiern müssen, weil es nämlich sonst niemand tut. Man sollte weiterhin mindestens einmal jährlich richtig auf die Kacke hauen, um die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf sich zu ziehen. Eine solche Publikumsmesse verleiht der Branche ein Gesicht und unterstreicht den sozialen Charakter des Spielens. Man könnte auch sagen, dass sie unserem digitalen Spieltrieb mehr Menschlichkeit verleiht. Ob die Veranstaltung CeBit Home, Games Convention oder gamescom heißt, ist letztlich egal.