Die Xbox-Präsentationen der jüngeren Vergangenheit lassen sich mit nur zwei Wörtern umschreiben: Enttäuschung und Fremdscham. Doch Microsoft hat bestimmt aus den Fehlern gelernt. Man würde doch kein neues Streaming-Event ankündigen, wenn man keine potenziellen Mega-Hits in der Pipeline hätte! Ich bin mir deshalb sicher: Die Xbox Game Studios haben sich die geilsten Weltpremieren für diese besondere Showcase aufgespart. Tatsächlich habe ich meine Xbox One in den vergangenen 18 Monaten nur einmal aktiviert – versehentlich beim Staubwischen. Es ist eine Schande, denn meine Xbox 360 liebte ich geradezu abgöttisch. Als sie 2006 dank "Red Ring of Death" zum Garantiefall wurde, habe ich mir sofort eine Zweit-Xbox gekauft. Ich hätte keinen Tag ohne meine Lieblingskonsole überleben können.
Mit dem Nachfolger änderte sich alles. Der Mangel an hochwertigen Exklusivtiteln ließ meine Gefühle komplett erkalten. Selbst für Fan-Favoriten wie Forza oder Gears of War kann ich mich heute nicht mehr erwärmen. Sie wirken spielerisch altbacken und nur in Sachen Micro Transactions kreativ. Doch Microsoft hat in den letzten Jahren mehrere Top-Studios übernommen und ich bin mir absolut sicher, dass im Rahmen des Xbox Games Showcase mehrere fette Katzen aus dem Sack gelassen werden. Alles andere wäre peinlich.
Es ist 18 Uhr. Los geht's. Verzaubere mich, Microsoft!
Eine Stunde lang sitze ich geschockt vor dem Bildschirm. Ich kann meine Enttäuschung kaum in Worte fassen. Wo sind die Kinnladeherunterklapper und "Boah, ist das geil!"-Momente? Wieso gibt es kaum echtes Gameplay zu sehen? Warum wirkt Halo: Infinite wie ein altes Spiel? Weshalb sollte ich mir eine Xbox Series X kaufen, wenn alle der bisher gezeigten Titel wie Current-Gen-Spiele aussehen? Wo ist der Blockbuster, der echte Next-Gen-Magie versprüht und mich optisch aus den Socken haut? Umso peinlicher wirkt Xbox Marketing-Chef Aaron Greenbergs Antwort auf die enttäuschten Kommentare. Die gezeigte Halo-Demo basiere auf einem alten Build und außerdem könne man die wahre Grafikpracht in einem Video-Stream schlecht vermitteln.
Mein Interesse kann eigentlich nur Stalker 2 wecken, denn die gezeigten Spielszenen wirken sehr atmosphärisch. Oh, Moment. Das sind gar keine Spielszenen? "Der Trailer veranschaulicht das Niveau von Grafik und Atmosphäre, welches wir bis zur Veröffentlichung erreichen möchten", erklären die Entwickler nach der Präsentation via Twitter.
Geiz ist geil
Es wird immer offensichtlicher, dass Microsoft kein Interesse mehr an den klassischen Console Wars hat. Als habe man eingesehen, dass die hauseigenen Titel gegen Sonys und Nintendos Exklusivperlen keine Chance haben. Stattdessen rücken Abwärtskompatibilität und Game Pass in den Fokus. Nicht edel und erstklassig, sondern gut und günstig, lautet die Devise. Man möchte das Netflix oder Spotify der Videospiele werden und deshalb ist die Hardwareplattform egal. Mit dem verflixt günstigen Game Pass-Abo versucht Microsoft so viele Gaming-Begeisterte auf so vielen Geräten wie möglich an sich zu binden. Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, dass sich diese Strategie langfristig als finanziell erfolgreich entpuppt – zumindest für Microsoft.
Da ich vor langer Zeit Geld mit Musik verdient habe, pflege ich gute Kontakte zu Vertretern dieser Branche. Die meisten von ihnen bedauern die Entwicklung der vergangenen Jahre. Es gehe nicht mehr um Kunst, sondern nur noch um Content. Künstler werden zu reinen Content-Lieferanten und da sie dank Spotify und Co kaum noch Alben verkaufen, nehmen sie sich immer weniger Zeit für ihre Kompositionen. Stattdessen müssen sie immer mehr Streaming-Content rausrotzen, um das Defizit auszugleichen.
Wird sich die Gaming-Branche in dieselbe Richtung entwickeln? Bin ich ein Dinosaurier, weil ich immer noch Schallplatten, Filme und Spiele kaufe, obwohl günstige Abo-Modelle die Welt erobern? Werde ich eine Xbox Series X erwerben, obwohl ich sie überhaupt nicht brauche? Die Antwort lautet: Ja, denn der Mensch lernt einfach nicht dazu. (AI)