Die meisten Spiele zocke ich trotz ihrer Zwischensequenzen. Ganz gleich, ob Final Fantasy 7 Remake oder Red Dead Redemption 2. Auf der einen Seite das Cringe-Feuerwerk mit hohem Fremdschämpotenzial und auf der anderen ein ausufernder Schwafelmarathon mit maximalem Zermürbungsfaktor. Meist hämmere ich bei Cutscenes wie ein trainierter Laboraffe auf die Abbruchtaste, um mir nicht das positive Gesamterlebnis versauen zu lassen. Das einzige Spiel, das ich wegen seiner Zwischensequenzen spiele, ist The Last of Us. Für mich ist es das einzige Videogame, das in puncto Erzählung wirklich mit den großen Meisterwerken der Filmgeschichte konkurrieren kann. Story und Spiel verschmelzen hier zu einer Einheit, statt sich wie in vielen Konkurrenzprodukten einfach nur abzuwechseln.
Ziemlich überraschend fand ich die zahlreichen Negativreaktionen auf die Kussszene im erstklassigen Story-DLC Left Behind. Hier wurde dem Spieler endgültig klar, dass die Teenagerinnen Ellie und Riley mehr als nur beste Freundinnen sind. Eine Verschwörung der global operierenden Gay-Mafia? Nach Gamergate sei die Gaymification der Spieleindustrie nur eine Frage der Zeit gewesen, behaupteten besorgte Netzbürger damals. Das Witzige ist, dass bereits im Hauptspiel mit der Figur Bill ein homosexueller Charakter angedeutet wurde. Die Hinweise darauf waren jedoch deutlich subtiler und deshalb für simpel gestrickte Gemüter unsichtbar. Jedenfalls sehr mutig von Naughty Dog, auch wenn The Last of Us nicht das erste Videospiel mit queeren Figuren ist.
Es wird immer intolerante Menschen geben, die mit Andersartigkeit ein Problem haben. Christen, die den Islam verteufeln, Moslems, die den Juden die Pest an den Hals wünschen und Heteros, die Homosexualität über alles fürchten. Das ist traurig, aber irgendwie normal, weil es nicht nur schlaue Menschen gibt. Was ich überhaupt nicht verstehe, sind die Anfeindungen der LGBTQ-Community, mit denen sich Naughty Dog seit Veröffentlichung der The Last of Us 2-Trailer konfrontiert sieht. Die Clips deuten nämlich an, dass Ellies neue Lebensabschnittsgefährtin Dina eines gewaltsamen Todes stirbt. Naughty Dog wird deshalb vorgeworfen, das sogenannte „Bury Your Gays“-Klischee zu bedienen. Das Gezeigte sei äußerst problematisch, weil es homosexuelle Charaktere zu Gewaltopfern reduziere. Sofort wurde ein Shitstorm initiiert und The Last of Us 2 als homophobe, misogynistische Gewaltorgie abgestempelt. Dass mit Ellie eine starke lesbische Frau im Mittelpunkt der Geschichte steht, wird dabei einfach mal unter den Teppich gekehrt. Ebenso die Tatsache, dass man ein Videospiel nicht nach seinem Trailer bewerten sollte.
Besonders schlimm finde ich, dass sich auch Mitarbeiter renommierter Spielemagazine als moralinsaure Trailer-Orakel versuchen und die wildesten Sauereien hineininterpretieren. Ich möchte keine Namen nennen, aber bloß, weil im Trailer Ellies geschundener Rücken zu sehen ist, behauptet ein Kollege, dass „die Blessuren von Ellie den Schluss nahelegen, dass The Last of Us: Part 2 auch eine Vergewaltigung erzählen wird.“ Niemand setzt sich wirklich objektiv damit auseinander, stattdessen wird munter spekuliert und weiter Öl ins Feuer gegossen.
Davon abgesehen, ist sexuelle Gewalt in der Kunst ein sehr häufiges Thema. In Büchern, Filmen, Gemälden, Gedichten, TV-Krimis und auch in der Musik. Sagen wir mal, es gäbe in The Last of Us 2 wirklich eine Vergewaltigung. Warum sollte sich ein Spiel nicht damit auseinandersetzen dürfen? Ständig jammern Spielejournalisten herum, weil Videospiele nicht als „echte“ Kunstform akzeptiert werden. Sobald es aber jemand wagt, ein interaktives Drama zu entwickeln, das tief im Morast des Menschseins wühlt und unbequeme Fragen stellt, zieht der empörte Mob mit virtuellen Fackeln und Mistgabeln durchs Netz.
In der Menschheitsgeschichte nahmen Sex und Gewalt schon immer eine zentrale Rolle ein. Diese Themen aus Videospielen zu verbannen, ist ignorant, heuchlerisch und kleingeistig. (AI)