In einer zunehmend digitalisierten Welt ist die Gamesbranche zu einem zentralen Ort für Innovation, Kreativität und kulturellem Austausch geworden. Doch wie zugänglich ist diese Welt tatsächlich für alle? In Games selbst gibt es immer mehr Optionen zur Barrierefreiheit – von einfachen Mitteln wie Untertiteln bis hin zu adaptiven Controllern für Xbox oder Playstation. Aber es ist an der Zeit, sich auch mit der Barrierefreiheit der physischen Räume zu beschäftigen, in denen diese digitalen Welten entstehen und der kulturelle Austausch über sie stattfindet.
Räume wie die Gamerei. Unterstützt durch das Bayerische Digitalministerium, soll eine neue Plattform für die Gamesbranche entstehen. Mit einer Förderung von 560.000 Euro wurde eine moderne Arbeitsumgebung geschaffen, die Start-ups, Indie-Studios und anderen Akteuren der Branche flexible Büroräume und Gemeinschaftsflächen bietet. Doch bei der Eröffnung im Juli 2024 unbeantwortet blieb die Frage, ob diese Räumlichkeiten auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind.
„Das Gebäude ist leider aktuell nicht barrierefrei, das ist richtig“, bestätigt Lina Timm auf Anfrage. Sie ist Geschäftsführerin der Gamerei. Grund sei der wie in vielen deutschen Großstädten angespannte Immobilienmarkt. „Eine Location zu finden, die relativ zentrumsnah ist, die richtige Größe hat und baulich in einem guten Zustand ist, war wahnsinnig schwer.“ Das Gebäude in der Hohenlindener Straße erfülle all diese Kriterien – die Barrierefreiheit allerdings noch nicht. „So sind aktuell beispielsweise keine Rampen oder Fahrstühle vorhanden.“
Die Gamerei aktualisierte kürzlich ihre Webseite mit einem entsprechenden Hinweis: die Büroräume im Erdgeschoss sowie Toiletten seien ebenerdig, „allerdings bleibt die Eingangstreppe außen als Hürde.“ Trotz der erheblichen finanziellen Förderung und der ambitionierten Ziele der Gamerei war die Barrierefreiheit ein nachrangiger Gedanke – sollte aber integraler Bestandteil der Planung und Umsetzung solcher Räume sein. Dies umfasst nicht nur rollstuhlgerechte Zugänge und Toiletten, sondern beispielsweise auch barrierefreie Arbeitsplätze, Kommunikationsmittel und reizarme Rückzugsorte.
Warum Barrierefreiheit wichtig ist
Barrierefreiheit ist nicht nur eine Frage des Zugangs, sondern auch der Teilhabe und Inklusion. Barrierefreie Räumlichkeiten ermöglichen es Menschen mit Behinderungen, aktiv am Arbeitsleben teilzunehmen und ihre Fähigkeiten und Talente einzubringen. Dies ist nicht nur ein Gewinn für die betroffenen Individuen, sondern auch für die gesamte Branche.
Behinderte Menschen bringen oft einzigartige Perspektiven und Lösungsansätze mit, die Innovation und Kreativität fördern. Ihre Einbeziehung kann zu inklusiveren und besser gestalteten Produkten führen, die eine breitere NutzerInnenbasis ansprechen. Darüber hinaus sendet ein inklusives Arbeitsumfeld eine starke Botschaft an die Gesellschaft und fördert ein positives Image der Unternehmen, die sich dieser Aufgabe stellen.
Die Gamerei will in den kommenden Wochen „prüfen, inwiefern sich die Barrierefreiheit für bestimmte Bereiche im Rahmen der vorhandenen Budgets herstellen lassen könnte.“ Bis dahin sagt Timm, dass man bei Bedarf in „einen vollumfänglich barrierefrei zugänglichen Eventspace sowie Coworking-Plätze“ von Medien Bayern, einer Tochter der Landeszentrale für neue Medien, ausweichen könne.
Fehlende Barrierefreiheit ist ein Verlust für die Gamesbranche
Die Gamerei ist mit diesem Problem nicht alleine. Auch das Vorbild für viele gemeinschaftliche SpieleentwicklerInnen, der Berliner Saftladen, ist nicht uneingeschränkt barrierefrei zugänglich. Das 2014 gegründete (und ohne Förderung auskommende) Indie-Kollektiv ist seit seiner Entstehung schon mehrfach in neue Gebäude umgezogen.
Ein Fahrstuhl mit leicht erreichbaren Bedienelementen sei im aktuellen Gebäude vorhanden, sagt Community Manager Lorenzo Pilia. Auch die Büro- und Besprechungsräume seien etwa für RollstuhlfahrerInnen leicht zugänglich eingerichtet. Aber wie bei der Gamerei schafft die Immobilie Einschränkungen: „Leider sind die Toiletten nicht zugänglich“, so Pilia. Bauliche Änderungen seien beim Einzug im Jahr 2023 nicht möglich gewesen.
Der Mangel an Barrierefreiheit in Einrichtungen wie Gamerei oder Saftladen kann talentierte Individuen ausschließen und sie daran hindern, ihren Beitrag zur Industrie zu leisten. Es entsteht der Eindruck, dass die Bedürfnisse behinderter Menschen in der Branche nicht ernst genommen werden, was das Vertrauen in sie untergraben kann. Für eine Industrie, die sich oft als fortschrittlich und zukunftsorientiert darstellt, ist dies ein schwerwiegender Rückschritt.
Das Großevent wird seiner Verantwortung gerecht
Ein positives Beispiel für die Bemühungen um Barrierefreiheit in der Gamesbranche ist die Gamescom. Die Messe verlangte ab diesem Jahr von allen Ausstellern, dass ihre Stände barrierearm gestaltet werden. Die neuen Richtlinien zielen darauf ab, den Aufenthalt insbesondere für mobilitätseingeschränkte Personen zu verbessern und die Messe insgesamt zugänglicher zu machen. Dazu gehören beispielsweise die Verpflichtung zu stufenlosen Zugängen sowie Empfehlungen für weitere Maßnahmen wie höhenverstellbare Spielstationen, breite Gänge oder geschultes Personal.
Auch ganzjährig existierende Orte wie der Saftladen in Berlin oder die Gamerei in Bayern könnten Leuchtturmprojekte für die Gamesbranche werden, wenn sie die Anforderungen an eine barrierefreie Umgebung erfüllen würden. Denn: Eine inklusive Arbeitsumgebung fördert nicht nur das Wohlbefinden und die Produktivität der MitarbeiterInnen, sondern könnte auch die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit eines Standortes stärken. Dass die Gamescom ihre Mittel nutzt, um für mehr Barrierefreiheit in der Gamesbranche zu sorgen, ist ein wichtiges Signal, um diese zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen.
Die Antworten und Hinweise seitens Gamerei und Saftladen zeigen: Die Problematik ist bekannt. In Zukunft müssen Orte wie die Gamerei, die sich als „Home of Game Changers“ bezeichnet, selbst zu Game Changern werden. Nur so kann eine wirklich inklusive und zukunftsfähige Branche entstehen, die für alle zugänglich ist – unabhängig von körperlichen Einschränkungen. [Melanie Eilert]