Editorial zur gamescom: Ein bisschen Spaß muss sein

IGM-Ausgabe 09/22: Editorial von Herausgeber Marius Hopp zur bevorstehenden gamescom 2022
30. Juni 2022 - 17:51
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Vom 21. bis 24. Juli 2022 findet nach zweijähriger Zwangspause an der Wurster Nordseeküste im Kreis Cuxhaven das Deichbrand Festival statt. Headliner sind Kraftklub und Steve Aoki. Ebenfalls mit an Bord: Apache 207, Bausa, Bilderbuch, Capital Bra, Clueso, Dropkick Murphys, H-Blockx, Mavi Phoenix, Milky Chance, Nightwish, Provinz, Sido, SSIO und einige mehr. Die Veranstalter freuen sich schon. Die Community sowieso.

Ich bin froh, dass unsere Tochter in diesem Jahr nicht vor Ort ist, sie sah danach immer aus wie … also auf jeden Fall nicht wie unsere Tochter. Sei’s drum, ein bisschen Spaß muss sein, das wusste vor einigen Jahrzehnten schon Roberto Blanco freudestrahlend zu berichten.

Ein bisschen Spaß haben sich auch die Koelnmesse und der game-Verband auf die Fahnen geschrieben, wenn es im August mit der gamescom losgehen soll, einem Gaming-Festival globaler Größenordnung, das dank der Agenturen Jung von Matt Brand Identity, Jung von Matt Nerd und TLGG gar mit einem komplett überarbeiteten Logo daherkommt. Das ist jetzt schwarz/weiß, die Wortmarke ansich ist weiterhin rein in Kleinbuchstaben gehalten, wurde verschlankt und in der Schriftart Avant Garde gesetzt, nur der Letter „c“ wurde modifiziert. In der offiziellen Pressemitteilung heißt es dazu, dass man mit dem erneuerten Branding der Entwicklung Rechnung trage, dass Games inzwischen längst „Taktgeber für Kultur, Technologie und den gesamten Unterhaltungsmarkt seien und darüber hinaus auch Herz und Hafen für viele der mit dem Gaming verwobenen Communitys“.

Ich persönlich finde das klasse, da ich schon lange auf eine bahnbrechende Logo-Modifikation wie diese gewartet habe. Auch die Taktgeber-Geschichte finde ich super – und bei Herz und Hafen wird mir immer gleich warm in der Hose. Kurzum: Ich will gar nicht wissen, was man diesen Agenturen dafür hingeblättert hat. Die Banche ist bunt – das gamescom-Logo schwarz/weiß. Macht Sinn.

Ist aber nicht die einzige Sache, die mich stört. Das mit der Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, mit der so vollmundig geworben wird, nervt gewaltig. Denn mal im Ernst: Was genau soll „klimafreundlich“ sein an einer Messe, bei der der Stromzähler bereits nach Tag 1 kollabiert? Der Klimafonds etwa, in den ausstellende Firmen einzahlen sollen? Und was, wenn man nicht einzahlt? Wird das dann öffentlich gemacht? Unternehmen von Weltgeltung werden eh mit dem UN-Klimarat in Kontakt stehen. Und das auf einer ganz anderen Ebene. Ich habe ja nichts gegen das Klima ansich, ich würde mir nur insbesondere als Konsument wünschen, dass ich etwa auf der gamescom-Startseite ganz konkret auch etwas über die Aussteller und deren Games erfahre und nicht nur, dass ich einen Klimaschutzbeitrag leisten kann, der dann dem gamescom forest in der Nähe von Bayreuth zugute kommt.

Auf der gamescom-Website heißt es überdies: „Wie früher. Nur besser. Ihr habt gewartet. Wir sind zurück. Besser denn je. Näher denn je. Erlebbarer denn je“. Kann man mal machen. Nun wissen wir alle, wer da so auf der Ausstellerliste fehlt. Wird eine gamescom tatsächlich dadurch besser, wenn Nintendo, Sony und Konsorten durch Abwesenheit glänzen? Und was, wenn der Habeck davon erfährt? Mag uns „die Politik“ dann nicht mehr? Hat sich da etwa jemand verzockt? Mit deutlich erhöhten Eintrittspreisen? Mit monetarisierten Warteschlangen? Mit dem Zwang für Aussteller, online und vor Ort Präsenz zeigen zu müssen?

Die zweijährige Pause kann man nicht mal eben wieder reinholen. Schon gar nicht in finanzieller Hinsicht. Ich hätte die Quadratmeterpreise für Aussteller in der Entertainment Area reduziert und Besucher mit nem Zehner geködert. Hey, wir sind wieder da. Zwar nicht mit der ganzen Kapelle, aber Fun werdet ihr dennoch haben. Seriös anfangen, nicht naiv glauben, Corona sei vorbei und jetzt ginge hier die Post ab.

Das Wohl und Wehe des game-Verbandes basiert auf Mitgliederbeiträgen und finanziert sich durch die gamescom. Diese ganzen Fördergelderbuden, deren Zeug sich auch nicht besser verkauft, wenn denen 300.000 Euro überwiesen werden, sind nicht wirklich relevant. Also redet mit euren Mitgliedern. Mit den großen. Beweist Weitsicht. Warum sollte ein EA in diesem Jahr ausstellen? Wegen Fifa? Warum ein Konami? Wegen Yu-Gi-Oh! Online? Ubisoft ist dabei. Warum? Weil Ralf Wirsing im Vorstand sitzt und quasi dabei sein muss? Was die Franzosen präsentieren und den Menschen in diesem Jahr unter den Tannenbaum legen wollen, bleibt nebulös. Ein neues Assassin’s Creed? Würde mich freuen, aber wundern.

Nein, Games sind nicht Taktgeber für den gesamten Unterhaltungsmarkt, sie sind auch nicht Herz und Hafen für irgendwas. Müssen sie auch gar nicht. Fragt euch doch einfach mal, wem diese ganzen Floskeln helfen und stellt euch den Realitäten, werft einen Blick auf Releaselisten und schaut euch die Liefersituation der neuen Konsolen an. Und kommt dann zu einer realistischen Gesamteinschätzung der derzeitigen Marktgegebenheiten.

Wenn beim Deichbrand 2022 Kraftklub, Steve Aoki und Apache 207 absagen, hätten die Veranstalter ein ernsthaftes Problem, das weder durch eine lustige Logoerneuerung noch durch Klimaneutralitäts-Geschwurbel gelöst werden kann.

Hoffen wir – um im Bild zu bleiben –, dass jedenfalls Bausa, Bilderbuch, Capital Bra und Clueso ihre Instrumente gestimmt haben, damit Roberto Blancos Gassenhauer auch in diesem Jahr Realität wird.

Denn ein bisschen Spaß muss bekanntlich sein. [Marius Hopp]

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