Vergangenheit und die Zukunft der Marke.
Zeitsprung ins Jahr 1997: Mit einer Startauflage von nur 5650 Exemplaren bringt der in London ansässige Bloomsbury Verlag den Jugendroman „Harry Potter and the Philosopher’s Stone“ von Joanne K. Rowling auf den Markt. Dank des lebendigen Schreibstils, der individuell ausgearbeiteten Charaktere und der faszinierenden Welt voller Magie findet das Werk schnell begeisterte Anhänger und wird noch im selben Jahr mit dem Nestlé Smarties Book Prize ausgezeichnet. Der New Yorker Medienkonzern Scholastic will den Vertrieb in den USA übernehmen, findet den Namen aber aus Marketinggründen unpassend und ändert ihn kurzerhand – auf Vorschlag von Rowling – in „Harry Potter and the Sorcerer’s Stone“.
Zwar gefällt die Entscheidungen nicht jedem, im Verkauf ab September 1998 geht das mit einer Auflage von zunächst 50.000 Exemplaren gedruckte Werk jedoch weg wie Harry Potters geliebte Nachspeise Treacle Tart. Hinzu kommen zahlreiche Auszeichnungen in verschiedenen Ländern, die – zusammen mit dem zweiten Band – für einen weiteren Aufmerksamkeitsschub sorgen und den Zauberlehrling mit der markanten Blitznarbe auf Bestseller-Kurs bringen.
Erst Kinofilm, dann PlayStation-Umsetzung
Endgültig im multimedialen Massenmarkt angekommen ist die Marke schließlich Anfang November 2001, als Warner Bros. in Zusammenarbeit mit dem britischen Filmproduzenten David Heyman den ersten Band in die Kinos bringt. Flankiert wird der Leinwandstart von einem zwölf Tage später erscheinenden PlayStation-Spiel aus der Feder von Argonaut Games. Das Londoner Studio hat sich bereits mit Lizenztiteln wie „Alien Resurrection“ einen Namen gemacht und setzt Rowlings Erstlingswerk mit viel Enthusiasmus für eine vorwiegend jüngere Zielgruppe um – eine liebevolle Nachbildung von Schloss Hogwarts, rasante Quidditch-Partien und gelungene Rätsel inklusive.
Allein die PlayStation-Version verkauft sich acht Millionen Mal und bestärkt den damaligen Publisher Electronic Arts darin, auch alle kommenden Harry-Potter-Filme in Videospielform umzusetzen. Während dies bei Teil zwei und drei noch hervorragend gelingt, fällt die Qualität der nachfolgenden Produktionen leider merklich ab. Rückblickend verständlich, denn spätestens mit „Harry Potter und der Feuerkelch“ wird das Gameplay zunehmend actionlastiger, während die Story-Inszenierung und die Puzzle-Elemente auf Sparflamme köcheln. Den spielerischen Tiefpunkt der Reihe bildet schließlich die Umsetzung von „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes - Teil 1“ (2010), die größtenteils aus langweiligen Missionen mit stark geskripteten Third-Person-Shooter-Passagen besteht.
Mit Herzblut gemachte Lego-Ableger
Die Fans sind damals zu Recht enttäuscht, freuen sich aber umso mehr, dass Filmrechteinhaber Warner Bros. bereits im Juni 2010 eine interessante Alternative zu den EA-Produktionen auf den Markt bringt. Die Rede ist von „Lego Harry Potter: Die Jahre 1 bis 4“, einem überaus charmant umgesetzten Action-Abenteuer von Traveller’s Tales, das die ersten vier Filme im Klötzchenformat zum Leben erweckt, gekonnt mit Lego-typischem Humor anreichert und obendrein einen unterhaltsamen Koop-Modus hinzufügt – etwas, das den bisherigen Filmumsetzungen fehlte. Aber auch das im November 2011 erschienene „Lego Harry Potter: Die Jahre 5 bis 7“ kommt sehr gut an, dreht noch einmal kräftig an der Humorschraube und bietet auch nach Abschluss der eigentlichen Geschichte noch reichlich Beschäftigung. Positiver Nebeneffekt: Selbst Spieler, die sonst vielleicht eher weniger mit der Harry-Potter-Reihe am Zauberhut hatten, aber die Machart der Lego-Games lieben, setzen sich nun mit Harry, Hermine, Hagrid, Hogwarts und Co. auseinander.
Fürs Protokoll: Weitere interessante Potter-Titel aus dieser Zeit sind „Wonderbook: Book of Spells“ und „Wonderbook: Book of Potions“, zwei Augmented-Reality-Spiele, die in Zusammenarbeit mit Rowlings für Sonys innovative PlayStation-Move-Kamera entwickelt wurden.
Themenparks, Theaterstücke, Twitch
Während namhafte Harry-Potter-Spiele in den nächsten Jahren noch auf sich warten lassen, expandiert das Franchise selbst mit rasanter Geschwindigkeit in andere Märkte. In London beispielsweise eröffnet am 31. März 2012 eine „Making of Studio Tour“ in den Warner Bros. Studios Leavesden, während nur zwei Jahre später auch die Universal Studios Florida und Japan eigene Potter-Themenparks aus dem Boden stampfen und die Besucher unter anderem mit einer Nachbildung des Dorfes Hogsmeade begeistern. Damit wird einer der Orte, den man bisher nur aus Büchern, Filmen und Spielen kannte, erstmals begehbar. Mit „Harry Potter und das verwunschene Kind“ erobert der halbblütige Zauberer ab 2016 auch die Theaterwelt – zunächst im Londoner West End, dann auf internationalen Bühnen wie in New York, Hamburg oder Tokio.
Doch zurück zum Gaming-Kosmos. Der steht am 7. Februar 2023 Kopf, als „Hogwarts Legacy“ nach fast fünf Jahren Entwicklungszeit endlich das Licht der Welt erblickt und sofort Rekorde bricht. Los geht’s auf der Streaming-Plattform Twitch, wo sich zum Start der Early-Access-Phase 1,3 Millionen Zuschauer einklinken. Aus gutem Grund, denn inhaltlich liefert Avalanche Software ein wahrhaft zauberhaftes Spiel ab, das – anders als bisherige Produktionen – nicht der Handlung der Bücher oder Filme folgt, sondern eine eigene, zeitlich davor angesiedelte Geschichte rund um die sogenannten Koboldaufstände erzählt. In Sachen Missions- und Leveldesign können sich die Macher also mehr denn je austoben – und das tun sie auch!
Ob es darum geht, ein Einhorn zu zähmen, die 16 Daidalischen Schlüssel zu finden, einen Flugtest mit einem fliegenden Besen zu absolvieren oder „Avada Kedavra“ (den wohl gefährlichsten Fluch der Potter-Welt) zu erlernen – Abwechslung wird hier groß geschrieben. Dazu kommt, dass die Entwickler sowohl Schloss Hogwarts als auch Hogsmeade und große Teile der umliegenden Highlands in einer nie dagewesenen Detailtreue nachgebaut und zu einer überaus entdeckenswerten Open World zusammengefügt haben. Eine Welt, in der es auch immer wieder zu rätseln und zu kämpfen gilt, um weiterzukommen. Anders als in den bisherigen Harry-Potter-Spielen können die Spieler zudem in die Rolle eines selbst erstellten Hogwarts-Schülers beziehungsweise einer Schülerin schlüpfen und sich zu Beginn der Geschichte einem der vier Häuser anschließen. Dies sorgt – in Kombination mit über 440 freischaltbaren Kleidungsstücken – für maximale Fan-Immersion und macht endlich auch all jene glücklich, die dem Haus Gryffindor (dem Harry bekanntlich angehört) nichts abgewinnen konnten.
Beeindruckend sind auch die vielen unscheinbaren Details, die selbst eingefleischten Fans manchmal erst auf den zweiten Blick auffallen. Da ist zum Beispiel der Straßenmusiker Ernie Lark. Gibt man ihm zehn Galleonen, lässt er ein magisches Instrument erklingen. Wiederholt man dies mehrmals, kommen immer neue Instrumente hinzu – bis Lark schließlich von einem halben Dutzend Musikmachern umringt ist. Kurzum: Kein Lizenzspiel hat die Community bisher so sehr ins Potter-Erzähluniversum gesogen wie „Hogwarts Legacy“.
Fan-Service
Dass sich der mittlerweile über 24 Millionen Mal verkaufte Titel selbst 18 Monate nach seiner Veröffentlichung noch großer Beliebtheit erfreut, ist auch der Produktpflege seitens Avalanche zu verdanken. So wurde im Mai 2023 ein spezieller Modus für Spinnenphobiker integriert, der die Achtbeiner auf Knopfdruck deutlich drolliger macht. Oder nehmen wir das große Sommer-Update, das kurz nach Harry Potters Geburtstag am 31. Juli 2024 online ging. Dieses ergänzt nicht nur den oft geforderten Foto-Modus, sondern endlich auch eine Reset-Möglichkeit für bereits investierte Talentpunkte.
Zugegeben, „Hogwarts Legacy“ hat viele Qualitäten, aber Quidditch kann man dort nicht spielen. Um diese Lücke zu füllen, gibt es seit dem 3. September 2024 „Harry Potter: Quidditch Champions“. Entwickelt von den Unbroken Studios aus Los Angeles, dreht sich hier alles um die gleichnamige Flugbesen-Ballsportart aus den Romanen. Die Adaption überzeugt auf ganzer Linie und punktet mit umfangreichen Tutorials, Crossplay, einem markanten, comichaften Grafikstil, verifizierter Steamdeck-Kompatibilität, keinerlei Mikrotransaktionen, verschiedenen Spielmodi (unter anderem Karriere, Schaukampf, Versus) und einer Integration in das PlayStation-Plus-Portfolio. Im Handel erscheint der Titel als Deluxe Edition für PlayStation 4, PlayStation 5, Xbox One, Xbox Series X/S und Nintendo Switch am 08.11.2024.
Fun Fact: Quidditch selbst ist längst im realen Leben angekommen und hat mittlerweile sogar einen deutschlandweit agierenden Dachverband. Der DQB (Deutscher Quadballbund, bis 2023 Deutscher Quidditchbund) betreut sechs verschiedene Ligen und veranstaltet regelmäßig Turniere – das nächste ist die Deutsche Quadball-Meisterschaft am 12. und 13. Oktober 2024 in Braunschweig.
Stichwort Oktober: Bereits am 8.10.204 öffnet sich für Harry-Potter-Fans ein weiteres Portal in die Welt der Spiele. Denn dann bringen Double Eleven und TT Games die bereits 2016 für PlayStation 4 und Xbox One sowie 2018 für Nintendo Switch veröffentlichte „Lego Harry Potter Collection“ endlich auch für PlayStation 5 und Xbox Series X/S auf den Markt. Wichtigste Neuerung: Die Klötzchen-Hits von 2010 und 2011 erstrahlen erstmals in 4K-Auflösung und sichtlich verbesserter Optik.
Blick in die Glaskugel
Und wie geht es im Harry-Potter-Spieleuniversum in Zukunft weiter? Nun, zum einen gibt es Gerüchte über einen Director’s Cut von „Hogwarts Legacy“. Diese stammen aus der Feder des für gewöhnlich bestens informierten Bloomberg-Journalisten Jason Schreier. Schreier behauptet, dass viele Mitarbeiter der ebenfalls zu Warner gehörenden Londoner Rocksteady Studios („Batman Arkham“-Reihe, „Suicide Squad“) Avalanche Software bei diesem Vorhaben tatkräftig unterstützen, nennt aber keine weiteren Details, etwa zu neuen Story-Inhalten, die darin enthalten sein könnten. Als verkaufsfördernde Maßnahme rund um den dritten Geburtstag des Spiels im Februar 2025 aber sicher keine schlechte Idee.
Obwohl noch nicht offiziell bestätigt, können Fans davon ausgehen, dass Avalanche Software bereits mit Hochdruck an einem zweiten Teil des Hauptspiels arbeitet, der auf der Unreal Engine 5 basieren wird. Darauf deuten zumindest Stellenausschreibungen von Avalanche Software hin. Deren „Hogwarts Legacy“-Team sucht derzeit – neben mehreren Software-Entwicklern – fieberhaft nach einem Producer sowie einem Senior Producer „für ein neues Open-World-Action-RPG“. Letzterer idealerweise mit Erfahrung im Games-as-a-Service-Sektor. Ein erster Hinweis darauf, dass Warner ein Sequel stärker auf Langzeitattraktivität trimmen will? Zweifellos nicht abwegig.
Bis das nächste große Zauber-RPG tatsächlich erscheint, dürfte allerdings noch einige Zeit vergehen, die Potter-Fans aber leicht mit Aktivitäten rund um ihren Lieblingszauberer füllen können. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Nachkochen der über 40 Rezepte aus dem offiziellen Harry-Potter-Kochbuch, das Ende Juli 2024 erschienen ist? Oder mit einem Besuch im Universal Epic Universe, dem mittlerweile dritten Themenpark des Universal Orlando Resorts, der bereits 2025 eröffnen soll? Natürlich mit einem gigantischen Potter-Paradies. Nicht zu vergessen die kommende „Harry Potter“-TV-Serie, an der HBO gerade bastelt und für die es bereits einen Zehn-Jahres-Plan gibt. Starttermin: leider erst 2026. (soe/bpf)