IGM-Serie "Chefetage": Jan Theysen, KING Art

Einst mit 800 DM und zwei PCs gestartet – heute Chef eines der größten Spiele-Studios des Landes: Jan Theysen mahnt Games-Macher zu mehr Risikobereitschaft.
14. April 2022 - 16:31
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Jan Theysen, KING Art

„So mokt wi dat!“. Das ist Plattdeutsch und bedeutet: „So machen wir’s.“ Mit diesem Satz beendet Jan Theysen so gut wie jedes Meeting. Und so kommt es, dass „ein Haufen junger Leute von überall aus der Welt“ (genauer: 85 Beschäftigte) zumindest einen plattdeutschen Satz kennt. Nicht die einzige liebenswerte Marotte des Unternehmers: Sobald die Temperaturen zweistellig werden, steht in seinem Büro ganztags das Fenster offen. Theysen schmunzelnd: „Ein weiterer Grund, warum einige Mitarbeiter Homeoffice bevorzugen, schätze ich“. Und das trotz der tollen Lage des Büros – inmitten der historischen Bremer Altstadt, nur wenige Meter entfernt von den bronzenen Stadtmusikanten.

Begonnen haben er und Co-Gründer Marc König 2000 als verlängerte Werkbank für andere Studios – ab 2008 entstanden dann eigene Games wie The Book Of Unwritten Tales, Die Zwerge und zuletzt Iron Harvest, das vom Koch-Label Deep Silver vermarktet wird. „Es war ein großer Sprung für uns, was die Projektgröße und Komplexität angeht. Vor allem aber ist RTS (Echtzeit-Strategie, Anm. d. Red.) eines der schwierigsten Genres – und dass wir aus dem Stand ein sehr ordentliches RTS entwickeln konnten, spricht für die Qualität des Teams.“

Mit etwas Pech wäre die Unternehmensgeschichte schon 2009 zu Ende gewesen: Denn die Insolvenz von Publisher HMH hätte KING Art fast in den Abgrund gerissen. „Wer einmal mit Insolvenzrecht und Insolvenzanwälten zu tun hatte, braucht danach einige Zeit, um seinen Glauben an die Menschheit wiederzugewinnen.“ Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten gerade einmal 15 Leute am Projekt – für Theysen „vermutlich die schönste Entwicklungszeit“: „Wir wollten etwas beweisen und haben das geschafft. Fast alle, die damals dabei waren, sind noch heute bei uns. Sowas schweißt zusammen.“ Stolz macht ihn außerdem, dass KING Art seit 22 Jahren organisch wächst: „Wir haben mit 800 DM, zwei Rechnern und einem Drucker angefangen. Wir haben das Geld, das wir eingenommen haben, in die Firma gesteckt und sind grundsolide gewachsen. Heute stehen wir besser da als je zuvor.“

Die positive Entwicklung bringt es mit sich, dass Theysen immer weniger am Spieldesign arbeitet: „Aktuell entwickeln wir das erste große KING-Art-Projekt, bei dem ich nicht Game Director bin. Das fühlt sich schon seltsam an. Aber gleichzeitig werde ich häufig positiv davon überrascht, was das Team auf die Beine stellt. Ich versuche, mich nach und nach mehr aus den Details zurückzuziehen und mehr die Rolle eines Beraters, Mahners und Ideengebers einzunehmen. Man könnte sagen: Ich arbeite daran, mich selber überflüssig zu machen. Das würde mir die Freiheit geben, mich um Dinge zu kümmern, für die ein Creative Director eigentlich keine Zeit hat.“ Zeit nimmt er sich indes für regelmäßige Folgen seines YouTube-Kanals Dev Play. Gemeinsam mit Kollegen anderer Studios gewährt er Einblicke hinter die Kulissen: „Spieler haben Fragen, Entwickler hören sich gerne reden – passt! Wir haben Spaß daran, der Aufwand hält sich in Grenzen und das Format kommt gut an. Eine runde Sache.“

Auf der Suche nach frischem Personal wirbt KING Art unter anderem mit geregelten Arbeitszeiten. Hand aufs Herz: Wie gut klappt das in der Praxis? „Ziemlich gut. Es lässt sich nicht ganz vermeiden, dass einzelne Mitarbeiter vor Release in einzelnen Wochen doch mehr arbeiten müssen, als uns lieb wäre. Dafür ist Spieleentwicklung einfach zu komplex und zu viele Dinge können schief gehen. Es macht für uns aber gar keinen Sinn, lange Crunch-Phasen mit dem ganzen Team zu machen. Die Leute brennen aus, die Qualität lässt nach, man spart kein Geld und torpediert sich unter Umständen das nächste Projekt.“

Mit den Ansprüchen sind Teamgröße, Budgets und Verantwortung stetig gestiegen – eine Zwangsläufigkeit, vor der gerade inhabergeführte Unternehmen zurückscheuen. Doch fürs Backen kleiner Brötchen gibt es aus Sicht von Theysen wenig Veranlassung: „Traut euch was! Die anderen kochen auch nur mit Wasser. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es zu viel Angst davor gibt, das Erreichte zu verlieren, anstatt den großen Wurf zu versuchen. Man muss nicht rücksichtslos, blind oder blöd sein, aber manchmal würde ich mir etwas mehr Pfeffer im Hintern wünschen. Stillstand ist der Tod.“ Abseits von fehlender Risikobereitschaft gibt es nur eine Sache, die ihn an der deutschen Branche stört: dass alle wichtigen Veranstaltungen in Köln stattfinden. Und das, „wo es in der ganzen Stadt keine vernünftigen Getränkegrößen gibt“. Einzig beim Maredo am Heumarkt gäbe es Spezi im 0,5-Liter-Gebinde – allerdings nur unterm Tresen.

50 Millionen für Daedalic, 100 Millionen für astragon: Ein deutscher Spielehersteller nach dem anderen wird derzeit von internationalen Unternehmen gekauft. Und natürlich haben auch bei den Bremern schon Interessenten angeklopft. Doch Theysen stellt klar: „Ein Verkauf von KING Art steht bei uns nicht hoch auf der Prioritätenliste, weil sowohl ich als auch mein Partner Marc noch nicht reif für die Insel sind. KING Art legt im Moment auch ohne externe Partner eine tolle Entwicklung hin und diesen Erfolg genießen wir.“ Immer getreu der Devise: So mokt wi dat! (pf)