Seinen Beruf als Managing Director der gamescom-Entwicklerkonferenz devcom und Executive Producer der dazugehörigen Twitch-Streams vergleicht Stephan Reichart gerne mit dem eines Musical-Produzenten, der eine kleine Rolle im eigenen Stück spielen dürfe: Erst live würde man merken und fühlen, ob die Sachen wirklich greifen und funktionieren. Bühnen- und Livestream-Auftritte meistert Reichart genauso souverän wie die Durchführung großer Preisverleihungen und internationaler Konferenzen – just diese Mischung reizt ihn. „Wenn ich nur noch Zahlen kalkulieren müsste oder nur noch Texte ablesen dürfte, dann würde ich eingehen wie eine Primel. Die Dinge, an die ich glaube, so umsetzen zu dürfen, wie ich sie vor Augen habe – das macht meinen Job aus. Und dazu gehört die genaue Planung UND das Verkaufen und Präsentieren des finalen Ergebnisses.“
Analog zu Musicals, Konzerten, Messen und Award-Shows wurde auch Reicharts Konferenz-Geschäft durch Corona ausgebremst – die devcom verlagerte sich zwangsläufig ins Digitale. Umso stolzer ist er auf die Twitch-Aktivitäten, die sein Team und er seit Beginn der Pandemie umsetzen konnten: „Dass wir es geschafft haben, die Marke der devcom glaubwürdig dort stattfinden zu lassen in so vielen für uns neuen Show-Formaten, das ist tatsächlich etwas, was mich sehr glücklich macht.“ Bis dahin war es allerdings ein harter, steiniger Weg. Zur Digital-Premiere im August 2020 mahnte er in einem Interview „etwas mehr Euphorie“ seitens der hiesigen Branche an, die zu diesem Zeitpunkt nicht so recht wusste, wie sie mit der neuen Online-Realität umgehen sollte. Hat sich das seitdem gebessert? Reichart ist an dieser Stelle ganz Realist: „Ich glaube, dass die Mehrheit aller B2B-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer keine echte Begeisterung bei einem digitalen Event empfindet – einfach, weil sie es als Notlösung für ihre bisher geliebten Live-Networking-Events empfinden“, so der Experte. „Anders ist das bei dem Teil unserer Zielgruppe, die so weit weg von Köln lebt, dass sie niemals in Real-Life bei einer devcom vor Ort dabei sein würden. Diese Leute nehmen regelrecht euphorisch die Gelegenheit wahr, neue Menschen online zu treffen und unseren Content zu erleben. Ich freue mich aber sehr darauf, 2022 wieder Events vor Ort anbieten zu können, denn sie fühlen sich auch für uns als Event-Team ganz anders an und bringen eine ganz andere Form von Networking mit sich, die ich auch sehr vermisst habe.“
Die Bedürfnisse von Entwicklern und Publishern kennt Reichart aus eigener Anschauung: Ab 2003 hat er mit der Aruba Studios GmbH selbst Games produziert. Lust, selbst mal wieder ein Spiel zu bauen? „Einmal Game-Designer immer Game-Designer! Ich entwickle nach wie vor privat Spiele – zum Beispiel teste ich seit etwa einem Jahr sehr gerne ein Würfelspiel, das ich mir ausgedacht habe. Ob ich allerdings nach all den Jahren noch mal in den Vollzeitjob eines Spieleentwicklers wechseln würde, wage ich zu bezweifeln.“ 2007 gründete er dann die Kölner Aruba Events GmbH, die jahrelang erfolgreiche Formate wie Quo Vadis oder Führungskräfte-Meetings auf Mallorca veranstaltete. Besonders positiv ist ihm die Stimmung auf den ersten Ausgaben des von ihm ausgerichteten Deutschen Entwicklerpreises in Köln, Düsseldorf und vorher Essen in Erinnerung: „Wenn Hunderte von Menschen Spaß haben, weil Du eine Idee umsetzen durftest , das waren immer die besten Momente.“ Gerne verzichtet hätte er allenfalls „auf die vielen dummen Macho-Momente und vermeintlichen Machtdemonstrationen, die es in unserer Branche vor allem in den frühen 2000er Jahren gab – sowohl im Ausland als auch hier bei uns.“ Dass Reichart mit solchen Befindlichkeiten umgehen kann, bewies er ab 2004, als er sieben Jahre lang sein schon damals riesiges und weitverästeltes Netzwerk an der Spitze des damaligen GAME-Verbands einbrachte, der ja 2018 mit dem BIU zum heutigen game fusionierte. Bis heute wundert es ihn, wie sehr die Branche im eigenen Saft schmort und wie wenige interessierte Blicke aus der eigenen 'Bubble' heraus stattfinden – etwa in Richtung Film und Musik.
Kraft für seinen devcom-Hauptjob zieht 'Musical-Direktor' Reichart aus seiner privaten Twitch-Kochshow und im Gefechts-Eifer des Crytek-Spiels Hunt: Showdown („Aus meiner Sicht der beste Shooter aktuell“), vor allem aber aus Dingen, die ihn „energetisch aufladen und nichts mit der Branche zu tun haben“ – etwa das Schreiben an der Nordseeküste oder das Spieleentwickeln mit seinen Kindern. Abschalten kann er insbesondere an der Nordzee/Zeeland in den Niederlanden: „Die Kombination aus Wald und windigem Nordsee-Strand ist einfach der Knaller!“ (pf)