Die US-Amerikanerin Ashly Burch (30) ist eine der bekanntesten Synchronschauspielerinnen der Branche. Bevor sie mit dem Voice Acting begann, erlangte sie mit dem Youtube-Kanal "Hey Ash, Whatcha Playin'?" Bekanntheit, in dem sie gemeinsam mit ihrem Bruder Anthony Computerspiele persiflierte. Ein fulminanter Einstieg ins Voice Acting gelang ihr 2012 mit der Figur Tiny Tina in Borderlands 2. Es folgten Auftritte in Life is Strange (Chloe Price), Horizon Zero Dawn (Aloy), The Outer Worlds (Parvati Holcomb) und vielen anderen Titeln; in der Game-Comedy-Serie Mythic Quest: Raven's Banquet stand sie erneut vor der Kamera. Vor kurzem lieh Burch auch der Superheldin Kate Bishop in Marvel's Avengers ihre Stimme. Im IGM-Interview spricht sie über Herausforderungen beim Voice Acting, die Professionalisierung ihres Metiers und Wortgeplänkel mit Superheld Thor.
IGM: Die Frage liegt nahe ... hey Ash, whatcha playin'?
Ashly Burch: Ich spiele in letzter Zeit eine Menge ARAM in League of Legends. Ich habe eine Gruppe FreundInnen, die stundenlang ARAM spielen. Weil ich mit denen viel online abhänge, habe ich auch damit angefangen.
IGM: Marvel's Avengers spielst du auch, nehme ich an.
Burch: Na klar! (lacht)
IGM: Sprechen wir über dein Voice Acting für das Avengers-Game. Was hat dir daran am besten gefallen?
Burch: Ich mochte die Figur Kate Bishop immer schon sehr. Und ich schätze besonders, wie witzig sie ist – sie hat einen großartigen Sinn für Humor. Ich liebe es, in die Rolle von witzigen Game-Charakteren zu schlüpfen. Mir gefiel schon immer, wenn Games Humor in ihre Handlung reinbrachten.
IGM: Was war beim Voice Acting für Marvel's Avengers die größte Herausforderung?
Burch: Ehrlich gesagt hat das überwiegend Spaß gemacht. Kate ist eine solch lustige Figur – und ich fand die Zusammenarbeit mit meinem Dialogregisseur Kal-El Bogdanove wirklich toll. Die größte Herausforderung bei Kate ist, ihren Witz, ihre Selbstveräppelung und ihr Draufgängertum auszubalancieren – und sie gleichzeitig geerdet wirken zu lassen. Es geht darum, die Spannung rüberzubringen, die zwischen ihr und den Avengers herrscht – dieses Gefühl, von ihnen im Stich gelassen worden zu sein. Dieses Jonglieren mit unterschiedlichen Facetten einer Persönlichkeit ist immer eine Herausforderung, wenn man sich einer Figur nähert. So verleihe ich einer Figur Tiefe und lasse sie lebendig wirken. Kate zu porträtieren war ein großes Vergnügen.
IGM: Aber wie genau erweckt man eine solche Figur zum Leben? Wie bereitet man sich auf eine solche Rolle vor?
Burch: Weil ich Kate immer schon mochte, konnte ich auf meine bereits vorhandene Interpretation zurückgreifen. Ich hatte auch schon vorher eine Vorstellung davon, wie ihre Stimme klingen könnte. Die Dialoge in diesem Spiel sind wirklich großartig – und es war ziemlich leicht, sich in ihre Gefühle hineinzuversetzen. Kal-El und die EntwicklerInnen haben mir wirklich Spielraum für sie gegeben, ich konnte improvisieren, mir die Figur wirklich aneignen. Das hat die ganze Sache geschmeidig, einfach und unterhaltsam gemacht.
IGM: Wie funktioniert das mit dem Voice Acting ganz grundsätzlich? Du bekommst eine Rolle, erhältst das Skript, bereitest dich darauf vor – und gehst dann in die Kabine und nimmst es auf?
Burch: Speziell bei diesem Spiel habe ich für die Rolle vorgesprochen. Üblicherweise erhält man das Skript nicht vorab. Beim Voice Acting praktizieren wir das sogenannte Cold Reading: Man erhält das Skript – und dann liest und spielt man es direkt. Angehende SprecherInnen müssen also speziell diese Fähigkeit entwickeln. Mich hat mein Dialogregisseur an dem Tag gebrieft, an dem ich eintraf. Bei diesem Projekt erhielt ich die Skripts teilweise vorab und konnte sie mir anschauen. Aber das ist nicht, wie wenn man vor der Kamera steht und wo von einem erwartet wird, dass man Dinge auswendig lernt. Aber klar, am jeweiligen Tag muss man ein bisschen suchen und nachjustieren. Man liest ein paar Zeilen, findet dabei in die Stimme und in die Figur hinein, nimmt Anpassungen vor – und dann kann's losgehen.
IGM: Was ist der Grundgedanke beim Cold Reading? Wäre es nicht besser, man hätte mehr Vorbereitungszeit?
Burch: Das hängt total vom jeweiligen Kontext ab. Jedes Projekt erfordert andere Fertigkeiten. Bei vielen Games bekommt man das Skript erst, wenn man zur Arbeit antritt. SynchronschauspielerInnen sind an so etwas gewöhnt, wir sind darauf trainiert. Bei anderen Projekte wiederum – besonders bei denen mit Motion Capture – läuft es mehr wie beim Film oder beim Theater ab. Auf solche Projekte bereiten wir uns stärker vor. Als SynchronschauspielerIn verfügt man einfach über einen Kasten mit Werkzeugen, die auf unterschiedlichste Projekte anwendbar sind. Ich glaube, ich habe mir dieses Instrumentarium im Lauf meiner Karriere angeeignet. Cold Reading schüchtert mich nicht mehr ein – es ist einfach Teil meines Jobs.
IGM: Eine Figur wie Kate Bishop ist Bestandteil der Popkultur. Aber es gibt andere, neue Figuren, die schwerer greifbar sind.
Burch: Ich bin auch Autorin – dementsprechend kann ich Skripte ziemlich schnell lesen und deuten. Bei der Figur Parvati aus The Outer Worlds habe ich beispielsweise vor dem Casting ein paar Anweisungen halten. So konnte ich verstehen, wer sie ist – und konnte eine Stimme für sie finden, lange bevor ich in die Aufnahmekabine ging. Grundsätzlich passiert es auch oft, dass man eine Figur in die ersten paar Zeilen findet – und dass man sie dann vertieft, je besser man sie versteht. Anschließend geht man vielleicht sogar zurück an den Anfang der Aufnahmen und greift diese Aspekte wieder auf, weil man die Figur jetzt gefunden hat. Viel hat auch einfach mit schneller Interpretation zu tun. Man erhält ein Briefing zur Figur und versteht dadurch, welchen Hintergrund sie hat. Kate beispielsweise fühlte sich von ihrer Familie – den Avengers – alleingelassen. Sie sucht nach einer Gemeinschaft – und das ist Hintergrund für all ihr Handeln. Außerdem ist sie sehr stark und witzig und versucht, ein einsamer Wolf zu sein. All das trägt dazu bei, wer sie ist. Und das versucht man dann in allen Szenen rüberzubringen.
IGM: Wie lange dauern solche Aufnahmen?
Burch: Aufnahmen werden grundsätzlich in vierstündige Sessions unterteilt – je nachdem, wie viel Inhalt es gibt. Alle meine Sessions für Marvel's Avengers waren vier Stunden lang. Aber wenn man schneller ist, braucht man natürlich weniger Zeit.
IGM: Wie viele Sessions waren es bei Marvel's Avengers insgesamt?
Burch: Vielleicht eine Handvoll? Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Aufnahmen wir hatten. Aber es waren auf jeden Fall mehr als bei Gastauftritten, die man in einer einzelnen Session erledigt.
IGM: Du stehst auch vor der Kamera. Wie kommt dir das als Synchronschauspielerin zugute?
Burch: Voice Acting erfordert andere Fertigkeiten. Um eine gute Synchronschauspielerin zu sein, muss man aber grundsätzlich auch eine gute Schauspielerin sein. Die Fertigkeiten, die ich als Synchronschauspielerin habe, kann ich auf die Arbeit vor der Kamera anwenden – und umgekehrt. Das sind einfach Fähigkeiten und Eigenschaften, die man als gute Schauspielerin haben will. Es gibt zwar bestimmte Dinge wie Cold Reading, die man fürs Voice Acting braucht, aber nicht zwangsläufig fürs Schauspielen vor der Kamera. Aber die Grundlagen einer guten Schauspielleistung braucht man in beiden Fällen.
IGM: Immer mehr Filmschauspieler treten in Games auf – ein Beispiel ist Keanu Reeves in Cyberpunk 2077. Aber können auch SynchronschauspielerInnen durch ihre Arbeit zu Stars werden?
Burch: Ich denke, das wird sich noch zeigen. Es gibt definitiv SynchronschauspielerInnen, die richtig bekannt sind – zum Beispiel Nolan North, Laura Bailey oder Troy Baker. Das ist eine interessante Frage – und eine der Sachen, die nur schwer vorauszusehen ist. Wir werden sehen, ob sich das ändert, wenn Games weiter an kultureller Relevanz gewinnen. Aber Voice Acting hat es an sich, dass man ein Stück weit hinter der Rolle verschwinden soll. Ich habe das Gefühl, einen guten Job gemacht zu haben, wenn die Leute nicht direkt erraten können, dass ich eine Figur spiele. Ich glaube auf jeden Fall, dass KameraschauspielerInnen künftig noch stärker in Games auftauchen werden. Von dieser Dynamik könnten dann alle profitieren – und SchauspielerInnen sichtbar machen, stärker ins Rampenlicht rücken. Denn zwischen beiden Bereichen gibt es ja Überschneidungen. Naja, ich kann's nicht so genau sagen. Wird spannend sein, wie sich das entwickelt.
IGM: Du hast gesagt, dass du einen guten Job machst, wenn du hinter der Rolle verschwindest. Aber wie viel Platz bleibt grundsätzlich für Improvisation – für eigenen Text, der es letztlich ins Spiel schafft?
Burch: Das hängt vom Projekt ab. Manche sind beim Skript sehr konkret – und das kann verschiedene Gründe haben. Zum Beispiel, dass das Projekt einen sehr engen Lokalisierungsfahrplan hat – und dass man beim vorgegebenen Text bleiben muss, weil sie den nicht nachträglich anpassen können. Vielleicht haben sie auch eine ganz konkrete Vorstellung von dem, was sie wollen – und sie möchten nicht, dass man davon abweicht. Allerdings gibt es auch Spiele, bei denen es ihnen egal ist, ob man ganze Textzeilen hinzufügt. Es hängt also schließlich davon ab, mit wem man zusammenarbeitet, was die Anforderungen der jeweiligen Produktion sind – und welche Prioritäten in ganz bestimmten Sessions herrschen. Vielleicht steht die Tonmeisterin unter Zeitdruck, nach dem Motto: "Ich brauch' nur das, was hier steht." Oder sie wollen erst noch den Grundton des Games finden und die Grenzen abstecken – und lassen dich deshalb spielen. Grundsätzlich funktioniert beides, letztendlich hängt es von den Anforderungen des jeweiligen Projekts ab.
IGM: Du hast erwähnt, dass du bei den Avengers einiges hinzufügen konntest ...
Burch: Ja, da konnte ich viel ausprobieren – besonders in den Wortgeplänkeln zwischen den SuperheldInnen. Da haben sie mich spielen, improvisieren und ausprobieren lassen – ich konnte diese Szenen viel Witz reinbringen, das war wirklich großartig. Es gibt zum Beispiel diese Szenen mit Kate und Thor, die ich besonders lustig finde. Da geht's darum, welche Superkräfte Thor gerne hätte ... solche Sachen. Da hat man das Gefühl, dass man sie in einem Moment erwischt, der nicht lebensbedrohlich ist – in dem sie einfach vom Leder ziehen können. Diese Szenen haben enorm viel Spaß gemacht. (Achim Fehrenbach)