Wie Bandai Namco westliche Märkte bedient

Bandai Namco: Der Name steht für japanische IPs wie Pac-Man, Tekken, Dragon Ball oder Naruto Shippuden – aber eben auch für Spielemarken wie Little Nightmares, Project Cars oder The Dark Pictures Anthology. Der Publisher hat sein Portfolio in den letzten Jahren deutlich erweitert – auch, um verstärkt das westliche Spielepublikum zu bedienen. Doch was sind da die größten Herausforderungen? Und ist der Spielegeschmack nicht mittlerweile global? Darüber hat IGM mit zwei Experten gesprochen.
12. November 2021 - 14:25
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Vergnügungsparksimulation aus Deutschland: Park Beyond

Werfen wir kurz die Zeitmaschine an ... und reisen zurück ins Jahr 2017. Auf der Publikumsmesse gamescom (hach!) präsentiert Bandai Namco eine ganze Reihe neuer Titel – darunter Project Cars 2, Ni No Kuni 2 und Ace Combat 7. IGM spricht mit Hervé Hoerdt über die Pläne des Publishers. "Wir haben in Europa viel vor", so der Manager. "Wir formen ein Unternehmen, das nicht mehr nur auf Inhalte aus Japan angewiesen ist – ein Unternehmen, das eigenständig ist und stark." Als Schlüssel zum Erfolg im Westen nennt Hoerdt die Schaffung neuer IPs: "Wir investieren folglich viel in Marktforschung, um herauszufinden, welche Art von IPs die europäischen Konsumenten mögen. Wir haben bereits ein Portfolio für die nächsten drei bis vier Jahre." Ziel sei, 50 Prozent der Inhalte mithilfe westlicher Studios und Partner zu produzieren. "Aus diesem Grund suchen wir nach langfristigen Partnerschaften, bei denen es nicht nur um ein Game, sondern auf jeden Fall um mehrere Sequels geht", so Hoerdt.

Westlicher Touch
Nun, die gamescom 2017 liegt – gefühlt – Urzeiten zurück, nicht nur wegen der Corona-Zäsur. Die Spielebranche dreht sich einfach schneller als manch andere Industrie: Neue Titel ploppen auf, andere verschwinden in der Versenkung. Uns interessiert, wie Bandai Namco seine Strategie für Europa in den letzten vier Jahren umgesetzt hat. Was waren die größten Herausforderungen – und hat sich die Strategie vielleicht verändert? Lassen wir zunächst kurz die Bandai-Namco-Titel Revü passieren, die außerhalb des klassischen Portfolios (Pac-Man, Tekken und Co.) lagen bzw. liegen. Zu den Spielen mit "westlichem Touch" gehören unter anderem die Rennspielreihe Project Cars (ab 2015), das Antikriegsspiel 11-11: Memories Retold (2018), die Gruselplatformer Little Nightmares und Little Nightmares II (2017/2021) sowie der Survival-Horror der Dark Pictures Anthology (seit 2019). Eine neue, "westliche" IP ist zum Beispiel der Vergnügungspark-Simulator Park Beyond, den das deutsche Studio Limbic Entertainment für Bandai Namco entwickelt – und der 2022 auf den Markt kommen soll.

Doch richten sich solche Titel auch weiterhin an ein dezidiert westliches Publikum? Das haben wir erneut Hervé Hoerdt gefragt, der mittlerweile Senior Vice President of Marketing, Digital, Content bei Bandai Namco Europe ist. Eine klare Trennlinie zwischen westlichem und östlichem Spielegeschmack sieht Hoerdt nicht: "Eine der Chancen für uns bei Bandai Namco Europe ist: Wir haben jetzt einen Katalog, der sich an Menschen auf der ganzen Welt richtet – dank der unterschiedlichen Einflüsse auf unsere Games, ob das nun Little Nightmares, Tales of Arise oder Park Beyond ist." Anstatt in Ost-West-Gegensätzen zu denken, konzentriere man sich nun auf Games mit universellem, langfristigem Erlebniswert, so Hoerdt: "Die jüngsten Erfolge von Spielen wie Tales of Arise oder Guilty Gear -Strive- in der EMEA-Region zeigen, dass es den Gegensatz zwischen ‚westlichen' und ‚japanischen' Spielen in unserem Portfolio immer weniger gibt – und mehr eine Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Spiele." Zwar hätten westliche Gamer früher häufig Shooter und Action-Adventures bevorzugt, doch diese Geschmacksunterschiede nivellierten sich zusehends. Stattdessen herrsche ein großer Appetit auf Neues, so der Manager: "In den letzten Jahren sind neue Genres entstanden und bestehende wieder an die Oberfläche gekommen. Wir können immer davon ausgehen, dass etwas Neues auftaucht und ein Erfolg wird." Was dem Publisher natürlich auch Spielraum für Experimente eröffnet.

Codierte Botschaften
Bei Bandai Namco verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen "westlichem" und "östlichem" Publikum – was bleibt, ist der Fokus auf Qualität. Ist diese "Globalisierung des Spielegeschmacks" ein genereller Trend, der frühere Unterscheidungen hinwegwischt – oder sind bestimmte Geschmacksunterschiede immer noch klar erkennbar? Das wollen wir von Joachim Hesse wissen, Journalist und Herausgeber des Podcasts Start & Select. "Onkel Jo" beschäftigt sich schon seit mehr als 30 Jahren mit japanischen Spielen, er zählt damit zu den profundesten Kennern des Marktsegments – und war auch schon mehrfach im Bandai-Namco-Headquarter in Tokio zu Gast. Eine Unterscheidung zwischen westlichem und östlichem Games-Geschmack mache durchaus noch Sinn, so Hesse. "Unterschiede gibt es nicht nur in der Ästhetik, sondern auch beim kulturellen Hintergrund." Aus Sicht von Hesse erzählen Japaner Geschichten beispielsweise deutlich codierter als Amerikaner: "Der Spieler muss sich oft mehr selbst erschließen, während im Westen der Bösewicht am Ende eher noch ein umfassendes Geständnis ablegt." Natürlich näherten sich beide Welten einander an, so Hesse. "Durch die Globalisierung schwappen Einflüsse von Ost nach West wie auch umgekehrt. Die streng auf den japanischen Markt zugeschnittenen Spiele werden seltener, weil sich Spiele, die auf ein weltweites Publikum ausgerichtet sind, potenziell ohne großen Aufwand an mehr Menschen verkaufen lassen. Klar, dass das global agierende Unternehmen wie Bandai Namco reizt." Hesse sieht diese Angleichung positiv, sofern Spiele dadurch allgemein zugänglicher werden und Einstiegshürden wegfallen. "Zudem profitieren japanische Studios von westlicher Technik, denn was 3D-Grafiken angeht, hatten viele Studios in Japan in den 2000er Jahren aus meiner Sicht ein wenig den Anschluss an die Weltspitze verloren." Ein Spiel wie Elden Ring (From Software, VÖ 25.2.2022) könne das Beste aus beiden Welten vereinen, sofern es den Vorschusslorbeeren gerecht werde. "Eng auf heimische Gepflogenheiten fokussierte Spiele finden sich heute eher im Indie-Bereich", konstatiert der Japan-Kenner.

Bandai Namco Europe hat in den letzten Jahren viel unternommen, um sich ein eigenständiges Profil zu erarbeiten. Als elementaren Baustein der Strategie sieht Hervé Hoerdt die inhaltliche Diversifizierung: Neben der Produktionsqualität sei es auch wichtig, die Bandbreite an Spielerfahrungen zu vergrößern. "Aus diesem Grund haben wir von Bandai Namco Europe mehrere Studios erworben, neue Franchises gegründet und Publishing-Deals ausgearbeitet – damit wir Spiele vorweisen können, die sich von denen aus unserem japanischen Headquarter unterscheiden", so Hoerdt. "All diese großartigen Spiele und Franchises werden uns dabei helfen, immer mehr Gamer im Westen zu erreichen – und da verzeichnen wir kontinuierliches Wachstum." Zu den von Hoerdt erwähnten Akquisitionen zählt unter anderem die 2020 erfolgte Übernahme des kanadischen Studios Reflector, das an dem vielversprechenden Spielprojekt Unknown 9: Awakening arbeitet. Eine weitere Investition ist die Minderheitsbeteiligung am hessischen Entwicklerstudio Limbic Entertainment, die Bandai Namco im Frühjahr 2021 verkündete. Limbic hat sich mit der Reihe Might & Magic (Ubisoft) oder auch Tropico 6 (Kalypso Media) einen Namen gemacht. Für Bandai Namco entwickelt das Studio nun das eingangs erwähnte Park Beyond, das mit seiner "Impossification" von Fahrgeschäften frischen Wind ins Vergnügungsparkssimulationsgenre (uff!) bringt. "Bei neuen Genres wie etwa Park Beyond geht es zum einen darum, Experten wie Limbic an Bord zu holen", betont Hoerdt. "Wichtig ist aber auch, das richtige Rezept zu finden. Es geht nicht nur darum, [in dem Genre] vertreten zu sein – sondern ein Spiel zu haben, das im Genre für Neuerungen sorgt." Dass Limbic als deutsches Studio besondere Kompetenz im Simulationsgenre besitze, komme der neuen IP natürlich zugute, so Hoerdt.

Experimentelle Reihe
Lust auf Neues beweist Bandai Namco Europe auch mit der Dark Pictures Anthology. Bis jetzt sind in der Survival-Horror-Reihe die Titel Man of Medan (2019), Little Hope (2020) und House of Ashes (2021) erschienen, weitere Titel sollen folgen. Entwickelt wird die Reihe vom Studio Supermassive Games aus Guildford/UK. Die Dark Pictures Anthology orientiert sich bei Gameplay und Atmosphäre denn auch stark an dem Supermassive-Erfolgstitel Until Dawn von 2015. Doch ist das Experiment mit der Reihe ein Erfolg? Nicht alle Titel wurden von Presse und Fans mit uneingeschränkter Begeisterung aufgenommen – vielleicht auch wegen des ungewohnten, kürzeren Formats. Joachim Hesse beurteilt die Experimentierfreude des Publishers jedoch positiv: "Mir persönlich gefällt bei den westlich geprägten Spielen von Bandai Namco der Ansatz, auch Spiele wie Dark Pictures Anthology im Angebot zu finden, die sich mal an einem oder zwei Abenden meistern lassen. Ein in sich abgeschlossenes Spiel scheint mir eine gute Alternative zum Filmabend. Nicht jeder hat die Muße, seine Freizeit über Wochen in epische Meisterwerke zu investieren." Auch auf Park Beyond und Unknown 9: Awakening ist Hesse gespannt – für eine inhaltliche Einschätzung sei es allerdings noch zu früh.

Natürlich spielt auch das Thema "Licensing" für Bandai Namco eine wichtige Rolle. Welches Bedeutung haben da "westliche" IPs – wenn man sie denn noch so nennen will? Aus Sicht von Hervé Hoerdt gibt es diesbezüglich einiges Potenzial. Zwar hätten westliche IPs momentan noch weniger Präsenz und Tradition als japanische Vorzeige-Lizenzen wie Pac-Man oder Tekken. Aber: "Wir registrieren ein wachsendes Interesse potenzieller Lizenznehmer, die Produkte in diesen Universen entwickeln wollen." Das sei aus zwei Gründen ein gutes Zeichen, so Hoerdt: "Das bedeutet nicht nur, dass diese Franchises erfolgreich sind und daher als solche anerkannt werden. Es ist auch eine besondere Belohnung für die Entwicklerteams, die solche Welten und Experiences entwickelt haben – und die anderen damit die Möglichkeit geben, kreativ zu sein".

Halten wir fest: Neue IPs sind eine gute Sache – weil sie das Publisher-Portfolio erweitern, aber auch, weil sie die Branche insgesamt voranbringen. Nicht vernachlässigen sollte man auch ihren Synergieeffekt. "Gamer sind auf die unterschiedlichen Produkte eines Publishers neugierig", sagt Hoerdt. "Mit einem solch vielfältigen Portfolio wollen wir auch neue Gamer erreichen. Und dass sie sich all unsere Spiele anschauen, sobald wir sie erreicht haben." Diese Neugier bedient Bandai Namco mit seiner Strategie durchaus gekonnt. (Achim Fehrenbach)