IGM: Was sind Ihre Erwartungen an die neue Konsolengeneration?
Warren Spector: Ich will ganz ehrlich sein: Derzeit habe ich keine detaillierten Insiderinformationen zur Hardware. Was ich jedoch gehört habe, ist, dass es eine spürbare Verbesserung gegenüber dessen ist, was aktuelle Konsolen leisten können. Allein schon mehr Performance auf der CPU- und GPU-Seite sind natürlich sehr willkommen. Wenn man heute einen Titel für Konsolen entwickelt, dann fühlt es sich ein bisschen an, als würde man ein Spiel für einen Low-End-Gamer-Laptop machen. Mehr Power ist gut, daher immer her damit! Aber das ist auch das, was ich vor allem sehe: mehr Power. Was ich viel interessanter finde, sind all die Streaming-Dienste da draußen. Spieler erhalten dadurch Zugriff auf kraftvollere Hardware, die sich im Laufe der Zeit sozusagen selbst aktualisiert. Wenn Spiele-Streaming tatsächlich so funktioniert, wie es soll, dann wird es sehr aufregend. Ich habe früher schon ein bisschen mit OnLive experimentiert, und ich glaube, die Technologie damals war noch nicht bereit. Doch schon damals konnte man das Potenzial erkennen.
IGM: Viele haben Angst, dass sich Streaming-Dienste negativ auf das Spieldesign auswirken könnten. Unter anderem wird befürchtet, dass Spiele so designt werden, dass Spieler noch mehr Zeit darin verbringen – insbesondere dann, wenn Streaming-Anbieter Entwickler nach gespielter Zeit bezahlen. Wie denken Sie darüber?
Warren Spector: Die großen Streaming-Services haben zumindest mir noch nicht mitgeteilt, wie genau ihr Geschäftsmodell im Detail aussieht. Ich glaube ihr Erfolg – zumindest in der Zusammenarbeit mit Entwicklern – beruht stark auf ihrem Geschäftsmodell. Aus der Sicht eines Gamers ist jede Möglichkeit, mehr Leute fürs Gaming zu begeistern, ein Gewinn. Doch wenn sie das falsche Geschäftsmodell wählen, wird es einfach nicht funktionieren. Realistisch betrachtet – und ich glaube, ich bin da jetzt in der Minderheit – bin ich ein großer Befürworter darin, Spiele zu machen, die die Fans auch abschließen können, um danach zum nächsten Spiel weiterzuziehen. Ich selbst bin nicht sonderlich versessen auf das Games-as-a-Service-Modell, obwohl ich anerkenne, dass es der Weg ist, welchen diese Industrie derzeit einschlägt. Trotzdem: Wenn ich meine Präferenz nennen müsste, dann wären es relativ kurze, für Solisten konzipierte, storybasierte Titel, die die Leute durchspielen können.
IGM: Wohin entwickelt sich das Storytelling in Videospielen in der Zukunft? Wo sind wir da in fünf bis zehn Jahren?
Warren Spector: Solche Vorhersagen zu treffen, ist immer schwierig. Ich selbst kann nicht einmal herausfinden, was nächste Woche passieren wird. Ganz zu schweigen von dem, was in fünf bis zehn Jahren geschieht. Dennoch werde ich Ihnen meinen Traum schildern. Ob er umsetzbar ist beziehungsweise wahr werden wird, kann ich jedoch nicht sagen: Wir brauchen einen virtuellen Dungeon Master, also ein System, das Gameplay dynamisch anpasst, damit es das "Verlangen" der Spieler stillt. Wenn du Spielern erlaubst, einen Spielstil zu wählen, dann solltest du auch in der Lage sein, das Spiel nach ihren Wünschen anzupassen. Es wäre schön, wenn das systematisch passieren würde. Ich will so etwas schon seit einer sehr langen Zeit machen. Vielleicht werden wir in naher Zukunft daran arbeiten – man weiß nie.
Ich selbst bin nicht sonderlich versessen auf das Games-as-a-Service-Modell
IGM: Kennen Sie ein Spiel, das versucht, dieses Konzept umzusetzen?
Warren Spector: Der Director des Zombie-Koop-Shooters Left 4 Dead bewegt sich in diese Richtung. Bisher hat es allerdings noch niemand auf dem Niveau gemacht, wie es gemacht werden sollte. Vielleicht liege ich mit meiner Annahme falsch, aber auf diesem Gebiet würde ich wirklich gerne etwas versuchen. Die andere Sache ist: Jemand muss einen Durchbruch im Hinblick auf Dialogsysteme erzielen. Seit den 90er-Jahren gibt es keine namhaften Veränderungen mehr darin, wie man in Spielen mit NPCs (Nicht-Spieler-Charaktere, Anm. d. Red.) interagiert. Das ist ziemlich traurig. Genauso wie die Tatsache, dass die Branche Dialogsystemen Timer hinzugefügt hat. Daher hoffe ich, dass jemand endlich einen neuartigen Ansatz präsentiert, wie man mit NPCs kommuniziert.
IGM: Die von Ihnen genannten Punkte klingen so, als ob Künstliche Intelligenz dabei helfen könnte, diese Probleme zu lösen.
Warren Spector: Ja, Künstliche Intelligenz, natürliche Sprachverarbeitung und all die anderen verrückten Sachen, die viele Forscher oft selbst nur ansatzweise verstehen, könnten dabei helfen, diese Herausforderungen zu meistern. Derzeit scheint es nicht besonders wahrscheinlich, aber Demis Hassabis, eine Schlüsselperson bei DeepMind, begann seine Karriere auch in der Spieleentwicklung – damals für Bullfrog Productions, wo er unter anderem an Syndicate und Theme Park arbeitete. Vielleicht werden Spieleentwickler also wirklich einmal die KI-Probleme dieser Welt lösen? Wer weiß.
Endlich einen neuartigen Ansatz präsentieren, wie man mit NPCs kommuniziert
IGM: Was denken Sie persönlich über das Medium VR? Und wie kann es Storytelling verbessern?
Warren Spector: Ich bin fest davon überzeugt, dass VR einen Platz im Trainingssektor hat. Zudem bin ich davon überzeugt, dass es auch in psychologischen Praxen seine Daseinsberechtigung hat. Und auch sonst glaube ich, dass es viele tolle Realwelt-Applikationen für VR gibt. Nichtsdestotrotz bleibe ich skeptisch, was die Kombination VR und Gaming angeht. Ich glaube, das Medium hat weiterhin mit starken Problemen im Bereich User-Experience zu kämpfen. Das gilt im Speziellen für die Mainstream-Zielgruppe, die VR zu einem Massenmarktphänomen machen könnten. Die Menschen wollen sich nicht von ihrer Umgebung isolieren – VR jedoch ist eine sehr isolierende Technologie. Wenn sich meine Frau mit einem Baseballschläger an mich heranschleicht, dann will ich das wissen (lacht). Des Weiteren glaube ich, dass Menschen ungern wie Idioten aussehen möchten. Aber wenn man ein VR-Headset aufsetzt, dann sieht man nun mal ein bisschen danach aus. Und dann gibt es da noch das Problem der Fortbewegung innerhalb einer VR-Umgebung. Auch das wurde bis nicht zufriedenstellend gelöst. In Sachen VR-Gaming würde ich mich wirklich als Zweifler bezeichnen. Ich habe viele Freunde, die in diesem Sektor arbeiten, und ich hoffe wirklich, dass sie Erfolg haben. Ich selbst habe schon viele Headsets aufgehabt. Man mag es kaum glauben, aber im Jahr 1994 unterstützten System Shock und Wings of Glory bereits die Headsets, die Mitte der 90er auf dem Markt kamen, wie zum Beispiel das Forte VFX1 und das CyberMaxx. Auflösung und Komfort sind heutzutage natürlich besser. VR wurde dank Jaron Lanier bereits in den 70ern heiß diskutiert und man sagte, es würde die Welt retten oder zumindest verändern. Dann kam es in den 80ern mit dem Nintendo Virtual Boy zurück. Und dann kam es in den 90ern mit dem VFX1 und dem CyberMaxx. Und jetzt ist es wieder zurück. Doch hebt die Technik diesmal wirklich ab? Ich weiß es nicht.
IGM: Mal angenommen, System Shock 3 wäre bereits auf dem Markt und Ihre Community würde es lieben und vehement um VR-Unterstützung bitten: Wie würden Sie reagieren?
Warren Spector: Sag niemals nie. Das ist eine interessante Frage. Ich weiß wirklich nicht, wie ich antworten würde. Ich glaube, ein Teil von mir denkt, dass die Langzeiterfahrung nicht wirklich gut zu VR passt. Oft gibt es eine Art Desorientierung, wenn man sich in einer virtuellen Umgebung befindet. Ich weiß nicht, ob Leute das in einem 10-, 20- oder 100-Stunden-Spiel erleben möchten. Und dann wäre da noch das angesprochene Fortbewegungsproblem. Ich glaube, die Umsetzung wäre eine sehr interessante Herausforderung. Wie genau ich sie angehen würde, wüsste ich aktuell aber nicht.
Menschen möchten ungern wie Idioten aussehen
IGM: Stellen Sie sich vor, eine Firma würde Sie bitten, das Spiel Ihrer Träume umzusetzen und Ihnen dafür ein Budget auf Augenhöhe mit dem von GTA 5 zur Verfügung stellen. Was würden Sie damit machen?
Warren Spector: Mein gesunder Menschenverstand sagt mir, dass ich das Angebot ablehnen sollte. Denn ich habe schon mehrere Spiele mit großen Budgets und Teams gemacht. In meinem letzten Studio waren über 200 Personen beschäftigt. In den Credits des Spiels wurden sogar über 800 Personen aufgelistet. Ich habe bereits Triple-A-Spiele entwickelt. Derzeit arbeite ich allerdings lieber an kleineren Titeln. Ich möchte gerne an einem Ort arbeiten, wo jeder weiß, dass er für mich arbeitet. Und ich möchte an einem Ort arbeiten, wo ich die Namen von jedem kenne. Ich würde gerne dort arbeiten, wo ich verrückte Sachen ausprobieren kann und wo sich andere nicht ständig Gedanken über die Risiken machen, die ich mit einem begrenzten Budget unternehme. Wenn man jedoch ein 100-Millionen-Dollar-Spiel entwickelt, dann muss man eine ganze Menge Kopien verkaufen und eine Menge Druck aushalten. Aus diesen Gründen würde ich wahrscheinlich eher Nein sagen. Trotzdem gibt es dieses eine Spiel in meinen Träumen, das ich immer schon entwickeln wollte. Ich nenne es das "One Block Role Playing Game". Darin würde ich gerne einen Block innerhalb einer Stadt simulieren – und zwar so intensiv wie nur irgend möglich. Ich glaube in einem solchen Setting könnte man Hunderte, wenn nicht Tausende Geschichte erzählen. Das würde ich wirklich gerne probieren. Allerdings war bisher noch niemand töricht genug, mir das Geld dafür zu geben. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass ich noch nicht einmal weiß, wie genau ich das umsetzen würde. Es wäre ein komplett experimentelles Projekt mit vielen Iterationszyklen und womöglich einem Fehlversuch nach dem anderen.
IGM: Mit "simulieren" meinen Sie, dass der Spieler diese Welt betritt und dann alles in Echtzeit simuliert wird?
Warren Spector: Die Welt als solches ist physikalisch simuliert und die Charaktere darin sind schlau genug, ihre eigenen Leben zu leben. Der Spieler wiederum wird sozusagen in ihr Leben hineingeworfen. Jede dieser simulierten Figuren hat wiederum eine Hintergrundgeschichte beziehungsweise einen Kontext, mit dem der Spieler interagieren kann. Wie ich schon sagte: Dieses Spiel werde ich vermutlich nie machen, dennoch wäre es ziemlich spaßig, glaube ich. Darüber hinaus würde ich gerne ein interaktives Musical erschaffen. Ich habe bereits einige Ideen. Sie sind noch nicht voll ausgereift, aber ich würde gerne ein Spiel machen, bei dem Musik eine Mechanik ist, nicht nur eine Beat-Matching-Sache oder etwas, bei dem wir immer wieder Musikstücke nachspielen. Vielmehr soll der Spieler Musik nutzen, um zu beeinflussen, wie sich das Spiel entwickelt. Das würde ich auch gerne machen.
Ich würde gerne dort arbeiten, wo ich verrückte Sachen ausprobieren kann
IGM: Sie haben viele wundervolle Spiele veröffentlicht. Zu welchem davon haben Sie die innigste Beziehung? Und warum?
Warren Spector: Viele Leute fragen mich regelmäßig, welches mein Lieblingsspiel ist. Es ist ein Klischee, aber es ist, als ob man entscheiden müsste, welches der eigenen Kinder man am liebsten mag. Was ich jedoch sagen kann: Besonders stolz bin ich auf Deus Ex und Epic Mickey. Ich liebe die Teams, mit denen ich daran gearbeitet habe. Und obwohl sich bei Deus Ex viele Details geändert haben, weil dem Team viel bessere Sachen eingefallen sind als mir selbst, kam am Ende genau das Spiel heraus, das ich haben wollte. Ich glaube nicht, dass jetzt mein Ego spricht, aber ich bin der Meinung, dass Deus Ex tatsächlich einen gewissen Einfluss hatte. Ich habe mit anderen Entwicklern gesprochen und sie sagten mir, dass sich ihre Art Spiele zu machen durch Deus Ex verändert hat. Dank Deus Ex, welches ich 63 Mal durchgespielt habe, konnte ich meine eigene Firma starten. Es hat Dinge also wirklich auf gewisse Weise verändert, und ich bin sehr stolz darauf. Auf Epic Mickey wiederum bin ich besonders stolz, weil es ein Spiel ist, in dem keine Waffen vorkommen. Zudem brachte es die Idee einer immersiven Simulation einer komplett neuen Zielgruppe näher. Zu Epic Mickey habe ich mehr herzerwärmendes Fan-Feedback erhalten als zu jedem anderen Spiel, an dem ich bisher gearbeitet habe. Es hat die Menschen auf einer emotionalen Ebene berührt, wie keines meiner Spiele zuvor. Erwachsene liebten es, Kinder liebten es. Ich kenne sogar Menschen mit Behinderung, die es als Teil ihrer physischen Therapie nutzten. Vor allem eine Sache hat mich jedoch besonders bewegt. Ich erhielt einen Umschlag, öffnete ihn, und heraus kam eine Zeichnung. Darauf zu sehen waren Mickey und Oswald, wie sie ihre Arme umeinander legten. Sie saßen mit baumelnden Beinen an einer Klippe und schauten hinauf in einen wunderbaren Sternenhimmel. Das Bild sagte: Liebe. Und dann gab es noch diesen Brief, den ein Vater beigelegt hatte. Der Brief sah aus als hätte ihn ein neun- oder zehnjähriges Mädchen geschrieben. Der Brief war jedoch vom Vater selbst. Er schrieb mir, dass seine 16-jährige, autistische Tochter nicht mit der Welt interagiert. Jedoch interagierte sie mit Epic Mickey, zeichnete daraufhin besagtes Bild und bestand darauf, dass ihr Vater es an den Entwickler weiterleitet. Wen kümmern Metacritic-Durchschnittswertungen oder die Meinung bestimmter Core-Gamer, die mir eine schwere Zeit bereiten, weil ich ein Mickey-Maus-Spiel mache, wenn ich solch wunderbare Post erhalte. Darauf bin ich besonders stolz.
IGM: Vielleicht noch ein paar Worte zu Ihrem kommenden Spiel, System Shock 3. Worum geht es im neuesten Trailer?
Warren Spector: Der Trailer zeigt eine frühe Pre-Alpha-Version. Wir wollen damit demonstrieren, wie weit wir derzeit sind und mit welchen Charakteren man unter anderem interagieren kann. Darüber hinaus kann ich bestätigen, dass die Citadel Station, das Setting aus dem ersten Teil, seine Rückkehr feiern wird. Allerdings in einer Form, die Kenner des Originals überraschen dürfte. Shodan, die böse KI der Serie, wird ebenfalls zurückkehren. Und: Die meisten Leute werden tot sein, genau wie in System Shock und System Shock 2. Man interagiert also nicht mit lebenden NPCs. Das ist alles, was ich derzeit sagen kann. Ich bin ein ziemlicher Perfektionist, daher wird es noch eine Weile dauern, bis wir intensiver über das Spiel reden. (bpf/soe)