Frische-Feeling: Braucht Nintendo neue Hardware?

Im seinem letzten Direct-Video hat Nintendo Neuauflagen, Umsetzungen, Retro-Gedächtnisspiele und ein neues „Splatoon“ gezeigt – echte Neuheiten waren aber trotz einiger Highlights rar. IGM-Autor Robert Bannert über einen Hersteller, der bald neue Hardware braucht, wenn er nicht den Vorsprung verlieren will.
18. März 2021 - 12:39
Image
© New Africa/stock.adobe.com
© New Africa/stock.adobe.com

Mario. Zelda. Pokémon. Metroid. Animal Crossing. Donkey Kong. Dann noch ein paar vergleichsweise nischige Marken wie „Xenoblade“, „Kid Icarus“, „Pikmin“, „Fire Emblem“ oder – seit einigen Jahren – auch „Splatoon“. Und natürlich exklusive Drittanbieter-Produkte wie „Bravely Default“ oder „Octopath Traveler“ (nur echt mit dem Single-„l“) von Square Enix. An Namen wie diese ist die Identität des japanischen Gaming-Riesen Nintendo gekoppelt. Und an seine Fähigkeit, diese Marken mithilfe von besonders pfiffigen Hardware- bzw. Controller-Konzepten zu einem ganz besonderen Erlebnis zu machen. Jede Generation aufs Neue. Nicht zu vergessen natürlich ein ganzer Figuren- und Franchise-Fundus, der zu 16- bzw. 8-Bit-Zeiten eigentlich die Sache ehemaliger Nebenbuhler wie SEGA, SNK oder NEC war, die heute aber von Retro-Fans besonders gerne auf der Switch zelebriert werden. Vermutlich deshalb, weil Nintendo als einziger Hersteller der damaligen Daddel-Ära noch weit mehr aussendet als nur gelegentliche Lebenszeichen. Und damit für Millionen passionierter Langzeit-Zocker die letzte Bastion des klassischen Konsolen-Lifestyles darstellt.

Erwartungen bedienen
Kein Wunder, dass Nintendo-Fans von ihrem erklärten Lieblings-Hersteller auch genau das erwarten, wenn der zum Beispiel im Rahmen eines „Direct“-Videos die Neuheiten für die kommenden Monate ankündigt. Man erwartet, dass der seit Jahrzehnten Nintendo-treue Retro-Nerv gestreichelt wird. Man erwartet die übliche Symbiose aus ebenso Nerd- wie Massenmarkt-affinen Standard-Marken und vielleicht … naja … was eigentlich? Vielleicht wenigstens einen Hauch von „echter Neuigkeit“. Die Sorte „Frische-Feeling“, die zum Beispiel mit einer neuen Konsolen-Generation einhergeht.

Sony und Microsoft haben Ende vergangenen Jahres vorgelegt – und Nintendo bummelt (wie seit einigen Generationen üblich) entspannt hinterher. Eile scheint (noch) keine geboten, weil sich die Anfang 2017 veröffentlichte Switch unverändert stark verkauft. Trotzdem sagt uns die Erfahrung, dass der inzwischen vier Jahre alte Hybrid allmählich angezählt sein könnte. Immerhin war die Hardware von Anfang an nicht gerade das, was man als „State of the Art“ bezeichnet – ein Umstand, der dem Misch-Konzept aus portabler und stationärer Konsole geschuldet ist. Dass die Bewohner des Planeten Nintendo grundsätzlich auch Lust auf bessere Leistungs-Specs hätten, das wissen wir bereits: Vor einigen Jahren lieferten emsige Künstler mithilfe von Unreal-Engine und muskulöser PC-Hardware realisierte Demos. Demos, die uns gezeigt haben, wie Mario, Link, Samus & Co. aussehen könnten, wenn man ihnen nur mal tüchtig (Performance-)Feuer unter dem Hinter machen würde.

Als die Switch angekündigt wurde, hofften deshalb viele Fans darauf, dass sich Nintendo endlich wieder auf den Pfad besinnen würde, den man mit Super Nintendo, Nintendo 64 und Gamecube beschritten hatte – allesamt Systeme, die ihren jeweiligen Konkurrenten in vielen technischen Disziplinen überlegen waren. Das Super-Nintendo hängte SEGAs früher gestartetes 16-Bit-Mega-Drive mit einer größeren Farbpalette und überlegenem Sound-Chip ab, das Nintendo 64 konnte 3D-Daten und Texturen sauberer darstellen als Sonys zwei Jahre zuvor gestartete PlayStation und der Gamecube (September 2001 in Japan) war mächtiger als sein direkter Gegenspieler – die PS2 (März 2000 in Japan).

Darum spekulierten viele auf ein stationäres Nintendo-System, das vor allem durch prall aufgepumpte Hardware-Muskeln punkten würde – denn immerhin hätte die Generation WiiU bewiesen, dass die Wii-Ära mit ihren Acitivity-Spiel- und Controller-Konzepten vorbei ist. Nur: In Kyoto versteht man sich nicht in erster Linie als Elektronik-Experte, sondern als Spielzeughersteller und Entertainment-Konzern. Darum entschloss man sich dafür, bei der bekannten Strategie zu bleiben: Man wollte sich auch weiterhin aus dem kostspieligen Hardware-Wettrennen raushalten, das man bei N64 und Gamecube – trotz Performance-Vorsprung und vieler Software-Perlen – so teuer verloren hatte. Stattdessen setzte man auf einen neuen Dreh … nämlich Mobilität. Mit verbesserten Zappelphilipp-Kontrollen als Option.

Mobiler Renner
Und tatsächlich: Trotz beschaulicher Leistungsdaten wurde das System zum Renner – immerhin war es stark genug, um die damals aktuelle Unreal Engine zu stemmen und Spiele wie „Witcher 3“, „Doom Eternal“ oder „Wolfenstein 2: The New Colossus“ für den Unterwegs-Betrieb zu ermöglichen. Mit merklichen Einschränkungen zwar, aber das Argument „überall und jederzeit“ war vor allem bei Pendlern zugkräftig genug, um der Kombi aus Quasi-Tablet und TV-Docking-Station einen rasanten Durch- und teilweise sogar Ausverkauf zu ermöglichen.

Die Corona-Pandemie mit der drastischen Einschränkung unserer einstigen Bewegungsfreiheit mag das Mitnahme-Feature des Geräts zwar etwas geschwächt haben, aber gerade während der ersten weltweiten Virus- und Lockdown-Welle haben viele Gamer ihre Laune mithilfe des neuen „Animal Crossing“ aufgebessert und Freunde virtuell getroffen – statt leibhaftig. Die Folge: Ein glänzendes Geschäft für Nintendo – das allerdings noch besser hätte laufen können, wenn man die gestiegene Hardware-Nachfrage zuverlässiger hätte befriedigen können. Aber weil der Spiele-Riese seit jeher eine eher konservative Lagerhaltung pflegt und die Pandemie für Nachschub-Probleme sorgte, mussten viele Interessenten zunächst auf die Sonnenschein-Kombi aus Switch und „Animal Crossing“ verzichten.

Trotzdem wird sich auch Nintendo bald mit der Notwendigkeit konfrontiert sehen, für neue Kaufanreize zu sorgen. Spätestens dann, wenn Sony und Microsoft die Hardware-Nachfrage befriedigen können und ihre ersten ernstzunehmenden Platform-Exclusives in Stellung gebracht haben. Aktuell schlafen die Next-Gen-Soldaten auf allen Seiten noch in ihren Schützengräben und warten auf den Angriffsbefehl – aber der unweigerlich auf die Ruhe folgende Sturm braut sich bereits zusammen.

Vor diesem Hintergrund wirkt es zunächst etwas ernüchternd, wenn der Switch-Hersteller im ersten Direct-Video des Jahres als zugkräftigsten Titel das Remake eines zehn Jahre alten Wii-Titels ankündigt. Die Fans hatten auf den „Breath of the Wild“-Nachfolger gehofft, stattdessen haben sie eine HD-Auffrischung von „Skyward Sword“ bekommen, das wegen seiner extrem peniblen Bewegungssteuerung bereits auf der Original-Plattform polarisierte. Immerhin: Das Switch-Remake soll man auch mit dem normalen Controller spielen können – eine gute Nachricht für Motion-Control-Allergiker. Dennoch: Die für die erste Präsention im neuen Jahr nötige Symbolwirkung blieb damit aus. Auch das von vielen Fans herbeigesehnte Switch-„Metroid“ glänzte durch Abstinenz – auch wenn keiner ernsthaft damit gerechnet haben dürfte, es zu Gesicht zu bekommen. Immerhin hat Nintendo vor wenig mehr als zwei Jahren einen kompletten Entwicklungs-Neustart angekündigt.

Hochkarätige Bestandspflege
Und sonst? Man kündigt an, Charaktere aus „Xenoblade Chronicles 2“ in „Super Smash Bros. Ultimate“ zu übernehmen. Will eine eigene Version der erfolgreichen Indie-„Fall-Guys“ anbieten, teasert eine Umsetzung von Annapurnas Action-Adventure „Outer Wilds“ an und zeigt dann – sehr zur Freude der Klassiker-Fans – ein Revival des „Famicom Detective Clubs“, an dem besonders Hobby-Ermittler mit einem Faible für Visual-Novel-Spiele ihren Spaß haben werden. Danach präsentiert man eine Switch-Version des mittelalterlichen Japan-Scharmützels „Samurai Warriors 5“ und biegt Square Enix überraschend mit einer zuckersüßen Überarbeitung des PSOne-Klassikers „Legend of Mana“ um die Ecke. Etwas neuer fühlt sich das knuffige „Mario Golf: Super Rush“ an, mit dem wegen seiner herzigen Präsentation und (hoffentlich) leichtgängigen Spielweise auch notorische Grün-Verweigerer klarkommen dürften.

Nach Mario in Golf-Kluft gibt es erstmal eine Menge Indie-Kost: Man will „Tales from the Borderlands“ nachholen, zeigt das historisch wertvolle „Capcom Arcade Stadium“, führt eine überarbeitete Neuauflage des Xbox- bzw. PC-Oldtimers „Stubbs the Zombie in Rebel without a Pulse“ vor, protzt mit Annapurnas rasantem Plattform-Ego-Shooter „Neon White“, verspricht einen Erweiterungspass für „Hyrule Warriors: Zeit der Verheerung“ und verzückt Klassiker-Fans mit einem Comeback von Squares PSone-Rollenspiel „SaGa Frontier“. Dann zeigt man noch die physische Retail-Version des bislang rein digitalen Hack'n'Slash-Erfolgs „Hades“, lässt Unterhosen-Ritter Arthur durch Capcoms bockhartes „Ghosts'n Goblins Resurrection“ turnen, zeigt das altbekannte Gammelgemüse aus EA's „Plants vs. Zombies: Battle for Neighborville“ und Kleinkram wie Mario-Jubiläums-Skins für „Animal Crossing“. Etwas interessanter wird es dann zum Ende des Online-Events: „Zelda“-Fans bekommen zwar nur die Neuauflage von „Skyward Sword“ serviert – aber das ist immerhin besser als gar kein Elfen-Programm. Und Multiplayer-Fans? Die kriegen – nachdem man bereits einige Minuten zuvor mit einer  Switch-Version von „Apex Legends“ gedroht hat – das niedliche Tentakel-Kopf-Geballer „Splatoon 3“ zu sehen.

Eine neue Switch könnte es richten
Heimliches Highlight dieser Show ist allerdings ein anderes Spiel – gut zwischen Indie-Gedöns und Multiplattform-Portierungen versteckt hat man ein bisher sperrig mit dem Arbeitstitel „Project Triangle Strategy“ benanntes Strategie-Spielchen von Square Enix untergebracht. Das neue Game des „Octopath Traveller“-Teams aktiviert wie sein Vorgänger das Retro-Gen der Spieler und erinnert mit seiner isometrisch eingeschrägten 3D-Pixel-Landschaft frappierend an Genre-Wegweiser wie „Final Fantasy Tactics“ oder „Tactics Ogre“.

Fazit dieses Nintendo-Abends: Der Mario-Hersteller betreibt vorbildhafte Klassiker-, Marken- und Fan-Pflege, hat aber einmal mehr mit einem Software-Problem zu kämpfen. Klar, das kann man aktuell noch besser kaschieren als auf der Wii oder WiiU. Weil die Switch zur beliebten Daddel-Plattform für Indie-Games oder Klassiker-Remakes avanciert ist – und Nintendo selber einen ausreichend großen Software-Katalog mit potentiellen Remake-Kandidaten zur Hand hat. Insbesondere WiiU-Titel eignen sich hervorragend für ein Comeback, denn viele Switch-Kunden haben das Vorgänger-System nie besessen. Die sind jetzt dankbar dafür, wenn sie mit „Super Mario 3D World“ zum ersten Mal durch isometrische Klempner-Welten wuseln dürfen.

Und das derzeit fehlende Frische-Gefühl, das man bräuchte, um auf Dauer gegen einen erstarkenden Next-Gen-Kosmos aufzubegehren, wird vielleicht die Nintendo-typische Hardware-Neu-Iteration lösen: Im Handheld-Kosmos hat man schon öfter kurz vor Generations-Ende eine neue, dezent leistungsfähigere Variante der bekannten Hardware veröffentlicht – und mit ihr zusammen ein paar wenige Titel, die von den Vorzügen dieser Neu-Auflage profitieren. Bei stationären Konsolen hat Nintendo diesen Weg bisher gescheut – aber der portable Zusatznutzen der Switch würde ein verwandtes Vorgehen nahelegen. Ebenso wie die zahlreichen Gerüchte, die sich inzwischen um eine mögliche 4K-Switch ranken. Ein System, das man z.B. durch den Release einer neuen „Breath of the Wild“- und frischen „Metroid“-Episode flankieren könnte, die in Ultra-HD oder mit einem aufgemotzten Handheld-Display noch schicker kommen. Denn wenn Nintendo in technischer Hinsicht schon nicht mehr vorlegt, so muss man doch wenigstens früher oder später nachziehen. Sonst verliert man den Kompatibilitäts-Anschluss zu gängigen Entwicklungs-Umgebungen und verspielt dabei den Umsetzungs- sowie Indie-Vorteil, den man noch hat.

All das ist aber ohnehin vom Mitnahme-Feature der Switch abhängig – und wie lange man damit in einer sich durch Corona vielleicht stärker vor den heimischen Herd verlagernden Gesellschaft noch punkten kann, wird die Zeit zeigen. Ein 4K-kompatibles Gerät wäre im Angesicht der uns vermeintlich bevorstehenden gesellschaftlichen Umwälzungen sicher keine schlechte Idee. Damit sich Mario und seine Kollegen auch weiterhin schön frisch (an)fühlen. (rb)