Wie kommen Kunde und Produkt zusammen? Blick über den Tellerrand: IGM besucht die LOCA Conference 2020

Die Digitalisierung aller Lebensbereiche schreitet voran – so auch die des Einkaufens. Der stationäre Games-Handel ist keineswegs die einzige Handelssparte, die deshalb vor großen Herausforderungen steht. Auch andere Sparten wie der Lebensmittel-, der Bekleidungs- und der Luxusgüterhandel suchen nach neuen Wegen, wie sie das stationäre Kauferlebnis attraktiver gestalten können. Wir haben über den Tellerrand der Games-Branche geschaut – und sind zur Location Based Marketing Conference gefahren, die Anfang Februar in Wiesbaden statt­fand. Die Erkenntnisse fassen wir in einer zweiteiligen Serie zusammen. Achtung, Buzzword-Gefahr!
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Wie kommen der Kunde und das Produkt zusammen, das man ihm verkaufen möchte? Mit dieser Grundfrage beschäftigt sich die Location Based Marketing Association (LBMA) seit nunmehr zehn Jahren. Die Jubiläumskonferenz des DACH-Verbandes fand am 6./7. Februar in Wiesbaden und Umgebung statt: Tag 1 bot den Besuchern zahlreiche Fachvorträge im Kurhaus Wiesbaden, am zweiten Tag folgte dann eine Tour durch mehrere Retail-Stationen im Rhein-Main-Gebiet. Weltweit hat die LBMA (https://thelbma.com) rund 1500 Mitglieder, die aus ganz unterschiedlichen Bereichen stammen: Vom Retail-Händler über den Payment-Anbieter bis zur Werbeagentur ist alles dabei. Auf ihrer Homepage beschreibt sich die LBMA als internationalen Verband, "der die Verbindung der realen Welt mit der digitalen Welt in das Zentrum seiner Aktivitäten stellt". Der Verband sei "die Vertretung und Plattform für alle ortsbezogenen Lösungen und Services von Unternehmen/Organisationen am Point of Sale/Point of Transaction – dem Ort, an dem Menschen etwas kaufen, bestellen, nutzen oder konsumieren." Und – etwas weiter gefasst – auch am Point of Interest.

Biometrisches Bezahlen per Fingerabdruck

Ideen gesucht
Uns interessierte an der Konferenz vor allem, welche Ideen und Lösungsansätze für den stationären Games-Handel relevant sein könnten. Die LOCA Conference 2020 stand unter dem Motto "Retail as a Service" (RaaS). Der Begriff ist ein typisches Buzzword, aber immerhin recht aussagekräftig: Er bedeutet erstens, den stationären Handel nicht mehr als reines Verkaufsinstrument zu sehen, sondern auch als Ort für kontinuierlichen Service. Außerdem bietet RaaS den Herstellern selbst die Möglichkeit, mit den Endkunden Kontakt aufzunehmen – und nicht mehr nur mittelbar durch Zwischenhändler und Retailer. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Digitalisierung, die selbst in hochregulierten Sparten für Disruption (noch ein Buzzword!) sorgt. Carsten Szameitat, Vorsitzender von LBMA DACH, gab in seiner Keynote gleich mehrere Beispiele. Ein Bereich sind die Online-Apotheken, die nun auch zunehmend Medikamente verkaufen können, die vorher nur in stationären Apotheken ab einer bestimmten Mitarbeiterzahl (!) verkauft werden durften. Ein weiteres Beispiel sind Skalierungseffekte bei Online-Banken – etwa dem deutschen Start-up N26, das mittlerweile sogar in Nordamerika aktiv ist. Ein drittes Beispiel für digitale Disruption ist die Same-Day-Delivery von im Netz bestellten Produkten, die gerade von diversen Firmen erprobt wird. Als vielleicht frappierendstes Beispiel nannten Szameitat das Thema "Mobile Payment". Jahrelang habe man die Vorzüge des Smartphones als Zahlungsträger gepredigt. Das habe sich schlagartig geändert: "Plötzlich ist das biometrische Bezahlen per Fingerabdruck sehr viel bequemer als das Bezahlen per Smartphone."

Laut Szameitat leiten sich daraus für den Handel mehrere Trends ab: "Einer ist das Instant Shopping: Ich möchte jetzt sofort ein Bedürfnis erfüllt haben – und ich möchte dabei etwas erleben." Was wiederum bedeute, dass die Stores "auf gar keinen Fall mehr so aussehen dürfen, wie sie früher ausgesehen haben. Sie müssen bespielt und erlebt werden. Man redet hier von Playful Stores." Wohlan, das klingt doch schon ein bisschen nach Gaming! In seiner Keynote führte Szameitat weiter aus, worauf es heutzutage im stationären Handel nicht mehr ankommt: den Umsatz pro Quadratmeter. "Das Problem ist, dass diese Rechnungsgröße einfach nicht mehr stimmt – weil Sie nicht mehr wissen, was auf dieser Fläche passiert ist, welche Kauf-Initiierung da erfolgt ist." Eine deutlich sinnvollere Berechnungsgröße sei das "Erlebnis pro Quadratmeter". Dafür müsse nachvollziehbar sein, an welchen Touchpoints der Kunde mit den Produkten, Unternehmen oder Marken in Berührung komme. Als Paradebeispiel für das "Erlebnis pro Quadratmeter" nannte Szameitat das Event-Shopping in Asien: "Wenn man sich die neuen Konzepte der Malls anschaut, dann ist da nicht nur ein Café drin und ein kleiner Kinderspielplatz, bei dem man noch einen Euro in den Automaten wirft. Das sind ganze Amusement Parks." Ein anderes Beispiel seien die American Dream Meadowlands im US-Bundesstaat New Jersey: Ursprünglich als klassische Shopping-Mall geplant, ähnelt das Projekt – nach Jahren des Um- und Ausbaus – eher einem Freizeitpark.

Breit gefächert
Die LOCA Conference soll dazu dienen, ganz unterschiedliche Branchenakteure zusammenzubringen – um gemeinsam Ideen für den Retail-Handel zu entwickeln. Entsprechend breit gefächert waren die Vorträge an Tag 1: Sandra Baethge von IWD market research sprach beispielsweise über "Storytelling am PoS" – also den Versuch, bei Kundenbefragungen wirklich aussagekräfte Antworten zu erhalten. Marco Wassermann von xPlace erläuterte, wie der stationäre Handel PoS-Daten für Personalisierung, Automatisierung und Kampagnensteuerung nutzen kann. (Vielen Lesern wird xPlace als das Unternehmen bekannt sein, das elektronische Preisschilder und Info-Screens für MediaMarktSaturn bereitstellt.) Spannende Vorträge hielten auch Martin Korosec und Stefan Koenen, die Marketingchefs der Flughäfen Frankfurt und München: Korosec beschrieb, wie Sonderflächen und Pop-Up-Stores genutzt werden, während Koenen die Vorzüge kassenlosen Einkaufens pries. (Mehr zu den Einkaufsstrategien der größten deutschen Flughäfen in Teil 2 dieses Specials.) Die Präsentationen der meisten LOCA-Vorträge lassen sich übrigens unter loca-conference.com/loca-2020-download als pdfs herunterladen.

Am Rande der Konferenz hatten wir auch die Gelegenheit, ein Interview mit dem Präsident und Gründer von LBMA Global zu führen. Zunächst wollten wir von Asif R. Khan wissen, welche Haupttrends er in seinem Tätigkeitsbereich sieht. "In seiner Frühzeit war Location-based Marketing sehr stark auf 1:1-Targeting ausgerichtet", so Khan. "Jemand lief vorbei und erhielt ein Coupon-Angebot. Durch die Datenschutz-Grundverordnung und andere Datenschutzregelungen wird das schwieriger. Deshalb peilen viele Technologieanbieter im Location Space nicht mehr Einzelpersonen an, sondern Gruppen, die bestimmte Orte besuchen." Der Handel trackt also die gesamte Kundengruppe, um sie anschließend mit Informationen zu kontaktieren, die für alle interessant sind. Ein weiterer wichtiger Handelstrend sei die Sprachsuche, so Khan. "Die wird immer häufiger eingesetzt – von Alexa zuhause über die Sprachsuche im Auto." Schon bald werde der potenzielle Kunde nichts mehr in das Google-Suchfeld eintippen, sondern Google einfach nach den betreffenden Informationen fragen: "Die Kombination von Sprache und Bilderkennung verändert vollständig, wie wir Dinge im Retail-Bereich suchen." Interessiert man sich für ein bestimmtes Produkt im Verkaufsregal, muss man es nur kurz mit dem Smartphone scannen – und erhält direkt alle wichtigen Infos. Ein wichtiger Teiltrend bei der Produktsuche sei auch das lokal funktionierende Smart Home: Die Hersteller von Alexa- oder Sonos-Lautsprechern pflanzen die KI direkt in die Hardware ein – und nicht mehr in die Cloud. "Man erhält also die gesuchten Informationen selbst dann, wenn das Internet nicht funktioniert", sagt Khan.

Das System weiß das dann einfach

Mustererkennung
KI und Machine Learning entwickeln sich in allen Industriezweigen rasant weiter, so der LBMA-Chef. "Im Retail-Bereich passiert viel Interessantes – zum Beispiel, wenn es um die Erkennung bestimmter Muster im Konsumentenverhalten geht. Auf dieser Basis macht die Maschine dann automatisch Vorschläge." Man müsse also nicht mehr durch umständliches Zählen und Befragen herausfinden, wie oft ein Kunde den Laden besuche, wo er wohne und ob er Haustiere habe. "Das System weiß das dann einfach." Die KI vermutet beispielsweise, dass eine vor 20 Tagen gekaufte Hundefutterpackung zur Neigung geht – und animiert den Kunden dann automatisch zum erneuten Einkauf. Schöne neue Datenwelt ...

Im englischsprachigen Track der LOCA Conference ging es um die neuesten Entwicklungen weltweit. So beschrieb beispielsweise Christian Geissendoerfer, wie seine Firma Yoose in Vietnam und Singapur auf Basis präzisen Customer Trackings wirbt. Allerdings gibt es auch grundlegende Unterschiede zwischen dem europäischen und dem asiatischen Markt – nicht nur beim Thema Datenschutz. "Beim Blick auf Asien fällt auf, dass viel Macht auf wenige Konzerne konzentriert ist", betont Asif R. Khan. "Alibaba und Tencent kontrollieren in China alles, in Japan sind es Yahoo, Line und so weiter. Ich glaube nicht, dass das so in Europa oder Nordamerika laufen wird." Stattdessen werden sich womöglich immer mehr große Player zusammenschließen und versuchen, mehr Einfluss auf alle Bereiche des Ökosystems zu nehmen – ob das nun die Belieferung mit Lebensmitteln, Dienste wie Uber oder Bezahlplattformen sind. "In China läuft das schon seit vielen Jahren so. Ich denke also, dass wir davon lernen und selbst die passenden Partner finden können. Es wird weniger Walled Gardens geben", sagt Khan.

Ausgefeiltes Programm
Natürlich wollen wir von Khan auch wissen, was er vom Location-based Marketing der Games-Retailer hält. Sind Elektronikmärkte und Fachhändler wirklich gut darin, eine User Experience (Buzzword, check!) zu schaffen? "Eines unserer Mitglieder ist GameStop", so Khan. "Die haben ein sehr ausgefeiltes Treueprogramm. Betritt man eine GameStop-Filiale, dann kommt Geolocation- und Beacon-Technologie zum Einsatz." GameStop (USA) erkennt beispielsweise, wann welcher Kunde im Laden war und welche Games er beim letzten Mal gekauft hat. "Wenn beispielsweise 40 Tage seit dem letzten Kauf vergangen sind, hat der Kunde das Game möglicherweise durchgespielt. Deshalb bietet ihm GameStop jetzt an, das Game zurückzukaufen", berichtet Khan. "GameStop hat das größte Treueprogramm in den USA. Sie verstehen ihre Kunden wirklich sehr gut." Esports ist ein weiterer Gaming-Bereich, der für Location-based Marketing immer interessanter wird. Die LBMA fährt derzeit ein Projekt mit Location Targeting: Ziel sei, das Esports-Publikum genauer kennenzulernen, um es anschließend gezielt mit Sales und Ticket-Verkäufen ansprechen zu können.

Die Malls werden zu Entertainment-Orten

Umgekehrt können auch Shopping-Malls von den Erkenntnissen der Games-Industrie profitieren – und müssen es sogar. "Sie verlieren Mieter und schaffen es nicht mehr, genügend Kunden anzulocken", umreißt Khan die Problematik. Die Malls würden deshalb nun zu Entertainment-Orten, an denen die Kunden auch spielen können – die Mall wird sozusagen gamifiziert. "Spielefirmen sollten folglich über Partnerschaften mit Retailern und Mall-Betreibern nachdenken – und ihnen Tipps geben, wie sie Gameplay in den physischen Retail-Handel einbauen können", rät Khan. "Wir werden mehr Spiele wie Pokémon Go erleben, die Location und so weiter nutzen." Als gelungenes Beispiel nennt Khan eine Kooperation von Rovio und McDonald's in China: "Viele Leute laden Angry Birds herunter, spielen die Gratis-Level und kaufen dann nicht die Vollversion. Aber genau so will Rovio ja Geld machen." In dem Projekt konnten Angry-Birds-Spieler mit ihren Smartphones in chinesische McDonald's-Filiale gehen und sich mit dem dortigen WLAN verbinden. Sobald sie sich innerhalb des Geofence befanden, wurden gratis neue Level freigeschaltet. "McDonald's bezahlt Rovio dafür, dass sie Kunden in die Filialen bringen. Die Kunden erhalten neue Levels und kaufen Hamburger. Das ist ein Idealbeispiel dafür, wie Spielefirmen sich mit physischen Retailern zusammentun können und das Business verändern können", lobt Khan.

Fazit: Es lohnt sich für Games-Firmen, über den Branchen-Tellerrand zu schauen. Viele Konzepte und Technologien sind auf unterschiedliche Handelssparten anwendbar – wenn auch mit flexibler Nachjustierung. (Achim Fehrenbach)

In Teil 2 unseres PoS-Specials (IGM 04/2020) besuchen wir zwei spannende Orte: den Samsung LED Showroom in Schwalbach sowie die Retail Area in Terminal 2 des Frankfurter Flughafens.

IGM 03/20
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