Die Pressemitteilung von Anfang März klang geradezu triumphierend. „Mit dem Abschluss der Frühbucherphase markiert die gamescom 2024 einen herausragenden Start und einen neuen Meilenstein“, heißt es da. Und weiter: „Noch nie haben sich bis zu diesem Zeitpunkt so viele Unternehmen angemeldet. Die Anzahl der bisher angemeldeten Unternehmen und die gebuchte Ausstellungsfläche übertreffen nicht nur die Zahlen von 2023 deutlich, sondern brechen auch die Rekorde von 2019.“ All das untermauert die Koelnmesse mit harten Fakten: So habe der Stichtagsvergleich zum Vorjahr ein Plus von 28 Prozent bei angemeldeten Unternehmen ergeben; bei der Ausstellungsfläche sei sogar ein Plus von 66 Prozent zu verzeichnen. Koelnmesse-Geschäftsführer Oliver Frese wird mit den Worten zitiert, die positive Resonanz motiviere „uns umso mehr, die gamescom stetig weiterzuentwickeln und sowohl für Ausstellende als auch Besuchende frische Impulse und Erlebnisse zu schaffen“. Und game-Geschäftsführer Felix Falk sieht den Frühbucherrekord als „positives Signal“ für eine Branche, die „seit Monaten unter hohem Druck“ stehe.
Wohlwollende Zurkenntnisnahme
Nun ist natürlich rein gar nichts gegen einen solchen Frühbucherrekord einzuwenden. Die heftig gebeutelte Branche dürfte die Erfolgsmeldung in jedem Fall mit Wohlwollen aufnehmen. Allerdings gilt auch hier die alte Bauernregel, die da lautet: Eine Frühbucherschwalbe macht noch keinen gamescom-Sommer. Die internationale Strahlkraft der Messe hängt viel zu stark davon ab, ob die großen Publisher vor Ort sind oder nicht. Aktuell halten sich Sony, Microsoft, Nintendo und Co. wohlweislich noch bedeckt – doch ob sie alle mit von der Messepartie sein werden, ist angesichts der vergangenen paar Jahre eher fraglich. Wir haben uns mit zwei Branchen-Experten darüber unterhalten, wie sie die derzeitige Entwicklung der gamescom beurteilen – und dabei auch gleich gefragt, wo sie Verbesserungspotenzial sehen.
Der Messe-Gemeinschaftsstand der Marketpoint GmbH ist eine Institution: Die Firma aus Bielefeld war bereits 2005 bei der Games Conference in Leipzig dabei; bei der gamescom ist sie – mit Ausnahme der Corona-Jahre 2020 und 2021 – durchgängig vertreten. Mit ihrem legendären „Hotdog-Barometer“ hat Marketpoint einen zuverlässigen Indikator für die Kundenfrequenz am Stand – und auch sonst ist die Firma immer sehr nah dran am Geschehen. Co-Gesellschafter und Geschäftsführer Peter Brücker hält eine Steigerung der gamescom-Ausstellerzahlen gegenüber dem Vorjahr für durchaus machbar, aber keineswegs ausgemacht. „Heute schon zu sagen, dass die gamescom 2024 garantiert größer sein wird als 2019 – damit würde ich noch vorsichtig sein“, so Brücker. „Man wird die nächsten Monate abwarten müssen, ob auch die Firmen, die gerade in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind, neue Produkte haben werden“, gibt der Experte zu bedenken. „Wenn es diese Produkte nicht gibt, dann wird auch sicherlich die gamescom-Fläche schwerer zu füllen sein.“ Sollten die Zuwachsraten im Mai immer noch ähnlich hoch sein wie im März, dann könnte die gamescom den Ausstellerrekord von 2019 brechen, glaubt Brücker. „Aber wenn sich das im Mai revidiert, dann sieht man einfach nur, dass die Leute vernünftiger waren und rechtzeitig ihre Entscheidung getroffen haben.“
Keine Alternativen
Möglicher Rekord hin oder her: Brücker unterstricht, welch zentrale Bedeutung die Kölner Spielemesse für die Branche besitzt. „Wer Produkte hat, wird dieses Jahr zur gamescom wollen, weil es keine wirklichen Alternativen gibt“, betont der Marketpoint-Chef. Natürlich hätten Publisher auch die Möglichkeit, im Vor- beziehungsweise Umfeld der gamescom ihre eigenen Online-Events zu veranstalten. Allerdings sei die gamescom mit ihren vielfältigen Vernetzungsmöglichkeiten nicht zu ersetzen. Auch in den artverwandten Events sieht Brücker keine gamescom-Alternative: „Ob IFA, Spielwarenmesse oder diverse LAN-Parties – die haben alle einen anderen Charakter.“
Ähnlich sieht das auch Joost van Dreunen. Der einstige SuperData-Gründer ist heute CEO der Datenplattform Aldora und Games-Professor an der NYU Stern School of Business; außerdem gibt er den „SuperJoost“-Newsletter heraus, der regelmäßig die Entwicklungen der Branche beleuchtet. „Die gamescom hat sich schon vor Jahren als ein Branchen-Event etabliert, das man nicht verpassen darf“, sagt van Dreunen. „Die einzigartige Mischung aus FachbesucherInnen und einer großen Consumer-Messe vor der Kölner Kulisse bietet alles, was man sich von einem Videogames-Event wünscht.“ Die aktuelle Lage der Branche mit ihren vielen Entlassungen unterstreiche noch den Bedarf an solch produktiven Events, „die zu einer größeren Sichtbarkeit neuer Inhalte beitragen und auch das Business-Netzwerk der Branche stärken“. Das Ende der E3 habe die Bedeutung der gamescom zusätzlich gefördert, so van Dreunen. Für viele Publisher sei die gamescom-Teilnahme auf jeden Fall ihr Geld wert – denn im Vergleich mit den immens gestiegenen Kosten für User-Akquise und Marketing sei die Messeteilnahme ein vergleichsweise geringer Posten. Van Dreunen sieht allerdings einen anderen Grund, warum die Publisher-Beteiligung an der gamescom in diesem Jahr geringer ausfallen könnte als sonst: Das Release-Programm der gesamten Branche sei 2024 nämlich vergleichsweise bescheiden. „Nächstes Jahr, wenn wir am Anfang eines neuen Konsolenzyklus stehen – und hoffentlich die Veröffentlichung von Titeln wie GTA 6 näher rückt –, wird die Branche aber wieder brummen“, prophezeit van Dreunen.
Deutliche Kostensteigerungen
Die gamescom mag – auch und gerade in Krisenzeiten – ein Ausstellermagnet sein. Gleichwohl hat sie auch einige Baustellen, die mindestens mittelfristig zu einem ernsten Problem werden könnten. Peter Brücker nennt hier vor allem die Kosten, die eine Messeteilnahme bedeutet. „Die Preissteigerung seit letztem Jahr liegt derzeit zwischen 5 bis 6 Prozent“, berichtet er. „Das ist bei der heutigen Inflationsrate nichts Außergewöhnliches.“ Betrachte man aber die Kostenentwicklung im Messebau von 2009 bis heute, dann ändere sich die Perspektive doch etwas. „Wir zahlen heute das Vierfache von dem, was wir 2009 gezahlt haben“, sagt der Marketpoint-CEO – und überlegt, was solche Kostensteigerungen für die großen Publisher bedeuten. „Wenn 2009 ein EA vielleicht zwei Millionen für seinen Messeauftritt ausgegeben hat, da müsste es heute sechs oder sieben Millionen ausgeben“, schätzt Brücker. „Und wer zeichnet heute bei EA sechs oder sieben Millionen für eine Messeteilnahme ab? Das sind Größenordnungen, die man mit dem Tausenderkontaktpreis nur schwierig refinanziert bekommt.“ Große Publisher stünden deshalb natürlich vor der Frage, welche Bestandteile des Messeauftritts sie weglassen oder verkleinern können. Brücker sieht da eine Grenze, bei der die Publisher möglicherweise einfach sagen: „Nee, ich habe jetzt vielleicht 1,5 Millionen Budget, ich müsste aber eigentlich sechs Millionen haben, um es gut zu machen. Dann mache ich es vielleicht lieber gar nicht und investiere die 1,5 Millionen lieber anderweitig.“ Was das für eine Messe bedeuten kann, hat man zuletzt am Beispiel E3 gesehen.
In seiner Analyse erwähnt Brücker auch ein wohlbekanntes und berüchtigtes Thema: die Hotelpreise während der gamescom. Auch deren Entwicklung sei in den letzten Jahren durchaus unerfreulich gewesen. „Für 500 Euro pro Nacht ein schlechtes Hotel zu haben und dann auch noch einen hohen Eintrittspreis zu zahlen – das ist immer eine Gefahr für die Attraktivität einer Messe, siehe das Ende der CeBit in Hannover“, mahnt Brücker. Leider habe die Koelnmesse auf die Hotelpreise nur sehr bedingten Einfluss, so der Marketpoint-Mann. Und berichtet, die Stadt Köln habe gerade beschlossen, dass auch Geschäftsleute fünf Prozent zusätzlich zu den Übernachtungskosten ins Stadtsäckel zahlen müssen. „Ich finde das insgesamt eine traurige Entwicklung“, kritisiert Brücker. „Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Leute sagen: ‚Hotelzimmer, Eintrittspreise – nee, das ist mir jetzt zu teuer.‘“
Zwangskopplung für Aussteller
Auch die Messe selbst könnte aus Brückers Sicht einiges tun, um die Ausstellerkosten im Rahmen zu halten. Als Negativbeispiel nennt er die Tatsache, dass für Aussteller die Teilnahme am Business-Bereich immer noch verpflichtend an eine Präsenz im Entertainment-Bereich gekoppelt ist. Diese Regelung habe in den ersten Jahren der gamescom auch durchaus Sinn gemacht, so Brücker: „Damals ging es darum, die Firmen anzulocken, nach dem Motto: ‚Bitte macht nicht nur die Geschäfte mit dem Handel und die Interviews mit den Medien, sondern stellt auch eure Produkte im Entertainment-Bereich aus, um die Wahrnehmung unserer Industrie zu verbessern.‘“ Heute hält Brücker diese Zwangskopplung für überholt: Die Entertainment Area sei schon jetzt ein sehr viel wichtigeres gamescom-Zugpferd als der Business-Bereich – und ihre Bedeutung werde künftig noch wachsen.
Verbesserungspotenzial gibt es laut Brücker auch beim Thema „Spieleverkauf auf der Messe“. „Ich glaube schon, dass die Ausweitung der Verkäufe an Endkunden ein Anreiz sowohl für Aussteller als auch für die Kunden wäre“, so der Experte. „Man sieht ja den Erfolg der Merchandise-Halle, wo es immer mehr Aussteller gibt.“ Die Organisatoren hätten seinerzeit einfach nicht gewollt, „dass Sony seine neue PlayStation vorstellt, während nebendran jemand Klebstoff für 2,99 Euro oder eine Kamelhaardecke für die Kaffeefahrt verscherbelt“. Eine räumliche Trennung solcher Produkte hält Brücker auch weiterhin für sinnvoll. Dass der Handel aber nach wie vor Umsatzeinbußen fürchte, wenn Spiele auf der gamescom verkauft würden, hält er für nicht mehr wirklich nachvollziehbar: „Die Messebesucher decken ja nicht ihren Jahresbedarf an Entertainment-Produkten nur auf der gamescom.“ Der Branchenveteran glaubt, dass der Messeverkauf für so manchen Aussteller mit Box-Produkten durchaus attraktiv sein könnte – um darüber einen Teil der Messekosten zu refinanzieren. Beim Thema „Messekosten“ hat Brücker noch einen weiteren Kritikpunkt. „Messebauer müssen mittlerweile gebührenpflichtige Slots buchen, wenn sie mit ihren Autos an die Hallen ranfahren wollen.“ Das sei nun zwar kein Kölner Phänomen, sondern werde auch bei anderen Messen so gemacht. Fakt sei aber auch, dass die Messebauer diese Zusatzkosten an die Aussteller weitergäben – ein weiterer Kostenpunkt auf deren Liste.
Glamour gesucht
Joost van Dreunen schaut in seiner Analyse auch darauf, wie sich die Strahlkraft der gamescom erhöhen lässt. Für einige Kritik hat bekanntlich zuletzt die Opening Night Live von US-Unternehmer Geoff Keighley gesorgt – sie wurde von etlichen Beobachtern als zu lang und vorhersehbar bewertet. Auch van Dreunen sieht hier deutliches Verbesserungspotenzial: „Sowohl ONL als auch das VGA-Programm müssen sich von ihrem derzeitigen Angebot weiterentwickeln.“ Trotz hoher Teilnahmekosten biete die Eröffnungs-Show für Spielehersteller zu wenig Möglichkeiten, sich abzuheben. „Für Gamer könnte man sie wahrscheinlich auf die halbe Länge zusammenfassen“, sagt van Dreunen. Der Games-Industrie fehle schlichtweg der Glamour der Musik- und Filmbranche – und den könne man auch nicht einfach so nachahmen. Allerdings plädiert van Dreunen dafür, zumindest mehr Glamour zu versuchen – etwa durch Auftritte von Game-DesignerInnen und SynchronsprecherInnen auf dem roten Teppich. „Es sollte ein Fest sein!“, fordert van Dreunen. „Geoff Keighley leistet großartige Arbeit bei der Zusammenstellung des Programms. Aber er sollte wirklich nur bei den großen Ankündigungen auftreten und die Arbeit an eine größere Gruppe von unterhaltsamen ModeratorInnen delegieren. Im Moment ist es die Geoff-Show.“
Man sieht: Bei der gamescom – und um sie herum – lässt sich einiges verbessern. Bisher habe die Messe immer noch ganz gut funktioniert, resümiert Peter Brücker – und verweist dabei auf die Umfragen, die Marketpoint jeweils nach Messeende bei Partnern und Besuchern macht. „Sowohl Fachbesucher als auch Endkunden haben die Preissteigerungen mitgetragen und sind zufrieden von der Messe zurückgekommen“, berichtet Brücker. Allerdings hält er es für klug, „mal zu überlegen, wie man die Messeteilnahme für alle Beteiligten wieder günstiger machen könnte“. Eine klare Botschaft an die Organisatoren. (Achim Fehrenbach)