Der Boom geht weiter – auch in der Pandemie: Laut Juniper Research wird der Umsatz mit Gaming- bzw. eSports-Streaming bis zum Jahr 2025 auf sage und schreibe 3,5 Milliarden US-Dollar steigen. Das ist ein Zuwachs von 70 Prozent gegenüber dem für 2021 erwarteten Umsatz von 2,1 Milliarden US-Dollar. Laut Juniper sind die Umsatzbringer Werbung und Abos auf Live-Streaming-Plattformen wie Twitch und Facebook Gaming, aber auch Sendelizenzen, Sponsorenverträge und Ticket-Verkäufe für Live-Events. Natürlich sollte man mit solchen Prognosen immer vorsichtig sein, gerade in der Corona-Zeit, die Unternehmen eine mittel- oder langfristige Planung nur sehr bedingt erlaubt. Doch selbst wenn das Wachstum geringer ausfallen sollte als prognostiziert, ist klar: Mit eSports lässt sich weiter Geld verdienen – und jede Menge Aufmerksamkeit erzeugen.
Genau aus diesem Grund engagieren sich immer mehr "nicht-endemische" Firmen im eSports. Der Begriff wird häufig verwendet, ist aber recht schwammig. "Nicht-endemischer Partner" könnte man definieren als "Partner, dessen Produkte nicht unmittelbar mit eSports assoziiert werden". Das Portal esportsobserver.com zählt dazu beispielsweise Auto-, Smartphone-, Getränke-, Snack- und Modefirmen. "Endemisch" wären hingegen beispielsweise Hardware-Hersteller oder Betreiber von Streaming-Plattformen. Doch schon bei Smartphone-Herstellern verschwimmt die Grenze – weil eSports immer häufiger auf mobilen Endgeräten stattfindet. Klar, ein Autohersteller wird auch weiterhin als "nicht-endemisch" gelten. Aber grundsätzlich sollte man den Begriff schon hinterfragen – wenn man ihn denn unbedingt verwenden muss.
Wer Erfolg im eSports haben will, muss fit sein
Schubladendenken
Dass Schubladendenken nicht weiterhilft, zeigt ein weiteres Beispiel. Krankenkassen engagieren sich seit geraumer Zeit im eSports – und das aus gutem Grund: Intensives Zocken an PC und Konsole ist untrennbar mit Gesundheits- und Fitnessfragen verbunden. Das Klischee des ausschließlich Chips und Cola konsumierenden, bleichen Basement-Zockers existiert schließlich, seit es Computerspiele gibt. Im Umkehrschluss konnte man schon immer die Frage stellen, wie eine gesunde Balance beim Gaming aussehen kann. Leider wurde diese Frage von Medien und Jugendschützern viel zu selten gestellt: Das Feindbild Computerspiele war politisch einfach viel zu praktisch, um es durch eine differenzierte Sichtweise zu gefährden. Andere Akteure haben schon viel früher erkannt, wie wichtig Gesundheit beim Gaming ist: Eben jene Krankenkassen, die immer noch hin und wieder in die Schublade "nicht-endemisch" gesteckt werden.
Ein leuchtendes Vorbild ist die Techniker Krankenkasse: Die TK beschäftigt sich schon seit den späten Neunzigern mit Games. Anfangs ging es vor allem darum, wie sich Gamification-Elemente und Serious Games in die Unternehmenskommunikation einbauen lassen. Später kooperierte die TK mit EA Games und veröffentlichte sogar eigene Titel, zum Beispiel das Sarah Wiener Kochspiel. Sich auch im eSports zu engagieren, war da der nächste logische Schritt. Seit Juni 2019 ist die TK offizieller Gesundheitspartner der größten deutschen eSports-Liga, ESL. Im August 2019 kam dann eine Gesundheitspartnerschaft mit der Uniliga hinzu, die eSports-Wettbewerbe für Studierende organisiert. Auch andere Krankenkassen engagieren sich bei Gaming und eSports – zum Beispiel die AOK Rheinland/Hamburg und die Bergische Krankenkasse. Im vorliegenden Artikel soll es darum gehen, wie die Gesundheitspartnerschaften aussehen, wie die Krankenkassen ihre Zielgruppen erreichen – und welche inhaltlichen Schwerpunkte sie dabei setzen.
Fitness Challenges für zwischendurch
Catharina Tamm ist eSports-Spezialistin der TK. Im Team Werbung & HR-Marketing (WHM) betreut sie die Kommunikation rund um das Thema "Gaming" (vgl. IGM 12/2020). Die Kooperation mit ESL und Uniliga ist dabei ein zentraler Baustein. "Unser Fokus bei dieser Partnerschaft liegt auf den Aspekten Aufklärung und Gesundheitsförderung", sagt Tamm im IGM-Interview. "Dazu produzieren wir zielgruppenspezifischen Content, den wir auf unseren Kanälen und auch auf den Kanälen der Uniliga und der ESL teilen." Als Beispiel nennt Tamm den Gamers Guide mit Gesundheits- und Ernährungstipps für eSportlerInnen, der unter anderem über die TK-Website abrufbar ist. Ein weiteres Beispiel sind die sogenannten Fitness Challenges, die BesucherInnen von eSports-Events in den Pausen zwischen den Wettbewerben absolvieren können. Natürlich musste auch die TK ihre eventbezogene Kommunikationsstrategie an die Corona-Gegebenheiten anpassen. Doch das funktionierte laut Tamm weitgehend reibungslos. "Während der ESL Seasons haben wir unseren Content ausschließlich auf digitalen Plattformen gespielt und uns an virtuellen Events beteiligt, wie zum Beispiel dem ‚Friendly Fire 6'", berichtet die Marketing-Expertin. Das Uniliga-Winterfinale im Januar war ein Hybrid aus Offline und Online-Event: Die Show wurde aus dem Xperion in Köln (vgl. IGM 12/2020) gesendet, die Teams spielten von zuhause aus. Die Fitness Challenge in den Event-Pausen fand – passend dazu – virtuell statt.
Catharina Tamm bezeichnet sich selbst nicht als Gamerin. "Trotzdem faszinieren mich am eSports die Begeisterung und die Emotionen der SpielerInnen, die rasant ansteigende Anzahl an GamerInnen und auch Zuschauenden", schwärmt sie. "Ganz besonders beeindruckt bin ich von großen Live-Events – die super volle Arena, die SpielerInnen, die gefeiert werden wie Popstars – und die dadurch entstehende Atmosphäre." Natürlich wäre es auch für die TK großartig, wenn bald wieder solche großen Turnieren stattfinden könnten. Doch auch jenseits der Live-Events informiert die Krankenkasse intensiv über Gaming und Gesundheit. "Wer Erfolg im eSports haben will, muss fit sein", betont Tamm. "ESports verlangt den GamerInnen mental und auch körperlich einiges ab." Die TK stellt folglich Werkzeuge bereit, die ein gesundes Gegengewicht zum Gaming ermöglichen. "Dafür haben wir zusammen mit einem auf eSportlerInnen spezialisierten Arzt und Therapeuten wertvolle Insights und Tipps für SpielerInnen und Teams erstellt", erzählt Tamm. "Und diesen relevanten Content setzen wir gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern auf den entsprechenden Kanälen ein." Dazu zählt die Webseite, auf der Artikel und Videos mit Gesundheitstipps verlinkt sind. Und natürlich auch die Social-Media-Kanäle (Instagram, Youtube, Facebook, Twitter), die von der TK und ihren Kooperationspartnern mit Inhalten bespielt werden.
Das Klischee vom ungesund dahinvegetierenden Gamer bröckelt gewaltig
Jährliche Studien
Auch die AOK ist im eSports sehr aktiv. Deutschlandweit ist sie in elf eigenständige Kassen untergliedert – und diese Kassen fahren auch eigene Kommunikationsstrategien. Die AOK Rheinland/Hamburg engagiert sich besonders stark im digitalen Sport – was aber anfangs nicht selbstverständlich war. "Als wir vor einigen Jahren die Entscheidung getroffen haben, uns als AOK Rheinland/Hamburg gezielt um die Gesundheitsförderung im eSports zu kümmern, gab es auch kritische Stimmen", berichtet der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Rolf Buchwitz. "Heute können wir mit Gewissheit sagen, dass es die richtige Entscheidung, aber auch die richtigen Partner waren." Ganz konkret ist das zum Beispiel die Deutsche Sporthochschule Köln (DSHS), mit der die AOK Rheinland/Hamburg intensiv kooperiert. "Als Gesundheitskasse investieren wir in den eSports, um die teils noch sehr jungen Spielerinnen und Spieler auf ihrem Weg zu begleiten", betont Buchwitz. "Uns ist es wichtig, dem eSports nicht pauschal den Stempel ‚ungesund' aufzudrücken – sondern stattdessen nach Zugängen zu suchen, wie die Zielgruppe auf Augenhöhe erreicht und zu einem gesunden Lebensstil ermutigt werden kann." Besonders die jährliche eSports-Studie der DSHS liefere wichtige Informationen über Gesundheit und Lebenswelt der SpielerInnen, sagt Buchwitz – auf dieser Basis könne die Kasse passende Angebote entwerfen. Zudem finden die Publikationen ein bundesweites Echo – so wie die "eSport Studie 2021", die von Nachrichtenagenturen und zahlreichen Medien aufgegriffen wurde.
Es ist okay, wenn du mal eine Currywurst-Pommes-Mayo isst
Gerade vor dem Corona-Hintergrund sind die Ergebnisse der Studie hochinteressant. "E-Sportler ernähren sich gesünder als erwartet", titelt beispielsweise Zeit Online. Gemeinsam mit der AOK Rheinland/Hamburg hat der Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse rund 820 eSportlerInnen aller Leistungsstufen befragt. Fazit: "Die durchschnittliche körperliche Aktivität der Zielgruppe liegt wie in den Vorjahren deutlich über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation." Laut Studie bringen es eSportlerInnen auf über neuneinhalb Stunden Fitness-Training pro Woche – das ist sogar rund eine Stunde mehr als im Vorjahr. Auch die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden werden von fast allen Befragten weiterhin als gut beurteilt. Das Klischee vom ungesund dahinvegetierenden Gamer bröckelt also gewaltig – was auch ein Verdienst der Krankenkassen ist. Die AOK Rheinland/Hamburg belässt es aber nicht bei Gesundheitsstudien, sondern engagiert sich auch im professionellen eSports: 2019 startete sie eine Gesundheitspartnerschaft mit dem eSports-Team von Borussia Mönchengladbach. "Wir lernen so nicht nur von der Wissenschaft, sondern auch von den Profis", freut sich Buchwitz.
Ausbaufähige Prävention
Bei den Gesundheits-Tipps geht die AOK Rheinland/Hamburg in die Vollen. Die Erkenntnisse und Empfehlungen werden unter anderem auf Social Media (Instagram, Snapchat, Twitch, Facebook, Youtube), auf der Website von Borussia Mönchengladbach und auch auf einer eigens eingerichteten Forschungsseite (esportwissen.de/forschung-lehre) präsentiert. "Es existieren bereits sehr viele rehabilitative Ansätze, beispielsweise um Handgelenks- oder Rückenschmerzen in den Griff zu bekommen", sagt Buchwitz. "Was aber noch oft zu kurz kommt, ist der präventive Gedanke." Daher habe man zusammen mit DSHS und und Borussia Mönchengladbach E-Sports verschiedene Formate produziert – zu den Einzelaspekten Ernährung, Fitness, Ergonomie und Entspannung. "Das sind leicht verständliche Artikel und lockere Videos, in denen die Profis über ihr eigenes Gaming-Verhalten sprechen und interessante Einblicke gewähren", so Buchwitz. "Sie erzählen beispielsweise, wie sie sich auf neue Methoden einlassen, indem sie progressive Muskelentspannung testen oder ein effektives 10-Minuten-Workout mitmachen. Das soll andere Gamer für präventive Ansätze sensibilisieren."
Auch die Bergische Krankenkasse engagiert sich bei Gaming und eSports. "Auf den ersten Blick ist eine gesetzliche Krankenkasse – wie wir es sind – sicherlich kein klassischer eSports-Partner", räumt Lukas Richter ein. Allerdings habe man als Krankenkasse den Auftrag, Aufklärung zu betreiben – und das gelte auch für Gaming und Gesundheit. Richter hat als Head of eSports im Marketing-Team der Bergischen Krankenkasse zwei Zielgruppen im Blick: Gamer und deren Eltern. "Wir zeigen, dass Gamer überdurchschnittlich gut gebildet sind und sich für ihre körperliche Gesundheit interessieren, was diverse Studien aus den vergangenen Jahren belegen", so Richter. Die Bergische Krankenkasse zeigt SpielerInnen, wie sie ihre Leistung mit einfachen Gesundheitstipps verbessern können – zum Beispiel mit der Broschüre "Gesund zocken – gewusst wie?!", die auf der Kassen-Website abrufbar ist. "Das Ziel ist es jedoch nicht, die junge Generation zu längerem Zocken aufzufordern", stellt Richter klar. "Aber wir wollen auch nicht Spielverderber sein und das Gaming schlecht reden. Auch hier wollen wir eine Aufklärung vorantreiben. Denn wie ein Kollege immer so schön sagt: Es ist okay, wenn du mal eine Currywurst-Pommes-Mayo isst, du musst dir nur darüber bewusst sein, welche Auswirkungen diese Mahlzeit auf dich und deinen Körper hat." Die Eltern der Gamer will die Bergische Krankenkasse vor allem mit Aufklärung errreichen, so Richter: "Um ihnen zu zeigen, was ihre Kinder stundenlang vor der Konsole, dem PC oder dem Handy machen – und wie das zu bewerten ist." Eine Gesundheitspartnerschaft hat die BKK übrigens auch schon: "Im professionellen eSports haben wir mit Bayer Leverkusen einen starken Partner mit einer großen Reichweite und Akzeptanz bei der Zielgruppe."
Catharina Tamm sieht beim Gaming noch unausgeschöpftes Potenzial. "Das Thema Gesundheit im Allgemeinen wird im Bereich eSports eine immer größere Rolle spielen", sagt die Kommunikationsexpertin. Gerade die mentale Gesundheit sei ein wichtiger Aspekt, bei dem die TK aktive Unterstützungsarbeit leisten wolle. (Achim Fehrenbach)
In Teil 2 unseres Specials "eSports und Gesundheit" (IGM 05/2021) schauen wir uns die Kommunikationsstrategien der Krankenkassen genauer an – und beleuchten auch, wie sich Versicherungen im eSports engagieren.