Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine bringt nicht nur Geopolitik und Wirtschaft durcheinander, auch die Spiele-Branche steht Kopf: So entlässt das belarussische Free-to-play-Stuio Wargaming leitende Entwickler, weil sie den Krieg gegen die Ukraine gutheißen. Das im belagerten Kiew beheimatete Team von GSC Gameworld indes wird die Arbeit an seinem Ego-Shooter „S.T.A.L.K.E.R. 2“ zwar bald wieder aufnehmen, musste den Standort dafür aber erstmal ins tschechische Prag verlegen. Kurz zuvor hatte man bekanntgegeben, die Produktion vorerst auszusetzen und beim Untertitel des Spiels von der bekannten russischen zur ukrainischen Schreibweise zu wechseln: Aus „Heart of Chernobyl“ wird „Heart of Chornobyl“.
Auf einen Europäer mag das erstmal überflüssig bis kleinlich wirken – aber bedenkt man, dass gerade russische Bomben auf Schwangerschafts-Kliniken, Kindergärten und Flüchtlings-Unterkünfte regnen, erscheint der Austausch eines Buchstaben schon bedeutungsvoller. Zumal ein Teil des Teams wohl erstmal in den Kampf zieht und vielleicht niemals zurückkehren wird. Doch auch für diejenigen, die bald wieder Shooter-Level zusammen klicken dürfen, könnte die Angst ein ständiger Begleiter bleiben: Um die Heimat, um Angehörige – und um das, was vielleicht nie wieder das sein wird, was es einmal war.
Inzwischen haben viele Spiele-Firmen den Russland-Verkauf ihrer Produkte eingestellt – darunter Sony PlayStation, Microsoft und der polnische „Witcher“-Macher CD Projekt. Andere geben sich spendabel und lassen die Erträge aus ihren Verkäufen direkt an humanitäre Organisationen wie das ukrainische Rote Kreuz fließen – unter ihnen das polnische Studio 11 Bit, das mit seinem Anti-Kriegsspiel „This War of Mine“ im Rahmen einer speziellen Sales-Aktion über 520.000 Dollar für Kriegsopfer in der Ukraine sammeln konnte.
Die Angst könnte ein ständiger Begleiter bleiben
Bis ins kollektive Gedächtnis
Dabei ist noch gar nicht abzusehen, welche Schäden der Konflikt dauerhaft anrichten wird: Abgesehen von zerstörten Leben, Gebäuden und Infrastrukturen wird das kollektive Gedächtnis ganzer Kontinente durch derartige Ereignisse geprägt – und das vielleicht für viele Jahrzehnte. Nicht umsonst werden gerade immer wieder Vergleiche zum Kalten Krieg gezogen – ein Ereignis, das unsere Gesellschaft offenbar noch immer nicht gänzlich verarbeitet hat und das gerade in die verspätete Verlängerung zu gehen scheint. Bei uns war es fast ein Drittel des eigenen Landes, das von 1949 bis 1990 hinter dem „Eisernen Vorhang“ verschwand, während man in den USA noch immer damit beschäftigt ist, Vietnam zu verdauen. Dem wohl bekanntesten und verheerendsten Stellvertreterkrieg für den Konflikt zwischen Ost und West. Der hat zwar niemals zum befürchteten Dritten Weltkrieg geführt – dafür aber zu einer Generation, die bis heute unter dem Trauma der nuklearen Drohkulisse leidet.
Nicht umsonst zeichnet die Popkultur von den 60ern bis in die frühen 90er das Horror-Szenario der atomaren Verwüstung: In seiner 1960er-Verfilmung von H. G. Wells „Zeitmaschine“ zeigt Fantastik-Fachmann George Pal, wie Hauptdarsteller Rod Taylor von einem Lichtblitz geblendet wird, bevor ihn wogende Magma-Massen zum nächsten Zeitsprung zwingen. Heute wissen wir, dass Pals Darstellung eines Atomkriegs nicht stimmig ist – aber ihre erschreckende Wirkung verfehlen die Bilder nicht. 23 Jahre später fängt Nicholas Meyer das Schreckensszenario etwas realistischer ein: In „The Day after“ flüchten Jason Robards und Steven Guttenberg durch den Asche-Regen eines bereits früh im Film gezündeten Atomschlags und eine Welt ohne Ordnung oder funktionierende Infrastruktur. Dabei verschießen beide Kriegsparteien – die USA und Russland – „nur“ etwa 300 Interkontinentalraketen. Genug für ein kleines Armageddon. Zum Vergleich: Heute schlummern – zumindest angeblich – jeweils über 6.000 Welten-Zerstörer in den Silos der beiden größten Atommächte. Aktuelleren Rechen-Modellen zufolge wären die direkte Zerstörung und die Verstrahlung für die Überlebenden noch die geringste Sorge: Ein vermutlich unausweichlicher nuklearer Winter würde – besonders auf der Nordhalbkugel – die Temperaturen auf Jahrzehnte in den zwei- bis dreistelligen Minusbereich drücken. Wer bei diesem Szenario nicht erfriert, stirbt den Hungertod.
Von Sarah Connor bis Sonic
Der 1954 geborene James Cameron ist wie fast alle Hollywood-Unterhalter dieser Zeit selber ein Kind des Kalten Krieges – darum müssen Science-Fiction-Fans 1991 ertragen, wie Linda Hamilton alias Sarah Connor im nuklearen Feuer eines prophetischen Traums verbrennt. Verursacher dieses Horror-Szenarios ist zwar kein russischer Atomschlag, sondern ein Angriff der Maschinen – aber auch Camerons Bilder fußen in Jahrzehnte-langer Angst vor der Vernichtung. Obwohl der Kalte Krieg zu diesem Zeitpunkt bereits vorbei ist. Aber eine ganze Generation von Filmen ist mit dem Konflikt im Hintergrund entstanden. Camerons von militärischen Muskelspielen geprägte „Alien“-Fortsetzung, Horror-Klassiker à la „Invasion der Körperfresser“, Serien wie „Airwolf“, „Top Gun“ mit Tom Cruise und sogar platte Action- oder Prügel-Klamotten wie die Filme mit Chuck Norris: Viele Werke aus der Ära des Kalten Krieges berauschen sich entweder an der Sicherheit-verheißenden kämpferischen Potenz des Westens bzw. dafür stellvertretender Ikonen oder bedienen Ressentiments der besonders in den USA grassierenden Kommunismus-Phobie.
Der Konflikt will einfach nicht aus den Köpfen verschwinden
Kurzum: Die Popkultur befindet sich ebenso wie die Gehirne der Kreativschaffenden im Würgegriff des zermürbenden Konflikts. Auch Video- und Computer-Spiele zeigen bereits eine deutliche Prägung: Obwohl die Gaming-Produkte der 70er- und 80er-Jahre aufgrund ihrer technischen Limitation zu abstrakt sind, um grausige Bilder zu vermitteln, zeigt das während des Kalten Kriegs entstandene Medium schon früh eine martialische Note. Ob „Choplifter“ (1982), „Raid over Moscow“ (1984) oder „Nam-1975“ (1990) – man ballert gerne böse Russen und ihre Verbündeten zu Pixel-Brei. Und obwohl die positiveren 90er eine ganze Welle von vergleichsweise gut gelaunten Umwelt-Spielen wie Segas „Sonic“-Serie oder Quintets „Terranigma“ (Super Nintendo) hervorbringen, will der Konflikt einfach nicht aus den Köpfen verschwinden. Davon zeugen z.B. die 1997 gestartete „Fallout“-Serie oder die „Metro“-Shooter – frei nach den gleichnamigen Romanen des russischen SciFi-Schriftstellers Dmitri Gluchowski.
Künftig mehr oder weniger Kriegs-Shooter?
Stellt sich also die Frage: Hat auch der neue Konflikt, bei dem der Ukraine-Krieg womöglich nur den Anfang markiert, das Zeug dazu, die Medien- und damit auch Games-Landschaft nachhaltig zu prägen? Erleben wir eine Wiederholung des Kalten Kriegs – mitsamt all seiner kulturellen Auswirkungen? „Ich glaube nicht an Wiederholungen“, verneint Jörg Friedrich von Paintbucket Games. „Die Situation ist eine völlig andere. Wir haben diesmal direkt vor unserer Haustür einen Krieg – das gab es damals nicht. Wie sich das Ganze auf unser Denken und die Medien-Landschaft auswirkt, ist natürlich davon abhängig, wie und wie lange der Konflikt weiter verläuft“, fügt der Architekt von Anti-Kriegs- und Anti-Faschismus-Spielen wie „Through the Darkest of Times“ oder „Beholder 3“ hinzu.
Aber vielleicht sehen wir deshalb bald weniger Kriegsspiele? Oder andere? „Ich glaube nicht, dass Activision und Electronic Arts deshalb aufhören, Kriegs-Shooter zu entwickeln oder diese Spiele deshalb weniger verkauft werden“, erwidert Friedrich. „Unter Umständen werden wir bald sogar noch mehr Kriegsspiele sehen – vielleicht nur andere. Je nachdem, welche Feindbilder dabei verarbeitet werden. Oder wie. Wenn ich an die Nachkriegszeit denke, dann fallen mir dabei jüdische Comics ein, in denen Nazis platt gemacht wurden. Vielleicht wird es ja bald auch ukrainischen Studios ein Bedürfnis sein, Spiele zu entwickeln, in denen man sich auf ähnliche Weise an russischen Invasoren abreagiert. Das hätte dann eine Art kathartischer Wirkung. Mini-Games, in denen man mit dem Traktor russische Panzer abschleppt, gibt es ja schon.“
Gedanken macht sich Friedrich aber nicht nur um die Art von Software, die auf Basis des Konflikts entstehen könnte – Sorgen machen ihm auch die vielen durch den Krieg ausgegrenzten Entwickler-Kapazitäten: „Wir dürfen bei all dem nicht übersehen, dass schon jetzt eine erhebliche Block-Bildung stattgefunden hat, als deren Resultat Russland und seine direkten Verbündeten aus der gesamten Games- und Popkultur-Blase rauszufallen drohen. Dabei geht es nicht nur darum, dass weniger Spiele verkauft werden – sondern vielmehr um den kulturellen Impakt“, führt der Entwickler aus. „Viele russische Influencer haben auch unsere Spiele gestreamt – aber die sind jetzt erstmal raus. Wir haben erlebt, wie der Westen und Russland in den letzten Jahrzehnten auf popkultureller Ebene zusammengewachsen sind. Wir sehen auf Netflix dieselben Serien, spielen über Steam dieselben Games – aber das ändert sich jetzt auf einmal. Sollte sich Russland – und mit ihm vielleicht auch China – noch weiter abgrenzen, könnten sich bald unterschiedliche Zweige der Popkultur entwickeln. Von dem Brain-Drain, der schon jetzt in Russland stattfindet, ganz zu schweigen: Viele junge Entwickler, Künstler und IT-Leute, die was drauf haben, wandern gerade ab. Das könnte dazu führen, dass bald viele Entwicklungs-Teams neue Mitglieder aus Russland oder der Ukraine begrüßen. Und ja, natürlich wird das die Spiele-Entwicklung beeinflussen.“
Wie und gegen wen wir in den Games der nächsten Jahre kämpfen werden, muss sich also noch zeigen. Oder aber wir haben vom echten Krieg bald so die Nase voll, dass wir in den Spielen von morgen und übermorgen nur noch über bunte Wiesen laufen und Karnickel streicheln wollen. Klingt übertrieben? Ja, ein bisschen – aber zu den erfolgreichsten Entertainment-Strömungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehören hierzulande nicht etwa Kriegs-, sondern Heimatfilme. Denn die bilden die heile Welt ab, nach der sich die vom Krieg zerschundenen Herzen sehnen. Wer im echten Leben durch Ruinen wandelt oder um sein Leben läuft, dem erscheinen ein blauer Himmel, blühende Wiesen und kristallklare Bergseen vielleicht attraktiver als digitales MG-Geknatter im virtuellen Schützengraben. (rb)