Corona hin oder her: Die Vorfreude auf die nächste Konsolengeneration wächst. Gerade weil Teile der Games-Branche stark von der Pandemie gebeutelt werden, ist Next-Gen ein deutlicher Hoffnungsschimmer. Die Konsumenten jedenfalls dürften mitmachen. "Rund jeder dritte Deutsche interessiert sich für die Nachfolger von PlayStation 4 und Xbox One. Das sind rund 22 Millionen Menschen", zitiert game-Geschäftsführer Felix Falk eine hauseigene Marktstudie. "Bei den 16- bis 24-Jährigen und den 25- bis 34-Jährigen erwartet sogar rund jeder zweite die Konsolen mit Spannung." Das große Interesse an den neuen Spielekonsolen gebe dem Markt immer einen Schub, so Falk im IGM-Interview. "Das kennen wir schon aus der Vergangenheit." Viele Konsolenspieler würden bereits in den ersten Monaten zu Next-Gen greifen. Deshalb mache es auch Sinn, wenn einige Entwickler bereits am Day One ihre Spiele herausbrächten: "Zwar gibt es dann noch nicht so viele potenzielle Käufer. Dafür ist in der Regel die Konkurrenz noch nicht so stark und die Aufmerksamkeit für die Starttitel umso höher."
Nichts Offizielles
Sollten Third-Party-Titel also am Day One erscheinen? Oder bringt es strategische Vorteile, mit einem Launch etwas länger zu warten? Natürlich hätten wir gerne gehört, was die Third-Party-Publisher selbst zu dem Thema zu sagen haben. Dass das (noch) nicht möglich ist, lässt sich aber auch nachvollziehen, weil zum jetzigen Zeitpunkt noch keine offiziellen Launch-Titel feststehen. Zwar gibt es eine Reihe von Third-Party-Titeln, die bereits für Next-Gen angekündigt sind, zum Beispiel Cyberpunk 2077 (Bandai Namco), Outriders (Square Enix), Watch Dogs: Legion sowie Gods and Monsters (beide Ubisoft). Doch ob sie alle wirklich schon am Konsolentag eins verfügbar sein werden, ist fraglich. Also haben wir stattdessen mehrere Branchenexperten befragt. Wo sehen sie die Vor- und Nachteile eines Day-One-Launches?
Joachim Hesse ist Chefredakteur bei Gronkh – und ein Urgestein des deutschen Game-Journalismus. "Onkel Jo" freut sich gleich auf mehrere Next-Gen-Titel, sagt er im IGM-Interview. "Gespannt bin ich besonders auf GTA 6 und die Neuinterpretation von Gothic. Gothic, weil mich interessiert, wie die Entwickler den rauen Charme des Originals mit besserer Technik einzufangen versuchen. GTA 6, weil das Spiel aufzeigen wird, was die neuen Konsolen mit entsprechend hohem Budget zu leisten in der Lage sein werden." Doch macht es auch Sinn, solche Spiele am Day One herauszubringen? "Wer sein Spiel an diesem Tag anbieten kann, darf sich erhöhter Aufmerksamkeit der wertvollen sogenannten Early Adopter sicher sein," sagt Hesse. "Das bringt die Verkaufszahlen dieser Spiele im Bestfall nach vorne, da der Kauf einer neuen Konsole auch zwangsläufig den Kauf entsprechender Spiele nach sich zieht." Ein Risiko bestehe natürlich darin, "mit dem eigenen Spiel gegen die bessere Konkurrenz abzustinken", wie Hesse es ausdrückt. "Zudem lassen sich später veröffentlichte Spiele immer besser an die Hardware anpassen, was der Qualität des Spiels zu Gute käme." Hesse warnt grundsätzlich vor einem überhasteten Release: "Eine halbgare Veröffentlichung bringt den potenziellen Käufern nichts und schadet der Marke am Ende mehr, als es irgendwem nutzt. Herausgeber von Spielen sollten hierbei im Zweifelsfall unbedingt für ihre Kunden entscheiden und gegen den besseren Quartalsabschluss."
Eine halbgare Veröffentlichung bringt den potenziellen Käufern nichts
Faktor Abwärtskompatibilität
Piers Harding-Rolls ist Research Director beim britischen Marktforschungsunternehmen Ampere Analysis. Für ihn liegen die Vorteile eines Day-One-Launches auf der Hand: "Die ersten Konsolenkäufer geben viel Geld aus. Man kann mehr Aufmerksamkeit erzielen, wenn die Spielekataloge noch klein sind. Teilweise setzen die Platformbetreiber finanzielle Anreize. Außerdem ist das eine gute Gelegenheit, eine neue IP auf einer neuen Plattform zu etablieren." Allerdings werde diese teilweise von der geplanten Abwärtskompatibilität der Next-Gen-Konsolen unterlaufen, so Harding-Rolls. "Die meisten Current-Gen-Games werden auf den neuen Plattformen laufen und von Upscaling, besseren Frame Rates und schnelleren Ladezeiten profitieren. Tatsächlich werden die neuen Konsolen mit einer großen Anzahl bereits verfügbarer Spiele starten." Dazu gehören dann selbstverständlich auch Franchises mit jährlichen Neuauflagen wie Fifa oder Call of Duty. "Ich rechne damit, dass es zumindest in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren nur wenige Next-Gen-Exclusives von Drittanbietern geben wird", sagt Harding-Rolls. Selbst eine Verschiebung der Konsolen-Launches hält der Experte noch für möglich. "Microsoft hat darauf hingewiesen, dass die Gefahr einer Verzögerung inzwischen eher damit zusammenhängt, dass Inhalte nicht rechtzeitig entwickelt und getestet werden. Und nicht so sehr damit, dass es bei bestimmten Komponenten Versorgungsengpässe gibt."
Die ersten Konsolenkäufer geben viel Geld aus
Harding-Rolls ist aber durchaus zuversichtlich, dass fehlende Games nicht zum Stolperstein für die Konsolen werden: "Bis zum Launch ist es noch ein paar Monate hin. Die Zeit, die durch Remote Work verloren gegangen ist, kann also noch wettgemacht werden." Gleichwohl werde die Coronavirus-Krise ihre Spuren im Verhalten der Konsumenten hinterlassen. Kurz vor IGM-Redaktionsschluss veröffentlichte Ampere Analysis eine kompakte Einschätzung zu den Pandemie-Folgen ("COVID-19: Games sector impact"). Darin heißt es: "Wir gehen davon aus, dass eine Wirtschaftsrezession die Verkaufszahlen [der Konsolen] ein Stück weit beeinflussen wird. Derartige Auswirkungen werden jedoch 2021 spürbarer werden, sobald die Welle der Early Adopter abebbt."
Erfolgreiche Bundles
Für den Superdata-Gründer und heutigen Investor Joost van Dreunen (New Breukelen) hängt der Erfolg jeder neuen Konsole stark davon ab, welche Games zum Launch verfügbar sind: "Jedes Nintendo-Gerät erscheint mit Mario- und Zelda-Games – denn das sind die Titel, mit denen sich Hardware verkauft." Van Dreunen sieht eine gestiegene Bedeutung von Konsolen-Bundles – besonders für den physischen Handel, dem die digitale Distribution immer mehr Marktanteile wegnimmt. Ein attraktives Bundle könne da helfen, so der Experte: Als Beispiel nennt er die PS Pro mit 500 GB Festplatte, die 2016 zusammen mit Uncharted 4 erschien: "Sony war damit unglaublich erfolgreich."
Ein weiteres, aktuelles Beispiel: Microsoft hat gerade angekündigt, im Juni eine Xbox One X Cyberpunk 2077 Edition auf den Markt zu bringen. Das Bundle wird auf 45.000 Exemplare limitiert sein, es umfasst auch einen Wireless Controller und einen Code für das Spiel selbst. Bundles boomen also weiter ...
Michael Pachter ist der wohl bekannteste Marktforscher der Games-Branche – und zweifellos der mit den kontroversesten Meinungen. Der Chef von Wedbush Securities geht ebenfalls nicht davon aus, dass sich der Launch der Konsolen verzögert, "denn irgendwann in den nächsten sechs Monaten wird die Herstellung möglich sein". Auch von ihm wollten wir wissen, wie die beste Strategie für Dritt-Publisher aussehen könnte. "Ich glaube nicht, dass es für Third-Party-Games einen großen Unterschied macht, ob sie im ersten Launch-Jahr der Konsolen verfügbar sind. Denn die installed base wird sehr gering sein, womöglich weniger als 10 Millionen Exemplare – für beide Konsolen zusammen." Natürlich seien starke First-Party-Games zum Launch sehr wichtig, weil sich die Konsolen dadurch voneinander absetzen können. "Aber Third-Party-Games erscheinen entweder für beide Konsolen – oder eben nicht, also macht das keinen großen Unterschied", glaubt Pachter. "Die Leute werden eine Konsole nicht kaufen, wenn sie NUR First-Party-Titel hat – es sei denn, das First-Party-Line-up ist verlockend, wie auf der Switch. Sony und Microsoft brauchen Third-Party-Support – aber der ist im zweiten Jahr viel wichtiger als beim Launch."
Für die Plattformbetreiber ist also wichtig, dass nicht alle Third-Partys gleich beim Startschuss losrennen. Für die Third-Partys ist es hingegen Abwägungssache, ob sie am Day One in der ersten Reihe stehen wollen. (Achim Fehrenbach)