Im Februar veröffentlichte der Marktforscher Newzoo seinen "Global ESports Market Report 2020". Die zentrale Aussage: ESports wird dieses Jahr einen Gesamtumsatz von 1,1 Milliarden US-Dollar generieren. Diese Prognose erfolgte natürlich, bevor das Coronavirus die Weltwirtschaft lahmlegte. Auch eSports ist von Corona stark betroffen: Sämtliche Offline-Turniere wurden abgesagt, viele Retailer mussten vorübergehend schließen. Das Wachstum des Marktes scheint allerdings nur vorübergehend gebremst zu sein: ESports findet mittlerweile auf so vielen verschiedenen Kanälen statt, dass er sein Publikum immer irgendwie erreicht. Womöglich hat der digitale Sport in Lockdown-Zeiten sogar noch etliche Anhänger hinzugewonnen.
Der Teilmarkt "eSports-Bekleidung" zählt dabei zu den wichtigsten Umsatzbringern. Apparel gibt es mittlerweile in zahllosen Ausprägungen – mal ist die Bekleidung eher auf Funktionalität ausgerichtet ("Athleisure"), mal eher auf lässige Streetwear. Doch was sind eigentlich die wichtigsten Vertriebswege für Apparel – und welche Trends sind auf dem Markt zu erkennen? Darüber haben wir mit einigen Akteuren der Branche gesprochen. Zum Beispiel mit David Hiltscher, VP Shop, Merchandise, Licensing bei ESL. "Den Shop gibt es seit den frühen 2000er Jahren, so genau weiß das keiner mehr", berichtet Hiltscher. "Den jetzigen Mix aus Team-Merchandise, ESL Streetwear und funktionaler Kleidung gibt es seit 2014. Also seitdem es Stadionwettbewerbe in Deutschland gibt." Der Schwerpunkt des Shops liegt auf Merchandise für eSports-Marken: Für die ESL selbst, die teilnehmenden Teams und die Spiele. Typische Artikel sind T-Shirts, Trikots, Hoodies und Caps – wobei der ESL Shop mittlerweile alle möglichen Kleidungsstücke bietet. Verstärkt nachgefragt werden laut Hiltscher Produkte, "die schick aussehen, aber auch über Funktionen verfügen" – eben die eingangs erwähnte "Athleisure". Zur Funktionalität zählen beispielsweise Polsterungen an Stellen, die beim Sitzen besonders in Anspruch genommen werden. Und auch Atmungsaktivität, die bei schweißtreibenden Matches unter Scheinwerferlicht besonders wichtig ist.
Team-Merch vorne
Welche Marken sind nun im ESL Shop besonders beliebt? David Hiltscher berichtet, dass die eigentlichen ESL-Produkte dort am besten laufen. "In Summe wird zwar mehr Team-Merchandise gekauft, aber da sticht kein Team wirklich stark heraus. ESL ist einfach der gemeinsame Nenner für Fans von verschiedenen Mannschaften und Spielen", so Hiltscher. Aus diesem Grund erweitert der Shop sein Sortiment nun auch auf Kabel, Rucksäcke und Gaming-Brillen. Bei Apparel legen die Kunden laut Hiltscher besonderen Wert auf Qualität: "Stangenware wie klassische bedruckte Fan-T-Shirts – wie man sie zum Beispiel aus der Musikbranche kennt –, ist weniger beliebt. Viel mehr Erfolg hat man mit hochwertigen Materialien und von Grund auf für eSportler designten Produkten." Wobei der Apparel-Umsatz sehr stark vom aktuellen Erfolg der jeweiligen Teams abhänge. Zwar gebe es durchaus eSports-Fans, die über viele Jahre einem bestimmten Team oder Clan verbunden blieben. Aber das sei viel seltener als im klassischen Sport der Fall. "Auf unseren Wochenendturnieren kann man auch oft Fans beobachten, die sich – nach Ausscheiden ihrer Mannschaft – das Trikot einer anderen Mannschaft kaufen, damit sie noch jemanden zum Anfeuern haben", erzählt Hiltscher. Die Preise der Kleidungsstücke orientieren sich übrigens in erster Linie am Herkunftsland des Teams, so der Merch-Experte: "US-amerikanische Mannschaften rufen gerne bis zu 100 Euro für ein Trikot auf, während osteuropäische Mannschaften das gleiche Produkt für 50 bis 60 Euro anbieten."
Gut die Hälfte der Besucher kauft
Uns interessiert besonders, wie stark der Apparel-Umsatz von "physischen" eSports-Turnieren abhängt. Oder anders formuliert: Ist der Apparel-Umsatz durch die Corona-Krise zurückgegangen, weil die Turniere nur noch online stattfinden, weil die Fans nicht mehr vor Ort kaufen können? "Auf physischen Veranstaltungen ist es natürlich viel leichter, Besucher zum Kauf zu bewegen", sagt Hiltscher. "Gut die Hälfte der Besucher kauft – und gibt im Schnitt deutlich über 50 Euro aus. Das fehlt uns schon." Andererseits habe man sich schnell an die neuen Bedingungen angepasst: "Die Zeit, die normal für Event-Planung draufgeht, stecken wir jetzt in Online-Marketing, die Entwicklung exklusiver Online-Produkte wie beispielsweise #stayathome Goodie Bags – und in den Aufbau neuer Vertriebskanäle. Das hat uns gut 50 Prozent Wachstum im Online-Bereich eingebracht, viel davon wird nachhaltig sein."
Locations im Trend
Auch wenn Corona eSports gerade beeinträchtigt, gibt es einen klaren Trend: Nämlich den zu eSports-Locations. Eine davon entsteht am Hansaring in Köln: In seinem Stammhaus baut der Elektronikhändler Saturn gerade Xperion, ein "Zentrum für Gaming, eSports und Social Media", wie es in der Pressemitteilung heißt. Auf rund 3.000 Quadratmetern und zwei Ebenen werden Besucher "in virtuelle Welten eintauchen, zocken und relaxen" können. Noch wird auf der Baustelle eifrig gewerkelt, die Fertigstellung ist für Ende Juli geplant. Zum Konzept des Xperion zählen nicht nur Turniere von eSports-Teams, sondern auch ein 25 Quadratmeter großer Store-in-Store von ESL. Dort werde ein Mix aus ESL-gebrandeten Produkten, Trikots und Merch beliebter eSports-Teams angeboten, "und ein bisschen CSGO- bzw. Dota2-Merchandise", sagt Christian Bianco, Einarbeiter zum Geschäftsführer beim Saturn Köln Hansaring. Bianco kümmert sich gemeinsam mit Sebastian Knaup, Geschäftsführer Saturn Köln Maybachstraße/Hansaring, um das Xperion-Projekt. Die Präsentation der Apparel-Produkte vor Ort werde sich deutlich von der üblichen Präsentation auf Elektronikflächen unterscheiden, betont Bianco: Man werde sich dabei eher von "hippen Klamottenläden" inspirieren lassen. "Bekleidung braucht einfach andere Präsentation und Lagermöglichkeiten, allein schon wegen der unterschiedlichen Größen", sagt Bianco. Auftritte von eSportlern werden für den Apparel-Verkauf eine große Rolle spielen. Man wolle für die Kunden "eSports zum Anfassen" bieten: "Durch unsere starken Partner wie zum Beispiel ESL oder SK Gaming wird dies auch umsetzbar sein."
Ich persönlich bin kein Fan der Jersey-Kultur im eSports
In Berlin gibt es bereits ein großes Zentrum für Gaming und eSports: das "LVL Berlin" in der Schützenstraße, wenige Schritte vom Checkpoint Charlie entfernt. Die große Eröffnung im März musste wegen Corona ausfallen – dennoch wird das Zentrum bereits genutzt. Auf rund 2500 Quadratmetern gibt es unter anderem eine schallisolierte Glaskuppel für eSports-Turniere, eine Gaming Area mit High-End-PCs und ein Restaurant, in dem ein Roboter die Burger brät. Das LVL Berlin ist nur eines von mehreren Zentren, die der Betreiber Veritas Entertainment plant: Weitere LVLs entstehen unter anderem in New York und São Paulo. Natürlich gehört zum Konzept der Zentren auch ein Store, in dem Spielefans Gaming- und eSports-Apparel kaufen können. "Jedes LVL, das wir bauen, wird mit einem der besten Teams der Welt zusammengebracht – und deren eSports-Apparel bieten wir dann natürlich in unseren lokalen Stores an", sagt Managing Director Dorian Gorr. "Für LVL Berlin, unsere erste Location weltweit, haben wir eine Partnerschaft mit G2 geschlossen, deren Trikots man auch bei uns erhält."
Coole Streetwear
Allerdings werde das dann keine funktionale Sportbekleidung sein, betont Gorr: "Ich persönlich bin kein Fan der Jersey-Kultur im eSports. Die Auswirkung von atmungsaktiver Kleidung auf die Performance eines eSports-Spielers halte ich für minimal." Der LVL-Fokus liege hingegen auf Streetwear, also Shirts, Hoodies und Caps. "Das ist Bekleidung, die perfekt zur Zielgruppe passt und unsere Marke authentisch repräsentieren kann", sagt Gorr. Die Nachfrage nach cooler Streetwear mit eSports-Touch sei riesig, das Potenzial noch kaum ausgeschöpft. Veritas Entertainment hat deshalb die Merch-Linie "LVL X" auf den Markt gebracht: eine Limited-Edition-Reihe, die immer wieder anderen Künstlern eine Plattform bietet. "Für die erste Reihe haben wir mit einem Künstler namens Hibachi zusammengearbeitet, der uns richtig geile Motive gestaltet hat", freut sich Gorr. "Wir sind selbst überwältigt, wie gut die Shirts schon jetzt über den Online-Shop vertrieben werden." Erst kürzlich habe man Apparel nach Alaska und Dubai geliefert: "Das zeigt mir, dass wir auf dem richtigen Weg sind, Streetwear zu designen, die die Zielgruppe weltweit anspricht."
Auch Knut Jochen Bergel zählt zu den absoluten Experten für eSports-Apparel. Bis März 2020 war er Berater, Board Member und Interim-COO der Apparel-Marke H4X; inzwischen leitet er die – von ihm mitbegründete Firma F4NTEC. "Wir sind eine Plattform, die den weltweiten Commerce mit Fans vereinfacht", sagt Bergel. "Wir verbinden IPs bzw. Content mit Commerce und Production sowie der Supply Chain." Heutzutage sei es noch sehr zeit-, kapital- und personalaufwändig, ein Produkt auf dem globalen Markt zu veröffentlichen. "Mit F4NTEC dauert das wenige Minuten", sagt Bergel. "Ohne viel Aufwand und ohne Kapital und in geprüfter Qualität." Der Mitgründer und CEO will schon bald weitere Infos zu den F4NTEC-Aktivitäten veröffentlichen. Für den IGM-Artikel haben wir ihn in erster Linie zu H4X befragt. Die Firma wurden 2017 von Jens Hilgers und Jan Gurman gegründet – sie entwickelt und verkauft Produkte, "die dem Gamer ein besseres Spielgefühl geben", wie es Bergel formuliert. Das Portfolio reicht von Arm Sleeves über den Positur Corrector – der Haltung und Motorik unterstützt –, bis hin zu Performance Gear und Streetwear, "die den Gamer wie einen Pro aussehen lassen", so Bergel. Besonders gefragt seien neben den Sleeves auch klassische Styles wie T-Shirts, Caps und Hoodies "mit diversen authentischen Motiven. Und auch einige Hosen und Shorts". Nicht zu vergessen: Seit kurzem bietet H4X auch Corona-Masken mit modischen Aufdrucken an.
Das Segment ist noch sehr jung und dynamisch
Apparel-Kompetenz
Der Online-Shop ist für H4X der primäre Vertriebskanal. H4X-Produkte sind aber auch beim Zumiez und in einigen Macy's-Filialen zu finden. "Für viele Merch-Produkte sind auch Events ein sehr wichtiger Channel", sagt Bergel. Dem Special-Interest-Handel traut er keine sonderlich große Kompetenz in Sachen Apparel-Präsentation zu. "Ich glaube, dass für Apparel, wenn stationär, langfristig eher der Textil- und Sporteinzelhandel die Kompetenz hat, dieses Segment bzw. diese Kategorie erfolgreich an die Sport-Communitys zu vermarkten", sagt er. Snipes zum Beispiel habe eher das passende Profil und die Kundschaft als bestimmte Elektronik- und Games-Händler. Bis auf "wenige punktuelle Ausnahmen" sieht Bergel derzeit keine erfolgreichen Präsentations- und Vermarktungskonzepte im SI-Handel. Dieser könne weder ökonomisch noch in Sachen "Convenience" mit dem Online-Handel mithalten. Auch sei der "emotionale Effekt" beim Verkauf auf Events deutlich höher.
H4X will sich laut Bergel als "generisches eSport Culture Life Style Streetwear Label'" etablieren. "Andere Anbietern nutzen das Lizenzmodell, um Merchandising für Teams etc. zu machen", sagt er. IPs wie 100 Thieves wiederum zielten darauf ab, eigene Lifestyle-Marken zu etablieren: "Ein klassisches Szenario in einem noch sehr jungen und fragmentierten Markt." Das Team-Jersey sei immer noch das begehrteste Produkt. Gleichwohl entwickle sich das Apparel-Geschäft rasant weiter. "Die Herausforderungen für Creator, IPs, Teams etc. ist, Supply-Chain, Logistik und eCommerce bzw. Vertrieb in einem immer schnelleren und komplexeren Markt zu managen", sagt Bergel. "Hier liegen große Risiken und Hürden, die derzeit den Gesamtmarkt bremsen." Gleichwohl ist Bergel zuversichtlich: Noch 2020 würden Anbieter wie About You das eSports-Apparel einem breiteren Publikum zugänglich machen – und eSports-Enthusiasten auf ihre Plattformen locken. "ESports wird – wie Sport, Musik und andere Subkulturen – die Kleidung der Fans beeinflussen!" Davon ist Bergel überzeugt. Das Segment sei noch sehr jung und dynamisch – die Wertschöpfungsketten entwickelten sich gerade autark, "da der traditionelle Channel mit dem Asset und dem Verhalten der Zielgruppe nicht wirklich umgehen kann". Bergel prophezeit, dass das Apparel-Marktvolumen mit der eSports-Zielgruppe mitwachsen wird – und in einigen Jahren das Niveau von Musik-Merchandise erreicht. "Genauso wie beim Surfen, Skaten und bei anderen Sportarten werden auch aus dem eSports- bzw. Gaming-Segment eigene Apparel- und Lifestyle-Marken entstehen."
Sportartikler zögern
Doch was unternehmen eigentlich die traditionellen Sportartikel-Hersteller in Sachen eSports? David Hiltscher erwartet, dass sie "eSports irgendwann ernster nehmen werden". Momentan traue sich noch keines der Unternehmen ein echtes Commitment zu. "Eher klassische Modemarken wie Jack & Jones oder Champion sind da schon weiter", sagt Hiltscher. "Das wird in absehbarer Zeit zu einer deutlich breiteren Verfügbarkeit bei klassischen Retailern führen, sowohl stationär als auch online."
Veritas Entertainment will sein Apparel künftig "connected" anbieten, sagt Dorian Gorr: "Also personalisierte Shirts, in die ein Chip integriert ist, der beim LVL-Besuch mit der Venue interagiert – von der personalisierten Begrüßungsnachricht bis zum Login an PCs." In diese Richtung biete der Markt noch sehr viel Potenzial, betont Gorr. Eine Meinung, die wir teilen.