Das schnelle Aus von Concord: Darum fuhr Sonys Online-Shooter gegen die Wand

Nach dem Überraschungserfolg von „Helldivers 2“ hatte Sony auch für sein zweites Live-Service-Spiel „Concord“ große Pläne. Doch nur zwei Wochen nach dem Start wurden die Server wieder abgeschaltet. IGM analysiert die Hintergründe eines Desasters, das sich bereits im Vorfeld abzeichnete – und wohl noch lange nachwirken wird.
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Quizfrage: Was haben „Lawbreakers“ von Boss Key Productions, „Knockout City“ von den Velan Studios, „Rumbleverse“ von Iron Galaxy, „Babylon’s Fall“ von PlatinumGames, „The Cycle: Frontier“ von Yager Development, „Gundam Evolution“ von Bandai Namco Online und „Concord“ von den Firewalk Studios gemeinsam? Richtig, es handelt sich jeweils um Online-Multiplayer-Spiele, die alle nach einiger Zeit wieder vom Netz genommen wurden. Doch in keinem der Fälle (siehe Tabelle) kam das Aus so plötzlich und gnadenlos wie bei „Concord“.

Zur Erinnerung: Nach der offiziellen Enthüllung auf dem PlayStation Showcase am 24. Mai 2023 folgte zunächst eine geschlossene Beta, die vom 12. bis 14. Juli 2024 stattfand. Nach einer daran anschließenden Open Beta vom 18. bis 21. Juli 2024 hieß es dann am 23. August 2024 Vorhang auf für die finale Version. Doch der Start stand – wie schon die Beta-Phasen – unter keinem guten Stern. Während die Closed Beta nur rund 1050 und die Open Beta lediglich 2400 gleichzeitig aktive Teilnehmer mobilisierte, lag diese Zahl in der Startwoche laut SteamDB.info bei gerade einmal 697 Spielerinnen und Spielern. Dieser Wert stammt übrigens vom 24. August 2024 – danach ging es kontinuierlich bergab. Am 5. September folgte schließlich die Hiobsbotschaft, persönlich verkündet von Ryan Ellis, Game Director bei den Firewalk Studios, die nach aktuellem Stand rund 150 Mitarbeiter beschäftigen: „Obwohl viele Aspekte des Spiels von Spielern positiv aufgefasst wurden, mussten wir feststellen, dass andere Spielelemente sowie die Veröffentlichung von ‚Concord‘ nicht den von uns gewünschten Erfolg erzielt haben. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, die Spielserver am 6. September 2024 abzuschalten.“ Und so kam es dann auch: Bereits einen Tag später wurde „Concord“ vom Netz genommen und Sony begann damit, den Betroffenen den Kaufpreis zurückzuerstatten.

Im Netz kursierten derweil erste Verkaufszahlen, die laut VG Insights bei rund 25.590 und Forbes zufolge bei etwa 25.000 Einheiten lagen. Zum Vergleich: Das ebenfalls auf Multiplayer ausgelegte „Helldivers 2“ von Sony, das zum Start sowohl für PC als auch PlayStation 5 für 40 Euro angeboten wurde, verkaufte sich innerhalb von nur drei Tagen eine Million Mal und knackte knapp drei Monate später sogar die Zwölf-Millionen-Marke.

Viele Branchenkenner fragten sich deshalb zu Recht: Was ist hier eigentlich so schiefgelaufen? Wie konnte ein Prestigeprojekt von Sony – dessen Entwicklung rund acht Jahre dauerte und geschätzte 100 Millionen Dollar Entwicklungsbudget verschlang – so grandios gegen die Wand fahren? Um es gleich vorwegzusagen: Die Antwort auf diese Fragen hängt mit einer Vielzahl von Faktoren zusammen. Für sich genommen hätte wohl keiner von ihnen „Concord“ in so kurzer Zeit ins Wanken und schließlich zu Fall gebracht. Im Zusammenspiel sieht die Sache allerdings ganz anders aus.

 

Was ist hier eigentlich so schiefgelaufen?

 

Zu viel Einheitsbrei, zu wenig Mut zu Neuem
Punkt eins: Die Produktqualität war bei weitem nicht auf dem Niveau, das sich viele erhofft hatten. Zwar lief das mit der Unreal Engine 5 entwickelte „Concord“ technisch erfreulich rund und auch an Steuerung, Gunplay und Zugänglichkeitsoptionen gab es wenig auszusetzen. Inhaltlich fehlte es jedoch an Alleinstellungsmerkmalen. So basierten die insgesamt sechs Spielvarianten viel zu starr auf altbekannten Modi-Klassikern wie Team Deathmatch, Domination oder Hügelkönig. Kreative Modi-Neuentwicklungen oder die clevere Integration von Gameplay-Elementen aus anderen Genres? Suchte man vergebens. Dass sich aber genau solche Risiken auszahlen und von der Community geschätzt werden, sieht man bei der Konkurrenz. „Apex Legends“ von Respawn Entertainment beispielsweise kombiniert einen Hero-Shooter mit dem beliebten Battle-Royale-Prinzip, während sich „Valorant“ von Riot Games als clevere Neuinterpretation von „Counter-Strike“ entpuppt – nur dass hier jeder spielbare Charakter mit markantem Aussehen und individuellen Talenten daherkommt. Aber auch das kommende „Deadlock“ von Valve beweist Mut zu Neuem, mischt Hero-Shooter mit Elementen aus dem MOBA-Subgenre (Multiplayer Online Battle Arena) und lockte allein damit in der noch laufenden Testphase in den ersten beiden Septemberwochen täglich weit über 100.000 Spieler auf die Testserver. Zahlen, von denen die beiden „Concord“-Betas meilenweit entfernt waren.

Aber auch den insgesamt zwölf Startkarten konnten Community und Kritiker nur wenige spielerische Besonderheiten abgewinnen. Level-Bauten, die dank PlayStation 5-Power spektakulär einstürzen? Kartenbereiche, die durch kosmische Kräfte von einem Zustand in einen völlig anderen verwandelt werden? Fehlanzeige. Hinzu kommt ein an sich abwechslungsreiches, aber viel zu sehr an „Guardians of the Galaxy“ angelehntes Helden-Line-up, das es von Anfang an schwer hatte, die Herzen der Community zu erobern. Mehr Mut zu ungewöhnlichen Helden-Designs, wie sie etwa beim „Concord“-Putzroboter 1-OFF durchscheinen, hätte hier vermutlich Wunder gewirkt.

Als problematisch erwies sich auch, dass Spielern das im Kern interessant ausgearbeitete Erzähluniversum in erster Linie durch eine Galaxie-Karte mit haufenweise Texteinblendungen nähergebracht wurde. Plus, dass die in Form von kurzen, aber aufwendig modellierten Zwischensequenzen präsentierte Story nur in Häppchen (ein Clip pro Woche) weitergeführt wurde und in den beiden Auftaktwochen nicht in irgendeiner Form Fahrt aufnehmen konnte. Actionszenen wie im Reveal Cinematic Trailer von Ende Mai 2024, der immerhin über 465.000-mal aufgerufen wurde, waren jedenfalls noch nicht zu sehen.

Der Cinematic Trailer schürte falsche Erwartungen
Womit wir gleich beim nächsten Problem wären. Nach dem imposanten Trailer hatten viele Zuschauer zunächst den Eindruck, es handele sich bei „Concord“ um einen rasanten Heist-Shooter mit Single-Player-Fokus. Tatsächlich zeigt der knapp fünfminütige Clip in spektakulären Bildern, wie die Besatzung des Raumschiffs Northstar von einer intergalaktischen Revolverheldin ausgeraubt wird und die Protagonisten sie durch die Straßen eines verwinkelten Weltraumhafens verfolgen. Es folgen zahlreiche Schießereien und ein einstürzendes Gerüst, das die Crew in arge Bedrängnis bringt. Doch spätestens beim Lesen der Trailer-Beschreibung wird klar, dass dem nicht so ist. Vielmehr handelt es sich um einen weiteren 5vs5-Hero-Shooter, der sich in einem bereits übersättigten Markt mit Schwergewichten wie „Overwatch 2“, „Apex Legends“, „Valorant“ und dem für den 6. Dezember 2024 geplanten Marvel Rivals“ behaupten will.

Nicht minder erstaunlich: Während die Konkurrenz fast ausnahmslos auf ein Free2Play-Modell setzt, hat sich Sony dazu entschlossen, 39,99 Euro beziehungsweise 39,99 Dollar zu verlangen. In Zeiten anhaltender Inflation ist eine solche monetäre Einstiegshürde für ein Multiplayer-Spiel eines bis dato unbekannten Entwicklers zweifelsohne gewagt – wenn nicht sogar grob fahrlässig. Insbesondere nach dem mehr als verhaltenen Feedback zur Beta.

 

Wenn nicht sogar grob fahrlässig

 

Und dann ist da noch die Hürde des PSN-Accounts. Dieser war für alle PC-Spieler zwingend erforderlich und musste vor dem Spielen mit dem Steam-Account verknüpft werden. Das hatte zur Folge, dass PC-Spieler aus über 170 Ländern – nämlich jenen, in denen Sony das PSN nicht anbietet – überhaupt gar nicht die Möglichkeit hatten, „Concord“ eine Chance zu geben. Dieses Problem hatte Sony bereits bei „Helldivers 2“. Als die Community dort jedoch mit Review-Bombings zurückschlug, wurde das verhasste Account-Linking wieder aufgehoben. Nicht so bei „Concord“.

Zaghaftes Marketing, starke Konkurrenz-Releases
Viele Analysten kritisieren auch das zögerliche Marketing von Sony. Hätte zum Beispiel eine Präsenz auf der Gamescom – die Sony 2024 bekanntlich ausfallen ließ – für die dringend benötigte Aufmerksamkeit gesorgt? Warum gibt es für jeden Helden einen Skill-Trailer, aber keinen eigenen Hero-Trailer, wie man ihn von den Charakteren in „Valorant“ oder „Overwatch 2“ kennt? Um fair zu bleiben: Im Vorfeld startete Sony eine animierte Kurzfilmreihe namens „Official Freegunner Adventures“ und veröffentlichte in diesem Rahmen immerhin drei Clips von jeweils knapp zweieinhalb Minuten Länge, die jeweils drei Charaktere in den Mittelpunkt rückten. Auffällig in diesem Zusammenhang: Liest man die Kommentare unter den drei YouTube-Clips, so geben zahlreiche Nutzer an, dass ihnen der dort gebotene Anime-Artstyle besser gefällt als der eher auf Realismus getrimmte Artstyle des Spiels.

Blieb noch der übervolle Release-Kalender Ende August/Anfang September, in dem gleich mehrere potenzielle Kracher um die mediale Aufmerksamkeit buhlten, allen voran das mittlerweile über 18 Millionen Mal verkaufte Action-RPG „Black Myth: Wukong“, Ubisofts viel diskutiertes Open-World-Abenteuer „Star Wars Outlaws“ und Microsofts Echtzeitstrategie-Hoffnung „Age of Mythology: Retold“. Nicht zu vergessen „Warhammer 40.000: Space Marine 2“, der bisher erfolgreichste Shooter aus dem Hause Focus. Hochwertige „Concord“-Alternativen gab es also mehr als genug.

 

Deutet Sony zwischen den Zeilen ein Free2Play-Revival an?

 

Hoffnung auf einen Neuanfang?
Doch wie geht’s mit „Concord“ nun weiter? Fakt ist: Das Schicksal der Marke scheint noch nicht endgültig besiegelt zu sein, denn laut PlayStation-Blog wird derzeit über die Zukunft des Spiels beraten, „um unter anderem Optionen auszuloten, wie wir unsere Spieler besser erreichen.“

Deutet Sony hier also zwischen den Zeilen ein Free2Play-Revival an? Durchaus möglich, schließlich hat dieser Schritt schon so manchem Online-Spiel (zum Beispiel „Team Fortress 2“, „PUBG“, „Destiny 2“, „Rocket League“ und „Fall Guys“) einen massiven Nutzerzahlen-Boost beschert. Allerdings dürfte auch Sony bewusst sein, dass ein solcher Schritt viele der anderen hier skizzierten Probleme nicht löst. Insofern wäre es auch denkbar, zunächst die Charaktere und den Artstyle zu überarbeiten und erst dann einen F2P-Reboot zu wagen.

In jedem Fall dürfte die „Concord“-Pleite dazu führen, dass Sony seine langfristigen „Games-as-a-Service“-Pläne noch einmal grundsätzlich hinterfragt und hoffentlich Anpassungen vornimmt. Gerne in Richtung von mehr Early Access und einer stärkeren Einbindung der Community in den Entwicklungsprozess – im Idealfall schon bei bereits enthüllten Projekten wie Bungies Online-Shooter „Marathon“ und Havens Raubüberfall-Spiel „Fairgame$“. Darüber hinaus sollten die Japaner ernsthaft darüber nachdenken, bereits auf Eis gelegte Multiplayer-Marken mit großer Anziehungskraft wie „The Last of Us Online“ eine zweite Chance zu geben – zumal gerade dieser Name im Rahmen der „Concord“-Diskussionen immer wieder genannt wurde und die Community großes Interesse daran zeigte. (soe/bpf)

IGM 11/24
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