Wie ein Uhrwerk: Worauf es bei Koop-Games ankommt

Ein gut funktionierendes Koop-Match zählt zu den schönsten Gaming-Momenten überhaupt. Das Zusammenspiel klappt wie am Schnürchen, alle sind im Flow, tragen emsig zum Spielziel
bei, sind loyal, flexibel und werden dafür belohnt. Doch hinter der Leichtigkeit von Koop-Games steckt harte Arbeit, die vom ellenlangen Feilen an Gameplay-Mechaniken bis zur punkt­genauen Zielgruppenansprache reicht. Wir haben mit mehreren Experten gesprochen, worauf es bei der Entwicklung von kooperativen Spielerlebnissen ankommt.
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Baldur‘s Gate 3 ist ein riesiger Erfolg. Auf der 100-Punkte-Skala von Metacritic erreicht die PC-Version aktuell einen Durchschnittswert von 96 Punkten. Auch kommerziell läuft es für das Fantasy-RPG rund: Dem Finanznachrichtendienst Bloomberg zufolge sollen die Larian Studios bereits zwei Wochen nach dem PC-Release (3. August) auf Steam mehr als fünf Millionen Exemplare verkauft haben. Die Veröffentlichung auf der Playstation 5 (am 6. September) dürfte einen ähnlichen Run auslösen – genau wie der für später anberaumte Xbox-Release.

Knackpunkte im Koop
Die meisten Medien rezensierten zunächst die Solo-Kampagne von Baldur‘s Gate 3. Was ja auch völlig nachvollziehbar ist, weil sich das Gros der Rollenspielfans erst einmal mit einer Gruppe selbst erschaffener Helden durch die 75- bis 100-stündige Main Story wühlen wollen. Nun, da die meisten Solo-Reviews erschienen sind, erhält auch der Koop-Modus die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Hier gehen die Meinungen allerdings sehr viel stärker auseinander als beim einhellig bejubelten Singleplayer-Modus – sie reichen von „positiv chaotisch“ bis „kein wirklicher Mehrwert“. Auf pcgamer.com heißt es beispielsweise: „Koop in Baldur‘s Gate 3 funktioniert nicht so wie in vielen modernen Games, in denen sich die SpielerInnen mit dauerhaft kontrollierten Figuren schnell mal gegenseitig in ihren Welten besuchen. In Baldur‘s Gate 3 sind die Figuren nicht an die Player-Accounts gebunden, sondern an die Save-Files der Kampagne.“ Das bedeutet: Damit alle zusammen weiterspielen können, muss der Host das Save-File aufrufen und alle Teilnehmer erneut einladen. „Der Koop-Modus von Baldur‘s Gate 3 kann viel Spaß machen, hat aber auch ein paar Einschränkungen“, pflichtet gamerant.com bei. „Die größte ist: Es kann schwierig sein, der Haupthandlung zu folgen.“ So habe Larian Studios nämlich entschieden, nicht alle TeilnehmerInnen in jede Cutscene mit hineinzuziehen. „Das kommt zwar dem Flow im Koop zugute, weil es ja Hunderte von Konversationen gibt“, beobachtet Gamerant. „Aber es kann auch dem Flow der Erzählung schaden.“

 

Viele Indie-Games mit ungewöhnlichen Koop-Konzepten

 

Den kommerziellen Erfolg von Baldur‘s Gate 3 werden solche Details wohl nur unwesentlich schmälern. Hardcore-Fans dürften sich von den genannten Einschränkungen auch eher nicht abschrecken lassen, sondern sie als Herausforderung betrachten. Gleichwohl zeigt das Beispiel, dass ein geschmeidiger Koop-Modus bei weitem kein Selbstläufer ist, sondern stets sorgfältig ausgetüftelt werden muss. Wenn, ja wenn er denn überhaupt mit ins Game hineingepackt wird. Zum Beispiel wird das unlängst angekündigte Grusel-Adventure Little Nightmares 3 keinen Couch-Koop-Modus erhalten, obwohl die Fans ihn verschiedentlich gefordert hatten. Entwickler Supermassive Games begründet seine Entscheidung damit, lokaler Koop würde dem Spiel etwas von seiner „Atmosphäre und Immersion“ nehmen – was ja auch irgendwie nachvollziehbar ist, wenn man sich giggelnde Couch-Gamer vorstellt, die eigentlich im Gruselstrudel des Games versinken sollten. Einen Online-Koop-Modus wird Little Nightmares 3 den Fans immerhin bieten – neben der Standard-Option „Gamer plus KI-Companion“.

Die Entscheidung für (oder gegen) einen Koop-Modus ist folglich nicht ganz einfach. Allerdings bieten doch einige AAA-Titel des Jahres 2023 kooperatives Gameplay an. Ob nun Dead Island 2, Payday 3, Diablo IV oder das gefloppt Redfall: Sie alle haben einen entsprechenden Modus mit eingebaut. Deutlich länger ist allerdings die Liste der Blockbuster, die theoretisch für Koop geeignet wären, zumindest zum Start aber darauf verzichten. Weder Starfield noch Star Wars Jedi: Survivor, weder Marvel‘s Spider-Man 2, Tears of the Kingdom noch das Remake von Resident Evil 4 lassen sich im Verbund genießen. Ein Koop-Modus scheint für viele AAA-Produzenten also eher ein Nice-to-have als ein Must-have zu sein – wenn man von „klassischen“ Online-Games wie Fortnite oder CoD absieht, die PvP mit Teamplay kombinieren.

Gespür für Trends
Doch was sind eigentlich aktuelle Trends im Koop-Gaming – und wer sind deren wichtigste Vertreter? „Es passieren gerade zwei Dinge“, sagt Nicholas Puleo, Betreiber des Online-Portals co-optimus.com. „Einerseits erscheinen viele Indie-Games mit ungewöhnlichen Koop-Konzepten, zum Beispiel Bread and Fred. Andererseits gibt es mehr große Koop-Games mit Live-Service wie Diablo IV.“ Storybasierte Koop-Erlebnisse würden hingegen immer seltener, bedauert Puleo: „Zum Glück gibt es aber Ausnahmen, zum Beispiel It Takes Two.“

Puleo verfolgt die Entwicklung der Sparte seit geraumer Zeit: Seit der Gründung im Jahr 2008 sind auf co-optimus.com Aberhunderte von Koop-Reviews erschienen; die Datenbank umfasst mittlerweile etwa 6100 unterschiedliche Titel auf rund zwei Dutzend verschiedener Plattformen – insgesamt enthält sie fast 13.300 Titel. Die Essenz eines guten Koop-Games sieht Puleo darin, dass alle SpielerInnen mit verteilten Rollen zu einem gemeinsamen Ziel beitragen – und dafür auch in irgendeiner Weise belohnt werden. „Je nach Genre nimmt das unterschiedliche Formen an“, sagt er. „In einem RPG können das beispielsweise Tanks, Healer und Damage Dealer sein, während sich die Rollen in einem Shooter ganz natürlich bilden, wenn ein bestimmtes Ziel vorgegeben ist. Einer flankiert, während die Anderen angreifen.“ Puleo selbst ist in der Ära von Super NES und Sega Genesis aufgewachsen – zu seinen Lieblings-Koop-Games zählen Titel wie Streets of Rage 2 und Raiden II. Der Sci-Fi-Shooter Halo hat einen besonderen Platz in seinem Herzen, „weil ich die Kampagne von Anfang bis Ende an einem Wochenende mit einem Freund im Koop durchgespielt habe“, wie Puleo schwärmt. Momentan freut er sich besonders auf Endless Dungeon von Amplitude Studios, das am 19. Oktober für PC und Konsolen erscheint. „Alle Endless-Games waren großartig und Dungeon of the Endless war im Koop-Modus ein Riesenspaß“, so der Experte. „Es könnte also interessant sein, das in einen Twin-Stick-Shooter zu verwandeln.“

Bei vielen Koop-Games sind die Wurzeln der Prä-Online-Ära noch deutlich spürbar: Also einer Zeit, in der die Menschen (auch mangels Internet) gemeinsam in Arcade-Hallen und heimischen Hobbykellern zockten. Heute sind es häufig Indie-Games, die diese Tradition hochhalten – und die mit entsprechenden Konzepten teils auch sehr erfolgreich sind. Spiele wie Overcooked!, Cuphead, Guacamelee, Don‘t Starve Together, Unravel, Trine und TNMT: Shredder‘s Revenge haben bewiesen, dass Koop-Games ein Millionenpublikum erreichen können – und damit weitere Indie-Studios ermutigt, es ebenfalls in dieser Sparte zu probieren.

 

Ohne Online müsst ihr nicht wiederkommen

 

Katzen-Karawane
Ein aktuelles Beispiel ist der Koop-Titel Wild Woods, das gerade von der Hamburger Firma Octofox Games entwickelt wird. In Wild Woods schlüpfen bis zu vier SpielerInnen in die Rolle von tapferen kleinen Katzen, die ihren Holzwagen durch einen gefährlichen Wald begleiten. Dabei gilt es, am Tage die Ressourcen zu sammeln, die dann für Upgrades und das nächtliche Überleben gebraucht werden. Wenn es in den Wäldern dunkelt, wird die Katzen-Karawane von zahlreichen Monstern attackiert – weshalb auch das Feuer auf dem Wagen stets weiterbrennen muss. „Wir wollen mit Wild Woods ein einsteigerfreundliches Spiel entwickeln, das sich sowohl an Videospiel-Neulinge als auch an erfahrene Spielende richtet, die eine weniger komplexe Erfahrung für einen gemütlichen Abend auf der Couch suchen“, sagt Octofox-Geschäftsführer Eric Massenberg, der das vierköpfige Entwicklerteam leitet. Als Zielgruppe nennt Massenberg junge Eltern, die gemeinsam mit ihren Kindern spielen wollen – aber auch Freundesgruppen und eingeschworene Gamer-Teams.

Wild Woods soll zunächst für PC und später dann auch für Konsolen erscheinen; als Publisher fungiert Daedalic Entertainment. Ob das Spiel auch Cross-Play unterstützen wird, steht laut Massenberg noch nicht fest. „Rein technisch wäre es zwar möglich. Aber da wir nur ein kleines Team sind, ist Cross-Play für Wild Woods vermutlich nicht realisierbar.“ Ursprünglich hatte Octofox Wild Woods auch als reines Couch-Koop-Game geplant, so der CEO. „Als wir auf Publisher-Suche waren, hat man uns aber gesagt: ‚Ohne Online müsst ihr nicht wiederkommen – so funktioniert das nicht. Couch-Koop ist Kassengift, das finanziert keiner.‘“ Inzwischen sieht Octofox den Online-Modus als willkommene Ergänzung, der das Spiel noch attraktiver macht – und damit auch ein größeres Publikum erreicht. Den Mehraufwand kann die Firma laut Massenberg allerdings nur stemmen, weil sie eine Prototypenförderung der Gamecity Hamburg erhielt: „Mit dem Geld konnten wir dann alles nochmal neu für Online bauen.“ Im Couch-Koop-Modus wird Wild Woods indes auf einem ungeteilten Bildschirm spielbar sein – ein Splitscreen-Modus ist nicht notwendig, weil der Katzen-Karren stets die Mitte des Geschehens bildet.

Technisch anspruchsvoll
Wild Woods klingt für Koop-Fans sehr vielversprechend. Doch was sind aus Sicht von Octofox die größten Hürden bei der Umsetzung? Massenberg beschreibt die technischen Herausforderungen, die das Projekt mit sich bringt. „Wenn du den Online-Modus selbst anbieten willst, brauchst du entweder einen krassen Netcode-Programmierer, der dir ein solches System aufsetzt – und die sind richtig, richtig teuer“, sagt er. „Oder du benutzt das System deiner Engine.“ Unity sei hier nur bedingt geeignet, berichtet Massenberg. Die Online-Features der Engine seien so allgemein gehalten, dass sie in jedem Fall noch durch händischen Code ergänzt werden müssten. Octofox nutzt deshalb Photon Fusion, einen Hochleistungs-Netcode der Hamburger Firma Exit Games. „Der Vorteil von Fusion ist, dass es relativ günstig ist“, freut sich Massenberg. „Wenn wir wenig Leistung verbrauchen – also wenige SpielerInnen online sind –, dann zahlen wir monatlich nur einen sehr niedrigen Betrag. Teuer wird es aber, wenn viele SpielerInnen online sind.“ Momentan darf Octofox das SDK allerdings kostenlos nutzen, weil sowohl Wild Woods als auch Fusion noch in der Entwicklung sind. Mit der Nutzung trägt Octofox dazu bei, Fusion zu verbessern – muss sich dafür aber auch an bestimmte Vorgaben in der Netzwerksynchronisierung halten.

Die Firma Keen Games aus Frankfurt werkelt derweil an einer ganz anderen Art von Koop-Game – nämlich dem Survival-Action-RPG Enshrouded. „Wir möchten, dass Enshrouded ein Ort ist, an dem du dich mit deinen Freunden treffen und gemeinsam Abenteuer erleben kannst“, sagt Creative Director Antony Christoulakis. „Wir haben das Spiel so gestaltet, dass sich eine gemischte Gruppe von SpielerInnen gegenseitig ergänzen kann, um effektiver und unterhaltsamer im Spiel voranzukommen.“ PvP sei natürlich ein sehr aufregender Modus, räumt Christoulakis ein. Allerdings würden die Teilnehmenden hier häufiger zu toxischen Stimmungen und destruktiven Verhalten verleitet. Bei Enshrouded solle hingegen eine freundliche, kooperative Grundstimmung herrschen – die dann auch möglichst viele Leute dazu motiviert, weitere Freunde ins Spiel einzuladen. Enshrouded lasse sich aber auch solo durchspielen, betont der Entwickler.

Spezialisierung und Basenbau
Christoulakis gibt gleich mehrere Beispiele dafür, wie das Koop-Gameplay konkret aussehen wird. „In einer Gruppe können Spieler­Innen sich stärker auf verschiedene Klassen in unserem freien Skilltree spezialisieren und dadurch im Kampf gegenseitig ergänzen“, erklärt er. „Zum Beispiel kann einer als Tank Gegner im Nahkampf angreifen, während sein Mitspieler zum Beispiel Area Effects aus der Ferne als Magier abfeuert.“ Aus der Basenbau falle im Team viel leichter und mache auch deutlich mehr Spaß. Zudem können sich Enshrouded-SpielerInnen auf bestimmte Aktivitäten spezialisieren, beispielsweise Ressourcen-Sammeln, Farming, Essenszubereitung, Kämpfe oder das Erforschen der Spielwelt. TeilnehmerInnen können auch so viel (oder wenig) Zeit ins Spiel investieren, wie ihnen individuell zur Verfügung steht. „Trotzdem tragen alle gemeinsam zum Fortschritt der Gruppe bei und haben zusammen Spaß.“

 

Es muss trotzdem noch eine Herausforderung bleiben

 

Die größte Herausforderung sieht Keen Games im richtigen Balancing. „Wir möchten, dass die SpielerInnen den Fortschritt im Spiel fühlen, wenn sie gegen immer stärkere Feinde in der Welt antreten“, so Christoulakis. Wenn mehr Leute teilnehmen, soll Enshrouded etwas einfacher werden, „aber es muss trotzdem noch eine Herausforderung bleiben“. Eric Massenberg bestätigt, dass Balancing gerade in Koop-Games „ein Riesenthema“ ist. „Wenn im Spiel zwei Leute rumlaufen, dann hat man doppelt so oft bestimmte Fähigkeiten, doppelt so viel Schaden, kann aber auch doppelt so viel einsammeln“, erläutert er. „Auf der anderen Seite gibt es ganz oft Mechaniken, die im Multiplayer-Modus – also zu zweit – gut funktionieren, im Singleplayer-Modus aber gar nicht möglich sind.“ Als Beispiel nennt Massenberg eine Baumsäge, die von zwei Leuten gleichzeitig bedient wird – eine im Singleplayer-Modus „völlig unnötige Mechanik“, wie er sagt.

Lücken im Gameplay
Massenberg erinnert sich daran, wie es vor ein paar Jahren mit Koop-Games so richtig losging: „Da gab es viele Spiele, bei denen Singleplayer-Mechaniken einfach in den Koop-Modus übernommen wurden – und das hat dann überhaupt nicht funktioniert.“ Das Balancing sei in solchen aufgepropften Koop-Modi auch oft nicht gut gewesen, so der Octofox-CEO. „Man ist da total durchgerusht – oder hat bestimmte Boss-Mechaniken ausgenutzt.“ Generell sei nur schwer voraussehbar, welche Lücken SpielerInnen im Gameplay finden, sagt Massenberg: „Als Game-Designer sitzt du da und zerbrichst dir den Kopf, was die SpielerInnen alles anstellen können.“ Solche Lücken gibt es natürlich auch in Singleplayer-Games – aber in Koop-Games wird das Ganze potenziert. Um möglichst viel User-Feedback einzusammeln, war Octofox zuletzt auf etlichen Gaming-Events unterwegs – etwa bei der gamescom (Indie Arena Booth) oder auch bei der PAX West in Seattle.

Entwickler wie Eric Massenberg haben einen geschärften Blick dafür, was im Koop-Segment passiert. Welche Trends lassen sich also derzeit erkennen? „Im Allgemeinen werden Videospiele immer komplexer, länger und ausgefallener“, so der Experte. „Dabei kommen gerade Spieleneulinge meist zu kurz.“ Viele Spiele böten heute zwar auch einen zusätzlichen Koop-Modus an, ließen sich aber aufgrund ihrer Komplexität „nicht einfach mal losspielen“ – Baldur‘s Gate 3 lässt grüßen. Zugleich sei aber auch die Nachfrage nach Koop- und Multiplayer-Games für die heimische Couch weiter gestiegen, so Massenberg. Ein Trend, der nicht nur Octofox zugute kommen dürfte. (Achim Fehrenbach)

IGM 12/23
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