Die Uhr tickt. Gerade hat der Mähdrescher von "Team Grimme" noch eine letzte Reihe Korn abgeerntet und auf den Transporter geladen. Der rast jetzt – oder sollte man besser sagen: zuckelt – in Richtung Scheune. Dort wartet ein Traktor mit Gabelaufsatz: Drin sitzt der Stacker, der die Ballen nun aufs Förderband schichten muss – und zwar möglichst schnell. Denn "Team Grimme" läuft die Zeit davon: Die Konkurrenten von "Team Trelleborg" liegen nach Punkten vorne, und es sind nur noch wenige Sekunden zu spielen. "Es wird nicht reichen!" ruft der mit dramatischer Stimme. Und tatsächlich: Ein paar Ballen landen noch auf dem Förderband, doch die Zeit ist um. Und "Team Trelleborg" Weltmeister!
Da soll wirklich jeder mitmachen können
Wer hätte gedacht, dass Landwirtschaft so spannend sein kann? Uns jedenfalls fesselten die Finals der Farming Simulator League, die am 19./20. September in Erlangen stattfanden. Ja, richtig gelesen: Das Endrundenturnier der FSL war tatsächlich ein physisches Event – wenn auch unter strengsten Hygieneauflagen. Giants Software hatte die acht stärksten Teams der "Season 2" eingeladen, um den Sieg untereinander auszuspielen. Im Finale setzte sich das Team des Traktorreifenherstellers Trelleborg knapp mit 3:2 gegen das Team des Landmaschinenherstellers Grimme durch. Auf den Folgeplätzen landeten die Teams von BG und John Deere. Insgesamt wurden 100.000 Euro an Preisgeldern ausgeschüttet.
Äpfel und Birnen
Moment, nur 100.000 Euro? Aus anderen eSports-Disziplinen ist man da ganz andere Summen gewohnt: Bei den Fortnite World Cup Finals 2019 lagen 30 Millionen US-Dollar im Preistopf, der Sieger nahm 3 Millionen mit nach Hause. Die Dota-2-WM "The International" im selben Jahr hatte sogar ein Gesamtpreisgeld von 34 Millionen US-Dollar. Der FSL-Sieger "Team Trelleborg" erhielt einen Scheck von 28.000 Euro – worüber sich die vier Team-Mitglieder mächtig freuten. Um im Landwirtschaftsjargon zu bleiben: Werden hier Äpfel mit Birnen verglichen?
"Wir sind natürlich kein League of Legends", sagt Lars Malcharek. Der Community-Manager von Giants Software ist auch als eSports-Coordinator für den geschmeidigen Ablauf der FSL zuständig. Malcharek berichtet, wie die Idee für die Liga überhaupt zustande kam: "2017 haben wir ein Minigame für die Agritechnica erstellt, eine gigantische Landwirtschaftsmesse in Hannover." Das sei eine Auftragsarbeit für die Landwirtschaftszeitung Profi gewesen. "Wir haben für sie ein kleines Spiel erstellt, bei dem Leute gegeneinander antreten und Ballen stapeln konnten", erzählt Malcharek. "Das kam bei den Messebesuchern sehr gut an – und wir haben das dann wiederholt. Wir merkten, wie die Leute begannen, sich Spielstrategien zurechtzulegen." Weil es bei Giants Software viele eSports-Fans gibt, kam irgendwann die Frage auf, ob das Minigame auch zur eSports-Disziplin ausgebaut werden könnte. "Dann haben wir uns zusammengesetzt und überlegt, welche Eigenschaften ein kompetitiver Farming-Simulator haben sollte", so der Koordinator. "Wir fanden es cool, den zu haben, weil wir eben kein superschnelles Spiel sind. Wir sind kein Shooter und auch kein MOBA – wie alle diese großen eSports-Titel." Stattdessen wolle man ein "eSports for everyone" sein, betont Malcharek. "Da soll wirklich jeder mitmachen können, ob er jetzt 14 oder 54 ist. Dann haben wir angefangen, das umzubauen. And here we are!"
Verhaltene Reaktionen
Im Januar 2019 stellte Giants Software die Farming Simulator League offiziell vor. Die ersten Reaktionen schwankten zwischen Zweifel und Amüsement: "Kein Scherz", titelte beispielsweise mein-mmo.de, "Landwirtschafts-Simulator bekommt eigene eSport-Liga". Doch als sich dann auch altehrwürdige Magazine wie der Kicker mit der FSL beschäftigten ("Farming Simulator als eSport, das funktioniert"), wurden immer mehr Gaming-Fans auf die Liga aufmerksam – zusätzlich zu den LS-Fans, die den Live-Streams von den Turnieren bereits begeistert beiwohnten. Giants Software stellte eine Turnierserie auf die Beine, die unter anderem bei der Agritechnica, der gamescom, der Dreamhack Leipzig und den Intel Extreme Masters in Katowice Station machte. Außerdem holte Giants Software eine Reihe von Sponsoren an Bord, die teils ausgezeichnete "Acker-Credibility" haben. "Fast alle Sponsoren kommen aus dem Landwirtschaftsbereich", erläutert Lars Malcharek. "Unser Hauptsponsor ist Corteva, ein Saatguthersteller, was natürlich hervorragend passt. Logitech und Intel sind Firmen mit großem Gaming-Bezug, die nicht nur uns sponsern." Ein weiterer Sponsor ist die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft, "die uns cool findet, weil wir die Landwirtschaft populärer machen", so Malcharek. Komplettiert wird der Sponsoren-Roster durch den Server-Hoster Nitrado und durch noblechairs, die – der Name sagt es schon – hochwertige Gaming-Sessel herstellen. "Im Prinzip geht es bei unseren Sponsoren in zwei Richtungen: Landwirtschaft und Gaming", sagt Malcharek. "Das passt auch genau zu unserem Spiel: Wir sind beides. Unsere Community besteht aus Gamern, die mit der echten Landwirtschaft nichts am Hut haben – und aus Landwirten, die mit Gaming nichts am Hut haben. Und aus allem dazwischen." So sei das auch bei den Sponsoren, sagt er. "Wir erreichen mit dem Spiel eigentlich immer zwei verschiedene Märkte."
Bis jetzt haben rund 90 Teams an den FSL-Turnieren teilgenommen. Viele von ihnen haben Sponsoren aus dem Landwirtschaftsbereich. Neben Trelleborg, Grimme, John Deere und BG sind auch Firmen wie Claas, Horsch, Krone und Lindner mit eigenen Teams vertreten. Doch wie konsequent werben die Firmen mit ihren eSportlern? "Das ist unterschiedlich", so Malcharek. "John Deere zum Beispiel hat einen eigenen Blog zu seinem eSports-Team." Auch Corteva sei – als Hauptsponsor der Liga – diesbezüglich sehr aktiv. "Viele Hersteller sind sehr stolz auf ihre Teams", berichtet der Koordinator. "Landmaschinenhersteller gelten in Deutschland als konservativ. Das ist aber eigentlich gar nicht so – viele dieser Firmen sind mittlerweile sehr modern. Für die ist es cool, das mit ihren eSports-Teams zu zeigen. Die Firmen sind stolz darauf, bei uns spielen zu dürfen – und wir sind stolz darauf, diese Firmen in unserer Liga zu haben."
Malcharek vergleicht die FSL nicht so sehr mit etabliertem eSports, sondern mit der Formel 1: "Im traditionellen eSports sieht man immer die gleichen Teams – zum Beispiel Fnatic oder Team Liquid, die in den verschiedenen Disziplinen spielen", sagt er. "Die sind aber nicht bei uns. Bei uns sind Landmaschinenhersteller wie Claas oder John Deere – das ist ein bisschen so wie Ferrari oder Mercedes in der Formel 1. Diese Firmen geben unserer Liga einen besonderen Flair." Dank der Team-Sponsorships habe man in der Liga auch viele Möglichkeiten: "Mit den Sponsorengeldern können die Spieler reisen und zu den Turnieren kommen." Allerdings verdienen die durchweg männlichen Acker-eBauern damit noch nicht so viel, dass sie ihre eigentlichen Jobs aufgeben können. Tatsächlich sind die meisten Spieler entweder Landwirte oder haben mit der Landwirtschaft zu tun. Viele Firmen stellen auch ihre eigenen Leute auf: Team Grimme und Team Claas beispielsweise bestehen aus Mitarbeitern der Firmen. Der Landmaschinenhersteller Amazone hat auf seinem Firmengelände einen Trainingsbereich eingerichtet, damit die Leute nicht von zuhause aus trainieren müssen, quasi hinterm Misthaufen – sondern mit einer erstklassigen Internetleitung.
astragon mischt mit
Doch nicht nur Landwirtschaftsfirmen sponsern FSL-Teams: So ist zum Beispiel auch astragon mit dabei, der Publisher der Boxed Version des Landwirtschafts-Simulators. Statt der "astragon Hektar Helden" aus der Anfangszeit spielen inzwischen die "Landeier by astragon" in der Liga mit. Erst kürzlich betonte astragon-CEO Julia Pfiffer in einem 4players-Interview, welche Bedeutung das Franchise für den Publisher hat. "Einer der größten Meilensteine [...] ist für uns unbestritten die Landwirtschafts-Simulator-Reihe von Giants Software, die wir inzwischen seit 12 Jahren durch all ihre verschiedenen Entwicklungsstufen begleiten dürfen", so Pfiffer, "vom ersten Release auf PC im Jahr 2008 über das Konsolen-Debüt 2012 und die Einführung von Modding auf Konsolen 2017 bis hin zum Sponsoring eines eigenen eSport-Teams für die Farming Simulator League in der Saison 19/20." Die "Landeier" sind ein Team aus Düsseldorf, alle vier Mitglieder sind zwischen Mitte 20 und Mitte 30 Jahre alt. Mit einer Wild Card erreichten sie bei der FarmCon 2019 überraschend das Halbfinale – und wurden daraufhin von astragon kontaktiert. Team-Kapitän Jascha, selbst Landmaschinen-Mechaniker, schilderte gegenüber rp-online.de die Herausforderungen des eSportler-Lebens: "Ich habe für Turniere auch schon mehrstündige Hin- und Rückfahrten über das Wochenende auf mich genommen, bin sonntagnachts ins Bett gefallen, um dann fünf Stunden später wieder bei der Arbeit zu stehen." Dazu kommen dann noch etliche Trainingseinheiten, besonders vor den Turnieren. In der Finalrunde der FSL waren die "Landeier" zwar nicht dabei. Doch in der kommenden Saison wollen sie wieder kräftig mitmähen ... äh ... -mischen.
Bei den Turnieren treten jeweils Dreierteams gegeneinander an – wer zuerst drei Partien gewonnen hat, gewinnt. Die Aufgaben innerhalb der Teams sind korngenau verteilt: Es gibt Spezialisten fürs Mähen, Transportieren und fürs "Stacken" der Strohballen. Natürlich sei das Ganze "schon ein bisschen arcadey", sagt Lars Malcharek. So müssen die Fahrer beispielsweise auf das Timing der sich hebenden und senkenden Zugbrücken am Feldrand achten. Außerdem gibt es Drohnen, die zwischendurch Power-ups über dem Acker abwerfen. "Wir wollen das Spiel natürlich schon einigermaßen realistisch halten", sagt Malcharek. "Power-ups wie im Spiel gibt es in der echten Landwirtschaft natürlich nicht. Aber wir werden keinen Traktor, der 20 km/h fährt, im Spiel plötzlich 70 km/h fahren lassen."
Einer der größten Meilensteine
Gerade bei den Traktoren achte Giants Software schon sehr auf Realitätsnähe – allerdings nicht hundertprozentig, weil aus Balancing-Gründen hier und da ein paar PS oder km/h draufgelegt oder weggenommen werden. "Damit sind sie natürlich nicht mehr das Original", räumt Malcharek ein. Größtmögliche Realitätsnähe sei man den Herstellern aber auch schuldig, "schließlich stellen sie uns ihre Landmaschinen zur Verfügung". Echten Glamour gibt es in der Disziplin übrigens durchaus, so der eSports-Koordinator: "Wir haben unsere Star-Spieler – das sind eigentlich alles Stacker." Das sei der einzige Spielertyp, der wirklich "flashy plays" machen könne. "Einer, der mit dem Harvester und 10 km/h übers Feld juckelt, macht einen guten Job", sagt Malcharek. "Er sorgt dafür, dass das Teamplay funktioniert. Die Stacker sind aber die Stars, weil sie die Punkte machen." Bei den Turnieren der Serie waren denn auch hin und wieder wirkliche Stunts zu beobachten: Etwa, als ein Stacker den letzten Heuballen katapultartig in die Scheune beförderte. Heu five!
Das ist für uns das schönste Kompliment
Neugier wecken
Für die Live-Streams hat Giants Software in Erlangen ein 160 Quadratmeter großes Studio eingerichtet: Den Moderatoren, Castern und Teilnehmern bot es genügend Platz für ein coronakonformes Finalturnier. Unter den Viewern tummeln sich laut Giants Software viele LS-Fans – aber auch viele Leute, die einfach neugierig sind. "Einige dieser Leute sind auch dabeigeblieben, so Malcharek. "Und das ist für uns das schönste Kompliment. LS-Fans müssen wir nicht mehr davon überzeugen, dass man mit dem Landwirtschafts-Simulator wilde Sachen machen kann. Wir sind ein vollständig modbares Spiel. Aber wenn Leute das cool finden, die sich üblicherweise nicht für Simulatoren oder Landwirtschaft interessieren, haben wir etwas gewonnen. Ich hoffe, dass wir Leute auch weiterhin immer wieder überraschen können." In Sachen Merchandise ist Giants Software übrigens noch nicht sonderlich aktiv. "Wir überlassen das den Teams", sagt Malcharek. "Wir verkaufen keine John-Deere-Jerseys – das muss John Deere selbst entscheiden." Zwar hat Giants Software einen Merch-Stand, der auch bei großen Turnieren aufgebaut wird. Aber da gebe es dann vor allem Pins, T-Shirts und dergleichen – und nicht so sehr Team-Merch.
In den Online-Matches werden auch keine Landmaschinen bevorzugt platziert. "In der FSL können wir keine Rücksicht darauf nehmen, was gut aussieht oder was ein Hersteller will", betont der Community-Manager. "Wir müssen darauf achten, dass es eine Balance gibt, mit der wir es kompetitiv spielen können. Wir müssen den Fuhrpark übersichtlich halten und die Fahrzeuge auswählen, die wir brauchen." Natürlich gebe es auch beim Fuhrpark bestimmte Möglichkeiten, so Malcharek. "Wenn John Deere mitspielt, können wir natürlich auch einen John-Deere-Traktor verwenden. Bis jetzt war das aber nicht nötig – alles hat auch so ganz gut funktioniert."
Für den Handel ergeben sich aus Sicht von Malcharek durch die FSL neue Perspektiven. "Der LS ist für Landwirtschafts-Fans interessant – und auch für die Zielgruppe bis vielleicht 14 Jahren", erläutert er. "Gerade jüngere Kinder finden es unglaublich cool, einen großen Traktor zu fahren." Zwischen 14 und 24 Jahren würden die Leute dann aber Spiele wie Fortnite, PUBG, LoL oder Fifa bevorzugen: "Da sind wir – bis auf die Landwirtschafts-Fans – etwas unterrepräsentiert." ESports sei aber genau für die Zielgruppe der 14- bis 24-Jährigen interessant, so Malcharek. "Ich hoffe, dass wir sie auf diese Weise überzeugen können – denn das bringt uns SpielerInnen, die wir sonst nicht haben. Ich denke, davon kann dann auch der Handel profitieren." Wir sind gespannt, ob sich das Wachstum der FSL auch am PoS bemerkbar macht. (Achim Fehrenbach)