Tiere haben in unserer Welt einen ziemlich undankbaren Job: Schlimmstenfalls leiden sie zu Hunderttausenden im Schlachthaus, werden für wissenschaftliche Versuche zu Tode experimentiert oder gehen zugrunde, weil wir ihre Lebensräume zerstören. Bestenfalls winkt eine Karriere als dressiertes Haustier oder Youtube-Star. Und das jenseitige Dasein verbringt man dann als ausgestopftes Deko-Element über dem Kamin. Klasse.
Kein Wunder, dass wir unser Bild von Tieren – Nutz- oder Schlachtvieh auf der einen und überzüchtetes Plüsch-Äffchen auf der anderen Seite – auch auf unsere Unterhaltungsmedien übertragen. In Film und Fernsehen sind unsere Freunde (oder Opfer) auf vier Pfoten, Hufen, Tatzen & Co. noch vergleichsweise fein raus: Abgesehen von Werken mit dokumentarischem Touch oder historischem Kontext gibt es wenige Inhalte, in denen Tiere so mies behandelt werden wie im echten Leben – es sei denn, ihre Misshandlung soll polarisieren und den Hass des Zuschauers auf den Tierquäler lenken.
Vor allem bei Ubisoft landen Tiere in der Beutetasche
Tiere als Ressource
Spiele sind da oft deutlich weniger bequem: Weil das Medium Games Mechanismen aus dem echten Leben simuliert, kommt es auch nicht darum herum, die entsprechenden Verwertungsketten abzubilden – und die basieren nun mal zu einem nicht unwesentlichen Teil auf solchen Ressourcen, die aus Tieren gewonnen werden. In der Spiele-Moderne ist es es vor allem Ubisoft, die durch das Jagen, Tranchieren und Verwerten von pelzigen, geschuppten, oder gefiederten Spielwelt-Bewohnern Tierfreunde wie -schützer gleichermaßen gegen sich aufgebracht haben. Anders als sein Vorfahr Ezio Auditore war der nordamerikanische Assassine Connor ("Assassin's Creed 3") auf einmal damit beschäftigt, die Spielwelt nach Ressourcen zu durchstreifen – und nicht selten landete dabei blutige Jagdbeute im Helden-Rucksack. Auf die vorläufige Spitze trieb man das Jagdvergnügen aber mit dem dritten "Far Cry": Die open-world'sche Ego-Shooter-Odyssee kommt erst dann richtig in Schwung, wenn man dazu bereit ist, alles abzumurksen und fein säuberlich zu zerlegen, was in dem martialischen Tropen-Paradies kreucht und fleucht. Wildschweine, Raubkatzen, Komodowarane, Tapire, Büffel, Paradiesvögel, Bären, Rehe, Dingos, Hunde, Affen, Krokodile, Haifische und sogar Manta-Rochen: Sie alle landen nach einem blutigen Schauspiel im Ressourcen- und Bastel-Kreislauf des Spiels. Um in größere Tragetaschen, verbesserte Flitzebögen oder andere nützliche bis modische Accessoires verwandelt zu werden.
Verharmlosen oder bewusst schockieren?
Spätestens seit "Assassin's Creed 3" und "Far Cry 3" ist die Jagd in vielen Ubisoft-Spielen Pflichtprogramm. Ob Ausflug ins alte Griechenland bei "Assassin's Creed: Odyssey" oder Diktatoren-Jagd vor der Kulisse des postapokalyptischen Montana in "Far Cry: New Dawn": Wer nicht zu Machete, Bogen oder Schießgewehr greift, um Plüsch- und Kriech-Getier den Garaus zu machen, der kommt nicht weit. Die Gewaltdarstellung selber war anfangs noch süffisant, ist inzwischen aber eher verschämt: Beim dritten und vierten "Far Cry" wird durch Perspektive und Geräuschkulisse noch angedeutet, wie das Alter Ego des Spielers in den Eingeweiden der Beute herumwühlt, bevor er mit blutverschmierten Armen einen dicken Fleischbrocken aus dem Kadaver zerrt. Anschließend deutet eine feine, blutige Linie auf dem Bauch des toten Tieres darauf hin, dass die "Rohstoffgewinnung" bei diesem Kadaver abgeschlossen ist. Ansonsten ist das Äußere des Jagdopfers aber noch verblüffend intakt – obwohl sich im Rucksack des Helden Pelz, Knochen, Krallen und Hörner des geplünderten Lebewesens befinden, also eigentlich kaum etwas davon übrig sein dürfte.
Mittlerweile ist der Vorgang noch abstrakter geworden: Sind Bambi, Waldi, Klopfer & Co. erstmal tot umgekippt, betätigt der Spieler den Plünderungs-Button… und schon wandern die verwertbaren Teile des Wesens automatisch ins Inventar. Ohne, dass man es dem starr in der Landschaft liegenden Tierkörper irgendwie ansehen würde.
Unbequeme Bilder prägen sich am besten ein
Es geht auch ekliger
Stellt sich nur die Frage: Macht die weniger eklige Darstellung es wirklich besser? Rockstars "Red Dead Redemption 2"-Entwickler haben auf diese Frage eine sehr eindeutige Antwort: Sie zeigen den Vorgang – wenn auch stark beschleunigt – bis ins letzte, grausame Detail. Gangster-Cowboy Arthur schlitzt seine Jagdbeute auf und zieht ihr deutlich sichtbar das Partikel-Fell über die Ohren. Bei kleinen Tieren wie Hasen geschieht das – quasi im Vorbeigehen – mit einem kraftvollen, kurzen Ruck. Im Falle von Bären oder kapitalen Hirschen wiederum muss Arthur echte Schwerstarbeit leisten, bis das Opfer fertig gehäutet ist und sein nackter, hässlicher Leichnam mit Schwung über die Hinterbacken des Pferds gewuchtet wird. Bereit für den Abtransport ins Schurken-Lager.
Die Reaktionen auf diese schonungslose Darstellung fallen gemischt aus: Manch einer verteufelt sie – andere wiederum glauben, die prekären Details hätten gerade wegen ihrer realistischen Visualisierung das Zeug dazu, Gamer zum Umdenken zu bewegen und Jagd- beziehungsweise Beute-Mechanismen unattraktiv zu machen. Weil sie hier nicht auf den bloßen Nutzen reduziert werden, sondern die Entwickler außerdem das mit diesem Nutzen (nämlich fette Beute) einhergehende Tieres-Leid illustrieren. Das ist für den Betrachter zwar weniger bequem – aber unbequeme Bilder prägen sich nun mal am besten ein.
Das Pixel-Opfertier
Ganz neu ist die verspielte "Tierquälerei" allerdings nicht: Schon in seligen 8- und 16-Bit-Zeiten waren Spieler eifrig damit beschäftigt, den digitalen Plüschis ihre Pixel raus zu prügeln. Da wurden in den "AD&D"-Rollenspielen von SSI im Rahmen antiker Zufallsbegegnungen Kanalratten verdroschen, hat man beim deutschen Ego-RPG "Legend of Faerghail" Bären aufgeschlitzt, in den dunklen Kerkern von fast jedem Dungeon-Crawler Fledermäuse zerteilt oder in Action-geladenen Jump'n'Runs ungewöhnlich aggressives Federtier gerupft. Dabei haben die meisten Pixel-Tiere nicht mal die Rolle eines Ressourcen-Lieferanten übernommen – sie waren einfach nur Gegner. Da war es fast schon eine Wohltat, wenn die Tiere mal zurückschlagen durften: Wie z.B. in vielen "Zelda"-Abenteuern, bei denen durch Protagonist Link misshandelte Hühner zum Gegenangriff übergehen und als gackernder, pickender Schwarm über den spitzohrigen Tierquäler herfallen. Aua, aber gerecht!
Eine Wohltat, wenn die Tiere mal zurückschlagen durften
Alice
Doch nach all den Jahren der Schinderei und Quälerei scheint sie endlich etwas in Bewegung zu kommen – die verspielte Tier-Rolle. So hat der für seine cineastischen Inszenierungen bekannte US-Entwickler Naughty Dog in seinem Endzeit-Abenteuer "The last of Us: Part 2" einen Schäferhund zum emotionalen Dreh- und Angelpunkt der Geschichte gemacht: Das Schicksal von Hündin Alice markiert den Wendepunkt im Wechselspiel zwischen den beiden menschlichen (Anti-)Heldinnen Ellie und Abby. Weil (Achtung, Spoiler!) die bereits aus Teil 1 bekannte Ellie den gewaltsamen Tod von Ziehvater Joel rächen will, jagt sie Mörderin Abby und ihre Crew in das von paramilitärischen Gruppen umkämpfte, postapokalyptische Seattle. Als sie das mutmaßliche Versteck von Abby endlich findet, massakriert sie zuerst einen Kampfhund, bevor sie sich zwei Gefährten ihres längst geflüchteten Opfers widmet… Das an sich wäre kaum bemerkenswert – denn im Verlauf ihres kaltblütigen Rachefeldzugs streckt die von blindem Hass erfüllte Ellie unzählige Feinde nieder – darunter auch ganze Hunderudel. Doch als Ellie im Lager ihrer Feinde Hundespielzeug und ein Körbchen mit der Aufschrift "Alice" findet, wird dem Gamer schnell klar: An diesem Hund war etwas anders.
Und das zu Recht: Einige Stunden später dreht "The Last of Us: Part 2" nämlich die Uhr zurück und wechselt kurzerhand die Erzählperspektive – ab sofort erlebt man die Geschehnisse aus dem Blickwinkel von Joels vermeintlich skrupelloser Killerin Abby. Mit von der Partie: Schäferhündin Alice – ein treues und vielgeliebtes Gruppen-Mitglied, das Abby mehr als einmal den Hals rettet. Ab diesem Punkt werden zwei Emotionen für den Spieler beherrschend: Erstens ein schlechtes Gewissen, weil er ja schon weiß, wie dieses knuffige Tier in einigen Stunden sterben wird – nämlich durch seine Hand. Und zweitens Angst. Angst vor dem Augenblick, in dem er die tote, aus etlichen Stichwunden blutende Alice findet.
Tierischer Empathie-Trick
Durch diesen erzählerischen Kniff schaffen die Entwickler etwas, das man mit Abbys Geschichte alleine nie geschafft hätte: Ellie wird in der Wahrnehmung des Spielers vom vermeintlichen Opfer zur Täterin. Einer Tötungsmaschine, die man für den Mord an Alice – der in diesem Fall auch stellvertretend für alle menschlichen Leben steht, die Ellie nimmt – ebenso zu hassen lernt wie Abby für den Mord an Joel. Und hätte dieses Kunststück funktioniert, wenn Naughty Dog anstelle des Hundes Alice einen Menschen als emotionalen "Trigger" eingesetzt hätte? Wohl kaum, denn durch das massenhafte Niedermähen von humanoiden Gegnern in Games aller Art ist der Spieler der menschlichen Opfer-Silhouette gegenüber abgestumpft. Müssen wir dagegen ein Pixel- bzw. Polygon-Tier auslöschen, hat das meist einen faden Beigeschmack: Unser im digitalen Tötungskreislauf gefangener Geist hält – anders als beim Niederballern eines menschlichen Feindes – kurz inne und stellt sich die alles entscheidende Frage. "Musste das jetzt wirklich sein?" Nein, natürlich nicht – wir hätten ja jederzeit den Controller zur Seite legen und uns dazu entscheiden können, aufzuhören. Tun wir aber nicht, weil wir natürlich wissen, dass wir hier kein echtes Leben nehmen. Aber das Schicksal des arglosen und für seine Handlungen nicht verantwortlichen Tieres hat unsere Empathie auf eine Weise geweckt, wie es menschliche Figuren kaum vermögen – es sei denn, wir kennen sie sehr gut. Wie Joel – denn der war im ersten "The Last Of Us" für dutzende Stunden unser spielerisches Alter Ego. Durch den Alice-Kunstgriff löst Naughty Dog aber ähnliche Emotionen bei uns aus – und das innerhalb kürzester Zeit.
Nobu
Ein ganz ähnlicher Empathie-Kniff gelingt Naughty Dogs Kollegen von Sucker Punch: In seinem PS4-abschließenden Open-World-Abenteuer "Ghost of Tsushima" stellt das US-Studio dem schleichenden, meuchelnden und Schwert-schwingenden Samurai-Ninja Jin Sakai ein treues Ross zur Seite – oder vielmehr unter den polygonalen Podex. Eigentlich normal, denn Reittiere gibt es im Reich der Rollen- und Adventure-Spiele jede Menge. Ob Agro aus "Shadow of the Colossus", Links Epona oder der folgsame Plötze von "Witcher" Geralt von Riva – kaum ein Fantasy-Held muss seine Umgebung heute noch auf Schusters Rappen erkunden. Und natürlich muss auch Arthur Morgan nicht zu Fuß durch die Pampa – immerhin ist "Red Dead Redemption 2" die Wild-West-Antwort auf "GTA". "Grand Theft Horse" sozusagen.
Doch eine erzählerisch relevante Rolle nehmen die braven Huftiere dabei selten ein: Sie werden zwar gefüttert, gestriegelt, verschönert und bekommen manchmal auch einen gut gemeinten Klaps – aber damit hat sich ihre Rolle dann auch schon erschöpft. Im Grunde gilt das auch für Nobu – einer von mehreren vorgegebenen Namen, die wir unserem Ross verpassen dürfen. Ja, auch das Samurai-Reittier wird gut behandelt und gelobt – hin und wieder dürfen wir Schwertkämpfer und Kampf-Klepper sogar dabei beobachten, wie sie nach einem erholsamen Nickerchen zusammen aufwachen – liebevoll aneinander gekuschelt. Wie süß.
Zum Schluss ein Held
Aber dann die Wende: Kurz bevor "Ghost of Tsushima" in den verschneiten Nord-Regionen der japanischen Insel zum Schluss-Akkord des Open-World-Dramas ansetzt, muss Jin auf dem Rücken seines Pferdes aus der Gefangenschaft flüchten, während ihm mongolische Pfeile um die Ohren pfeifen. Und dann passiert in einer Sequenz etwas, was während des Spiels selber unmöglich gewesen wäre: Der in den zahllosen Schlachten gegen die Mongolen unverwundbare bzw. mit rascher Wiederauferstehungs-Gabe gesegnete Nobu fällt im Pfeilhagel. Jin kniet wehklagend neben dem treuen Gefährten, der ihn über mehrere Ingame-Monate (oder dutzende Stunden) kreuz und quer durch Tsushima geschleppt hat – über verregnete Gebirgspässe oder üppige Blumenwiesen, durch dampfende Moore, dichte Bambuswälder und vom Krieg gezeichnete, rauchschwelende Ortschaften.
Die nächste Szene zeigt das Grab des treuen Gefährten, der den Helden mit letzter Kraft in Sicherheit getragen hat. Resultat dieses einschneidenden Erlebnisses: Wir trauern um unseren Reisebegleiter – umso mehr, nachdem man uns an seiner Stelle einen alten, abgehalfterten Klepper zuteilt. Auf einmal nehmen wir etwas wahr, was wir vorher als selbstverständlich erachtet haben – und vermissen es schmerzlich. Plötzlich ist das Pferd mehr als ein bloßes Transportmittel.
Musste das jetzt wirklich sein?
Einen ganz ähnlichen Trick wenden die Rockstar-Designer hinter "Red Dead Redemption 2" an: Kurz bevor Arthur Morgan (Achtung, Spoiler!) selber umkommt, stirbt sein Pferd im Kugelhagel. Wer vor dem Abgang des geliebten Freundes das Reittier tauscht, um den Tod des Lieblings-Pferdes zu umgehen, schaut trotzdem in die Röhre: Denn nach Arthurs Tod gehen zwar alle Habseligkeiten des Helden in den Besitz von Quasi-Nachfolger John Marston über – aber die Pferde des toten Helden bleiben für immer verloren.
Tierische Menschen
Natürlich gibt es tierische Helden in Spielen nicht erst seit heute: Ob in Gestalt von Rares randalierendem Eichhörnchen "Conker", Shigeru Miyamotos plüschigem "Star Fox" oder SEGA-Delphin "Ecco" – tierische Gaming-Ikonen sind überall. Nur: Im Grunde sind diese Helden – ob eindeutig anthropomorph oder noch immer als Tier erkennbar – in Wahrheit verkleidete Menschen und ihre Erlebnisse spielbare Fabeln. Gleichnisse, in denen die tierischen Züge helfen sollen, den Figuren charakterlichen Attributen zuzuordnen. Oder weil es einfach interessanter aussieht.
In den wenigen Spielen dagegen, in denen vom Gamer kontrollierte Tiere auch wirklich Tiere sein dürfen (wie in "Tokyo Jungle" für die PS3) werden sie als bloße Fress- und Fortpflanzungs-Maschinen dargestellt. Wenig schmeichelhaft – und vor allem deshalb bedenklich, weil gerade die spielerische Darstellung von Tieren zeigt, wie wir über sie denken. Aber Alice, Nobu & Co. machen uns zumindest ein wenig Hoffnung. Hoffnung darauf, dass wir unsere Denkmuster ändern und uns auch im Digitalen dafür einsetzen können, diese Lebewesen mit dem ihnen gebührenden Respekt zu behandeln. Bis dahin gilt: Der Kunde entscheidet, was konsumiert und geliefert wird – genauso wie beim Lebensmittel-Einkauf. (Robert Bannert)