Das Salz in der Suppe? Indies auf Next-Gen

Die nächste Konsolengeneration steht in den Startlöchern – und mit ihr auch jede Menge Blockbuster. Titel wie NBA 2K21, Spider-Man: Miles Morales und Assassin's Creed: Valhalla zeigen, was technisch mit den neuen Konsolen möglich ist. Darüber hinaus erscheinen aber auf PS5 und Xbox Series X auch jede Menge Indie-Games, die von Sony und Microsoft teils mit speziellen Programmen gefördert werden. Doch was können Indies zum Next-Gen-Ökosystem beitragen? Und was erhoffen sich die Studios vom Launch auf den neuen Konsolen?. Darüber hat IGM mit Branchenvertretern gesprochen.
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Der Auftakt war doch recht ungewöhnlich. Bei der Opening Night Live der diesjährigen gamescom zeigte Geoff Keighley gleich im Anfangsdrittel einen Live-Action-Trailer, der sich wohltuend von der Gelacktheit mancher AAA-Werbefilmchen abhob. In dem Trailer flüchtet ein schmutzstarrender Nerd (Uke Bosse) auf ein verlassenes Fabrikgelände, findet einen Stromgenerator und macht es sich in einer düsteren Halle vor seinem Laptop bequem – bis er von einer Horde Zombies überrascht wird. Längst nicht alle Opening-Night-Live-GuckerInnen konnten mit dem gewollt trashigen Zombie-Filmchen zu Bridge Constructor: The Walking Dead etwas anfangen: Viele hatten für den Live-Stream wohl eine Aneinanderreihung bombastischer AAA-Trailer erwartet, verschiedentlich kam auch der Vorwurf auf, die gamescom habe einfach zu wenig spektakuläre Reveals zu bieten (vgl. IGM 12/2020). Und dennoch: So stark wie bei dieser neuen Konsolengeneration wurden Indie-Titel noch nie ins Rampenlicht gerückt. Wie wichtig sind sie für Next-Gen wirklich?

Aus Sicht vieler Indie-Publisher ist Next-Gen jedenfalls eine riesige Chance. "Bridge Con­structor: The Walking Dead ist ein absoluter Kerntitel unseres Line-ups und auch finanziell für uns eine große Nummer", sagt Dieter Schoeller, Gründer und CEO von Headup in Düren/NRW. "Glücklicherweise fiel die geplante Fertigstellung in den Zeitraum der Next-Gen-Launches, und natürlich haben wir alles in Bewegung gesetzt, um zumindest auf einem der beiden Systeme so schnell wie möglich verfügbar zu sein", berichtet Schoeller. "Wir hoffen, dass wir auf der zweiten Plattform schnellstmöglich nachziehen werden."

Große Vorbilder
Bridge Constructor: The Walking Dead (Release für Xbox Series X, Switch, PS4 und Xbox One am 19.11.2020 / PS5-Fassung folgt später) ist eines von drei Games, die Headup u.a. auf Next-Gen bringt. Ein weiterer Titel ist der futuristische 3D-Runner Aerial_Knight's Never Yield, auf den Schoeller besonders stolz ist. "Es handelt sich um eine Schöpfung eines hochtalentierten, farbigen Indie-Entwicklers aus Detroit, und so gerne ich unsere Branche auch habe: An der Diversifikation müssen wir alle noch arbeiten, denn zu viele Spiele werden immer noch primär von alten weißen Männern gemacht", sagt er. "Durch die Veröffentlichung auf den Next-Gen-Systemen können wir für dieses Spiel und seine Geschichte auch presseseitig einen höheren Output generieren." Der dritte Next-Gen-Titel der kommenden Monaten ist White Shadows vom Kölner Team Monokel. Der Platformer erinnert an die äußerst populären Playdead-Spiele Limbo und Inside – entsprechend hoch liegt die Messlatte für den neuen Titel. Für Schoeller ist White Shadows "optisch eine Granate, daher werden wir hier auch die Performance der neuen Generation brauchen, um wirklich alle visuellen Register zu ziehen". Der Trailer jedenfalls legt nahe, dass der Headup-CEO nicht zu viel verspricht.

Auch finanziell für uns eine große Nummer

Die Headup-Games sind auf Next-Gen in illustrer Gesellschaft. Sony und Microsoft buhlen zunehmend um die Gunst von Indie-Entwicklern, um ihre Plattformen noch attraktiver zu machen. Beim Xbox Showcase im Juli stellte Microsoft 15 Independent-Games vor, die dem hauseigenen Förderprogramm ID@Xbox entstammen. Darunter sind Titel, deren Themen, Artwork und Gameplay sich teils erfrischend vom Mainstream-Einerlei abheben – zum Beispiel der Zeitschleifen-Thriller 12 Minutes (Luis Antonio / Annapurna), das Hoverbike-Abenteuer Sable (Shedwords / Raw Fury) oder auch das Rätselspiel Tunic (Finji / Andrew Shouldice), das man aus der Perspektive eines Fuchses erlebt. Sony will dem nicht nachstehen: Anfang Juli präsentierte der First-Party-Publisher seine neue Initiative PlayStation Indies – und stellte dabei auch gleich neun Spiele vor, die in den nächsten Monaten für PS4 und PS5 auf den Markt kommen werden. Zu den Highlights der Präsentation zählten unter anderem das handgezeichnete Rätselspiel Creaks (Amanita Design), das Weltraumabenteuer Heavenly Bodies (2pt Interactive) und das Hackerspiel Recompile (Phigames). Shuhei Yoshida, Präsident der SCE Worldwide Studios, schreibt dazu im PlayStation-Blog: "Mit PlayStation Indies hoffen wir, die besten Indie-Spiele für die PlayStation sowie die gesamte Indie-Community stärker in den Fokus zu rücken und besser unterstützen zu können." Und weiter: ""Unser Ziel ist es, PlayStation zur besten Konsole zu machen, um tolle Indie-Spiele zu entwickeln, zu entdecken und zu spielen." Mit anderen Worten: Das Indie-Duell mit Microsoft ist in vollem Gange.

Definitionsversuche
Bevor wir aber auf Chancen und Herausforderungen der Indie-Initiativen eingehen, stellt sich natürlich die grundlegende Frage: Was ist heutzutage überhaupt "indie"? Der Begriff wird ja höchst unterschiedlich verwendet – und damit letztendlich auch verwässert. "Der Begriff ‚Indie' war noch nie besonders genau definiert – und mit dem Wachstum von Indie ist die Definition noch schwieriger geworden", sagt Rami Ismail, einer der bekanntesten Köpfe der Branche und Mitgründer des niederländischen Studios Vlambeer. "Heutzutage steht der Begriff meiner Meinung nach für eine gewisse Geisteshaltung. Für den Willen, schöpferisch tätig zu sein – und für die Bereitschaft bzw. Fähigkeit, dafür Risiken einzugehen." Ismail sieht Indie als Gegengewicht zu Mainstream-Blockbustern, "als Antwort auf wahrgenommene Versäumnisse oder ausgelassene Gelegenheiten von AAA". So könnten große Studios von Indie-Firmen lernen, was interessant und neu sei und weiterverfolgt werden könne. "Es handelt sich also um eine Symbiose", betont Ismail. "Um einen Schaffenskreislauf, von dem beide Seiten profitieren."

André Bernhardt ist ebenfalls der Meinung, dass sich "Indie" nur schwer definieren lässt. "Es gibt keine wissenschaftlich gültige Definition – und auch die oft gewählten Kriterien wie Größe, Finanzierung und ästhetischer Anspruch hinken häufig", sagt Bernhardt, der als "Indie Advisor" Spielefirmen und Publisher berät. Bernhardt gibt Beispiele für die Schwierigkeit einer Definition: "Ist ein Team mit elf Mitglieder schon zu groß, weil die Grenze bei zehn MitarbeiterInnen liegt? Darf man Publisher-Zahlungen annehmen oder muss alles alleine finanzieren? Ich stütze mich inzwischen auf ein Schaubild, dass ich von Jason Della Rocca adaptiert habe. Kurz zusammengefasst: Indie-Teams müssen kreative und rechtliche Freiheiten haben, zu tun, was sie tun wollen – und zudem über eine kreative Vision sowie unternehmerische Denke verfügen." Ob das jeweilige Team dann fünf, zehn oder 20 Mitarbeiter hat, hält Bernhardt für weniger wichtig – "und natürlich darf und sollte man finanzielle Mittel Dritter einwerben". Ob man ein 50- oder 100-Personen-Studio noch als "Indie" bezeichnen möchte, sei letztlich eine Geschmacksfrage. Headup-Chef Dieter Schoeller betont bei seinem Definitionsversuch die kreative Unabhängigkeit. "‚Indie' bedeutet für mich primär, dass die Spieleentwickler möglichst losgelöst von äußeren finanziellen Einflüssen ihrem Stern folgen, also – unabhängig vom allgemeinen Zeitgeschmack – meist neue, eigenwillige künstlerische Wege beschreiten können", so Schoeller. "Je nach vertraglicher Verabredung – selbst wenn ein externer Partner ein Investment mitbringt –, kann das noch eine unabhängige Visionsumsetzung sein, sollten sich die Parteien darauf vorab klar verständigt haben."

Auf den bisherigen Konsolen­generationen brauchte man einige Tricks

Große Unübersichtlichkeit
Halten wir also fest: Indie-Games bringen kreative Unabhängigkeit ins Spiel – selbst dann, wenn sie von externen Geldgebern mitfinanziert werden. Doch warum sollten sich Indie-Studios überhaupt auf Next-Gen konzentrieren? Schließlich werden die Hochleistungskonsolen in der Außenwahrnehmung von millionenschweren AAA-Titeln dominiert. "Nach wie vor gibt es ein großes Discoverability-Problem", beschreibt André Bernhardt eine grundlegende Indie-Problematik. "Bei der Vielzahl an Titeln, die jeden Tag auf allen Plattformen veröffentlicht werden, besteht die große Gefahr, im Rauschen unterzugehen." Hier kann Next-Gen aus Sicht von Bernhardt weiterhelfen, "wenn mein Spiel perfekt zur Plattform passt und ich einen direkten Draht zur First Party aufgebaut habe, so dass ich mit einem Feature rechnen kann". Titel einfach in die Stores stellen könne heutzutage jeder – genau deswegen sei die passende Plattform so wichtig. Das setze nicht nur passende Inhalte voraus, sondern auch die Bereitschaft, dem Plattformbetreiber Exklusivität einzuräumen – wenn auch vielleicht nur für einen bestimmten Zeitraum. "Natürlich ist das auch ein zweischneidiges Schwert, aber das ist nun mal die Frage der eigenen Strategie", so Bernhardt. "Eine Strategie zur Veröffentlichung sollte jedes Studio aber entwickeln, um Reichweite und dadurch Verkäufe zu erzielen." Rami Ismail sieht Konsolen als interessante Option, "weil sie in gewisser Weise stärker abgeschirmt sind. Man benötigt ein bestimmtes Maß an Industrieerfahrung, um Zugang zu erhalten. In dieser Hinsicht bieten Konsolen für seriöse Entwickler einen Ort für kommerzielle Projekte, der weniger überlaufen ist als der PC." Allerdings sei heutzutage jede Plattform überlaufen, so Ismail. "Es sind keine magischen Kugeln übrig."

Indie-Entwickler Tomas Sala setzt mit seinem neuen Spiel auf Next-Gen. "The Falconeer ist ein actionreiches Luftkampf-RPG, das über der Großen Ursee spielt. Mehrere Gruppierungen ringen um die Vorherrschaft – und man lernt viel über ihre Eigenschaften, während man die riesige, offene Welt erkundet", berichtet er. The Falconeer ist am 10. November für PC, Xbox Series X und Xbox Series S erschienen. Veröffentlicht wurde das Spiel vom preisgekrönten Publisher Wired Productions (Deliver Us to the Moon, Last Inua etc.). Eine Besonderheit an The Falconeer ist, dass Tomas Sala das Spiel weitgehend in Eigenregie entwickelt hat – also ohne die personellen Ressourcen, die selbst Indie-Studios meist zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund hat Sala eine besondere Sicht auf die Produktion von AAA-Titeln: "Spiele werden dort wie Filme designt. Man ist ein Regisseur, der eine Schlacht dirigiert. Der ganze Prozess ist sehr stark gestrafft, sehr stark systematisiert und effektiv – mit einer gemeinsamem Vision." Man müsse also 300 Leuten eine sehr genaue Beschreibung dessen liefern, was sie tun sollen. "Das ist sehr schematisch und auf kommerzielle Interessen ausgerichtet. Verdient man mit dem Spiel kein Geld, dann verlieren Leute ihren Job. Indie-Games sind auf all das nicht angewiesen." Mit klugem Vorgehen könne man die finanziellen Verpflichtungen in Grenzen halten, betont Sala: "Man kann experimentieren – und die Entscheidungen, die man trifft, basieren auf künstlerischen Überlegungen. Ganz ähnlich wie bei Filmen, bei denen jeder zeitgenössische Regisseur etwas erschafft, was seiner Vision entspricht. Ich glaube, in Games hat das lange gefehlt, aber Indies bringen das zurück. Ich bin da nur eines von mehreren Beispielen."

Chancen durch Rechen-Power
Ein weiterer Aspekt ist, dass auch Indie-Games von der Next-Gen-Technologie profitieren können. Zwar nutzen Indie-Entwickler im Wesentlichen die gleichen Tools wie AAA-Studios, zum Beispiel Unity oder Unreal. Der Unterschied liegt laut Sala jedoch in der Produktion. "Ein Einzelner kann nicht dasselbe leisten wie 300 Arbeitskräfte", sagt er. "Art, Animation etc. sind auf einem anderen Level." Hier könne nun die Rechen-Power von Next-Gen helfen, so der Entwickler. "Auf den bisherigen Konsolengenerationen brauchte man einige Tricks, damit Art und Spielphysik funktionierten – und das Gameplay dennoch rund lief. Vieles davon war Blendwerk. Man musste viel tun, damit diese Games überhaupt auf der Xbox oder der Play­Station liefen." Die neue Konsolengeneration sei so nah am PC dran, dass man die Technik nicht komplett ausreizen müsse – stattdessen habe man einen dicken Leistungspuffer. "Als Indie-Entwickler hat man kein 40-köpfiges Team, das die Optimierung übernimmt. Aber selbst wenn man das nicht hat, besitzt man auf der aktuellen Konsolengeneration absolute Gestaltungsfreiheit. Für Indies wird diese Konsolengeneration großartig."

Beide Next-Gen-Konsolen sind sehr leistungsfähig. Welche von beiden Plattformen Indie-Entwickler bevorzugen, hängt deshalb auch von anderen Faktoren ab – zum Beispiel davon, wie gut ihre Indie-Programme sind. Welches Ökosystem ist also das bessere von beiden? "Ich denke, heutzutage sind sich alle großen Plattformen der Bedeutung der Indies für Ihr Ökosystem bewusst und schenken sich da wenig", sagt André Bernhardt. "Deshalb würde ich da persönlich keine Einschätzung abgeben wollen." Für Bernhardt ist der "Blackbox-Charakter" der Plattformen noch ein großes Problem: "Ohne transparente Verkaufszahlen fällt es schwer, als EntwicklerIn die richtige Plattform zu wählen. Hoffen wir, dass die Zukunft mehr Transparenz bieten wird und das Problem auch den First Parties bewusst ist." Rami Ismail legt sich derweil stärker auf eine bestimmte Plattform fest. "Momentan habe ich das Gefühl, dass dieser Titel – anders als in den Vorjahren – Xbox mit seinem Programm ID@Xbox gebührt", so der Vlambeer-Mitgründer. "Es ist transparent, personell gut besetzt, aktiv und bietet viel Promotion." PlayStation habe den schier uneinholbaren Vorsprung, den es bis etwa zur Mitte der PS4-Generation bei Indies hatte, inzwischen wieder verloren. "Ich regis­triere aber, dass ihnen das bewusst ist – und dass sie an einer Korrektur arbeiten", so Ismail.

Abwägungssache
Dieter Schoeller gibt sich bei der Frage nach der Plattform-Präferenz diplomatisch. "Da wir mit beiden Firmen sehr eng zusammenarbeiten, sage ich natürlich: Beide sind gleichauf", so der Headup-Chef. Schoeller bescheinigt Micro­soft, beim Thema "Indie" eine längere Tradition zu haben. Spannend findet er aber, dass die First Parties bei ihrer Indie-Strategie unterschiedliche Ansätze verfolgen: "Microsoft öffnet die Pforten in alle Richtungen und bringt mit dem umfassenden Game-Pass-Angebot und der sofortigen Verfügbarkeit aktueller Top-Themen hier frischen Wind in den Markt. Sony konzentriert sich erneut auf die hohe Qualität der Exklusivtitel." Tomas Sala möchte sich verständlicherweise nur zu Microsoft äußern – und ist da voll des Lobes: "Das Programm ID@Xbox ist fantastisch, denn es ermöglicht Zugang zu Hardware und Support. Das ist eine sehr offene und zugängliche Organisation, die Indie-Games liebt." Sala schätzt besonders, dass sich Microsoft hier langfristig und intensiv engagiert. "Man braucht keine Leute, die große Geldsäcke abliefern und dann wieder verschwinden", so der Entwickler. "Man braucht eine Wertschöpfungskette, die komplett auf Indie-Games ausgerichtet ist – und das ist hier der Fall."

Man braucht keine Leute, die große Geldsäcke abliefern

Indie-Games funktionieren aus Salas Sicht vor allem als Premium-Games. "Für Indie-Entwickler ist es unglaublich schwierig, ein Free-to-play-Game zu produzieren – inklusive Datenanalyse, der Einbindung von Werbung und all dem. Das ist so gut wie unmöglich." Premium-Games jedoch seien auf den Konsolen quicklebendig. "SpielerInnen wollen Einzelspielergeschichten – und keine Paywalls oder Free-to-play-Mechaniken – deshalb sind Konsolen für Indies der wichtigste Vertriebskanal geworden", betont Sala. "Steam ist ein riesiger Marktplatz. Will man erfolgreich sein, dann hat man zwar auf Konsolen eine höhere Einstiegshürde – aber dafür hat man dann auch ein tragfähiges Premium-Verkaufsmodell." Auch aus Sicht von Dieter Schoeller lohnt sich ein Indie-Engagement auf Konsolen. Dort würden zwar auch weiterhin AAA-Titel dominieren, so der Headup-CEO. "Aber gerade im Indie-Bereich können sich die Plattformbetreiber mit relativ kleinem finanziellem Einsatz echte Abgrenzungsmerkmale sichern, denn hier gibt es doch oftmals echte Überraschungserfolge." Indie-Titel hätten eine geringere "Flughöhe" und einen kleineren Overhead, so Schoeller. Deshalb sei es "wesentlich leichter, bei einem kostendeckenden, guten Angebot flexibel auf die Plattformbetreiber einzugehen".

Wenig Regalfläche
Indies und Next-Gen: Das scheint grundsätzlich zusammenzupassen. Aber kann davon auch der physische Handel profitieren – oder bekommen die Online-Stores den weitaus größten Teil des Kuchens? André Bernhardt sieht in der begrenzten Regalfläche ein grundsätzliches Problem für Nischentitel: "Der klassische Kunde ist im Handel primär an Blockbuster-Titeln interessiert, das heißt: Neben einem Fifa, Assassin's Creed und Co. haben es kleinere Produktion schwer, überhaupt wahrgenommen zu werden." Auch hinke der Handel bei Preisaktionen bzw.Sales deutlich hinterher. "Die Preisdynamik, die digitale Stores wie Steam und Co. offerieren, kann der Handel nicht im gleichen Ausmaß bieten, das gibt die Etikettier-Maschine nicht her", sagt Bernhardt. "Deshalb sehe ich für Indies im klassichen Retail-Store tatsächlich recht wenig Potenzial für die Zukunft." Ähnlich skeptisch ist Headup-Chef Dieter Schoeller: "Erst wenn ein Indie-Spiel digital zu einem Topseller wird, lohnt sich die Erwägung einer physischen Box. Dann ist es jedoch fast schon ‚old news'", sagt er. Gerade die Flächenmärkte hätten in der Vergangenheit viel zu wenig Risikobereitschaft gezeigt, unbekannte Titel ins Rampenlicht zu rücken. "Das hat der Indie-Markt verstanden und sich seine eigenen Vertriebskanäle eta­bliert, insbesondere digital." Wenn physisch produziert werde, dann meist nur in geringer Auflage für Direct-to-consumer-Mailorder. Hier sei der Markt auch gut gesetzt und existiere parallel zu den bekannten Outlets, berichtet Schoeller. Als Marktführer nennt er die Firma Limited Run Games. "Aber auch wir haben mit unserer Schwesterfirma Gamefaiy sehr gute Erfahrungen in diesem Bereich gemacht. ‚Cut out the Middleman' heißt die Devise. So pflegt man direkte Kundenbindung bei guter Vertriebsmarge – für den Special-Interest-Bereich halte ich dies für den einzig gangbaren Weg."

Falconeer-Entwickler Sala sieht am Konsolenübergang jede Menge Herausforderungen – natürlich auch für den Handel. "Jetzt kommt auch noch Covid-19 dazu", sagt er. "Ich rechne damit, dass zum Start dieser Konsolengeneration viel über Online-Retailer verkauft werden wird." Gleichwohl können auch der physische Handel hier profitieren – und werde, allen Unkenrufen zum Trotz – keineswegs verschwinden. "Für Indies kann das interessant sein", betont Sala. "Wenn es gelingt, Investoren an Land zu ziehen."

Rami Ismail ist überzeugt, dass es immer ein  Interesse an physischen Editionen bzw. Collector's Editions geben wird. Auch er verweist dabei allerdings auf den Online-Versender Limited Run. Vielleicht könnte hier aber auch der stationäre Handel mehr unternehmen. "Experimente im Retail-Handel haben neue Zielgruppen erfolgreich mit Indie-Games in Verbindung gebracht", sagt Ismail. "Deshalb bin ich persönlich sehr davon überzeugt, dass physische Games hier funktionieren." Schon bald werden wir sehen, wie Indie-Titel auf Next-Gen reüssieren. (Achim Fehrenbach)

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