Gießkannenprinzip: Die Bundesförderung für Games

50 Millionen Euro pro Jahr hat der Bund für seine Computerspielförderung reserviert – und das über einen Zeitraum von fünf Jahren. Aber was hat die Förderung nach nunmehr rund zweieinhalb Jahren gebracht? Wie funktioniert sie mittlerweile? Und vor allem: Was lässt sich noch verbessern?
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© ikonstudio/stock.adobe.com
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Es war eine der letzten Amtshandlungen von Verkehrsminister Andreas Scheuer. „Der Plan geht auf“, verkündete der CSU-Politiker an seinem vorletzten Arbeitstag, dem 7. Dezember 2021 – und meinte damit die Games-Förderung des Bundes. Mit der nämlich sei es gelungen, „eine internationale AAA-Ko-Produktion nach Deutschland zu holen – ein wichtiges Ziel unserer Games-Strategie“, so Scheuer. Mit stolzgeschwellter Brust verkündete der Minister, als erstes deutsches Entwicklerstudio werde Nukklear (Hannover) die Produktion eines AAA-Titels unterstützen – und zwar die Adaption des Sci-Fi-Klassikers Dune durch den norwegischen Publisher Funcom. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMVI) unterstütze das „Project Seabass“ mit 1,6 Millionen Euro Fördergeld – also der Hälfte dessen, was die Nukklear-Kooperation kosten soll. „Ich kann nur alle ermutigen, die Chance zu nutzen und ihren Förderantrag zu stellen“, jubilierte der Minister. „Einen neuen Aufruf haben wir gerade gestartet.“

Rund einen Monat später ist Andreas „Autobahnmaut“ Scheuer als Minister Geschichte – und nicht nur das: Mit der Regierung wechselte auch die Zuständigkeit für die Bundesförderung vom BMVI hin zum BMWi, dem „Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz“ von Vizekanzler Robert Habeck. Was das jetzt konkret für die Priorisierung der Bundesförderung zu bedeuten hat, lässt sich momentan noch kaum absehen – es ist irgendwie verständlich, dass sich Habeck zunächst um andere Themen kümmern muss, etwa die Klimapolitik und andere „Kleinigkeiten“. Gleichwohl ist der Regierungswechsel ein guter Anlass, um sich die bisherige Games-Förderung etwas genauer anzuschauen. Denn was wird da eigentlich gefördert – und wie?

Anfängliche Deckelung
Blicken wir zunächst auf die harten Fakten: In der 2019 gestarteten Pilotphase förderte der Bund rund 230 Projekte mit einem Gesamtvolumen von (nicht rückzahlungspflichtigen) 27 Millionen Euro. Dabei handelte es sich um kleinere Vorhaben, die höchstens mit 200.000 Euro bezuschusst werden konnten. Der Grund für die Deckelung war, dass die EU noch kein grünes Licht für die eigentliche Bundesförderung gegeben hatte (Stichwort: mögliche Wettbewerbsverzerrung). Stattdessen musste der Bund die Projekte „de-minimis“ fördern, was lateinisch ist und sich als „Dinge von geringer Bedeutung“ übersetzen lässt – eine pauschale Bagatellhilfe also, die nicht EU-genehmigungspflichtig ist. Laut BMVI wurden 99 Prozent der Projekte in der Pilotphase von kleinen und mittleren Unternehmen beantragt – davon sogar 87 Prozent von Kleinstunternehmen mit weniger als zehn MitarbeiterInnen. Die zweite Stufe der Bundesförderung wurde  am 28. August 2020 gezündet: Dank einer neuen Richtlinie waren von da ab auch größere Förderbeträge möglich. Die jüngste offizielle Förderstatistik stammt von jenem 7. Dezember 2021, als Gerade-noch-Minister Scheuer sein Fazit zog. Zu diesem Zeitpunkt waren – in Phase 2 – rund 170 Projektanträge eingegangen, von denen bereits rund 100 bewilligt worden waren – mit geplanten Entwicklungskosten zwischen 40.000 und 10 Millionen Euro.

Also: Was wird da eigentlich genau gefördert? Die Datenbank der bezuschussten Projekte ist (noch) auf der Website des BMVI abrufbar. Beim oberflächlichen Scannen fallen einige interessante Projektnamen ins Auge: Zum Beispiel „Codename Pflaumenmus“ (Fördersumme: ca. 1 Mio. Euro), „Der Nasse Fisch“ (175.000 Euro), „Wattwanderung“ (186.948 Euro) oder auch „Codename Eisenfaust“ (196.987 Euro). Man ahnt es schon: Zumindest bei einem Teil der genannten Projekte handelt es sich um Arbeitstitel. „Codename Eisenfaust“ beispielsweise ist ein Projekt, das die THQ-Nordic-Tochter HandyGames aus Giebelstadt/Unterfranken zur Förderung eingereicht hat. Die Projektbeschreibung lautet wie folgt: „Mit ‚Codename Eisenfaust‘ streben wir an, einen PC-Prototypen für ein cinematisches und hochwertiges Next-Gen-Action-Adventure zu kreieren. Der Spieler schlüpft dabei in die Rolle eines von der Obrigkeit exilierten Elite-Soldaten und muss sich in abwechslungsreichen Nahkämpfen mit einer Fülle von Kampffähigkeiten gegen verschiedenste Gegnertypen beweisen.“ Und weiter: „Durch eine filmreife Präsentation der Geschichte soll der Kampf und die Rebellion gegen die Obrigkeit in einem dystopischen Sci-Fi-Universum auf packende Art und Weise erzählt werden.“ Das Projekt läuft von Dezember 2021 bis Ende Februar 2023 – ist also Teil der dritten Förderstufe.

Ambitionierte Titel
„Codename Eisenfaust“ ist eines von mehreren Projekten, das HandyGames öffentlich fördern lässt. „Wir haben mehrere Projekte auf Länder-, Bundes- und EU-Ebene eingereicht und auch schon bewilligt bekommen“, berichtet HandyGames-CEO Christopher Kassulke. „Darüber hinaus arbeiten wir mit Entwicklern zusammen, die einen Partner für die Finanzierung benötigt haben.“ Aus Sicht von Kassulke ist die Bundesförderung eine feine Sache: Sie gebe „uns und vielen anderen aus der Branche die Chance, ambitionierte Titel zu entwickeln und zu publishen“. Kassulke bezeichnet die Bundesförderung gar als „Superboost für die deutsche Games-Industrie“. Andere Länder hätten Games bereits früher gefördert, nun herrsche endlich Chancengleichheit. Als „überlebenswichtig“ sieht Kassulke die Förderung zwar nicht, aber: „Sie hilft, noch größere und wichtigere Projekte zu stemmen – und eine größere Wertschöpfung in Deutschland zu lassen.“
 

Superboost für die deutsche Games-Industrie
 

Auch Maurice Hagelstein lobt die Bundesförderung: „Sie hat uns erlaubt, unser Team in der Größe zu verdoppeln – und endlich eigene Marken wie XEL und Bomb Bots Arena zu entwickeln.“ Hagelstein leitet das Hamburger Indie-Studio Tiny Roar – und hat mit Anträgen zur Bundesförderung bereits jede Menge Erfahrung gesammelt. Tiny Roar zählt zu den ersten Firmen, die überhaupt eine solche Förderung erhielten – dementsprechend erlebte Hagelstein das Procedere von Beginn an mit. „Anfangs war das BMVI schlichtweg noch nicht auf die Art und Menge der Vorhaben vorbereitet“, berichtet er. „Und wir Entwickler waren nicht geschult genug darin, solche Anträge richtig umzusetzen, um Frustration auf beiden Seiten klein zuhalten.“ Nach wie vor werde bei den Anträgen zu viel auf bestimmte Formulierungen geachtet, sagt Hagelstein. Auch würden bestimmte Regeln nicht ganz der Realität der Spielentwicklung entsprechen: „Man baut dann drumherum, was nie förderlich ist – pun not intended.“ Insgesamt habe sich die Förderung aber durchweg positiv verändert, betont Hagelstein: „Am Ende geht es hier um Steuergelder – und da ist es mir als Steuerzahler auch wichtig, dass man genau hinguckt, wofür das Geld ausgegeben wird.“ Tiny Roar habe im Lauf der Zeit viel dazugelernt, freut sich Hagelstein: „Wir haben uns – laut unseren Sachbearbeitern – mit jedem Antrag verbessert. Unser letzter Förderantrag lief quasi wie geschmiert durch.“ Der Tiny-Roar-CEO empfiehlt potenziellen Antragstellern, die Entwurfsberatung des Ministeriums zu nutzen: „Sie erlaubt es den Sachbearbeitern, unbürokratisch und schnell Feedback zu geben.“

Möglichkeiten genutzt
Tiny Roar hat die Möglichkeiten der Bundesförderung konsequent ausgeschöpft: „Wir haben mit XEL ein Spiel zuerst als Prototyp und dann als Vollproduktion fördern lassen“, erläutert Hagelstein. „Das war insofern sinnvoll, als es genau das abbildet, was in Deutschland fast nur dank der Förderung so möglich ist und eigentlich so richtig ist: Erst einen spielbaren Prototypen mit wenig Risiko entwickeln – und dann bei Erfolg das Projekt hochskalieren.“ Die Fördergelder nutzt Tiny Roar für Gehaltszahlungen. „Zu einem, weil das nun mal die teuersten Posten sind, wenn man nicht selber Marketing macht. Zum anderen, weil es leider der unkomplizierteste Posten ist, der am wenigsten Diskussionsbedarf mit dem BMVI triggert.“ Die Prüfung der Anträge findet ja übrigens nicht im Ministerium selbst statt, sondern beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das hier als Projektträger fungiert.

Bei Erfolg das Projekt hochskalieren
 

André Bernhardt ist der „Indie Advisor“: Er berät kleine und mittelgroße Spielestudios, wenn sie einen Publisher oder Investor suchen. Das Förder-Procedere sieht Bernhardt grundsätzlich positiv: „Der ganze Prozess ist so gedacht, dass er möglichst niedrigschwellig funktioniert. Es gibt keine Jury, die darüber entscheidet, ob dein Spielkonzept gut oder schlecht ist, da dies sowieso nur sehr schwer vorherzusagen ist. Es wird in der Regel gefördert, was formal korrekt eingereicht wurde – und das ist auch gut so.“ Gleichwohl sei die lange Vorlaufzeit bei der Antragsprüfung nach wie vor ein Problem, so der Experte: „Derzeit muss man mit mindestens drei Monaten vom Erstgespräch bis zur Ausschüttung rechnen. Zu Beginn, als die Förderung noch als De-minimis-Förderung lief, waren die Vorläufe noch deutlich länger.“ Bernhardt hat durchaus Verständnis dafür, dass das DLR die Anträge sehr genau unter die Lupe nimmt: „Man muss Glücksritter fernhalten, die nur Fördergelder abgreifen wollen. Dafür gibt es ja auch Regeln – zum Beispiel, dass man vorher schon mindestens ein Spiel veröffentlicht haben muss. So ist das ja auch bei Creative Europe.“ Zwar gebe es auch eine Ausnahmeregelung, nach der die Förderung für ein Debütprojekt beantragt werden kann. „Man durchläuft dann aber einen nicht transparenten Prüfprozess“, so Bernhardt. Der Antragsteller wird dann also besonders genau unter die Lupe genommen.

Wenig flexibel
Ein Grundproblem der Bundesförderung sieht Bernhardt darin, dass Antragsteller extrem detaillierte Angaben machen müssen. „Wir sprechen in der Games-Entwicklung immer von agilen Methoden, von Prototyping und von Feedback-Schleifen“, so der „Indie-Advisor“. „Am Ende willst du ein Spiel haben, das Spaß macht. Aber man kann nicht in MS Project planen, dass das Spiel nach drei Monaten Spaß macht. Wenn du Glück hast, dann hat man nach einem Monat ein Game-Design, das total schlüssig ist und beim Testen auch Spaß macht. Wenn du Pech hast, musst du das Projekt nach neun Monaten komplett einstampfen, weil du merkst, dass es nichts mehr wird.“ Mit anderen Worten: Bei der Bundesförderung werden klassische Projektmanagement-Methoden an etwas angesetzt, dass nicht zwangsläufig nach solchen Methoden geplant werden kann.
 

Am Ende willst du ein Spiel haben, das Spaß macht

Trotz der latenten Bürokratie sieht Bernhardt für die deutsche Games-Branche einen mittelfristig sehr positiven Fördereffekt: „Wenn wir mit dem Gießkannenprinzip genügend Leuten die Möglichkeit geben, wiederholt Spiele zu entwickeln, dann wird dabei etwas herauskommen. Die Leute werden Erfahrung anhäufen. Und je länger sie dranbleiben, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie in meinen Augen damit Erfolg haben.“ Ähnlich sieht es auch Christopher Kassulke: „Ich bin froh, dass es überhaupt endlich eine Förderung gibt. Ob das ein oder andere Modell besser ist, wird sich zeigen.“ Spieleentwickler müssten nun beweisen, dass die Förderung auch wirke – und das Geld sinnvoll investieren, um den Produktionsstandort Deutschland zu stärken. „Wir tragen als Publisher und auch als Entwickler unseren Teil dazu bei“, sagt Kassulke. „Auf viele erfolgreiche Projekte ‚Made in Germany‘!“

Trockene Tätigkeit
Maurice Hagelstein freut sich über den Effekt der Bundesförderung. „Games werden in Deutschland nicht mehr nur wegen der schnellen Kohle entwickelt, sondern um nachhaltige Studios mit tollen Produkten aufzubauen“, sagt er. „Teams können endlich diverser und experimenteller aufgestellt werden.“ Anderen Indie-Studios rät er, für die Förderung genügend Zeit einzuplanen – und auch viel Geduld zu haben: „Studioleitung bedeutet nicht, dass man bestimmt, was im Spiel als nächstes gebaut wird – sondern dass man sich um die Führung des Geschäfts zu kümmern hat. Und das ist trockener als die ersten drei Spielstunden Crusader Kings II.“

Fazit: Die Bundesförderung mag noch recht bürokratisch sein, zeitigt aber einen durchaus positiven Effekt. Ob sie mit Fördermodellen anderer Länder mithalten kann – Stichwort: Steuernachlässe –, das wird sich wohl bald herausstellen. (Achim Fehrenbach)

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