Gerade erst ist die Technik-Show CES in Las Vegas zu Ende gegangen. Sie fand zwischen dem 5. und 7. Januar statt – und war damit einen Tag kürzer als ursprünglich geplant. Man habe diese Sicherheitsmaßnahme „zusätzlich zum bestehenden CES-Gesundheitsprotokoll“ getroffen, betonte die Consumer Technology Association (CTA). Und listete in ihrer Pressemitteilung die Sicherheitsregeln auf: Maskenpflicht auf dem Messegelände, Impfnachweis von allen BesucherInnen, nach Möglichkeit tägliche Tests, für die der Veranstalter sogar Gratis-Testkits zur Verfügung stellte.
Mit der verkürzten Messedauer reagiert die CTA auf explodierende Corona-Infektionszahlen. Bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe (5.1.) vermeldeten die USA gerade rund 500.000 Infektionen pro Tag – kombiniert aus Omikron- und Delta-Fällen. Im Vorfeld der CES hatten bereits etliche Aussteller ihre physische Teilnahme teilweise kurzfristig abgesagt – darunter so bekannte Namen wie Amazon, AMD, AT&T, Google, Intel, Lenovo, Meta, Microsoft und Nvidia. Auch viele Fachmedien (The Verge, CNET, Engadget, TechCrunch, c‘t) berichteten in diesem Jahr nicht aus Las Vegas. Gleichwohl waren laut Veranstalter mehr als 2200 Aussteller vor Ort, darunter viele kleinere Tech-Firmen, aber auch Dickschiffe wie Sony, HTC und Razer. Die insgesamt geringeren Aussteller- und Besucherzahlen ermöglichten mehr Social Distancing, betonte CTA-Chef Gary Shapiro – ohne darauf einzugehen, dass eine kürzere Messedauer das Gedränge vielleicht doch wieder erhöht. Das Magazin gamerant.com mutmaßte, man wolle mit „nur“ drei Messetagen die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass sich BesucherInnen erst auf der CES anstecken und das Virus dann gleich vor Ort weitergeben. (Bekanntlich ist die Inkubationszeit bei Omikron kürzer als bei Delta.) Gary Shapiro indes betonte in einem Gastbeitrag für das Las Vegas Review-Journal, man müsse vor allem an die kleineren Ausssteller denken. „Es ist nicht die Zeit, der CES 2022 den Stecker zu ziehen“, so der CTA-Chef. „Die CES wird und muss weitergehen.“ Und nicht, wie 2021, komplett online stattfinden.
Reduzieren, canceln – oder anders machen?
Herausforderungen und Chancen
Das Dilemma der Consumer Electronics Show ist nun wahrlich nichts Neues, erst recht nicht für die Games-Branche: Seit Beginn der Pandemie standen Event-Organisatoren in aller Welt immer wieder vor der Frage: „Reduzieren, canceln – oder anders machen?“ 2021 entschied sich das Gros der Veranstalter für reine Online-Fassungen ihrer ursprünglich physischen Events – dass lässt sich auch ganz gut quantifizieren, wenn man die Event-Liste des vergangenen Jahres durchforstet (gamesindustry.biz/network/events?year=2021). Immer mehr Organisatoren nutzten aber auch die Zeit, um neue, hybride Veranstaltungsformate zu entwickeln. Im ersten Teil unserer IGM-Serie geht es um die Herausforderungen und Chancen, die solche neuen Konzepte bieten – und auch darum, ob und wie sie schon umgesetzt wurden.
Als weltgrößtes Consumer-Event der Branche steht die gamescom natürlich im Rampenlicht. Die Strategie der Messe, die in vorpandemischen Zeiten hunderttausende Spielefans nach Köln lockte, wird in der Pandemie besonders kritisch beäugt: Zum einen, weil die gamescom immense Bedeutung für Aussteller und BesucherInnen hat – und zum anderen, weil viele in der Branche erwarten, dass sie im Umgang mit der Pandemie ein Vorbild sein sollte. Nur: Wird die gamescom dieser Erwartungshaltung auch gerecht? 2020 fiel die physische Messe bekanntlich aus, weil Großveranstaltungen zu diesem Zeitpunkt verboten waren; die digitale Version stieß beim Publikum auf mäßige Begeisterung. Für 2021 war ein Hybrid-Event geplant, das die Koelnmesse aber im Mai absagte – und durch ein Digital-only-Event ersetzte. Im Rückblick stellt sich natürlich die Frage, was das Orga-Team gegenüber der Vorversion verbessert hat – und ob generell die richtigen Schlüsse aus der labilen Pandemie-Situation gezogen wurden.
Neue, viel leistungsfähigere Infrastruktur
Lassen wir zunächst Christian Baur zu Wort kommen: Er ist Head of gamescom & events beim Branchenverband game, der das Event gemeinsam mit der Koelnmesse organisiert. Für 2021 habe man den digitalen Content-Hub „gamescom now“ komplett neu entwickelt, so Baur: „Auf die neue, viel leistungsfähigere Infrastruktur können wir auch in den kommenden Jahren gut aufbauen.“ Stolz ist Baur auch auf das Format „gamescom Epix“, das es bereits seit 2020 gibt: Spielefans, die sich dort registrierten, wurden auf eine Reihe von Quests geschickt, bei denen sie unter anderem In-game-Items gewinnen konnten – die gamescom kooperierte hierfür mit etlichen Firmen. Für die gamescom 2021 habe man zudem viele Bereiche vereinfacht, so Baur – als Beispiele nennt er die Angebote für Partnerfirmen und die Kooperation mit Influencern. „Die größte Herausforderung bestand dabei vor allem darin, ein digitales Event zu schaffen, das den unterschiedlichen Zielgruppen und Partnern gerecht wird, also den Cosplayern genauso wie den Indie-Fans als auch den einzelnen Communitys großer AAA-Titel“, erläutert der Head of gamescom. „Das ist uns – nicht zuletzt aufgrund unserer Kooperationen wie mit dem Indie Arena Booth Online oder auch Steam – gut gelungen.“
Kein vollwertiger Ersatz
Wie ausgefeilt ein Online-Messeauftritt auch sein mag: Eine physische Messe kann er jedenfalls nicht vollständig ersetzen. Baur räumt denn auch ein, dass sich das „klassische Festival-Gefühl einer gamescom online nicht abbilden lässt. „Dennoch war es uns und unseren Partnern sehr wichtig, dass die gamescom auch in beiden Pandemiejahren stattfindet, denn weltweit haben sich Millionen Fans auf sie gefreut.“ Besonders wichtig sei gewesen, die gamescom zu den Fans zu bringen: „Das haben wir erreicht, indem wir überall dort präsent waren, wo sich die Community aufhält – also auf den unterschiedlichen sozialen Netzwerken, bei Twitch und YouTube, aber auch auf der Xbox oder bei Steam.“ Anders formuliert: Die Messe-Orga setzte 2021 weniger darauf, die Online-Massen zum zentralen Content-Hub zu locken – sondern bespaßte die Fans überall dort, wo sie ohnehin schon aktiv waren. Doch was passiert eigentlich mit den Ausstellern, die besonders stark auf physische Präsenz angewiesen sind? Kann ein Hardware-Hersteller, der präpandemisch einen Messestand hatte, die fehlende Haptik irgendwie ausgleichen? „Physische Erlebnisse lassen sich online kaum abbilden“, sagt Christian Baur. „Eindrücke, wie sich der neue Controller anfühlt oder wie das neue Gaming-Headset klingt, lassen sich nicht digital übertragen.“ Dennoch könne es für einen Hardware-Hersteller sinnvoll sein, an einer rein digitalen gamescom teilzunehmen. So nämlich könne er „Aufmerksamkeit für seine neuen Produkte schaffen, etwa, indem sie von vertrauten Gesichtern aus dem Creator-Bereich ausprobiert werden – oder indem man die Kernfunktionen der eigenen Hardware in den Mittelpunkt stellt, etwa mittels Unboxing-Videos.“ Auf diese Weise, sagt Baur, würden auch Hardware-Ankündigungen sehr gut von der Community wahrgenommen.
Hier sind nun einige Punkte zur Sprache gekommen, die sich durchaus kritisch hinterfragen lassen. Zum Beispiel, ob die Marke gamescom in den vielen Kommunikationskanälen nicht zersplittert. Oder, mindestens ebenso wichtig, ob ein rein digitales Consumer-Event dieser Größenordnung überhaupt Sinn macht. Bevor wir hier weitere Stimmen einholen, interessiert uns natürlich, was die Messe-Orga für 2022 plant – speziell vor dem Hintergrund einer weiterhin kaum absehbaren Pandemie-Entwicklung. „Es wird höchste Zeit, dass die gamescom wieder vor Ort in Köln stattfindet“, sagt Christian Baur. Man hoffe, 2022 wieder in den Kölner Messehallen feiern zu können. „Dennoch ist auch klar, dass sich im Vergleich zu 2019 einiges weiterentwickelt hat. Das Erlebnis vor Ort werden wir mit digitalen Lösungen ergänzen, etwa beim Warteschlangen-Management.“ Auch die Entwicklung zu einer noch internationaleren gamescom wolle man vorantreiben, so Bauer, „und alle Gamerinnen und Gamer einladen, die gamescom zu besuchen – entweder vor Ort in Köln oder online auf einer der vielen Digital-Plattformen“.
Richtungsentscheidung
Das alles klingt zunächst ganz gut – nämlich nach Weiterentwicklung, Expansion und Öffnung für neue Zielgruppen. Doch stimmt überhaupt die Hauptrichtung, in die der Veranstalter mit seiner Marke „gamescom“ steuert? Das wollten wir von Christian Denk wissen, der in Frankfurt am Main die Agentur DenKee betreibt. Denk ist einer der erfahrensten Orga-Experten der hiesigen Games-Branche: Von 2006 bis 2014 war er Event-Manager DACH bei SCED, anschließend für vier Jahre Senior Brand Activation Manager GSA bei SIED; derzeit berät er unter anderem die Senior eSports AG aus Schweiz (vgl. IGM 06/2021). Die vorpandemische gamescom ist Denk aus den zahlreichen PlayStation-Auftritten bestens vertraut – was sagt er also zur aktuellen Entwicklung? „Hier muss man sicher vorab klären, was die gamescom vor der Pandemie ausgemacht hat“, so der Experte. „Für mich war und ist die gamescom im Kern schon immer ein Format gewesen, das sich primär darüber definiert, Neuheiten der Gaming-Branche erstmals offline zugänglich – und vor allem ‚anfassbar‘ – zu machen.“ Grundsätzlich sei es in Köln immer darum gegangen, so viele Spielefans und Spielefirmen wie möglich zusammenzubringen, um Neuerscheinungen eine große Bühne zu bieten. Außerdem sei die gamescom das inoffizielle Branchentreffen mit internationaler Dimension, das man – sagt Denk augenzwinkernd – keinesfalls verpassen dürfe. Zugleich betont Denk, dass sich die Einzigartigkeit einer gamescom nicht aus einem der genannten Aspekte alleine ableiten lässt: „Vielmehr ist die Mischung entscheidend.“
Ein starkes Signal an die Gamer-Welt und die Publisher
Die Pandemie habe all das von heute auf morgen über den Haufen geworfen, so Denk. Was er aber hinterfragt, ist die Reaktion der gamescom-Verantwortlichen. „Die Antwort war ein reines Online-Format. Ein sehr anspruchsvoller Move für eine Veranstaltung, die sich nie als Absender von Online-Inhalten definiert hat – und dafür auch nie gelernte und etablierte Kanäle und Formate hatte.“ Natürlich sei die gamescom schon immer auch online und hybrid gewesen, räumt der Orga-Experte ein. „Aber dafür haben die Aussteller und nicht die gamescom selbst gesorgt.“ Was die Messe-Verantwortlichen 2020/2021 mit gamescom online auf die Beine stellten, nennt Denk „in den Einzelbestandteilen partiell gut“. So hätten beispielsweise die Opening Night Live oder das Gamevasion-Format (Instinct3, Freaks 4U Gaming, Rocket Beans) durchaus Zugkraft entwickelt. „Aber“, so fragt Denk, „hat es die gamescom geschafft, die unterschiedlichen Stränge der Online-Bemühungen unter dem Dach ‚gamescom‘ zusammenzuführen – und nimmt man die gamescom als Absender und Kurator wahr? Wurde der Kern der vorpandemischen gamescom in den Augen der Online-Besucher sinnvoll transferiert?“
Markenentwicklung
Seine Einschätzung liefert Denk gleich hinterher: „Für die Marke und auch das Standing der gamescom generell wäre es sinnvoller und glaubwürdiger gewesen, wenn man sich klarer zur bestehenden Identität bekannt hätte.“ Eine stärkere Auseinandersetzung mit der Zielgruppe wäre deshalb notwendig gewesen, so Denk. Aus seiner Sicht bietet die Pandemie große Chancen, die „Marke gamescom“ weiterzuentwickeln: „Hier gehört für mich auch der Mut dazu, die gamescom in der aktuelle Situation ein- oder vielleicht auch mehrmals bewusst abzusagen. Als Statement – und um den Markenkern zu erhalten und zu stärken.“ Die gewonnene Zeit hätte man stattdessen nutzen können, um das Format und das Business-Modell für die Post-Pandemie zu schärfen. „Hier gibt es eine Menge sinniger Ansätze. Und die Herausforderung steht ja nach wie vor an – trotz temporärer Flucht in die Online-Only-Welt.“ Mit dieser Strategie wäre man jetzt schon einen Schritt weiter, glaubt Denk. „Und es wäre auch ein starkes Signal an die Gamer-Welt und die Publisher. Dass man zwar weiß, dass man sich verändern muss – dies aber sehr ernst nimmt und an einer dauerhaften Ausrichtung arbeitet.“
Der Online-Part des Events muss rentabel sein
Doch wie kann sie denn nun aussehen, eine solche Strategie? Als größte Herausforderung – und Chance – sieht Denk die On- und Offline-Skalierung. „Entscheidend ist dabei, wie man mögliche On- und Offline-Komponenten schon in der generellen Planung ausgewogen in das Konzept des Events mit einfließen lässt – und vor allem, wie man sie miteinander verbindet.“ Das funktioniere keineswegs nach dem Motto: „Was wir offline machen, können wir auch online machen.“ Aber eben auch nicht nach dem landläufigen Hybrid-Verständnis, wonach man die Offline-Inhalte online spiegle – und dadurch die Reichweite des Events zu pushen versuche. „Beides hilft nicht für die Backup-Planung, also den Plan B, weil man im Zweifel – je nach veränderten äußeren Rahmenbedingungen – völlig entfremdete Varianten des ursprünglich geplanten Events durchführen muss“, warnt Denk. „Vielmehr ist es essenziell wichtig, dass man die Regler zwischen On- und Offline Komponenten so verschieben kann, dass die Veranstaltung weder ihren Charakter noch ihren ursprünglichen Kern verliert.“ Der Charme einer physischen Messe dürfe online nicht gänzlich verlorengehen.
Auch das Business- bzw. Erlösmodell stelle Veranstalter bei Online-Veranstaltungen vor große Herausforderungen, betont Denk. „Der Online-Part des Events muss rentabel sein, wenn man als Veranstalter überleben will. Das wird umso wichtiger, wenn man – aufgrund von äußeren Umständen – den erwähnten Regler mehr in Richtung Online schieben muss. Wenn man das beachtet und gewährleistet, dann ist man gut aufgestellt.“ (Achim Fehrenbach)
In Teil 2 (IGM 02/2022) unsers Event-Specials gehen wir vom Big Picture ins Detail – und beleuchten, wie die Gratwanderung zwischen online, offline und hybrid gelingen kann: Bei der gamescom, aber auch bei anderen Gaming-Events.