Auf der Plattform Reddit wird über jedes nur mögliche Thema diskutiert – vom besten Kaugummigeschmack über die (Nicht)existenz von Aliens bis hin zur Frage, ob Reddit-Debatten überhaupt sinnvoll sind. Es verwundert also keineswegs, dass in den Foren auch eifrig über Crafting in Games diskutiert wird. Die Thread-Überschriften sind dabei teilweise konstruktiv formuliert („Wie baut man ein gutes Crafting-System?“), teilweise aber auch genüsslich zugespitzt („Ich habe Crafting so satt“). Reddit-User Flameshadow0, der eben diese Diskussion eröffnete, zieht dann auch ordentlich vom Leder. „Mir hängt dieser Grind so zum Halse raus“, schreibt er. „Ich hasse es, durch die Welt zu laufen und dabei meistens die Standorte der Materialien googeln zu müssen, nur um all diesen blöden Mist aufzusammeln – und dann festzustellen, dass ich da und dort zwei Sachen nicht gesammelt habe und deshalb jetzt nicht die Dinge craften kann, die ich haben will.“ Genau so sei es mittlerweile in jedem Spiel, beklagt Flameshadow0. „Das regt mich tierisch auf.“ Die Schuld daran trage im Übrigen Minecraft. Aha!
Man mag solche Reddit-Beiträge reichlich übertrieben finden. Doch die Debatte über Sinn und Zweck von Crafting-Elementen hat in letzter Zeit erkennbar an Fahrt aufgenommen. Medien wie Kotaku, Screenrant, PC Gamer und Hardcore Gamer kritisieren in launigen Meinungsstücken vor allem einen Trend: Dass nämlich immer mehr AAA-Games mit unnötigem Crafting überladen würden. „Hört auf damit, Crafting in Games zu stecken, die das nicht wirklich brauchen“, fordert Imogen Mellor auf pcgamer.com. Mittlerweile fühle sich Crafting wie etwas an, das standardmäßig mit reingepackt werde – und nicht wie eine Mechanik, die das Spiel tatsächlich auch verbessere. Als aktuelles Negativbeispiel nennt Mellor ausgerechnet das vielfach prämierte Action-RPG Elden Ring: „Es ist ein fantastisches Spiel. [...] Doch Crafting hat nicht wesentlich zu seinem Erfolg beigetragen.“ Die früheren FromSoftware-Games hätten eigentlich ganz gut als Schatzsuchen funktioniert, so die Journalistin. Fundstücke wie Bärentatzen oder Meteorstäbe habe man unmittelbar im Spiel nutzen können: „Das ist so viel dankbarer und spaßiger, als [in Elden Ring, Anm.d.Red.] ein Bündel Pfeile zu craften.“ Autsch.
Spielzeit-Schinder
Mellor nennt mit The Witcher 3 zwar auch ein Positivbeispiel aus dem AAA-Bereich: Dessen Crafting-System sei tief und motivierend – und erlaube SpielerInnen, es weitgehend zu ignorieren. Allerdings bekommen in dem Rant auch Far Cry und Assassin‘s Creed ganz ordentlich ihr Fett weg. Schließlich appelliert Mellor an Spielefirmen, Crafting nicht einfach als selbstverständlich abzuhaken: „Es sollte einen Zweck und eine Existenzberechtigung haben, die nicht nur darin besteht, Spielzeit zu schinden.“
Kein echter Mehrwert
Sind Game-Designer also auf dem Crafting-muss-dabeisein-Holzweg? Ist es letztendlich ein Trend, der bei Spielefans zu Langeweile und Übersättigung führt? Viktor Eippert jedenfalls empfindet Crafting-Systeme bei vielen Großproduktionen als aufgesetzt, gar als „Beschäftigungstherapie“. Besonders stark ist das dem Projektmanager Redaktion von PC Games zuletzt in AC Origins und AC Odyssey aufgefallen: „Durch den Wechsel vom Action-Adventure zum Action-Rollenspiel, den Ubisoft mit der Reihe seit Origins vollzogen hat, wird man in den Spielen nur so mit Loot zugeworfen. Entsprechend häufig zerlegt man die Beute in Einzelteile, die dann für Verbesserungen im Crafting genutzt werden.“ Das sei mechanisch unbefriedigend und biete letztendlich keinen echten Mehrwert, sagt Eippert. Besonders gelungen findet er hingegen Crafting-Systeme, die spürbare Auswirkungen auf das Spielerlebnis haben: Sei es, weil sie – wie Survival-Spiele der Sorte Subnautica oder Don’t Starve – die Immersion fördern. „Oder weil sie deutlich zum Fortschrittsgefühl beitragen wie bei Atelier.“
Schlüssel zu Spielwelten
Subnautica hat es Eippert besonders angetan. „Passend zum Setting – man ist alleine auf einem Wasserplaneten gestrandet und muss ums Überleben kämpfen – spielt das Crafting eine sehr wichtige Rolle“, so der Journalist. „Denn nur durch die Herstellung stetig komplexerer Materialien, Werkzeuge und letztendlich auch von Fahrzeugen und einer eigenen Basis kann man in Subnautica überleben.“ Das Spiel etabliere hier einen geradezu genialen Kreislauf, erläutert Eippert: „Durch die Herstellung besserer Tools dringt man in neue Gebiete vor, findet neue Rohstoffe, kann wieder bessere Dinge craften und so weiter.“ Das Crafting schüre hier geschickt den Entdeckerdrang.
Nun ist Subnautica natürlich kein AAA-Titel, der ein möglichst breites Zielpublikum bedienen muss. Allerdings ist das Spiel enorm erfolgreich und knackte bereits 2020 die 5-Millionen-Exemplare-Marke – und auch der Nachfolger Subnautica: Below Zero (2021) verkauft sich blendend. Es macht also durchaus Sinn, das Crafting eines „Triple-I“-Spiels wie Subnautica mit dem von AAA-Titeln wie AC oder Far Cry zu vergleichen – vor allem deshalb, weil Subnautica das Crafting als „Türöffner“ für neue Bereiche seiner Open World nutzt. (Und Ubisoft da bekanntlich etwas anders vorgeht.) Ganz generell können sich AAA-Titel etwas von erfolgreichen Nischentiteln abschauen – besonders im Hinblick auf motivierende Crafting-Systeme. Eippert nennt als weiteres Beispiel die Rollenspielreihe Atelier von Entwickler Gust und Hersteller Koei Tecmo. „Als Alchimistin oder Alchimist stellt man sich in diesen Japan-Rollenspielen stets die Ausrüstung zum Erkunden der Dungeons per Alchemie-Synthese selbst her“, so Eippert. „Anstatt wie in vielen Rollenspielen die besten Waffen und Rüstungen per Zufalls-Drop zu erhalten, craftet man sich die Top-Ausrüstung in Atelier kurzerhand selbst – und zwar mit den Stärken, die man für den eigenen Spielstil bevorzugt.“ Die passenden Materialien vorausgesetzt, könne man in Atelier sogar mit Rüstungen den Offensivwert erhöhen – und mit Waffen die Verteidigung verbessern. „Das hat mir zuletzt auch wieder in Atelier Ryza: Ever Darkness & the Secret Hideout viel Spaß gemacht.“
ESO vs. WoW
Martin Deppe ist freier Games-Journalist – und hat für GameStar unter anderem die ESO- und WoW-Sonderhefte redaktionell betreut. Beide Titel sind bekanntlich Online-Rollenspiele, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben – und die Crafting eigentlich optimiert haben sollten. „In The Elder Scrolls Online wurde Crafting von Anfang an sehr gut gehandhabt“, bestätigt Deppe. „Man kann nicht nur Vorteile craften – also zum Beispiel bessere Waffen –, sondern diese auch noch optisch anpassen. Man craftet also zum Beispiel eine tolle Elbenrüstung, die besondere Werte mitbringt, aber auch nach Elb aussieht.“ Zudem erhalte man Boni, wenn man viel crafte und bestimmte Stoffe kombiniere. „Allein dieses Crafting-System ist schon eine Welt für sich“, lobt Deppe. Man crafte in ESO Dinge, die auch wirklich Sinn ergeben – was aber keineswegs selbstverständlich sei: „Bei vielen Games hinkt das, was man craftet, weit hinter dem her, was man looten kann – was man also in Raids oder einfachen Instanzen holt.“ Auch bei WoW sei Crafting lange nur Mittel zum Selbstzweck gewesen, so der Experte: „Jeder hat vor sich hin gecraftet, richtig spannend war das nicht.“
Ein ganz fluffiges System
Mit der kürzlich veröffentlichten Dragonflight-Erweiterung habe WoW das Crafting aber deutlich aufwerten können, freut sich Deppe. Zum einen könne man nun Ausrüstung skillen, zum anderen sei nun auch möglich, bestimmte Aufträge per öffentlicher Ausschreibung zu vergeben – nach dem Motto: Wer macht mir das beste Angebot? „Das ist ein ganz fluffiges System, weil man nicht mehr allein vor sich hinwurstelt, sondern MitspielerInnen mit einbezieht“, so Deppe. WoW biete nun beim Crafting auch ein richtiges Ranking-System, bei dem man beispielsweise zum „besten Schwerterschmied“ des Servers aufsteigen könne. Was WoW von Beginn an gut gemacht habe, sei das Craften von kosmetischen Items, Begleitmaschinen und lustigen Ausrüstungsgegenständen – etwa den unberechenbaren Düsenschuhen. „Housing hat WoW allerdings immer noch nicht“, bemängelt Deppe. Das wiederum mache ESO sehr gut.
Marketing-Entscheidung
Auch Deppe ist der Meinung, dass Crafting klug implementiert sein sollte. „Bei manchen Spielen habe ich den Eindruck, dass Crafting vom Marketing-Gesichtspunkt her noch mit rein musste“, so der GameStar-Autor. „Das wirkt dann aufgesetzt. Man sammelt irgendwelches Zeug, das dann aber vor allem Mittel zum Selbstzweck ist. Man findet irgendwelche Rezepte, aber das Ganze ist irgendwie nicht so richtig schlüssig.“ Auch Deppe nennt AC und Far Cry als Negativbeispiele: In diesen Games sei Crafting nur eine von vielen Beschäftigungen, die Usern um die Ohren gehauen würden. „Das sind Spiele, die dich ständig anschreien: ‚Mach dies, mach das, geh hierhin, geh dorthin!‘“, kritisiert er. Ganz wichtig findet der Journalist, dass Crafting-Systeme Überraschungen bieten. „Das können ja schon kleine Dinge sein – zum Beispiel, dass man aus einem Erzklumpen nicht immer einen Erzbarren bekommt, sondern dass da auch mal ein Diamant rauspurzeln kann.“ Denkbar sei auch, dass man für häufiges Superschwert-Bauen irgendwann mit einem Rezept für ein Superduperschwert belohnt werde. „So etwas ist natürlich immer spannend, weil man da eine Karotte vor der Nase hat“, sagt Deppe. Er sieht denn auch die Entwickler in der Pflicht, kreative Crafting-Systeme zu erschaffen.
Für Deppe hat Crafting immer auch etwas Meditatives: „Ich komme also aus einem Dungeon raus, in dem ich voll die Action hatte – und habe jetzt 20 Platinklumpen dabei. Ich gehe dann wahnsinnig gerne zu einer Schmiede und forme die Klumpen in Barren um.“ Wenn man da drei Minuten zuschauen müsse, sei das nichts Schlimmes, so Deppe. „Aber wenn ich das 500 Mal machen muss, um eine Stufe aufzusteigen, dann ist das total nervig.“ Bei manchen Spielen sei das Crafting einfach nicht durchdacht, sondern schlichtweg eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme.
Wichtige Funktionen
Jan Wagner ist Executive Producer and Managing Director von Owned by Gravity. Das Wiener Studio gehört zu THQ Nordic und entwickelt gerade das rundenbasierte Strategiespiel SpellForce: Conquest of Eo, das aller Voraussicht nach im ersten Halbjahr 2023 erscheint. Im IGM-Interview verrät Wagner, welche Bedeutung und Funktionen das Crafting im neuen SpellForce-Titel haben wird. „Erstens haben unsere drei Magierprofessionen unterschiedliche Crafting-Fertigkeiten, die den Spielstil stark beeinflussen“, so der Studio-MD. „Ein Alchemist mischt verbrauchbare Tränke und Wurfgeschosse für den Einsatz im Kampf, der Nekromant erschafft stattdessen untote Einheiten und der Artificer schmiedet Glyphen und magische Gegenstände, mit denen er seine Truppen ausrüsten kann. Das hat einen großen Effekt darauf, welche Strategien man im Spiel nutzt.“ Zweitens sei das Sammeln von Zutaten ein wichtiger Antriebsfaktor, um die Welt EO zu erkunden – und drittens habe Owned by Gravity ein Rezept-System entwickelt, bei dem man mit unterschiedlichen Zutaten experimentieren könne. „Crafting sollte aus meiner Sicht immer eine Einbindung in andere Spielelemente bieten“, betont Wagner – zum Beispiel, um „die Sammelmotivation zu stärken oder neue Spieloptionen zu eröffnen, jenseits von ‚einfach besser werden‘“. Zudem sollte ein solches System laut Wagner genügend Raum für Erforschung und Neugierde bieten. Konkret soll es also die Experimentierfreude fördern – und nicht nur ein paar wenige Rezepte erlauben.
Nicht nur ein Anhängsel
Was aber sind aus Wagners Sicht die größten Herausforderungen, wenn man ein spannendes Crafting-System etablieren will? „Man muss eine große Varianz an Möglichkeiten bieten“, so der Game-Designer, „und diese auch richtig in den Spielfortschritt einpreisen, damit man nicht auf der einen Seite zu mächtige oder auf der anderen Seite nutzlose Rezepte bietet“. Das Balancing sei zweifellos die zeitintensivste Teilaufgabe, urteilt Wagner. „Aber die größte Herausforderung ist eben, Crafting gut in das sonstige Spiel zu integrieren, damit es ein echter Mehrwert ist und nicht nur ein Anhängsel, das zur Erzeugung von Monetarisierungswegen oder als Zeitfresser dient.“
Kreatives Basteln
Halten wir also fest: Ein spannendes Crafting-System ist hinreichend komplex, motiviert zum Weiterspielen und lässt SpielerInnen kreative Freiheiten. Beim Stichwort „Kreativität“ kommt Martin Deppe auf Jagged Alliance zu sprechen – und das dortige weapon crafting. „Man bastelt sich zum Beispiel aus einem Rohr und einem Stück Glas ein besseres Zielfernrohr – oder eine Alarmanlage aus Bindfaden und mehrere Dosen“, berichtet er – und hofft, dass diese Kreativität im bevorstehenden dritten Teil wieder voll zur Geltung kommt. Im Übrigen ist Deppe der Meinung, dass Crafting in Games durchaus optional angeboten werden sollte: „Ich finde es immer besonders spannend, wenn man Sachen machen kann, aber nicht machen muss.“ Viktor Eippert hält optionales Crafting – zum Beispiel in AAA-Titeln – für begrenzt sinnvoll, weil es sehr schnell aufgesetzt oder komplett unnötig wirke. „Crafting-Systeme haben sich mit der Zeit ein wenig zu einem dieser Punkte entwickelt, die Entwickler gerne auf ihrer Checkliste haben, weil Spieler sie scheinbar mögen.“ Und tatsächlich hätten crafting-intensive Spiele wie Minecraft, Terraria oder Factorio ihren ganz eigenen Charme. „Aber das tun sie eben, weil das Crafting darin nicht nur notwendig ist, sondern eben integral zum Spielkonzept gehört.“ Bei Action-Titeln wie AC sei das anders.
Ist Crafting in AAA-Titeln also nur eine lästige Pflichtübung? Nun, das hängt wohl ein Stück weit von der persönlichen Crafting-Begeisterung ab. Über Geschmack lässt sich bekanntlich gut streiben – nicht nur in den Foren und Threads der Plattform Reddit. (Achim Fehrenbach)