Auch ein Jahr nach dem offiziellen Ende der Corona-Pandemie sind die Auswirkungen auf die Computer- und Videospielindustrie deutlich spürbar. Auf einen sprunghaften Anstieg der Verkaufszahlen durch Lockdowns und Social Distancing folgten sinkende Umsatzgewinne und auch eine massive Veränderung der Nutzungsgewohnheiten. Ob Entwickler oder Distributor, das Jahr 2024 zeigte neue Chancen, aber auch neue Problemfelder der Branche auf.
Die Konsolidierung ist noch nicht abgeschlossen
Bereits im Jahr 2023 überschlugen sich die Meldungen über Entlassungen bei Entwicklern und Publishern. Insgesamt verloren weit über 10.000 Menschen ihren Arbeitsplatz. Als Gründe wurden häufig die Herausforderungen durch die Pandemie sowie steigende Personal- und Entwicklungskosten bei sinkenden Einnahmen genannt. Für 2024 rechneten viele mit einer Konsolidierung, doch die Entwicklung ging weiter und weitere Stellen wurden abgebaut. Zum Jahresende etwa traf es rund 100 Mitarbeitende von Warner Bros. Games Montreal. Bei Reflector Entertainment mussten nach dem Flop des Action-Adventures „Unknown 9: Awakening“ über 40 Mitarbeitende gehen. Bei Ubisoft verloren nach dem Aus des Online-Shooters „XDefiant“ sowohl in San Francisco als auch in Sydney über 100 Menschen ihren Job. Mehr als 14.000 Arbeitsplätze sind 2024 in der Games-Branche weggefallen.
Die erhoffte Konsolidierung ist ausgeblieben. Im Gegenteil, es scheint fast so, als ob die Optimierung und Gewinnmaximierung durch den verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Spieleentwicklung diesen Trend der letzten Jahre noch weiter anheizen könnte. KI hat in den letzten Jahren zunehmend Einzug in große Produktionen gehalten. In „EA Sports FC“ beispielsweise analysiert die KI die Bewegungsabläufe realer Fußballspieler und setzt diese in Animationen im Spiel um. Auch „X“-Eigentümer Elon Musk hat angekündigt, ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Entwicklerstudio zu gründen, um die Großkonzerne der Gaming-Szene herauszufordern.
Die erhoffte Konsolidierung ist ausgeblieben
User-Generated Content bleibt Trumpf
Mit dem Erstarken von KI geht auch der Trend zum User-Generated Content (UGC) einher. Damit sind in Spielen wie „WWE 2K“ nicht allein integrierte Marktplätze zum Bauen und Teilen selbst erstellter Inhalte gemeint. Vielmehr geht es um die Vermarktung von nutzergenerierten Inhalten wie Videos, Streams und Social-Media-Content. Die bekanntesten Beispiele dafür sind „Fortnite“, „GTA“ und „Roblox“.
„Roblox“ hat über 200 Millionen aktive Nutzer pro Monat und über 80 Millionen aktive User. Zum Vergleich: Das PlayStation Network besaß im Oktober 2024 „nur“ 116 Millionen monatlich aktive Nutzer. „Roblox“ ist mehr als ein Spiel, es ist ein soziales Netzwerk. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Creator, die ihre Community um sich scharen und „Roblox“ dafür als Bühne nutzen. Mit erweiterten Monetarisierungs- und Werbemöglichkeiten wird diese Reichweite zum Umsatzgaranten. Epic Games kündigte bereits für 2023 die „Creator Economy 2.0“ an und investierte 40 Prozent des „Fortnite“-Umsatzes in die Kreativen. Take-Two kaufte FiveM und RedM, die als Modding-Plattformen für populäre GTA- beziehungsweise Red-Dead-Redemption-Roleplays dienten. Das Ziel ist auch hier die verstärkte Einbindung in das Ökosystem, um mit UGC Geld zu verdienen.
Auch die Großen haben es schwer
Insgesamt rückt der Markt enger zusammen. Den Konsumenten steht weniger Geld für Entertainment zur Verfügung, weil die Inflation gestiegen ist und die Lebenshaltungskosten weiter anwachsen. Auch die zeitlichen Ressourcen sind begrenzt. Es wird stärker selektiert und damit verändern sich auch die Spielgewohnheiten: In weniger Games wird mehr Zeit investiert. Kostenlose Titel wie „Fortnite“ oder „Apex Legends“ binden gerade die junge Zielgruppe langfristig.
In der Folge konnten sich zwar bekannte Marken wie „Call of Duty“ und „EA Sports FC“ weiterhin durchsetzen, für viele andere Produktionen blieb jedoch weniger Platz. So scheiterte „Suicide Squad: Kill the Justice League“ von Rocksteady schon früh. Die Mischung aus Superhelden-Lizenz und Open-World-Shooter zündete nicht. Ähnlich erging es dem von den Firewalk Studios entwickelten und von Sony veröffentlichten Helden-Shooter „Concord“. Mit kolportierten Entwicklungskosten von rund 400 Millionen Dollar scheiterte das Exklusivspiel krachend. Bereits im Vorfeld als Möchtegern-„Guardians of the Galaxy“ abgestempelt, erhielt der Titel zwar faire Kritiken, wurde aber kaum gekauft. Sony zog dem Projekt nach rund zwei Wochen den Stecker und nahm „Concord“ aus den Stores. Hier zeigt sich: Auch große Ambitionen und Exklusivität garantieren noch keinen Erfolg.
Auch große Ambitionen und Exklusivität garantieren noch keinen Erfolg
Die Nische als Chance
Und doch gab es sie: die Überraschungserfolge. Gleich zu Beginn des Jahres avancierte der Koop-Shooter „Helldivers 2“ zum Publikumsliebling. Mit seinem an den Kultfilm „Starship Troopers“ angelehnten Humor und den wilden Koop-Gefechten traf das von Arrowhead entwickelte Actionspiel offenbar den Geschmack der Spieler. Der Titel verkaufte sich in den ersten drei Monaten über zehn Millionen Mal und verfügt dank kontinuierlichem Support über eine sehr aktive Community. Auch das von Sony veröffentlichte Geschicklichkeitsspiel „Astro Bot“ von Team Asobi hat die Herzen der Spieler weltweit erobert. Nach überwältigenden Kritiken verkaufte sich das Jump’n’Run in den ersten zwei Monaten über eineinhalb Millionen Mal. Bei den Game Awards wurde es sogar zum Spiel des Jahres gekürt und verwies beispielsweise „Elden Ring: Shadow of the Erdtree“ und „Final Fantasy VII: Rebirth“ auf die Plätze.
Apropos Game Awards: Das Roguelike-Kartenspiel „Balatro“ profitierte von der Nominierung zum Spiel des Jahres. Schon vorher war das Nischenspiel ein Indie-Insider-Tipp, doch nach der Nominierung schnellten die Verkaufszahlen auf über dreieinhalb Millionen Exemplare hoch. Auch wenn der Markt im Jahr 2024 schwieriger geworden ist, gibt es immer noch Chancen auf große Erfolge – vorausgesetzt, man findet die richtige Nische für sein Produkt.
China erobert den AAA-Markt
China ist der größte Gaming-Markt der Welt. Tencent gehört zu den erfolgreichsten Videospielfirmen und hält unter anderem Anteile an Epic Games („Fortnite“) und Techland („Dying Light 2“). In China entwickelte Spiele hatten es „im Westen“ jedoch bislang schwer. Das Jahr 2024 zeigte allerdings einen verstärkten Vorstoß in den AAA-Markt – nämlich mit Hilfe des von Game Science entwickelten Actionspiels „Black Myth: Wukong“. Innerhalb der ersten 24 Stunden verkaufte sich das auf Basis der Unreal Engine 5 entwickelte Abenteuer weltweit viereinhalb Millionen Mal, nach zwei Wochen waren es bereits 18 Millionen verkaufte Einheiten. Ein unglaublicher Erfolg, der Game Science in die Riege der Top-Entwickler weltweit katapultierte und China als Entwicklerland auch abseits von „Genshin Impact“ bekannt machte.
Unberechenbarer denn je
Ein weiterer Schritt in Richtung Massenmarkt ist dem chinesischen Unternehmen NetEase mit dem lizenzierten Helden-Shooter „Marvel Rivals“ gelungen. Denn auch wenn das Actionspiel auf den ersten Blick wie ein „Overwatch“-Klon aussieht, hat es doch genug Wiedererkennungswert, um aus der Masse herauszustechen. Das Ergebnis: Innerhalb der ersten 72 Stunden nach dem Launch am 06. Dezember 2024 haben bereits über zehn Millionen Menschen weltweit „Marvel Rivals“ ausprobiert. Wo „Concord“ aufgrund des verlangten Vollpreises und des generischen Charakterdesigns scheiterte, setzte sich „Marvel Rivals“ mit Free2Play-Mechanik und Lizenzpower durch.
Das Jahr 2024 hatte also Höhen und Tiefen und offenbart vor allem in den Bereichen Technologie und Vermarktung interessante Perspektiven. Auf der anderen Seite zeigen sich die Konsumenten in unruhigen Zeiten kritischer und unberechenbarer denn je. Mit Blick in die Zukunft könnte 2025 aufgrund der jüngsten Release-Verschiebungen („Kingdom Come Deliverance 2“, „Assassin‘s Creed Shadows“) und der möglichen Veröffentlichung von „GTA 6“ und der Nintendo Switch 2 ebenfalls ein richtungsweisendes Jahr werden. (ob/bpf)