Ein wesentlicher Vorteil des Daseins als „Spiele-Tester“ ist es, dass man Games „für lau“ bekommt. Früher Discs, heute Download-Keys. Das ist nicht nur deshalb eine tolle Sache, weil gratis generell geil ist – sondern weil der gemeine Spiele-Redakteur ungefähr so arm ist wie eine Kirchenmaus. Das Problem dabei: Wer fast jedes Spiel kostenlos bekommt, der entwickelt über die Jahre einen anderen Bezug zum Produkt als jemand, der es kaufen muss. Denn Wert bringt schließlich Wertschätzung. Oder?
Max, der Musterzocker
Schauen wir zur Verdeutlichung doch mal in den Haushalt des Allerwelts-Gamers „Max Musterzocker“: Wer seine Spiele wie Max entweder direkt nach Veröffentlichung oder zumindest mit nur marginaler Verzögerung kaufen will, der wird immerhin – je nachdem, ob er auf Konsole oder PC spielt – 60 bis 80 oder manchmal sogar 90 Euro pro Einkauf los. Gehen wir jetzt mal davon aus, dass unser „Musterzocker“ als ordentlich ausgebildeter Mittdreißiger vielleicht 2.500 Euro netto im Monat zur Verfügung hat. Dann würden ihm monatlich – vorausgesetzt, er lebt alleine – nach Abzug von Miete, Versicherungen, Lebensmitteln und anderen Unkosten ungefähr 700 Euro zur freien Verfügung bleiben. Um mit Freunden wegzugehen und ein zunehmend langweiliges Netflix-Abo zu bezahlen. Um die verschlissenen, alten Jeans gegen ein paar vorzeigbare Hosen auszutauschen. Oder auf eine größere Anschaffung wie PC bzw. PS5 Pro hin zu sparen. Und sich gelegentlich ein Spiel dafür zu kaufen. Ein Spiel, das dann schnell mal ein Zehntel dessen kostet, was ihm im Monat für Spaßiges bis Nützliches bleibt. In einer Zeit, in der Lebenserhaltungskosten, Miete & Co. eher steigen als sinken – ganz im Gegensatz zur Chance darauf, einen sicheren Job mit guter bis sehr guter Bezahlung zu ergattern.
Entsprechend ärgerlich wird es für Max, wenn seine Wahl auf ein Spiel fällt, das sich am Ende als Flop entpuppt. So ist unser Musterzocker zum Beispiel ein gigantischer Fan von Guerrillas (zumindest ehemals) PlayStation-exklusiver „Horizon“-Serie: In beide Haupt-Spiele samt Add-Ons hat Max in Summe locker tausend Spielstunden versenkt – und auf einem kleinen Brettchen über dem 4K-Flimmerkasten thront sogar das LEGO-Modell eines „Langhalses“. Das sind gigantische, Giraffen-ähnliche Kreaturen aus dem Spiel, auf deren Untertassen-artigen Köpfen Heldin Aloy kraxelt, um sich ein besseres Bild der Umgebung machen zu können. Ein bisschen so, als würde man in „Assassin‘s Creed“ einen Turm besteigen, der einen neuen Teil der Weltkarte freischaltet. Eigentlich hätte sich Max ja noch viel lieber das schicke Premium-Modell von Sideshow-Toys gekauft, das die rothaarige Heldin dabei zeigt, wie sie einen „Watcher“-Roboter erledigt. Aber dieser 70 cm hohe Brocken schlägt samt Importkosten aus den USA mit über 1.500 Euro zu Buche. Eine Premium-Lösung für Besserverdiener also.
Eine Premium-Lösung für Besserverdiener
LEGO- statt Sideshow-Toy
Also wurde es stattdessen der LEGO-Langhals für um die hundert Euro – und der hat Max obendrein zu seiner nächsten verspielten Anschaffung inspiriert: Nachdem er in den letzten Jahren fast 400 Euro in das „Horizon“-Franchise investiert hat, soll „LEGO Horizon Adventures” der nächste Teil der Sammlung werden. Das vom niederländischen „Horizon“-Entwickler Guerrilla und dem britischen Studio Gobo entwickelte Spiel verwandelt Aloy und ihre Freunde aus der neu-steinzeitlichen Postapokalypse in knuffige Klotzköpfe. In der Presse wird das virtuelle Spielzeug-Spinoff der Sony-Marke zwar nicht so frenetisch gefeiert wie das Original – aber ein Wertungsschnitt im unteren 80er-Bereich reicht Max völlig aus. Obendrein kann er im Weihnachtsgeschäft einigermaßen preisbewusst kaufen: Statt der anfangs üblichen 69,99 bietet Sonys Konsolen-eigener PlayStation-Store das „kleine Horizon“ gerade für vergleichsweise erschwingliche 49,69 Euro an. Für das ungefähr gleiche Geld hätte Max das Baustein-Abenteuer auch bei amazon ergattern können. Die Ersparnis bei Sony beträgt 29 Prozent, bei amazon dagegen nur 19. Denn dort hätte „LEGO Horizon Adventures“ von Haus aus nur 61,90 Euro gekostet. Nach wie vor gilt nämlich: Wer abseits irgendwelcher Aktionen und Feiertags-Rabattschlachten gute Angebote ergattern will, der kauft – natürlich – auf Disc.
Für Max‘ vom familiären Weihnachts-Trubel strapaziertes Nervenkostüm verspricht der Exkurs in eine niedliche Klotz-Kalypse genau das richtige Wellness-Programm. Und tatsächlich: Am Anfang ist der Gamer schwer begeistert. Die authentisch nachgebauten Figuren und Kulissen der Original-Spiele bringen ihn immer wieder zum Schmunzeln – auch die zahlreichen Insider-Gags bestätigen Max in seinem ungezügelten Fandom. Sogar mit der extremen Vereinfachung der bekannten Spielmechanismen kann sich unser Zocker arrangieren, weil ihm die humor- und liebevolle Integration in die LEGO-Logik gefällt. So muss Aloy im LEGO-Abenteuer keine Beeren vom Busch pflücken, um sie anschließend mithilfe eines Crafting-Systems in Heil-Gegenstände zu verwandeln – stattdessen streift sie im Gefecht einfach kurz die Sträucher, um ihre Herzchen wieder aufzufüllen. Auch die Kämpfe selber fallen viel simpler aus: Das präzise Anvisieren von Gegner-Schwachstellen ist im LEGO-Spiel fast automatisiert – und um Flammenpfeile zu verschießen, ballert Aloy einfach durch ein Feuer hindurch.
Genau das richtige Wellness-Programm
Zu kurz
Trotzdem wandern Max‘ Mundwinkel bald enttäuscht nach unten. Schuld ist nicht die Qualität, sondern die geringe Spieldauer dieser „Horizon Light“-Tour: Nach gerade mal zehn Stunden ist der Abspann über den OLED gelaufen – obwohl unser Fan fast jeden Winkel des Spiels ausgelotet hat. Der Plan, die Freizeit zwischen den Jahren mit Aloys neuem Abenteuer zu verbringen, ist damit in Rauch aufgegangen – darum muss schnellstens Nachschub her. Zum Glück gibt’s über die Feiertage weitere nette Angebote und muss Max deshalb nicht zu tief in die Tasche greifen. Ein Spiel auf seiner Wunschliste wurde im PlayStation-Store gerade von 34,99 Euro auf 24,49 herabgesetzt – nämlich das im stilvollen Pixel-Chic gehaltene Rollenspiel „Sea of Stars“ aus der kanadischen Indie-Schmiede Sabotage. Mit dem wird Musterzocker Max immerhin zwischen 30 und 40 Stunden verbringen, bis er der Retro-Fantasy-Welt alle Geheimnisse abgerungen hat. Will heißen: Der Mini-Urlaub ist gerettet – auch wenn digitale Spiele irgendwie nicht die festlichste Art und Weise sind, um (sich selbst) zu (be)schenken.
Was ist also passiert? Haben wir Spiele-Tester das LEGO-„Horizon“ zu hoch bewertet? Hätte die Presse die abenteuerliche Reise nach Klotzkopf-Hausen lieber mit einem 60er- oder 70er abwatschen sollen, weil sie genauso viel kostet wie das Vorbild bei Release, aber nur einen winzigen Bruchteil von dessen Spielzeit in die Waagschale wirft? Und kann man einem Spiel überhaupt eine schlechte „Value for Money“-Rechnung vorwerfen, wenn es seinen eigentlichen Auftrag vortrefflich erfüllt – nämlich den, eine Menge Spaß zu machen?
Trotzdem fördert eine Preisgestaltung, bei der viele Spiele ihr Geld gefühlt erst dann „wert“ sind, wenn sie zum deutlich reduzierten Preis zu haben sind, keine gesunde Wertschätzung. Stattdessen fördert sie das, was auf dem PC durch Steam-Sales und Key-Verramschung seinen Anfang nahm und schließlich in Abo-Programmen wie dem Game-Passe gipfelte: Nämlich einer wachsenden Schieflage bei Preisen und der daraus resultierenden Wertschätzung für das Produkt. Preisen, bei denen sehr teuer produzierte Spiele im Grunde noch viel zu günstig sind und vergleichsweise „kleine“ Titel im Verhältnis viel zu teuer. Preise, bei denen Kunden kein Gefühl dafür bekommen, welches Spiel wieviel wert ist und sie deshalb so lange warten, bis sie alle (fast) gar nichts mehr kosten.
Verzweifelt gesucht: die Preis-Formel
Die Vision der Preis-Stabilität, die Hardware-Hersteller und Plattform-Betreiber durch das Vorantreiben eines hauptsächlich digitalen Markts anstreben, kann auf Dauer aber nur dann funktionieren, wenn die Preise von Anfang an fair, transparent und angemessen sind. Und nein, natürlich kann es keine Formel geben, mit der sich zuverlässig und auf den Cent genau kalkulieren lässt, wieviel ein Spiel zu kosten hat. Zumal höhere Preise immer wieder auch dem Zweck dienen sollen, eine gewisse Wertigkeit zumindest zu suggerieren. Aber mal ehrlich: In einer digitalen Vertriebs-Landschaft, in der ganze Spiele-Pakete auf dem PC für unter fünf Euro verramscht werden, ist jedes Gefühl für Verhältnismäßigkeit und Wertigkeit so dermaßen im Eimer, dass sich niemand mehr der Illusion hinzugeben braucht, ein Spiel für 70 Euro würde alleine durch seinen Preis potenter wirken als eines für 40. Besonders dann nicht, wenn es das gleiche Spiel auf einer anderen Hardware als Bestandteil des Abo-Programms gibt. Eines Abo-Programms, bei dem jeder Titel ungefähr die gleiche Wertschätzung erfährt wie zu frühen Heimcomputer-Zeiten der Inhalt einer Box voller raubkopierter Floppy-Discs.
Wenn Schleuder-Preise und Abos vor allem dem Zweck dienen, User ins Öko-System zu locken, während viele Studios und Hersteller um jeden Einheiten-Verkauf kämpfen müssen, um überlebensfähig zu bleiben – dann haben wir ein sehr grundlegendes Problem. Weil der Kunde immer mehr zur „Geiz ist geil“-Mentalität erzogen wird, während viele Entwickler und Publisher nicht mehr wissen, wovon sie die nächste Produktion bezahlen sollen. Doch solange sich 70 Euro für ein mit 200 Mio. produziertes Spiel nach zu viel anfühlt, weil das gerade veröffentlichte Produkt total verbugt ist, während eine gereifte Spaß-Granate auf Steam für sieben Euro lockt, ist jedes Streben nach realistischen Preisen zum Scheitern verurteilt.
Unser Musterzocker würde übrigens gerne in einer Parallelwelt leben, in der alle umfangreichen Blockbuster von Anfang an stabile 45 bis 60 Euro kosten – je nach Umfang und Aufwand. Ramsch-Aktionen ausgeschlossen. Vorausgesetzt natürlich, die Bug-Parties zu Beginn eines Releases bleiben aus. Mittelfeldler wie ein „LEGO Horizon Adventures“ würden es sich dann zwischen 35 und 45 Euro gemütlich machen, während Indie-Games unterhalb dieser Sparte rangieren. Von Anfang an und für immer – ohne Ausnahmen. Klingt verrückt? Stimmt, aber man wird ja wohl noch träumen dürfen. (rb)