Für eSports-Fans ist es eines der Highlights des Jahres: Das Intel Extreme Masters im polnischen Katowice. Doch wie so viele andere eSports-Events auch wird das IEM in diesem Frühjahr ohne Vor-Ort-Publikum stattfinden (16-28. Februar). Und nicht nur das: Auch die Spieler werden nicht in einer Arena vor Ort zocken, sondern dezentral. Das klingt jetzt reichlich unglamourös und dürfte auch technisch-organisatorisch nicht ganz trivial sein, Stichwort: "gleiche Bedingungen". Doch in Zeiten von Corona hat man sich längst an solche Ausnahmebedingungen gewöhnt.
Keine Stagnation
Gleichwohl hat eSports die Krise bislang gut gemeistert: Besonders bei den Online-only-Turnieren haben die Akteure viel Flexibilität bewiesen (vgl. IGM 01/2021). Corona sorgt auch keineswegs dafür, dass die Branche stagniert – im Gegenteil: Viele Trends, die bereits vor der Pandemie sichtbar waren, setzen sich in der Krise fort. Zum Beispiel der Trend zu nicht-endemischen Partnern und Sponsoren, will heißen: Zu Unternehmen, die man nicht auf den ersten Blick mit eSports assoziiert. Auch im Krisenjahr 2020 hat sich in dieser Hinsicht einiges getan. "Herausstechend dabei war für mich der Einstieg von BMW, die gleich fünf große Teams unter Vertrag genommen und daraus eine Storyline entwickelt haben", berichtet Dorian Gorr, Managing Director, CMO und Mitgründer von Veritas Entertainment (vgl. IGM 09/2020). Bei den Teams handelt es sich um G2 Esports, Fnatic, FunPlus Phoenix, Cloud9 und T1. BMW (bzw. die beauftragen Werbeagenturen) haben dazu ein Motto ausgegeben, das gleichermaßen Konkurrenz und Zusammenhalt signalisiert: "United in Rivalry".
Dass immer mehr nicht-endemische Marken in den eSports drängen, freut auch Daniel Luther, den neuen Vorsitzenden des eSport-Bund Deutschland e.V. (ESBD). "Die Bedeutung dieser Partner ist groß", konstatiert Luther. "Sie stärken das System finanziell, bilden Brücken in weitere wirtschaftliche Bereiche und bringen ihre Stärken ein. Auch für die gesellschaftliche Bedeutung des eSports ist es förderlich, wenn sich immer mehr Akteure dem eSports nähern." In der eSports-Zielgruppe sei Sponsoring grundsätzlich sehr stark auf den jeweiligen Content ausgerichtet, so Luther. "Ein besonderer Trend ist mit Sicherheit die In-Game-Werbung."
Zu den nicht-endemischen Sponsoren, die sich seit neuestem im eSports engagieren, zählt beispielsweise die Bayerische Lebensversicherung: Mit Beginn der Saison 2021 startet die Bayerische als offizieller Versicherungspartner von Berlin International Gaming (BIG), einer der bekanntesten eSports-Organisationen Europas. Schon seit Jahren dabei ist die Techniker Krankenkasse (s. IGM 12/20 Interview mit Bruno Kollhorst, Leiter Werbung & HR-Marketing bei der TK), die als Gesundheitspartner u.a. der eSports-Liga ESL fungiert. "Esports hat es geschafft, sich aus seiner ursprünglichen Nische herauszuarbeiten – und sich als interessante neue Sponsoring-Möglichkeit mit einer sehr spannenden jungen und gebildeten Zielgruppe zu positionieren", sagt Stephan Schröder, Senior Vice President Global Brand Partnerships bei ESL Gaming. Schröder räumt jedoch ein, dass es in dieser Hinsicht noch Nachholbedarf gibt: Viele Marketing-Entscheider hätten "immer noch gewisse Berührungsängste, da sie selber nicht unbedingt Gaming-Erfahrungen haben und den eSports-Siegeszug aufgrund fehlender eigener Kenntnisse und hausinterner Wissensträger sehr skeptisch beurteilen". Schröder fordert, hier noch mehr Aufklärungsarbeit zu leisten. ESports biete u.a. für Sponsoren erhebliche Vorteile: Als hauptsächlich digitales Entertainment sei er sehr gut messbar und verbinde zudem die Online- mit der Offline-Welt. Außerdem biete eSports-Sponsoring mehr Flexibilität und Individualisierbarkeit als klassisches Sport-Sponsoring. Dies passe ins Anforderungsprofil heutiger Marketing-Profis: "Geschichten zu erzählen und nicht nur Logo-Flächen zu besetzen."
Apparel-Offensive
Ein weiterer Trend im eSports ist die Ausweitung der Bekleidungsangebote. Apparel gibt es mittlerweile in zahllosen Ausprägungen – mal ist die Bekleidung eher auf Funktionalität ausgerichtet ("Athleisure"), mal eher auf lässige Streetwear (vgl. IGM 09/2020). Allerdings hat die Pandemie auch hier ihre Spuren hinterlassen. "Corona hat die Kaufgewohnheiten definitiv verändert", berichtet David Hiltscher, VP Shop, Merchandise, Licensing bei ESL. Ein klarer Trend bei Apparel sei bequeme Kleidung für zuhause. "Der Absatz von Hoodies und Jogging-Hosen hat sich stark erhöht – und hierbei vor allem bei ESL-gebrandeten Produkten." Leicht rückläufig sei hingegen der Umsatz mit Team-Produkten: "Da es seit rund einem Jahr keine eSports-Wettbewerbe vor Publikum mehr gab, fehlt wohl manchem Fan der Einsatzzweck für Trikots oder Fahnen". In den heimischen vier Wänden fehlt manchem dafür wohl auch schlichtweg der Platz ...
Nicht nur ESL bastelt an seinem Apparel-Portfolio – auch zahlreiche Teams vergrößern ihre Bekleidungsbandbreite. "Wir haben gerade erst eine neue Partnerschaft mit Adidas bekannt gegeben", frohlockt Lindsey Eckhouse, Commercial Director bei G2 Esports. Durch die Kooperation könne man nun die Auswahl an Profi-Trikots aufstocken und das Streetwear-Angebot weiter ausbauen. "Darüber hinaus werden wir die Entwicklung von G2-Lifestyle-Bekleidung fortsetzen und weiterhin mit unseren bestehenden Lizenznehmern zusammenarbeiten, um unseren Fans qualitativ hochwertige und innovative Produkte zu bieten", kündigt Eckhouse an.
Immer noch gewisse Berührungsängste
Und auch das Team von SK Gaming engagiert sich bei Apparel stärker als je zuvor. "Wir haben da ein paar Themen, mit denen wir das Angebot ausweiten, ja", bestätigt Firmenchef Alexander Müller auf IGM-Anfrage. "Neben speziellen Produkten für den Female- und Kids-Markt werden wir auch mit Drops zu speziellen Anlässen arbeiten. Unsere Community hat dort einen gewissen Anspruch, dem möchten wir gerecht werden." Ins Detail geht Müller mit seiner Ankündigung noch nicht – doch bis zur Vorstellung der neuen Produkte dürfte es nicht mehr lange dauern.
Gute Karten
Die Auswahl an Apparel wächst also – und zeitgleich auch die Auswahl an klassischen Merchandise-Produkten. David Hiltscher nennt als Beispiel die physischen Sammelkarten, die ESL im Dezember auf den Markt gebracht hat. Diese "ESL Pro Tour Sammelkarten" entstanden in Kooperation mit Epics und den Louvre-Teams. "Die Sets enthalten Karten teilweise im hochwertigeren Holo-Look, und in ganz seltenen Fällen sogar Karten mit echten Unterschriften der Spieler", erläutert Hiltscher. Die erste Edition sei nach kürzester Zeit ausverkauft gewesen: "Eine zweite Serie ist für Februar geplant."
Wer sich gefragt hat, was die "Louvre-Teams" sind: Hier haben wir gleich einen weiteren eSports-Trend. Bereits im Februar 2020 unterzeichneten führende CS:Go-Teams das "Louvre Agreement" mit ESL und Dreamhack. Will heißen: Teams wie Astralis, Fnatic und G2 Esports werden Mehrheits-Interessenvertreter der Liga, erhalten einen langfristigen Teilnahme-Slot und werden an den Umsätzen beteiligt. Ausschlaggebend dafür sind die Leistung der Teams, die Anzahl der Events und deren Zuschauerzahlen. Kaum war die Vereinbarung verkündet, gab es auch schon Kritik: Hier werde ein Franchise-System geschaffen, dem die nötige Durchlässigkeit fehle: Teilnehmende Teams könnten dann nicht mehr an Konkurrenzveranstaltungen teilnehmen – und Teams von außen hätten keinen Zutritt. Aber: "Die ESL Pro League ist kein geschlossenes Ökosystem", betont Ulrich Schulze Senior Vice President Product bei ESL, im IGM-Interview. Und fährt fort: "Wir garantieren den Partner-Teams einen speziellen Slot, die anderen 12 werden offen sein für Teams, die sich auf Basis ihres World-Rankings oder direkt über die Mountain Dew League qualifizieren." Die ESL werde weiterhin das Format von offenen Ökosystemen unterstützen und ausbauen, verspricht Schulze. Auch Teilnahmegebühren habe es für die teilnehmenden Teams nicht gegeben. Laut Schulze wird das Louvre Agreement "die Teilnahme der weltweit besten Teams in der ESL Pro Tour sichern und regulieren". Dies sei die Voraussetzung, "um der globalen eSport-Zuschauerschaft die beste Qualität und das beste Entertainment überhaupt zu bieten, den Sponsoren und Werbepartnern die besten Medienprodukte sowie den Fans die beste Venue, in der hochklassige Talente in spannenden Showdowns ihr Können zeigen."
Man darf gespannt sein, ob ESL all diese Versprechen einlösen kann – wichtige Partner sind jedenfalls an Bord. Für Daniel Luther haben sowohl Franchise-Konzepte als auch offene Ansätze ihre Vor- und Nachteile. "Das mit Sicherheit bekannteste Beispiel in Form von Riot Games zeigt das Potenzial auf", so Luther. "Verlässlichkeit für Partner und Teams sowie Zuschauer ist ein hohes Gut." Zugleich stünden Franchise-Konzepte vor der Herausforderung, auch Innovation zuzulassen – "und neuen Teams eine Aufstiegsperspektive zu bieten".
Jonglieren mit Daten
Die zunehmende Professionalisierung im eSports zeigt sich auch an der Genauigkeit, mit der die Teams und Veranstalter ihre Daten analysieren. "Daten sind im G2-Tagesgeschäft von enormer Bedeutung", sagt Lindsey Eckhouse. "Wir nutzen Daten, um in jedem Bereich fundiertere Entscheidungen zu treffen. Sei es, um zu verstehen, welche Geschäftsbereiche besonders gut bei unserer Fan-Basis ankommen – oder um zu verstehen, was unsere Fans gerade beschäftigt, was sie sich wünschen, wie sie sich den idealen Content vorstellen und vieles mehr."
Auch Alexander Müller glaubt, dass Datenanalyse immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. "In einigen Bereichen arbeiten wir da schon eng mit entsprechenden Lösungen, die es uns erlauben, fundierte Aussagen zu treffen und KPIs exakt bewerten zu können", so der Chef von SK Gaming. "Im Bereich Fan-Anbindung beispielsweise haben wir noch eine Menge Potenzial – und das werden wir in 2021 auch entsprechend angehen. Das ist uns wichtig."
Die ESL Pro League ist kein geschlossenes Ökosystem
Besonders weit fortgeschritten sind die Bemühungen bei Team Liquid (vgl. IGM 01/2021). Als oberstes Ziel für 2021 hat das Team den Launch und die Implementierung von Liquid+ ausgegeben. Was dahintersteckt? "Das ist unsere neue Plattform für die Einbindung von Fans", weiß Mitinhaber Victor Goossens zu berichten. Die Entwicklung der Plattform habe mehrere Jahre gedauert, letzten Herbst sei sie in die Open Beta gegangen. "Im Gegensatz zu anderen Initiativen dieser Art wird Liquid+ frei nutzbar sein", verspricht Goossens. "Und ein toller Ort für Leute sein, die sich stolz als Liquid-Fans präsentieren und coole Belohnungen erhalten möchten, wenn sie uns online unterstützen." Liquid+ soll Quests und Erlebnisse bieten, die Fans zur Kontaktaufnahme mit ihren Lieblingsspieler*innen animieren – und zwar auf Social Media und diversen Streaming-Plattformen. "Je mehr sie mit uns interagieren, desto mehr Punkte erhalten sie, die sie dann einlösen können", beschreibt Goossens die Funktionsweise. Liquid+ wird dem Team anonymisierte Einblicke in die Fan-Struktur bieten. "Die können wir dann nutzen, um unsere Beziehungen zu Markenpartnern zu stärken – und um neue Anreize für Firmen zu setzen, Teil der Liquid Family zu werden", so Goossens. "Eine derartige Granularität wie bei Liquid+ hat es noch nirgendwo im Sport gegeben – und wir freuen uns darauf, dieses Neuland im Jahr 2021 zu erforschen."
Mobiles Zocken
Einer der wichtigsten Trends des Jahres ist zweifelsohne Mobile eSports. "Hier sehe ich riesiges Potenzial, das insbesondere in Europa noch nicht ausgeschöpft wird", sagt Daniel Luther. Auch Ulrich Schulze sieht hier eine große Wachstumssparte, besonders in Südostasien. "Das wird ein starker Faktor sein für uns in diesem und den nächsten Jahren". Sebastian Steinbach sieht für Mobile eSports ebenfalls eine große Zukunft. Der Referent Politische Kommunikation und Esport bei game prophezeit, dass die Sparte auch in Europa Fuß fassen wird. Als Beispiele nennt er Titel wie PUBG Mobile, Garena Free Fire, Summoners War: Sky Arena oder auch League of Legends: Wild Rift.
Grundsätzlich glaubt Steinbach, dass eSports im Superwahljahr 2021 noch deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen wird. "Wir hoffen dabei, dass nicht wieder die Sport-Frage im Mittelpunkt vieler Diskussion steht, die für die Weiterentwicklung des eSports gar nicht entscheidend ist. Wichtig sind stattdessen konkrete Fortschritte bei den Rahmenbedingungen für Spielerinnen und Spieler und den Wettbewerben." IGM wird das Thema "eSports im Superwahljahr" in einer der kommenden Ausgaben genauer unter die Lupe nehmen. (Achim Fehrenbach)