Ugur Turgut: „Wir verlieren nicht die Hoffnung!“

Die Firma Defcon ist in der Hauptstadt eine Institution. Bereits 1994 eröffnete Defcon seine erste Filiale im Stadtteil Wedding; weitere Niederlassungen folgten 2001 in Spandau sowie 2010 in Charlottenburg-Wilmersdorf. Der Name steht für "Defense Condition", den Alarmzustand des US-Militärs – und für ein Echtzeitstrategiespiel, das allerdings erst 2006 erschien. Die Corona-Pandemie verleiht dem Firmennamen eine neue Bedeutung: Die Lockdowns drängen den renommierten Fachhändler in die Defensive. Im IGM-Interview spricht Defcon-Inhaber Ugur Turgut über Krisen­strategien, Hoffnungsschimmer und die Fusion mit der Firma Konsolenwelt.
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Ugur Turgut, Defcon

IGM: Herr Turgut, wie läuft das Geschäft in der Pandemie?

Ugur Turgut: Katastrophal – weil wir von der Laufkundschaft abhängig sind. Im ersten Lockdown hatten wir fast drei Monate geschlossen, im Dezember mussten wir auch wieder schließen. Das hat uns in der Hauptsaison erwischt. Schon während des ersten Lockdowns wussten wir nicht, ob wir überhaupt die Kraft haben würden, wieder aufzumachen – weil der finanzielle Schaden bei uns enorm war. Wir haben es dennoch geschafft und von da ab auf das Weihnachtsgeschäft gehofft. Damit hätten wir vieles wieder gutmachen können, aber dann kam der nächste Schlag, wir mussten wieder schließen. Wir haben vorab viel investiert, haben jede Menge Waren gekauft. Aber auf denen bleiben wir jetzt sitzen, weil wir sie nicht online verkaufen können. Online ist die Konkurrenz einfach zu groß, das würde sich für uns nicht lohnen. Wir können nicht mit Amazon und Co. mithalten, deswegen haben wir den Online-Verkauf schon vor 15 Jahren abgeschafft. Wir wissen nicht, was die nächste Zeit bringen wird. Es ist fraglich, ob wir überhaupt auf den Beinen bleiben, ob wir überhaupt weitermachen können.

IGM: Bieten Sie Click & Collect?

Turgut: Ja, das bieten wir an. Das Problem ist nur, dass während der Lockdowns 90 Prozent unserer Kundschaft auf Online umgestiegen ist. Die KundInnen machen sich nicht mehr die Mühe und schauen bei uns vorbei. Was sie bei uns bekommen, bekommen sie auch online, wir haben da keine Exklusivität. Als Fachhändler konnten wir ja immer durch unsere Beratung punkten, die KundInnen konnten vorbeikommen und sich bei uns umschauen. Sie konnten ihre alten Spiele bei uns abgeben, wir haben die Spiele in Zahlung genommen und haben persönliche Gespräche geführt. Das geht jetzt alles nicht mehr. Click & Collect bringt in unserem Fall auch nicht viel. Das kommt nur vereinzelt vor und deckt nicht annähernd unsere Tagesausgaben.

IGM: Würde ein Online-Versand mittelfristig doch Sinn machen?

Turgut: Naja, um online erfolgreich sein zu können, müssten wir konkurrenzfähig sein. Das ist wegen der Handelsriesen schier unmöglich – uns fehlen da die Kapazitäten und die passenden Einkaufspreise. Wenn wir ein Angebot machen, wird das auf Amazon oder Ebay unterboten – mit Preisen, die teilweise unter unseren Einkaufspreisen liegen. Amazon ist der Marktführer und macht die Preise, große Handelsketten wie Media Markt und Saturn ziehen in ihren Online-Shops nach. Für uns lohnt es sich nicht, einen Online-Shop aufzubauen. Der Versand und die Unkosten, die dabei entstehen, sind absolut nicht rentabel.

IGM: Hat Defcon in der Pandemie staatliche Unterstützung erhalten?

Turgut: Ab März haben wir einmalig die Corona-Hilfe erhalten – so wie alle anderen Händler auch. Mit dem Geld, das reinkam, konnten wir für drei Monate unsere Unkosten decken. Aber in dieser Zeit sind wir komplett auf unserer Ware sitzengeblieben. Wir haben verderbliche Ware – wenn ein Spiel oder ein Medium rauskommt, muss es innerhalb der nächsten drei bis vier Wochen verkauft werden, ansonsten hält es den Preis nicht. Wir haben viele Kunden verloren, die ihre Spiele jetzt nur noch als digitalen Download kaufen. Im ersten Lockdown wurde die Corona-Hilfe zwar recht schnell überwiesen. Aber wir konnten uns vom Lockdown auch nach der Wiedereröffnung nicht erholen. Und da sind wir nicht die einzigen, 70 bis 80 Prozent des Einzelhandels haben darunter gelitten. Genau deswegen hatten wir ja gehofft, im Weihnachtsgeschäft einiges wiedergutmachen zu können. Und dann kam eben der noch größere Schlag.

IGM: Wie sieht es mit den Corona-Hilfen im derzeitigen Lockdown aus?

Turgut: Der Staat sagt, er habe Probleme mit der Software für die Geldverteilung. Die fangen jetzt erst an, die Hilfen für November zu zahlen. Wir haben nach wie vor keine Hilfe erhalten – und sind jetzt schon fast im zweiten Lockdown-Monat. Jetzt ist genau die Zeit, in der wir stark auf Hilfe angewiesen sind, aber momentan ist noch nichts in Sicht. Deswegen sieht es für uns sehr viel schlimmer aus als im ersten Lockdown.

IGM: Wie hätten die Corona-Regeln handelsfreundlicher gestaltet werden können?

Turgut: Da ist vieles schief gelaufen. Im Jahresverlauf hat der Staat uns Hygiene-Auflagen erteilt. Wir haben Geld investiert, weil wir den Laden umgestalten und den Verkaufsraum verkleinern mussten. Wir haben Plexiglaswände installiert, wir haben so ziemlich alles gemacht, was der Staat von uns wollte, damit wir hier noch weiterhin Kundschaft empfangen können. Das waren zusätzliche Investitionen, die letztendlich nichts gebracht haben. Wir haben wirklich dafür gesorgt, dass sich nur maximal zwei KundInnen gleichzeitig im Laden aufhalten – und das hätte auch so weitergehen können. Wir sehen als kleine Einzelhändler keinen Anlass, unsere Läden komplett zuzumachen – weil wir hier ja keinen Massenansturm wie die großen Elektronikketten und Kaufhäuser haben. Unsere Sicherheitsbestimmungen waren optimal, wir haben alles dafür getan, haben investiert – und der Dank dafür war, dass wir wieder zumachen mussten.

IGM: Dass die Hilfe immer noch nicht geflossen ist, ist ja ein waschechter Skandal ...

Turgut: Das ist eine Katastrophe, das ist momentan wirklich ganz schlimm. Wir gehen davon aus, dass sehr viele Händler nach dem Lockdown nicht mehr wieder aufmachen können. Für uns, den Unterhaltungs- und Medienbereich, ist der Winter die absolute Hauptsaison. Und das sind genau die zwei, drei, vier Monate, in denen wir Geld verdienen, um dann den Rest des Jahres – auch die Sommermonate – durchstehen zu können. Und so geht es sehr vielen Händlern. Das nach wie vor keine Hilfen geflossen sind, ist sehr hart für uns. Zum Jahresanfang sind die Unkosten und Ausgaben höher, weil Jahresversicherungen und Beiträge anstehen. Es ist auch wirklich katastrophal, wie die Regierung momentan mit der Situation umgeht – anscheinend nimmt sie die Pleitewelle in Kauf. Der Staat beginnt erst jetzt damit, die Hilfen für Oktober und November auszuzahlen – sprich: für Hotels und Gastronomie. Alle anderen, die im Dezember komplett zumachen mussten, warten noch. Die Hilfsgelder werden wahrscheinlich erst Mitte, Ende Februar kommen – und das wird dann zu spät sein.

IGM: Welche Handlungsspielräume haben Sie noch – bei drei Defcon-Filialen?

Turgut: Wir werden es höchstwahrscheinlich nicht schaffen, alle drei Filialen zu halten. Wenn wir wieder öffnen dürfen, haben wir das Weihnachtsgeschäft bereits verpasst. Da wird es fast unmöglich sein, wieder in positive Zahlen zu kommen.

IGM: Einige Blockbuster wurden wegen Corona verschoben. Eine neue Chance für Frühjahr und Sommer?

Turgut: Dass einige Titel verschoben worden sind, ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Für den Einzelhandel – und besonders für uns im Games-Bereich – war das Winter- und Weihnachtsgeschäft besonders wichtig. Da werden ja nicht nur Neuerscheinungen verkauft, sondern generell alles Mögliche – auch Spiele, die bereits länger erschienen sind. Die Kaufkraft der Kunden ist natürlich zu dieser Zeit am größten. Die paar Titel, die jetzt auf Frühjahr oder Sommer verschoben wurden, werden das Ganze definitiv nicht retten können. Klar, wir werden es versuchen. Aber bis dahin werden sich viele Menschen an Download-Spiele gewöhnt haben. Wir wissen jetzt schon, dass wir sehr viele KundInnen verloren haben. Vielleicht kommen sie vereinzelt noch zu uns, wenn sie ein paar Gebrauchtspiele zu Geld machen wollen. Sie werden dann aber wahrscheinlich auch nicht mehr viel Neues kaufen.

IGM: Anfang 2018 hat Defcon Charlottenburg mit der Firma Konsolenwelt fusioniert. Wo liegen da die Synergien?

Turgut: Die Firma Konsolenwelt bietet seit 2010 – mit viel Erfolg – Konsolenreparaturen. Deswegen haben wir fusioniert, die Filiale in der Kantstraße heißt "Defcon Konsolenwelt". Im Rahmen der Fusion haben wir viel Geld investiert, Werkstätten gebaut, den Laden komplett umgebaut. Aber auch das Reparaturgeschäft hat einen enormen Schlag bekommen, weil die Leute in der Pandemie nicht raus wollen oder können. Unsere Filiale hier in der Kantstraße ist noch geöffnet, wir sind unter der Woche zwischen 12 und 18 Uhr da, um Telefonate entgegenzunehmen – mit der Aussicht auf Click & Collect oder Reparaturen. Das ist für uns so etwas wie ein Hoffnungsschimmer, um wirtschaftlich überleben zu können – durch Verkauf und Reparatur.

IGM: Konsolen gehen ja immer irgendwann kaputt und müssen repariert werden. Dass es eine neue Konsolengeneration gibt, ist ja grundsätzlich eine gute Nachricht ...

Turgut: Die Kundschaft versucht natürlich, nachhaltig zu sein. Die Nachfrage ist also vorhanden. Als klar wurde, dass die neue Konsolengeneration nur in sehr geringer Stückzahl erhältlich sein würde, ist die Nachfrage nach Reparatur und Instandsetzung der alten Konsolen wieder gestiegen. Das hält uns momentan so ein bisschen auf den Beinen. Aber das reicht natürlich auf Dauer nicht.

Wir haben verderbliche Ware

IGM: Wobei Gebrauchtspiele doch für die Kundschaft weiter attraktiv sind. Nicht jeder kann sich die ganzen neuen Spiele leisten ...

Turgut: Wir versuchen ja auch, den KundInnen zu vermitteln, dass ein digital gekauftes Spiel für sie nicht wirtschaftlich ist. Erstens zahlen sie dafür mehr, zweitens können sie es nicht weiterverkaufen, in Zahlung geben oder verschenken. Wir versuchen die KundInnen davon zu überzeugen, dass es besser ist, ein Spiel auf einem Datenträger zu kaufen. Dann hat man immer die Möglichkeit, das Spiel bei uns vorbeizubringen – und dafür vernünftiges Geld zu bekommen. Wenn man etwas anderes dafür mitnehmen möchte, bezahlt man weniger, es ist nachhaltiger.

IGM: Auch, weil viele Games der neuen Konsolengeneration teurer sind.

Turgut: Genau, bei der neuen Generation sind die Spiele im Schnitt mindestens 10 Euro teurer als bei der vorigen Generation. Da sind die Kunden natürlich besonders glücklich, wenn sie für die Spiele, die sie zuhause haben, bei uns einen vernünftigen Preis bekommen – und folglich nur einen Bruchteil des Preises für ein neues Spiel bezahlen müssen. Das war in den 20 Jahren unseres Bestehens immer unsere Stärke – etwas, was wir den Kunden erfolgreich weitergeben konnten, worüber wir auch glücklich sind. Wir sind nach wie vor sehr fair, sowohl bei den Ein- als auch bei den Verkaufspreisen der Gebrauchtspiele. Deswegen haben wir hier auch überleben können, während andere Fachhändler wegen der Konkurrenz schließen mussten. Wir hatten mit unserem System Erfolg.

IGM: Stichwort neue Konsolengeneration: Wie fachhändlerfreundlich ist die aus Ihrer Sicht?

Turgut: Überraschenderweise hatten nur fünf bis zehn Prozent der KundInnen Interesse an einer Next-Gen-Konsole ohne Laufwerk. 90 bis 95 Prozent wollten die Konsole mit Laufwerk haben – weil man damit natürlich auch noch die älteren Spiele spielen kann. Die meisten Kunden haben ja noch Datenträger zuhause. Wenn sie bei uns günstig ein PS4-Spiel gekauft haben, können sie das auf der PS5 weiterspielen, das ist ein großer Vorteil. Das Problem ist aber einfach: Die PS5 ist kaum erhältlich, Sony konnte wegen Corona weltweit nur 20 bis 25 Prozent der ursprünglich geplanten Menge ausliefern. Die Kundschaft war heiß darauf, endlich eine PS5 zu bekommen, die Ernüchterung folgte dann relativ schnell. Jetzt heißt es halt einfach warten – das haben mittlerweile alle eingesehen. In Sachen Abwärtskompatibilität ist die PS5 natürlich eine optimale Konsole, keine Frage. Aber wie es aussieht, wird Sony erst wieder Mitte, Ende Februar liefern können.

IGM: Das wäre dann ja zumindest ein – wenn auch später – Impuls für Ihr Geschäft.

Turgut: Definitiv! Wenn wir wieder aufmachen dürfen und dann auch genügend Konsolen zur Verfügung stehen, wird uns das mit Sicherheit weiterhelfen.

IGM: Die neuen Konsolen setzen noch stärker auf Streaming und Abo-Modelle. Welche Auswirkungen hat das auf Ihr Geschäft?

Turgut: Für uns ist das ein großer Nachteil. Mit Angeboten wie dem Game Pass haben die Firmen viele KundInnen an sich gebunden. Obwohl diese Angebote meist zeitlich begrenzt sind, werden sie stark genutzt. Das hat sich bei uns schon in den letzten zwei Jahren im Verkauf enorm bemerkbar gemacht. KundInnen, die Angebote wie den Game Pass nutzen, kaufen keine preisreduzierten Spiele mehr – und genau der Verkauf solcher Spiele war ja eine unserer Stärken. Für uns wird es in dieser Hinsicht noch schlimmer werden. Wie gesagt: Die Menschen bleiben im Lockdown zuhause, was natürlich den Digitalkauf befeuert. Von zehn Kunden verlieren wir dadurch mindestens fünf.

IGM: Ist das Merchandise-Geschäft eine Chance?

Turgut: Nicht mehr. Früher war Merchandise sehr gefragt, wir haben das in unseren Geschäften erfolgreich verkauft. Aber mittlerweile ist die Nachfrage stark zurückgegangen, um bis zu 80 Prozent. Wir merken das, wenn Collector's Editions oder Figuren rauskommen. Wenn, dann findet der Handel mit Merchandise online statt. Früher gab es auch eine größere Bandbreite an Produkten, aber mittlerweile ist das nicht mehr so – die Hersteller haben sich auf bestimmte Produkte spezialisiert.

Die Ernüchterung folgte dann relativ schnell

IGM: Gibt es Dinge, die Sie zuversichtlich stimmen? Was wünschen Sie sich für dieses Jahr?

Turgut: Erstens hoffen wir, dass so bald wie möglich die ersten Hilfen eintreffen, damit wir überleben können, damit wir wieder aufmachen können. Zweitens hoffen wir, dass die neue Konsolengeneration langsam in die Gänge kommt, damit wir davon auch profitieren können. Wir verlieren nicht die Hoffnung! In den letzten zwanzig Jahren haben wir es immer geschafft, auf den Beinen zu bleiben, zu überleben – auch wenn das teilweise sehr schwierig war. Durch die Fusion mit Konsolenwelt haben wir das Reparaturgeschäft mit reingenommen, was ja eigentlich sehr erfolgreich ist. Wir tun also etwas, wir schauen uns das Ganze nicht aus der Ferne an. Wir hoffen, dass einfach wieder ein bisschen Bewegung ins Konsolengeschäft kommt, dass wir dann auf den Zug aufspringen können. Aber mit jedem Tag schwinden unsere Hoffnungen. Und es muss wirklich bald etwas passieren – ansonsten geht es uns genauso wie den meisten anderen. (Achim Fehrenbach)

IGM 02/21
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