Orte des Austauschs: Game Dev Meetups in Deutschland

Spieleentwicklung ist anspruchsvoll: Sie erfordert viel Einsatz, Durchhaltevermögen und Erfahrung. Besonders wichtig sind deshalb Events, bei denen sich EntwicklerInnen regelmäßig austauschen und neue Kontakte knüpfen können. In vielen deutschen Städten gibt es Game Dev Meetups, die genau das leisten: Sie bringen die regionale Branche zusammen und sorgen für Synergieeffekte. Doch worauf kommt es bei der Organisation und inhaltlichen Gestaltung an? Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Meetup-Teams im Lauf der Jahre gewonnen haben? Darüber hat IGM mit verschiedenen Beteiligten gesprochen.
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Berlin, Juni 2013: In der Adalbertstraße 8 in Kreuzberg findet die allererste Ausgabe von Talk & Play statt. Rund 70 Angehörige der Berliner Games-Branche haben sich im Community-Space co.up versammelt, um Vorträgen zu lauschen und Indie-Games zu testen, die gerade in der Entwicklung sind. Das Studio Tinytouchtales zeigt seine neuesten Mobile Games; die Künstlerin S. Astrid Bin präsentiert ihre interaktive Story Panic!, die sie mit dem Tool Twine erstellt hat. Organisiert wird das erste Talk & Play von einem Team rund um Lorenzo Pilia, der in Italien Grafikdesign studierte und seit 2008 in Berlin lebt und arbeitet. „Damals zeigte sich, dass ein klarer Bedarf für ein solches Event bestand“, erinnert sich Pilia heute. Talk & Play gibt es 2025 noch immer: In diesem Sommer feiert es seine 50. Ausgabe. Was genau zum Jubiläum geplant ist, wird erst in den nächsten Monaten offiziell. „Die Idee ist ein größeres Event“, verrät Pilia. „Und zwar mit einer Auswahl von Projekten aus den letzten zwölf Jahren, mehreren Vorträgen und Diskussionsrunden.“ Auch der Party-Aspekt werde dabei definitiv nicht zu kurz kommen. „Wir sind hier schließlich in Berlin“, schmunzelt Pilia.

Meetup-Fluktuation
Talk & Play ist eines von zahlreichen Game Dev Meetups, die es hierzulande gibt. Wie viele es in Deutschland ganz genau sind, lässt sich kaum sagen: Gerade in größeren Städten sind sie häufig anzutreffen, allerdings herrscht immer auch eine gewisse Fluktuation. Wer wissen möchte, ob es in der Nähe Vergleichbares gibt, kann sich beispielsweise auf meetup.com umschauen, Tipps vom regionalen Games-Förderer einholen oder schlichtweg googlen. Eine Minimaldefinition des Begriffs „Game Dev Meetup“ könnte lauten: „Wiederkehrendes Event, bei dem sich Branchenangehörige und Games-Interessierte zwecks Austausch und Networking treffen.“ Daraus allerdings ergibt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Formate – dazu später mehr.

 

Sie sollen nette Leute kennengelernt und neue Ideen bekommen haben

Die ersten Game Dev Meetups fanden – wie nicht anders zu erwarten – in den USA statt. Sicher nicht das erste, aber gewiss eines der legendärsten Meetups stieg 1988 im kalfornischen San José, als Game-Designer Chris Crawford gut zwei Dutzend KollegInnen ins Wohnzimmer seines Hauses einlud. Crawford nannte das Meetup „Computer Game Developers Conference“, später wurde daraus die wohlbekannte GDC. Auch in Deutschland treffen sich EntwicklerInnen seit Jahrzehnten – mal mehr, mal weniger strukturiert – zum Erfahrungsaustausch; viele bekannte Meetup-Reihen entstanden jedoch erst Mitte des vergangenen Jahrzehnts. IGM hat sich die Gemeinsamkeiten und Unterschiede einiger prominenter Meetups angeschaut – und bei den Verantwortlichen nachgefragt, worauf es inhaltlich und organisatorisch besonders ankommt.

Event für alle
Das Berliner Talk & Play findet alle zwei Monate statt, das nächste Treffen ist für den 12. Februar geplant. Inklusive einer Sommerpause kommt Talk & Play auf fünf Ausgaben pro Jahr. Im Lauf seiner Geschichte hat es den Standort mehrfach gewechselt; aktuell findet es an der UE University of Europe for Applied Sciences statt, deren Campus umweit des Potsdamer Platzes liegt. „Wir beschreiben Talk & Play als ein ‚Event über Games für alle‘“, sagt Lorenzo Pilia. „Und das meinen wir auch so: Es wird viel Arbeit investiert, um sicherzustellen, dass die Veranstaltung für jeden zugänglich und anregend ist, der sich für Games interessiert oder neugierig darauf ist.“ Entsprechend besteht das Publikum der Event-Reihe nicht nur aus Indie Devs und Angestellten größerer Studios, sondern auch aus Studierenden, Hobbyisten und generell an Games Interessierten. Das Organisationsteam möchte mit Talk & Play besonders auch jene Menschen ansprechen, die in der Games-Branche unterrepräsentiert sind; das Publikum der Veranstaltungen soll also möglichst divers sein. Die Einführung einer Safe Space Policy (ab 2015) und eines Alkoholverbots hätten die Veranstaltung für marginalisierte Gruppen sicherer und einladender gemacht, betont Pilia. „Die Lektion, die wir hier gelernt haben, ist: Man sollte die Veranstaltung für die Art von Publikum konzipieren, das man anlocken möchte – selbst dann, wenn man dadurch andere Leute verärgert. Man kann es nicht allen recht machen.“ Pilia will, dass Talk & Play inspirierend und unterhaltsam ist. „Wenn die TeilnehmerInnen die Veranstaltung verlassen, sollen sie etwas entdeckt haben, was sie noch nicht kannten“, sagt er. „Sie sollen nette Leute kennengelernt und neue Ideen bekommen haben. Und das alles, während sie eine gute Zeit hatten.“

Ein übliches Talk & Play findet an einem Mittwoch statt, beginnt um 18:30 Uhr und endet (offiziell) um 22 Uhr. Im Wesentlichen besteht das Programm des Events aus zwei Teilen: einem Showcase und einem Bühnenprogramm. Der Showcase umfasst bis zu 20 Projekte – die meisten sind Games, gelegentlich werden aber auch Tools, Services und Ähnliches vorgestellt. Die Projekte reichen von Prototypen über gerade entstehende Games bis hin zu vollständig veröffentlichten Titeln; auch Projekte von Studierenden werden präsentiert. „Die sind aber eher in der Minderheit“, erläutert Pilia. „Nicht etwa, weil wir das so ausgewählt hätten, sondern deshalb, weil sich nicht so viele Studierende bewerben.“ Das einstündige Bühnenprogramm umfasst ein bis zwei Kurzpräsentationen sowie Ankündigungen für die Community. Ziel sei, möglichst vielen Projekten eine Plattform zu bieten, so Pilia: Auf diese Weise entstünden neue Förderperspektiven, auch ließen sich dadurch leichter neue Mitarbeitende finden. Talk & Play selbst wird seit seinem Beginn als Privatinitiative organisiert, gelegentlich von Sponsoren unterstützt und durch Spenden des Publikums finanziert. Für 2025 planen Pilia und Co. allerdings eine Änderung in der Organisationsstruktur: Talk & Play soll künftig mit einem eingetragenen Verein zusammenarbeiten.

Publikum vervielfacht
Diesen Schritt ist man in Hamburg bereits gegangen: Der Indie Treff, der dort seit 2014 stattfindet, wurde 2018 in den gemeinnützigen Indie Treff e.V. überführt. Dessen Vorstand und Mitglieder organisieren vier bis fünf Meetups (plus Weihnachtsfeier) pro Jahr – und werden dabei von verschiedenen HelferInnen und Kooperationspartnern unterstützt. „Unsere Veranstaltungen richten sich vor allem an SpieleentwicklerInnen und Studierende“, erläutert Schatzmeister Torben Ratzlaff. „Daneben sind uns natürlich auch weitere selbstständige Kreative sowie allgemein an der Spieleentwicklung interessierte Personen und Organisationen willkommen.“ Kamen anfangs rund 50 Personen zu den Events, so sind es mittlerweile im Schnitt 150. Der Indie Treff findet an unterschiedlichen Orten statt, aktuell jedoch meistens auf dem Campus des SAE Institute Hamburg im Stadtteil St. Pauli. „Wir wollen die Weitergabe von Wissen und Erfahrung ermöglichen, vor allem an neue EntwicklerInnen und Studierende“, betont Torben Ratzlaff. „Zudem ist es unser Ziel, die Vernetzung von unterschiedlichen Personen, Unternehmen und Organisationen niedrigschwellig zu ermöglichen.“ Finanziert wird das Ganze zum einen aus den Beiträgen der Vereinsmitglieder – und zum anderen durch Fördermittel der Hamburg Kreativ Gesellschaft.

 

Die Weitergabe von Wissen und Erfahrung ermöglichen

 

Die regulären Indie Treffs dauern von 19 bis 23 Uhr und beginnen mit einem Bühnenprogramm, bei dem ExpertInnen Vorträge halten und Fragen aus dem Publikum beantworten. Ab 20:15 Uhr gehen die Meetups dann in offenes Networking über; hier sind dann auch aktuelle Game-Projekte anspielbar. „Wir haben im Lauf der Jahre – auch auf Wunsch der Teilnehmenden – den Anteil des Bühnenprogramms zurückgefahren, um dem Networking-Teil mehr Raum zu geben“, berichtet Ratzlaff. „Zudem achten wir bei den Vorträgen auf eine möglichst abwechslungsreiche Themenauswahl.“ (Videoaufzeichnungen aller Vorträge gibt es unter indietreff.de/talks, etwa zu Themen wie „What is level flow?“ oder „Warum Animal Crossing dich beleidigen sollte“.) Laut Ratzlaff ist die zentrale Erkenntnis aus über einem Jahrzehnt Indie Treff, dass es engagierte Leute braucht, um eine Reihe dauerhaft am Laufen zu halten. „Alle anderen benötigten Ressourcen lassen sich im Laufe der Zeit aufbauen“, so der Schatzmeister. Als wichtigen Faktor nennt Ratzlaff auch die Wahl des Veranstaltungsorts, von dessen Verfügbarkeit und Kosten sehr viel abhänge. „Als Drittes ist es sehr wichtig, dass interessierte Personen überhaupt von unseren Veranstaltungen erfahren“, betont er. „Hierüber informieren wir auf zahlreichen Plattformen sowie in unserem Newsletter.“ Der nächste Treff wird übrigens am 11. Februar stattfinden: Auf dem Programm seht unter anderem ein Vortrag zum Thema „Coziness – what it means and how to apply it to games and artworks“.

Start in Düsseldorf
Game Dev Meetups wie Talk & Play oder der Indie Treff konzentrieren sich in erster Linie auf lokale und regionale Vernetzung. Es gibt allerdings auch Meetup-Strukturen, die überregional organisiert sind. Bestes Beispiel ist das FemDevsMeetup, eine 2017 gegründete Initiative, die Frauen und nichtbinäre Personen in der Games-Entwicklung vernetzt und unterstützt. „In der Spieleindustrie wurde häufig über den geringen Frauenanteil diskutiert“, erzählt Gründerin Linda Rendel, die bei Ubisoft als Associate Producer arbeitet. „Ich wollte herausfinden, was passiert, wenn wir uns alle treffen und einen sicheren Raum schaffen.“ Zu Rendels Erstaunen kamen bereits zum ersten Meeting in Düsseldorf  30 Teilnehmerinnen – „und es entstand der Wunsch, solche Treffen regelmäßig zu veranstalten“. Schon bald expandierte FemDevsMeetup in verschiedene deutsche Städte. Laut Rendel sind die Communities in Frankfurt, Düsseldorf, Köln und Berlin derzeit besonders aktiv; zudem betreibt das Netzwerk einen Discord-Server mit über 1000 Mitgliedern. „Die Community zielt darauf ab, einen sicheren und inklusiven Raum für Austausch und Networking zu schaffen“, erläutert Rendel. „Wir fördern die Diversität in der Spieleindustrie, indem wir uns gegenseitig bei der beruflichen Entwicklung unterstützen und unser Wissen teilen.“

Sehr vielfältig sind denn auch die Formate, die FemDevsMeetup seiner Community bietet: Neben regulären Netzwerktreffen gibt es Workshops, Game Jams, Vorträge von Industrie-Expertinnen sowie Mentoring-Programme, die Reviews von Portfolios und Lebensläufen umfassen. Linda Rendel hat im Lauf der Jahre einige wichtige Erkenntnisse gewonnen, wie eine Meetup-Reihe erfolgreich gestaltet werden kann. „Kleine und regelmäßige Events helfen, eine Community aufzubauen, und schaffen eine persönlichere Atmosphäre“, sagt sie. Dass sich das Publikum beim FemDevsMeetup wohlfühle, habe auch mit den klaren Community-Richtlinien zu tun, etwa einer Safe Space Policy. Um Dinge zu verbessern, sei es besonders wichtig, regelmäßig und aktiv Community-Feedback einzuholen, betont Rendel. Zudem habe eine Kombination aus Online- und Offline-Formaten dazu beigetragen, insgesamt mehr Interessierte zu erreichen. Das nächste FemDevsMeetup findet übrigens am 3. Februar statt – und zwar online auf Discord.

Stammtische und Pizza
Auch der Süden der Republik bietet eine ganze Reihe regelmäßiger Game Dev Meetups. In Franken etwa gibt es den Indie Outpost, eine Community, deren Treffen in Bamberg, Bayreuth, Nürnberg, Regensburg und Würzburg stattfinden. In der Metropolregion München gibt es derweil die Meetup-Gruppe GameDevMuc (früher: Munich Indie), die 2013 von Alexander Zacherl, Robin Kocaurek und Sebastian Dorda ins Leben gerufen wurde. „Die Gruppe richtet sich an alle, die sich beruflich, im Studium oder in ihrer Freizeit mit der Entwicklung von Spielen auseinandersetzen“, sagt Mitorganisator Marcus Ihde. Man wolle den Menschen die Möglichkeit zu bieten, sich auszutauschen und weiterzuentwickeln. „Darüber hinaus versuchen wir auch eine Umgebung zu schaffen, in der EntwicklerInnen oder Studierende neue Firmen oder Projekte finden können“, ergänzt Ihde. Die Meetup-Formate von GameDevMuc sind äußerst vielfältig – und auch sehr unterschiedlich getaktet. So findet einmal pro Monat in der Bar ‚Mariannenhof‘ im Münchner Stadtteil Lehel ein Stammtisch statt. Außerdem gibt es das GameCamp, das einmal jährlich rund 200 Teilnehmende am SAE Institute München versammelt; dort stehen unter anderem Talks und Workshops auf dem Programm. Alle paar Monate gibt es zudem die Expert Talks and Pretzels (ExP), die ExpertInnen-Vorträge und Networking vereinen; auch die Münchner Ausgabe des jährlichen Global Game Jam wird von GameDevMuc organisiert. Nicht zu vergessen der „Pizza Playtest“: Die Event-Reihe gastiert bei wechselnden Spielefirmen und Hochschulen und ermöglicht EntwicklerInnen, Test-Feedback aus der Community einzuholen. Viele GameDevMuc-Events werden seit Jahren von privaten Sponsoren unterstützt, etwa von der Spielefirma CipSoft. Finanziell gefördert wird die Gruppe auch von staatlichen Initiativen wie Games/Bavaria (vgl. IGM 09/2024).

 

Wir fördern die Diversität in der Spieleindustrie

 

Ähnlich wie Talk & Play in Berlin plant auch GameDevMuc strukturelle Änderungen. Zuletzt wurde die Initiative vor allem durch Community-Engagement getragen, 2025 soll jedoch ein Verein gegründet werden, „um die Kapazitäten besser zu bündeln“, wie Ihde betont. Im Zuge der Vereinsgründung wolle man die Organisationsteams der einzelnen Events in einer zentralen Struktur – in Form von Arbeitsgruppen – zusammenfassen. „Damit erhoffen wir uns, die Planung und Ausrichtung künftiger Events besser zu koordinieren und den Fortbestand der Formate zu sichern“, erläutert Ihde. „Obwohl wir noch in der Gründungsphase stecken, erfahren wir bereits stetigen Zuwachs im Kernteam und erhalten viel positiven Zuspruch aus der Community.“

Rege Nachfrage
Auch die anderen deutschen Meetups erfreuen sich reger Nachfrage. Lorenzo Pilia veranschaulicht, wie beliebt Talk & Play mittlerweile ist. „Normalerweise stellen wir online 130 kostenlose Plätze zur Verfügung“, sagt er. „Diese sind dann aber in weniger als einer Stunde ausgebucht.“ Die Entscheidung, Talk & Play nur alle zwei Monate zu veranstalten, habe sich als erfolgreiche „Marketing-Strategie“ erwiesen. „Das Event fühlt sich besonders an, wenn es nur alle zwei Monate stattfindet – und die Leute tun ihr Bestes, um es nicht zu verpassen.“ Es lohnt sich also definitiv, bei einem der genannten Meetups vorbeizuschauen – ob nun in München oder Berlin, Düsseldorf, Hamburg oder anderswo. (Achim Fehrenbach)

IGM 02/25
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