Mit vereinten Kräften: Worauf es beim Outsourcing ankommt

Von Art bis Sound, von Programmierung bis QA: Outsourcing ist in der Games-Branche an der Tagesordnung. Doch worauf kommt es beim Ausgliedern bestimmter Aufgabenbereiche an – und wie wird das von den Studios organisiert? Darüber haben wir uns mit einigen Branchenvertretern unterhalten
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Fans von Wuselspielen dürften am 9. Februar jubiliert haben: An jenem Tag nämlich kündigte das Entwicklerstudio Envision Entertainment sein neues Aufbaustrategiespiel Pioneers of Pagonia an. Chef des Ingelheimer Studios ist übrigens niemand Geringeres als Volker Wertich, der Urvater der Siedler-Reihe – sozusagen der „Grandmaster of Wusel“. Laut Pressemitteilung soll Pioneers of Pagonia Ende 2023 zunächst im Early Access auf Steam erscheinen – und eine besonders tiefschürfende Simulation von Produktions- und Warenkreisläufen bieten. Mastermind Wertich verspricht in der Pressemitteilung eine Rückkehr zu den „Ursprüngen der Aufbausimulation“ – und zwar mit „tausenden herumwuselnden Einwohnern“. Der Teaser-Trailer zeigt eine grüne, malerische Inselwelt – mit dem fürs Genre typischen Detailgrad.

Erfahrene Partner
Am Standort Ingelheim bei Frankfurt beschäftigt Envision rund 20 MitarbeiterInnen, die teilweise schon beim Vorgänger Phenomic Game Development tätig waren. Wie schafft es ein derart kompaktes Studio, ein solches Mammutprojekt zu stemmen? „Uns bei Envision Entertainment ist es sehr wichtig, in überwiegenden Bereichen der Entwicklung die kreative Vision des Spiels zu gestalten – wie zum Beispiel das Game-Design von Volker Wertich“, sagt Art Director Timm Schwank. „Dennoch arbeiten wir sehr gerne mit erfahrenen Partnern zusammen, die uns in kreativen und auch produktionstechnischen Aufgaben unterstützen.“ Die größte Menge an Outsourcing-Kapazitäten werde typischerweise in der Art Production benötigt, so Schwank. Envision arbeite deshalb mit verschiedenen Firmen in den Bereichen Concept Art, VFX sowie 3D Environment Modeling & Animation zusammen. Als Beispiel nennt Schwank den Teaser-Trailer von Pioneers of Pagonia: Das Artwork habe das Londoner Concept-Studio Opus Artz beigesteuert. „Beim Sound-Design setzen wir auf die Profis von Dynamedion aus Mainz, mit denen wir schon seit Jahren erfolgreich kooperieren“, ergänzt Schwank. „In der 3D-Modelling-Produktion gehen wir diesmal neue Wege und freuen uns sehr auf einen agilen Partner, der gut zu uns und unseren Bedürfnissen im Indie-Development passt.“ Welcher das ist, will Envision zum jetzigen Zeitpunkt allerdings noch nicht verraten.

 

Gründliche Prüfung

 

Doch wann lohnt sich Outsourcing eigentlich für ein Studio – und wann macht das Ausgliedern wenig Sinn? „Das kommt grundsätzlich sehr auf die individuelle Situation und Aufgabe an“, erläutert Schwank. Als Vorteile von Outsourcing [künftig auch „OS“] sieht er die Fokussierung auf das Kerngeschäft, die Reduktion von unnötiger Mitarbeiter-Fluktuation und Kosten, eine hohe Agilität und auch die Möglichkeit, die Qualität durch externes Know-how deutlich zu steigern. Schwierig seien hingegen Situationen, „in denen die Zeit- und Kostenersparnis verlorengeht und so zum Beispiel das Kerngeschäft am Ende trotzdem leidet“, betont Schwank. Es sollte immer genügend Zeit eingeplant werden, um mögliche Missverständnisse zu klären – und dauerhaft stabile Abläufe zu etablieren. Ein OS-Anbieter muss laut Schwank absolut kundenorientiert und erfahren sein; auch langjährige Partnerschaft seien da grundsätzlich von Vorteil. „Eine gründliche Prüfung des möglichen OS-Partners kann Risiken und unnötige Abhängigkeiten reduzieren“, rät der Art Director. „Besonders gute Erfahrung haben wir über die Jahre durch persönliche Besuche vor Ort gemacht.“

Erstmals Self-Publisher
Auch das Münchner Studio Mimimi Games hat gerade einen neuen Titel angekündigt. In Shadow Gambit: The Cursed Crew geht eine Horde untoter Freibeuter in einer Alternativwelt-Karibik auf Beutezug – und legt sich dabei unter anderem mit der Inquisition an. Shadow Gambit setzt auf Echtzeit-Taktik und Stealth-Action, soll aber mehr Sandbox-Freiheiten als beispielsweise Shadow Tactics: Blades of the Shogun (VÖ 2016) bieten. Mit Shadow Gambit tritt Mimimi Games erstmals als Self-Publisher auf – und das bringt auch in puncto Outsourcing neue Herausforderungen mit sich. „Zunächst mussten wir scouten und die Outsourcing-Firmen kennenlernen“, erzählt Studiochef Johannes Roth im Interview mit IGM. „Einige Verbindungen gab es bereits, aber an manchen Stellen mussten wir auch bei Null anfangen. Das bedeutet: Empfehlungen einholen, Verträge aufbauen, verstehen, wie die Firmen funktionieren, was deren Stärken und Schwächen sind.“ Der Aufwand fürs Self-Publishing sei denn auch keineswegs zu unterschätzen, sagt Roth: „Das ist schon ein großes Zeit-Investment.“

Mimimi nutzt Outsourcing in verschiedenen Bereich: Bei Vertonung, Lokalisierung, Quality Assurance, Buchhaltung, Steuererklärung, diversen Marketing-Themen – und häufig auch bei der Trailer-Produktion. Den größten OS-Vorteil sieht Roth darin, dass es flexibler als ein festes Anstellungsverhältnis sei. „Angenommen, ich stelle für QA drei Leute fest an“, erläutert er. „Was machen die, wenn das Spiel fertig ist, an dem man gearbeitet hat? Vielleicht gibt es noch eine Patching-Phase und anschließend wieder ein neues Projekt. Aber auch dann gibt es noch nicht viel zu testen – da muss erst mal ein Prototyp entstehen.“ Als weiteren Vorteil sieht Roth, dass QA-Firmen neue Spiele stets auf der aktuellsten Hardware testen können: „Als Studio will ich mir diese Hardware ja nicht alle drei Jahre neu zusammenstellen.“ OS-Dienstleister können zudem sehr flexibel auf Verschiebungen im Produktionsablauf reagieren – indem sie einfach andere Projekte dazwischenschieben. Last but not least geht es beim Outsourcing auch um Qualität, betont Roth: „Ich persönlich würde keine SchauspielerInnen für Tonaufnahmen buchen wollen. Mit Casting kenne ich mich überhaupt nicht aus – und auch nicht mit der Direction vor Ort. Bei Trailern ist das ähnlich – das können wir intern gar nicht leisten.“ Bei der Spielgrafik macht Mimimi indes vieles selbst, so der Managing Director: „Ich würde sagen, es ist ungewöhnlich, dass man so viel in-house macht.“

 

Flexibler als ein festes Anstellungsverhältnis

 

Aus aller Welt
Das Münchner Studio arbeitet mit Dienstleistern aus unterschiedlichen Ländern und Weltregionen zusammen. „OMUK aus London kümmern sich ums Casting und um die Sprachaufnahmen“, berichtet Roth. „Das haben die auch schon bei Shadow Tactics gemacht, weil Daedalic mit denen gute Erfahrungen hatte. Seitdem sind wir verbandelt und arbeiten miteinander.“ Für Shadow Gambit hat Mimimi noch einige andere OS-Anbieter an Bord geholt: Das Playtesting übernimmt die spanische Firma Antidote, die CG-Trailer werden von der malaysischen Firma Glow Production erstellt, die Key Art kommt von Polar Engine aus Indonesien – und der Soundtrack von FBPSound aus München. Mit dessen Gründer – dem Komponisten Filippo Beck Peccoz – arbeitet Mimimi übrigens schon seit 2011 (daWindci) zusammen.

Die Suche nach passenden OS-Anbietern ist laut Roth nicht gerade einfach, weil der Markt sehr unübersichtlich ist: „Es gibt unendlich viel Kaltakquise. Das ist eher nervig, weil man nur eine Firma sucht und nicht 300. Manchmal funktioniert es trotzdem, wenn da jemand sehr gut ist.“ Am besten sei ohnehin eine direkte Empfehlung – zum Beispiel von einem Studio, das ähnlich komplexe Spiele entwickle wie man selbst. Natürlich spiele auch das Budget bei der Wahl der Partnerfirma eine wichtige Rolle, so der Studiochef: „Viele Angebote aus den USA sind um den Faktor 4 oder 5 teurer. Das können wir uns einfach nicht leisten.“ Grundsätzlich würde Mimimi nicht mit einer Firma zusammenarbeiten, die ihre Werte nicht teilt. „Sie darf also keinen Crunch praktizieren, sondern muss ihren MitarbeiterInnen gesunde Bedingungen und eine faire Bezahlung bieten“, betont Roth. Sehr wichtig ist Mimimi auch, die Outsourcing-Fachkräfte im Abspann seiner Spiele zu würdigen. „Entsprechend lang werden die Credits“, schmunzelt Roth.

Definitionssache
Auch das Berliner Studio Yager Development nutzt regelmäßig Outsourcing. Schon bei Spec Ops: The Line (2012) waren einzelne Tasks ausgegliedert – genauso wie beim aktuellen Titel The Cycle: Frontier. Yagers Managing Director Timo Ullmann unterscheidet dabei zwischen Outsourcing und Co-Development. „Beim konventionellen Outsourcing sind die Ergebnisse und Prozesse bis zu einem gewissen Umfang vordefiniert“, sagt Ullmann. „Die Inhalte, von denen wir hier sprechen, umfassen in der Regel Art-Assets, Animationen, Programmierung, QA sowie Sound und Musik.“ Beim Co-Development hingegen arbeite man intensiv mit Partnerfirmen zusammen, um Features wie Gameplay-Mechaniken, Maps, Level und Game-Modes zu verwirklichen. Für The Cycle: Frontier hat Yager die Bereiche Art, QA und Musik ausgegliedert, so der Studiochef. Ob sich Outsourcing lohnt, hängt laut Ullmann vom Kontext ab. „Das Outsourcen von Aufgabenbereichen bietet sich an, sofern ein Team nicht groß genug ist, um ausreichend Content und Features eigenständig zu produzieren“, sagt er. Zudem könne man mit OS auch sehr gut Produktionsspitzen abfangen, externes Know-how heranziehen und die Team-Größe und laufenden Kosten unter Kontrolle halten. Dagegen lohne sich OS nicht, „wenn die Aufgaben und Ergebnisse unklar definiert sind, die Kosten-Nutzen-Rechnung ein unwirtschaftliches Ergebnis aufzeigt oder eine gute Outsourcing-Pipeline fehlt“. Kurz gesagt: OS ist keineswegs ein Selbstläufer.

Ein deutscher Anbieter von OS ist die Firma Airborn Studios. 2015 gegründet, beschäftigt sie in Berlin rund 30 MitarbeiterInnen – und arbeitet auch häufig mit Freelancern zusammen. Airborn Studios ist auf stilisierte Spielegrafik spezialisiert und hat über die Jahre etliche namhafte Kunden gewonnen. „Viele Spieler und Entwickler kennen unsere Arbeit an Ori and the Blind Forest, bei dem wir für die Grafikentwicklung und -produktion verantwortlich waren“, erzählt Projektmanager Julian Dasgupta. Auch an Halo 4 und 5, Overwatch, Fortnite, der Spyro Reignited Trilogy und an Crash Bandicoot 4 hat das Studio mitgewirkt. Dasgupta zufolge gestaltet sich die Zusammenarbeit von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich. „Nicht selten sind wir schon in sehr frühen Entwicklungsphasen – also in der Pre-Production – dabei“, so der Experte. „Da geht es erst mal um Stilbestimmung und das Festlegen der Grafik-Pipeline.“ Weil Airborn die Produktion oft bis zum Ende begleitet, kann die Zusammenarbeit durchaus zwei Jahre und länger dauern. „Da viele Spiele heutzutage von einem steten Nachschub an Inhalten leben und Service-Charakter haben, können sich aber auch Dauerbeziehungen entwickeln“, erläutert Dasgupta. „Mit dem Overwatch-Team arbeiten wir seit 2014 ununterbrochen zusammen und sind im Laufe der Zeit nahtlos vom ersten zum zweiten Teil gewechselt.“ Die Team-Größe variiert je nach Projekt und Produktionsphase, so der Projektleiter. Für Stilfindung oder R&D-Vorhaben seien manchmal zwei bis drei GrafikerInnen am Start, bei größeren Produktionen auch schon mal 15 oder mehr.

 

Nicht die Lösung, wenn man ein Feuer löschen will

 

Qualität und Kommunikation
Wie schafft es Airborn nun, aus der Masse der Anbieter herauszustechen? Die wichtigsten Faktoren sind für Dasgupta Qualität und Kommunikation – „weil wir als mittelgroßes Studio mit viel größeren Anbietern aus anderen Märkten in Sachen Masse nicht mithalten können und wollen“. Airborn habe nie aktiv Akquise betrieben, sondern über die Jahre hinweg sein Netzwerk ausgebaut. „So kommt es dann vor, dass man direkt in Folgeproduktionen eingebunden wird – siehe Crash Bandicoot 4 und Overwatch 2 –, oder dass uns ein Publisher mit anderen Teams innerhalb seiner Studio-Familie verbandelt“, freut sich Dasgupta. Das öffentliche Portfolio sei gerade mit Hinblick auf Neukunden sehr wichtig, die nach bestimmten Stilrichtungen oder Skills suchten. Airborn versuche auch gar nicht, „der Hans Dampf in allen Gassen zu sein“, sondern konzentriere sich voll auf stilisierte Spielgrafik.

Für einige Aufregung – auch bei OS-Firmen – sorgt derzeit der Fortschritt bei Künstlicher Intelligenz. Auf der Präsentationsplattform ArtStation gab es Mitte Dezember eine große Protestaktion, nachdem Mitglieder dort Bilder hochgeladen hatten, die mit der KI Stable Diffusion erzeugt worden waren. Gefährdet KI also das Geschäftsmodell von Outsourcing-Firmen? Julian Dasgupta hält ein Urteil für verfrüht, sieht aber durchaus auch Chancen. „Es ist zum aktuellen Zeitpunkt aufgrund vieler noch ungelöster Fragen unklar, wie genau KI-generierte Inhalte langfristig in Spieleproduktionen eingebunden werden“, so der Experte. „Dass es in irgendeiner Form passieren wird, ist allerdings keine gewagte Prognose.“ Als grundlegenden Trend bei OS sieht Dasgupta derweil die tiefere Integration der Anbieter: Sie werden immer früher in den Produktionsprozess eingebunden, arbeiten immer länger mit den Studios zusammen und liefern längst nicht mehr nur einzelne Assets, sondern bewegen sich in Richtung Co-Development. Verteiltes Arbeiten sei im Outsourcing heute normaler denn je zuvor, sagt Dasgupta: „Spätestens durch die Pandemie hat es bei vielen Herstellern ein Umdenken gegeben. Die Pipelines und Strukturen sind nicht mehr darauf ausgelegt, dass ein größeres Kernteam über eine lange Zeit hinweg gemeinsam an einem Ort sitzt.“ Die relative Ortsunabhängigkeit bietet schlichtweg mehr Flexibilität.

Sensitivity-Check
Mimimi Games setzt bei Shadow Gambit sehr stark auf Lokalisierungs-OS. „Wir lassen den Text in 13 Sprachen übersetzen“, berichtet Johannes Roth. „Da kommt etwas zusammen, das sind deutlich über 150.000 Wörter.“ Die Lokalisierung umfasse auch sogenannte Sensitivity-Checks, so der Managing Director: „Shadow Gambit spielt ja in einer alternativen Version der Karibik – und wir müssen prüfen, ob da nichts Anstößiges drin ist. Solche Dinge muss man auch outsourcen, weil wir das selbst nicht immer so gut einschätzen können.“ Aus Sicht von Roth kann Outsourcing grundsätzlich sehr viel Aufwand verursachen – und sollte deshalb nicht als reine Abkürzung verwendet werden: „Outsourcing ist nicht die Lösung, wenn man ein Feuer löschen will“, bringt es Roth auf den Punkt. Wer OS allerdings wohldosiert einsetzt, kann durchaus von der Ausgliederung profitieren – was sich am Ende auch in der Qualität des jeweiligen Spiels zeigt. (Achim Fehrenbach)

IGM 03/23
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