IGM: BMW will 2020 groß in den eSports einsteigen, die Ambitionen gehen in Richtung "Größter Player im Markt." Warum gerade jetzt, und wie passt das zur Marke BMW?
Jens Marquardt: Der eSports als Gesamtkanal wächst deutlich stärker als der traditionelle Sport. Natürlich laufen hier viele unterschiedliche Spiele zusammen, aber Gaming ist insgesamt ein Massenphänomen, welches wir als BMW ja schon seit Jahrzehnten sehr stark fördern: Wir arbeiten mit Gran Turismo, Forza Motorsport, iRacing und vielen Spielestudios zusammen, um unsere Fahrzeuge so detailgetreu und echt wie irgend möglich in die Spiele zu transferieren. Dafür betreiben wir sehr viel Aufwand, haben etwa eine eigene Abteilung geschaffen, die Spieleherstellern Zugriff auf unsere Testpiloten und sehr viele Daten gibt. Natürlich ist das auch ein spannender Marketing-Ansatz, wir haben beispielsweise die Weltpremiere des BMW M5 vor einigen Jahren auf der gamescom im Rahmen der Pressekonferenz zu Need for Speed zelebriert. Durchaus mit einer gewissen Hollywood-Inszenierung – das war eine Metallbox mit kleinen Sprengladungen, großem Pyro-Effektfeuerwerk und dann fährt das Auto raus. Diese Gaming-Sprache mit der BMW-Markenwelt zu verheiraten, ist also prinzipiell schon mal spannend. Was in diesem Portfolio noch fehlte, ist, eine stärkere Verbindung zwischen dem realen mit dem virtuellen Motorsport zu schaffen.
Natürlich ist das auch ein spannender Marketing-Ansatz
IGM: Sie haben mit Jens Thiemer gerade einen neuen Senior Vice President Marketing engagiert, der als Chief Marketing Officer bei Mercedes-Benz eSports entscheidend etabliert hat, gerade auch als Partner der ESL. Hat er diesen Wandel hervorgerufen?
Jens Marquardt: Das waren sicherlich sehr viele Personen im Konzern, aber natürlich hilft es, wenn der globale Marketingchef eine sehr hohe Affinität zu eSports hat – Jens spielt Dota 2, Fortnite, Gran Turismo, iRacing. Einen Gamer im Vorstand zu haben, pusht das Thema natürlich nochmal stärker. BMW steht und stand immer für eines der innovativsten Unternehmen der Welt, und daran müssen wir uns kontinuierlich messen: Wir waren die ersten, die mit dem i8 einen vollelektrischen Supersportler auf der Straße hatten – Sie erinnern sich vielleicht an seine Weltpremiere in Mission Impossible, kurz darauf war er dann auch erhältlich. Wir waren als einer der ersten Hersteller in der Formel E. Diese DNA von BMW gilt es zu pflegen, und wir sehen eSports auch nicht nur als Marketing-Tool und Absatzmarkt, sondern als Möglichkeit, Kompetenzen und Talente ins Haus zu holen, die wir vielleicht noch nicht haben.
IGM: Sie profitieren also von der Zusammenarbeit mit eSportlern?
Jens Marquardt: Gewiss. Unsere Zusammenarbeit mit eSports-Profis zeigt uns, wie man mit der Gaming-Community auf Twitter interagiert, wie man die Social-Media-Profile in dieser Welt bespielen muss, aber natürlich sind Gamer auch eine Zielgruppe, die weit überdurchschnittlich technologie-affin ist: Wer Rennsimulationen spielt, der weiß genau, wie unsere Motoren funktionieren, und wir merken, dass auch das Interesse an E-Auto-Technologie bei Gamern enorm hoch ist. Videospieler haben eine natürliche Neugierde und Spaß daran, Innovationen ausprobieren. Das ist spannend für uns für unsere i-Produktlinie im vollelektrischen Bereich – in München finden Sie fast an jeder Ecke einen BMW i3, den Sie für einen kleinen Betrag und ruck zuck via App mieten können. Autofahren heißt heutzutage nicht mehr zwingend Autobesitzen. Aber auch beim klassischen Verbrenner tut sich viel, gerade bringen wir mit dem BMW M2 CS Rennsport-Technologie auf die Straße und machen diese für den "normalen" Motorsport-Enthusiasten fahr- und erlebbar. In der Regel hat man ja privat kein DTM-Auto in der Garage.
IGM: Wie können wir uns diesen Generationswechsel intern vorstellen? Ist es schwierig, als BMW-Manager mit Fokus Motorsport auf e-Sports umzuschalten?
Jens Marquardt: Ich persönlich empfinde das gerade als eine ganz tolle, aufregende, lehrreiche Zeit: Mit Computersystemen, Servern und Daten arbeite ich jeden Tag, nur bei Videospielen hatte ich bisher weniger Ansatzpunkte – klar, mal mit dem Sohnemann gespielt, aber weniger selbst und aktiv. Es ist unglaublich faszinierend, wie gut die Lenkräder heute sind, die Pedale, die Schaltmodule, wie sich der Reifenabrieb auf die Performance auswirkt. Wer diese Games spielt, der versteht sehr viel besser, mit welchen Herausforderungen wir im realen Motorsport zu kämpfen haben. Bei unserer SIM-Racing-Night hier in der BMW-Welt war eines der spannendsten Gespräche für mich, als ein Journalist zu mir sagte "Als ich so selbst am Setup gearbeitet habe, die Rei-fentemperatur beim Fahren überprüfen musste und die Motortemperatur – da habe ich erst verstanden, mit was für technischen Herausforderungen ihr in der DTM zu kämpfen habt." Insofern glauben wir, dass wir über Gaming und eSports die Menschen auch näher ranführen können an die unterschiedlichsten Komponenten der Motorsportwelt. Natürlich gibt es sehr viele Aspekte, die ein Spiel nicht abdecken kann, insbesondere die extreme physische Auswirkung von G-Kräften, aber das ist auch besser so (grinst).
IGM: Wie digital ist BWM im Jahr 2020, und inwiefern planen Sie, auch die physischen Locations des Konzerns in die eSports-Strategie einzubetten? BMW hat ja den Vorteil von tausenden Autohäusern.
Jens Marquardt: Im Motorsport sind wir voll digital, wir werten ja schon seit Jahren unsere Telemetrie-Daten von Simulatoren hier in München aus und spielen diese über speziell gesicherte Kanäle an die Renn-Teams vor Ort bei den Turnieren. Aber natürlich auch im Marketing, Customer Intelligence ist hier sicherlich ein großer Punkt. Wir interessieren uns sehr dafür, was unseren Kunden eigentlich Spaß macht: Motorsport im realen Leben, aber eben auch virtuell: Gran Turismo Sport, Forza Motorsport, iRacing. Wir haben jetzt begonnen, diese Hightech-Sport-Simulatoren für Gaming, die wir auch hier nutzen, in der BMW-Welt zu etablieren. Das ist sicherlich ein Thema, das wir in Zukunft deutlich stärker ausspielen können und werden. Den eSports denken wir nicht nur national, sondern vor allem global. Wir haben bereits eine Partnerschaft mit Cloud 9, einem der größten eSports-Clans der Welt, der sehr stark ist in unterschiedlichsten Disziplinen wie einem Fortnite, einem League of Legends, einem Dota 2, einem Rocket League. Für meine Abteilung geht es aber vor allem darum, eine Brücke zwischen realem und virtuellem Sport zu schlagen: Wir haben zum Beispiel eine Serie gestartet, in der sich die aktuellen Rennbedingungen und Fahrer von Formel-E, DTM etc. widerspiegeln.
Eine Brücke zwischen realem und virtuellem Sport schlagen
IGM: McLaren hat mit Shadow Project eine sehr erfolgreiche Show etabliert, in deren Rahmen die Engländer Testfahrer für den hauseigenen Simulator gecastet haben – die beiden Gewinner arbeiten jetzt für die McLaren-Piloten Lando Norris und Carlos Sainz. Wäre das auch für BMW denkbar?
Jens Marquardt: Nicht nur denkbar, sondern Teil der Strategie. Gamer sind maximal belastbar, unsere bisher gesammelten Werte zeigen, dass Menschen, die regelmäßig Rennspiele konsumieren, ein weit überdurchschnittliches Reaktionsvermögen haben und dieses über sehr lange Zeit halten können. Genau das suchen wir für den Motorsport. Das ist auch einer der Gründe, warum wir hier im Rahmen der BMW SIM Live so viele unserer Werksfahrer eingeladen haben, die im Team mit Journalisten und eSports-Profis fahren, weil wir in internen Gesprächen mit Timo Glock, Tom Sykes und vielen anderen Fahrern festgestellt haben, dass Gamer enorm gut darin sind, Strecken zu lesen, Bremspunkte ins Muskelgedächtnis übergehen zu lassen und konstant Leistung abzuliefern – genau das brauchen wir für BMW Motorsports. (bk)