Vorbild Flughafen? PoS-Trends, Teil 2

Zugegeben: Angesichts des weltweit grassierenden Coronavirus fühlt es sich reichlich seltsam an, über den stationären Handel an deutschen Flughäfen zu schreiben. Die Reisebranche wird von der Epidemie besonders schwer getroffen: Immer mehr Reisende stornieren aus Angst vor Ansteckung Flüge und Hotels; Reisev­erbote von und in besonders betroffene Regionen erschweren die Lage der Branche zusätzlich. Dennoch lohnt es sich, den Flughafen als Retail-Ort unter die Lupe zu nehmen. Denn erstens wird der Coronavirus früher oder später eingedämmt werden können. Und zweitens haben sich Flughäfen in den letzten Jahrzehnten zu wahren Marketing-Pionieren entwickelt – von denen auch der Games-Handel so einiges lernen kann.
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Copyright Basis-Bild: Fraport

Blicken wir ein paar Monate zurück – auf die Zeit, in der das Coronavirus noch gar nicht ausgebrochen war. Im Sommer 2019 veröffentlichte die International Air Transport Association (IATA) eine Studie mit beeindruckenden Zahlen: Danach hatten Fluggesellschaften im Jahr 2018 insgesamt 4,4 Milliarden Passagiere befördert – ein Zuwachs von 6,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Europa lag mit einem Plus von 6,6 Prozent nur knapp hinter dem globalen Wachstum. Deutschland kam bei internationalen Flugreisen immerhin noch auf Platz vier – mit insgesamt rund 94 Millionen Passagieren. Dementsprechend wachsen auch die deutschen Flughäfen. Dem Dachverband Airports Council International (ACI) zufolge war der Flughafen Frankfurt am Main 2018 nach London-Heathrow, Paris-CDG und Amsterdam-Schiphol der viertgrößte Airport Europas (69,5 Millionen Passagiere); der Flughafen München landete derweil auf Platz acht (44,6 Millionen Passagiere).

Shopping-Oasen
Als Handelsplattformen werden die Flughäfen immer wichtiger. Während klassische Malls kriseln und die Innenstädte Laufkundschaft verlieren, mausern sich die Airports zu wahren Shopping-Oasen. Einer Studie der NPD Group zufolge haben Flugreisende vor Ort im Durchschnitt 56 Minuten Freizeit, bevor ihr (Weiter)flug startet. Davon nutzen sie 25 Minuten, um sich in den Duty-Free-Shops umzuschauen. Natürlich wollen sie in dieser knapp bemessenen Zeit nicht unnötig nach bestimmten Produkten suchen oder in Warteschlangen stehen, deshalb werden topaktuelle, zeitsparende PoS-Technologien und ausgefeilte Marketingstrategien für die Anbieter vor Ort immer wichtiger. Für den Games- und Elektronikhandel sind diese neuesten Entwicklungen ebenfalls spannend: Die Flughäfen gleichen Experimentierfeldern, deren Technologie schon bald Einzug in den allgemeinen Retail-Handel finden dürfte. Bereits Anfang Februar erhielt IGM bei der Location Based Marketing Conference (LOCA) in Wiesbaden einen Einblick in die neuesten PoS-Trends. Teil der Veranstaltung waren auch Vorträge zu den Marketing-Strategien der Flughäfen Frankfurt und München – sowie eine Retail-Tour am Flughafen Frankfurt selbst. Wie also können Airports eine innovative Führungsrolle übernehmen?
 

Spezielles Prämien­programm

Martin Korosec ist Managing Director der Flughafen Media Frankfurt GmbH. Bei der LOCA sprach Korosec über die Omnichannel-Strategie seines Unternehmens – und gab Beispiele, wie diese Strategie vor Ort umgesetzt wird. In der Vor-Corona-Zeit gab es am Frankfurter Flughafen pro Tag 1403 Starts und Landungen, die Verweildauer der Fluggäste lag sogar bei durchschnittlich 140 Minuten. Das gibt Media Frankfurt natürlich viel Spielraum für seine Omnichannel-Strategie. "Der Omnichannel-Ansatz verknüpft die unschlagbare Reichweite von analoger und digitaler Werbung mit der physischen Produktpräsenz am PoS und der Direktansprache online", so Korosec im IGM-Interview. "Gebündelt erreichen wir die Passagiere über alle Kampagnenkanäle, die uns am Frankfurt Flughafen zur Verfügung stehen. Das sind: klassische Airport-Werbung, E-Commerce, das Web-Portal, Mobile, Wifi, PoS und der Newsletter." So erreiche man eine lückenlose Ansprache der Zielgruppen und eine sogstarke Werbewirkung, betont Korosec: "Das ist bestimmt der ganzheitlichste und umfassendste Ansatz, den man bisher in der Airport-Werbung erlebt hat." Als Beispiel nennt Korosec das "Click & Collect" über den Online-Marktplatz: "Unsere Passagiere können schon vor ihrer Flugreise ausführlich in den Shops unserer Filialisten bummeln. Auf dem Online-Marktplatz können Sie sich beispielsweise eine neue Armbanduhr oder das Lieblingsparfüm vorab reservieren und dies dann am Reisetag vor Ort zeitsparend abholen." Für Fluggäste mit einem EU-Ticket bietet das Unternehmen als zusätzlichen Service die Lieferung nach Hause an. Abgerundet wird das Ganze durch ein spezielles Prämienprogramm. Laut Korosec sind am Flughafen mehr als 2000 Beacons (vgl. IGM 06/2015) im Einsatz, mit denen sich die Wege der Kunden (bei eingeschaltetem Smartphone-Bluetooth) tracken lassen.

Flächendeckende Werbung
Korosec berichtet von einer besonders ausgefeilten Omnichannel-Kampagne aus dem vergangenen Jahr. Ziel der dreimonatigen Kampagne war, die Aufmerksamkeit der Fluggäste auf La Prairie zu lenken: Unter diesem Markennamen verkauft Beiersdorf luxuriöse Pflege- und Kosmetikprodukte. "Der Anspruch war hoch gegriffen", erzählt Korosec. "Jeder Passagier sollte im Laufe seines Aufenthalts am Flughafen Frankfurt der Marke La Prairie begegnen." Die Kampagne umfasste nicht nur massive Werbung auf dem Weg zum Terminal B, sondern auch Promotion-Points im Duty-Free-Shop Heinemann und auf einer Extrafläche im Transitbereich B. Darüber hinaus wurden die Produkte auch in der Fraport eBoutique beworben; Werbung fand sich auf der Flughafen-Website, in der offiziellen der App, im Online-Shop und im Heinemann-Newsletter. "Als erster Kunde für diesen ganzheitlichen 360-Grad-Ansatz hat La Prairie äußerst überzeugende Ergebnisse erzielt", freut sich Korosec. Die begleitende Marktforschung liefert Zahlen, wonach Markenbekanntheit und Kaufabsicht während der Kampagne überproportional stark anstiegen.

Kosmetik ist ein klassisches Luxusprodukt, mit dem Fluggäste natürlich rechnen. Games sind dagegen eher Souvenirs, die man am Flughafen kauft, wenn noch etwas Geld übrig ist. Elektronikprodukte wie Kopfhörer oder Tablets sind ebenfalls keine Luxusprodukte, sondern in erster Linie Gebrauchsartikel. Bereits vor neun Jahren stellte IGM die sogenannten Automated Shops vor, mit denen Elektronikhändler kurzentschlossene Flughafengäste erreichen wollten (04/2011). Auf Anfrage teilte uns MediaMarktSaturn nun mit, dass die Automaten ("Saturn Xpress") schon vor einigen Jahren wieder rückgebaut wurden. Gleichwohl findet man Elektronikprodukte in deutschen Flughäfen an verschiedenen Stellen. In Frankfurt sind das zum Beispiel die Anbieter CAPI Photo Electronics, Fotec, o2, Photair, Relay und o2/Samsung. CAPI bezeichnet sich auf seiner Website als "leading airport retailer in electronics", der 40 Airport-Stores in Europa, dem Nahen Osten, Asien und Afrika betreibt. Potenzielle Kunden können die Produktverfügbarkeit auf der Website auch nach Flughäfen filtern: Zumindest am Frankfurter Flughafen bietet CAPI keine Games oder Konsolen an. Sondern Kopfhörer, Spielzeugdrohnen und Rasierapparate ...

Quasi-Warenhaus
Die Retail-Struktur am Flughafen München sieht ganz anders aus als die in Frankfurt. Rund  70 Prozent der Retailfläche werden über die hundertprozentige Tochter eurotrade Flughafen München Handels-GmbH betrieben, 30 Prozent sind klassisches Vermietungsgeschäft. Stefan Koenen ist Director of Marketing & Sales Director eCommerce von eurotrade; bei der LOCA Conference sprach er über neue Shop-Konzepte und Technologien. "Als Quasi-Warenhaus am Flughafen München verwalten wir alle angebotenen Artikel selbst", so Koenen gegenüber IGM. "Wir sprechen von ca. 57.000 Artikeln, die wir über die eigene Logistik und über 52 eigene Stores vermarkten." Nur so kann die eurotrade überhaupt ein durchgängiges Omnichannel-Konzept aufsetzen, betont Koenen: "Andere Flughäfen sind in der Regel strukturidentisch mit Shopping-Centern. Dort ist jeder Mieter selbst für sein Sortiment, aber vor allem Kassensystem sowie Back-Office verantwortlich." Diese Faktoren machten es klassischen Flughäfen, Bahnhöfen und Shopping-Centern de facto unmöglich, ein wirklich durchgängiges Omnichannel-Konzept zu fahren. Als "Internationalstes Kaufhaus Europas" betreibe eurotrade Shops aus den Bereichen Duty-Free, Presse/ Reisebedarf, Uhren/Schmuck und Fashion – zum Beispiel Hermès, Boss und Superdry/Marco Polo. Als besonders wichtige Zielgruppen nennt Koenen "Chinesen, Amerikaner sowie deutsche Geschäftsreisende". Gerade bei asiatischen Kunden bemerke der Flughafen München natürlich nun die Auswirkungen der Coronavirus-Krise.

Bei der LOCA Conference stellte Koenen unter anderem die Marken MyDuty Free und die neue Marke MyCorner vor. Ziel dieser Markenentwicklungen sei eine "Alleinstellung im Bereich des Flughafen-Retailing", sagt der Marketing-Experte. Gleichzeitig versuche man eine "relevante Markenstory zu entwickeln, die im besten Fall nicht nur originell ist, sondern auch eine Mehrwertrelevanz für den Kunden erfüllt", so Koenen. "MyDuty Free kommt zu 100 Prozent aus der Travel-Retail-Welt und umfasst das klassische Duty-Free-Geschäft mit den klassischen Warengruppen, die MyCorner Stores sind auf das klassische Presse- und Reisebedarfssortiment ausgelegt. Hier finden Kunden Bücher, Magazine, Getränke oder auch Souvenirs." Als Händler am Flughafen denke man auch über die Einführung eines CRM-Systems nach. "Damit wäre das Kundenerlebnis für die Marken ‚My…' ganzheitlich integriert", sagt Koenen. "Speziell im MyCorner Store im Terminal 2 werden künftig alle Retail-Innovationen getestet. So zum Beispiel das Konzept ‚Smart Checkout Tap, Pay & Enjoy'."

Kassenlos zahlen
Was genau ist darunter zu verstehen? Letztlich geht es darum, dass die Kunden schnell und unkompliziert bestimmte Waren kaufen können – ohne dafür an einer Kasse anstehen zu müssen. Das Pilotprojekt fuhr eurotrade gemeinsam mit dem Zahlungsdienstleister Wirecard und dem Display-Ausstatter SES-Imagotag. In den MyCorner-Stores am Flughafen München wurden zunächst sogenannte Electronic Shelf Labels (ESLs) eingebaut, die mit Near-Field-Communication-Technologie ausgestattet sind. (Skylanders & Co. lassen grüßen). Wollen Kunden beispielsweise ein Erfrischungsgetränk kaufen, gehen sie direkt zum Kühlschrank und halten ihr Smartphone an das ESL, wobei iPhone-Besitzer derzeit noch einen QR-Code scannen müssen. Das Getränk landet dann im virtuellen Warenkorb und wird beim Self-Checkout per Kreditkarte oder AliPay bezahlt. Ein Vorteil gegenüber Bezahl-Apps ist, dass hier keine Software heruntergeladen werden muss. "Die Erfahrungen sind durchweg positiv, die Zahlen ebenfalls", freut sich Koenen. "Wir haben vom 6. Februar bis heute rund 600 Checkouts über das neue Smart Checkout System realisiert." Im ersten Schritt sei es allerdings nicht zwingend um den wirtschaftlichen Erfolg gegangen, sondern darum, aus dem System zu lernen. "Wir stehen vor Ort direkt im Austausch mit Kunden", sagt Koenen. So erhalte man direkt Feedback, was sich gegebenenfalls noch verbessern ließe.

Koenen geht davon aus, dass sich das kassenlose Bezahlen in den kommenden Jahren durchsetzen wird – auch über die Flughäfen-Stores hinaus. "Technologien wie NFC, aber auch hybride Online-Shops beziehungsweise Kassensysteme werden Einzug halten. Aufgrund der hohen Investitionen in klassische Self-Checkout-Kassen glaube ich eher an die Use-your-own-Device-Logik." Mobile Payment werde – in Kombination mit Self-Checkout – früher oder später den gesamten Retail erobern. Aktuelle Self-Checkout-Kassen wie etwa bei Ikea seien sehr teuer (30.000 Euro) und würden sich auf Dauer nicht durchsetzen, so Koenen. "Im Vergleich dazu kostet Smart Checkout einen Bruchteil und ist überall im Laden verfügbar." Womöglich auch bald schon im stationären Games-Handel … (Achim Fehrenbach)

 

IGM 04/20
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