Yager Development ist eine Spielefirma mit viel Erfahrung: 2019 feierte das Berliner Studio sein zwanzigjähriges Bestehen. Yager hat Spiele aus sehr unterschiedlichen Genres entwickelt: Das futuristische Flugspiel Yager (2003), den "Antikriegs-Shooter" Spec Ops: The Line (2012) und den Raumschiffschlachten-Simulator Dreadnought (2016). Das derzeitige Projekt des Studios ist der "Quest-Shooter" The Cycle, bei dem 20 Spieler auf einem unwirtlichen Planeten landen, um Aufträge zu erfüllen und wertvolle Bodenschätze zu sammeln. Alle 20 Minuten wird der Planet von einem tödlichen zyklischen Sturm (The Cycle) heimgesucht – wer es bis dahin nicht ins Evakuierungsschiff geschafft hat, verliert diese Partie. Die "Prospektoren" genannten Glücksritter stehen vor der Wahl, ob sie gemeinsam gegen die feindliche Fauna des Planeten vorgehen – oder ob sie sich gegenseitig an bekämpfen. Die Kombination von PvE, PvP und Zeitknappheit ist erfrischend, The Cycle ist eines der beliebtesten Spiele im Epic Games Store. Für Yager bringt das neuartige Spielkonzept allerdings auch neue Herausforderungen mit sich. Eine davon: Cheating.
Wallhacks und Aimbots
Henning Schmid ist Head of Publishing bei Yager Development. Aus seiner Sicht haben kompetitive Multiplayer-Titel wie The Cycle automatisch ein Cheating-Problem: "Es liegt in der Natur dieser Form von Spielen, dass leider auch immer Spieler angezogen werden, die sich mit unfairen Mitteln einen Vorteil verschaffen wollen." Gerade eben, am Morgen des IGM-Interviews, habe Yager ein Video aus der Community erhalten: Es zeigt einen Spieler im 'God Mode', der quasi unbesiegbar ist. Hin und wieder bekomme es Yager auch mit klassischen Cheats aus dem Shooter-Bereich zu tun, erzählt Schmid: Zum Beispiel mit Wallhacks, bei denen Cheater Mitspieler in der Ferne und durch Wände orten können. Oder auch Aimbots, die Cheater-Waffen automatisch auf andere Spieler zielen lassen – und dadurch die Trefferwahrscheinlichkeit stark erhöhen. "Wir hatten auch einen Fall, wo die Mechaniken der Waffe modifiziert wurden", erzählt Schmid. "Es war ein Einzelschussgewehr mit einer normalerweise sehr langsamen Schussfolge, doch der Cheat verbrauchte sofort das ganze Magazin mit nur einem Mausklick. Wirklich nicht schön, vor allem für die betroffenen beziehungsweise getroffenen Spieler."
Sich mit unfairen Mitteln einen Vorteil verschaffen
Travian Games ist – wie Yager – eine feste Größe der deutschen Entwicklerlandschaft. Der Browsergames-Spezialist aus München wurde 2005 gegründet, zu seinen Vorzeigetiteln zählen Travian: Legends, Rail Nation und Arkheim: Realms at War. Travian: Legends ist ein Browser-MMO, das Aufbaustrategie mit Plünderungs- und Eroberungszügen kombiniert; Schauplatz ist – der Name legt es nahe – die Welt zu Zeiten des Römischen Reichs. Eckart Foos ist Game Director bei Travian Games – und muss sich dementsprechend häufig mit Cheating auseinandersetzen. "Das Thema gibt es seit den ersten Tagen von Travian: Legends", erzählt er. "In den frühen Jahren war es vor allem Multi-Accounting, also das Spielen mit mehreren Accounts, um einen davon mit Rohstoffen oder Truppen zu pushen." Außerdem gab es auch schon sehr früh Scripte, die bestimmte Aktionen automatisch ausführen, während der Spieler offline ist. Ziel ist hier, einfach schneller voran zu kommen als die Mitspieler. "Die elaborierte Form davon sind Bots, die eine Reihe von Aktionen automatisiert zulassen", erläutert Foos. "Schließlich gibt es auch noch die Bot-Netzwerke, die versuchen, mehrere tausend Accounts zu registrieren, damit Ingame-Ressourcen zu farmen und Spielern zu verkaufen." Die Bot-Netzwerke sind nicht nur schädlich fürs Fair Play – sie können auch die Serverkosten in die Höhe treiben und die Spielerzahlen verfälschen. Travian: Legends sei ein sehr wettbewerbsorientiertes Spiel, sagt Foos. Deshalb werde Cheating möglichst sofort unterbunden.
Jede Menge Software
Online-Cheating gibt es schon seit den Urzeiten des kommerziellen Internet. Folglich wurde im Lauf der Jahrzehnte jede Menge Software entwickelt, um das Schummel-Spielen in den Griff zu bekommen. Zu den bekanntesten Werkzeugen zählt Valve Anti-Cheat (VAC), das bereits 2002 debütierte. Weitere Tools sind beispielsweise nProtect GameGuard, PunkBuster, BattlEye und HackShield. Jedes dieser Software-Produkte hat bestimmte Methoden, um Cheating zu ertappen und zu unterbinden. Dass das mit teils großen "Kollateralschäden" einhergeht, davon zeugen zahllose Leidensgeschichten aus Community-Foren und auch etliche Medienberichte, die Proteste wütender Spieler aufgreifen. Dass die betreffenden Spieler längst nicht immer so unschuldig sind, wie sie tun, ist auch klar: Die allermeisten Spielefirmen verbieten Cheating bereits in ihren EULAs – und stellen dort auch klar, dass Cheatern Sperrung oder andere Sanktionen drohen. Gleichwohl geht es letztlich darum, das Cheating möglichst geschmeidig in den Griff zu bekommen: Durch flexible Software – aber auch durch gutes Community-Management.
Yager arbeitet software-seitig mit der finnischen Firma Kamu zusammen. Deren Software Easy Anti-Cheat existiert seit fast 20 Jahren und kommt schon seit langem in Fortnite zum Einsatz: Da war es nur logisch, dass Fortnite-Betreiber Epic Games die Finnen im Herbst 2018 aufkaufte. Mittlerweile überwacht Easy Anti-Cheat einige der größten Online-Games, zum Beispiel Apex Legends, Gears 5 und Tom Clancy's The Division 2 (siehe die Abbildung auf S. 27). Weil The Cycle derzeit exklusiv im Epic Games Store läuft, war die Kooperation von Yager und Kamu naheliegend. Henning Schmid zeigt sich mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden: "Kamu und Easy Anti-Cheat sind Teil der Epic Online Services mit einer tiefen Verzahnung zur Unreal Engine" berichtet er. "Die Betreiber dieser Software sind sehr zugänglich und reagieren rasch auf unsere Anfragen, wenn wir einen neuen Cheat entdeckt haben. Zum Teil reden wir nur von wenigen Stunden, die zwischen dem Entdecken einer Cheat-Signatur und dem Updaten der Software durch das Kamu-Team liegen." Gleichzeitig benötige die Software nur geringe Hardware-Resourcen und funktioniere selbst dann nahezu problemlos, wenn andere Programme im Hintergrund liefen. "Mir fällt es gerade sehr schwer, überhaupt einen Negativpunkt zu entdecken", lobt Schmid.
Die Betreiber dieser Software sind sehr zugänglich
Do it yourself
Travian hat derweil sein eigenes Anti-Cheat-Tool entwickelt. "Es gibt zwar Lösungen am Markt, die einen ähnlichen Ansatz fahren", sagt Eckart Foos. "Eine Evaluation hat uns allerdings gezeigt, dass wir eine Menge Aufwand in die Modifizierung der Standard-Versionen stecken müssten, um eine Lösung zu bekommen, die dann immer noch nicht hundertprozentig auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist." Auch das Bezahlmodell sei bei einigen Anbietern unattraktiv gewesen, deshalb habe Travian das Tool selbst entwickelt. "Man muss das Thema jedoch nicht nur technisch in den Griff bekommen, sondern auch kommunikativ", betont Foos. "Was passiert mit Spielern, die wir als Cheater identifizieren? Wer redet mit ihnen, wie wird der Regelverstoß geahndet?" Die Anforderungen an Frontend und Kommunikations-Workflow hätten den Aufwand nahezu verdoppelt, sagt Foos. "Abgesehen davon endet Cheating nie – es gibt immer neue Modelle und Situationen, auf die man sich einstellen muss."
Auch Henning Schmid hält klare Kommunikation für ein enorm wichtiges Anti-Cheating-Werkzeug. "Wir haben bei Yager etwas fast Unmögliches geschaffen: Wir haben einen kompetitiven Multiplayer-Shooter mit einer freundlichen, sympathischen und hilfsbereiten Community", berichtet er stolz. "Ich übertreibe hier nicht – ich bin selber fasziniert und überrascht, da ich durchaus weiß, wie toxisch und destruktiv diese Spielergemeinschaften in anderen Shooterspielen oder MOBAs sein können." Der Open-Development-Ansatz von The Cycle habe eine aktive, konstruktive und sich selbstregulierende Spielerschaft hervorgebracht: "Das sind alles erfahrene Spieler, die sehr wohl die Cheater-Problematik kennen und uns auch dabei helfen wollen, dies zu unterbinden." Treibt sich ein Cheater auf den Servern herum, dann erhält Yager zeitnah Hinweise oder sogar Beweisvideos (siehe oben) aus der Community. "Unsere Spieler wissen, dass wir der Sache sofort nachgehen, die Videos sichten, die Spielerdaten des 'Angeklagten' nach Anomalien untersuchen und sofort an einer Lösung arbeiten", sagt Schmid. "Ist der Beweis eindeutig, bannen wir den Account, während das Kamu-Team die Signatur des Cheats übernimmt, so dass der Cheat zukünftig von der Software blockiert wird." Schmid fasst die – aus seiner Sicht – beste Kommunikationsstrategie zusammen: "Für Spieler zugänglich sein, sofort reagieren, die Beschwerden ernst nehmen und rasch an einer Lösung arbeiten." Genau das nämlich werde von der Community honoriert. "Ich habe auch schon erlebt, wie ein Publisher oder Studio diese Cheater-Beschwerden nicht ernst nahm und dies sofort einen Negativtrend in Gang setzte", so Schmid. Habe ein Spiel den Ruf, "cheaterverseucht" zu sein, dann könne es das Vertrauen der Spieler nur sehr schwer zurückgewinnen.
Ursachenforschung
Bei Yager ist man also überzeugt: Cheating lässt sich durch gute Community-Arbeit signifikant verringern. Travian misst dem nicht ganz so große Bedeutung bei. "Wichtig ist natürlich, dass Spieler die Regeln kennen und grundsätzlich klar ist, dass Cheater damit rechnen müssen, belangt zu werden", sagt Eckart Foos. "Hier kann Community-Management helfen. Das verringert die Cheaterei nicht, macht aber den Umgang mit Cheatern natürlich leichter, weil jeder Bescheid weiß." Foos hält es für hilfreich, über die Motive der Cheater nachzudenken: "Weshalb nutzen Spieler die Bots und Ressource-Seller? Und können wir einen Teil dieses Bedarfs nicht selbst im Spiel befriedigen und eventuell sogar monetarisieren?" Bei einem Spiel wie Travian: Legends sei Monetarisierung natürlich ein schmaler Grat, weil die Spieler sehr ähnlich ausgerüstet seien. "Aber wir konnten in den letzten Jahren zum Beispiel durchaus einige der repetitiven Tasks stark reduzieren und so Bots weniger attraktiv machen", berichtet Foos.
Cheating ist ebenso problematisch, wenn es um Preis- und Sponsorengelder geht. Der E-Sport wurde in den letzten Jahren immer wieder von handfesten Skandalen erschüttert, wenn Spieler meinten, die Kampfgerichte und das Publikum täuschen zu können. Wie also beurteilen Interessenvertreter die Situation? Wir haben bei Hans Jagnow nachgefragt, der nicht nur Präsident des eSport-Bund Deutschland (ESBD) ist, sondern seit kurzem auch Vorsitzender des Dachverbands Esports Europe. "Im professionellen E-Sport ist Cheating kein Problem", urteilt Jagnow. "Auf den Turnieren finden scharfe Kontrollen beispielsweise mit Metalldetektoren statt. Spieler und Geräte stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Ohnehin bringen die Spieler bei Live-Turnieren die Geräte nicht selber mit, sondern oft nur Maus, Tastatur und Kopfhörer." Im semiprofessionellen Bereich konzentriere sich die Präventation auf digitale Tools, die Hintergrundprozesse überwachen und gängige Cheats erkennen. "Die Anti-Cheat-Software ist dabei immer im Wettlauf mit neuen Entwicklungen – und hat inzwischen für eine starke Verbesserung der Situation gesorgt", glaubt Jagnow. Für Amateure und Profis gelte gleichermaßen: "Wer cheatet, riskiert Karriere und Image." Der ESBD hat einen Ethik- und Verhaltenskodex beschlossen, der im Falle von Cheating strenge Sanktionen von den Verantwortlichen fordert. Fair Play und Integrität seien "zentrale sportliche Werte, die wir als Fachsportverband aktiv vertreten und in unserer Vorbildhaltung vermitteln", so Jagnow. "E-Sport basiert auf einer ehrlichen sportlichen Leistung, die unter keinen Umständen durch Manipulation jedweder Art verfälscht werden darf." Viele ESBD-Mitglieder hätten auch eigene strenge Regelwerke erlassen und gingen professionell gegen digitale Betrugsversuche vor.
Hier kann Community-Management helfen
Cheatende Amateure
Doch wie gehen die E-Sport-Veranstalter konkret mit dem Cheating-Problem um? Das wollten wir von ESL wissen, dem größten E-Sport-Unternehmen der Welt (vgl. IGM 15/2019). Marcel Menge ist dort Senior Vice President B2C Platforms & Technology – und damit primärer Ansprechpartner in Sachen Anti-Cheating. "Die größte Gefahr von Cheating liegt sicherlich im Amateurbereich, in dem ein Großteil online gespielt wird und es nur selten richtige Veranstaltungen gibt", sagt Menge. "Spieler, die an der Schwelle zum Profi stehen oder sich einen Namen machen wollen, greifen gegebenenfalls zu Cheats, um diese letzte Hürde zu schaffen." Hier interveniert ESL mit seiner eigenen Anticheat-Technologie: Spieler, die an Turnieren teilnehmen, müssen diese auf ihren Rechnern installieren. Die Software funktioniert ähnlich wie eine Antivirus-Software und überprüft während eines Matches, welche anderen Programme auf dem Computer laufen, ob Manipulationen am Spiel vorgenommen werden und ob auf den Netzwerkverkehr Einfluss genommen wird. Die Daten werden verschlüsselt an die ESL-Server geschickt und dort überprüft und analysiert. "Sollten keine Manipulationen auffallen, werden die Daten umgehend gelöscht", versichert Menge. "Der Datenschutz spielt hierbei natürlich eine wichtige Rolle und wir arbeiten stets daran, die neuesten Standards und Auflagen zu erfüllen."
Eine andere Cheating-Methode kann Software allerdings nicht unterbinden: Doping. Immer wieder versuchen Spieler in der E-Sport-Welt, ihre Konzentration mit Medikamenten wie Adderall zu steigern. "Als wir von diesem Umstand erfuhren, haben wir sofort Gegenmaßnahmen unternommen – und haben bis heute tatsächlich keinen positiven Fall verzeichnet", sagt Menge. "Auf größeren internationalen Turnieren würden auch Dopingtests durchgeführt: "Hier arbeiten wir sehr eng mit der ESIC [ESIC] zusammen. Außerdem müssen die Spieler ihre Keyboards und Mäuse abgeben und diese werden zusätzlich auf Manipulationen untersucht." Außerdem sei der Internetzugang auf den Turnier-Computern eingeschränkt, um die Installation von Cheat-Software zu verhindern. "Um wirklich auf der sicheren Seite zu sein, steht hinter jedem Team ein Schiedsrichter", so Menge. Der Referee kann Ungereimtheiten direkt erkennen und direkt einschreiten, sobald Spieler irgendwelche Probleme mit der Hard- oder Software haben. "Die Integrität unserer Veranstaltungen ist unser höchstes Gut und daher sind wir hier besonders vorsichtig", sagt Menge.
Ausblick
Bleibt die Frage, wie es mit Cheating im E-Sport weitergeht. Schließlich könnten steigende Preis- und Sponsorengelder – in Kombination mit immer mehr Konkurrenz – dazu führen, dass Spieler verstärkt zu unlauteren Methoden greifen. Hans Jagnow sieht das Ganze gelassen: "Ich glaube, wir werden eine gegenteilige Entwicklung beobachten", so der ESBD-Chef. "Auch deshalb, weil das Interesse am E-Sport wächst und damit auch die Fallhöhe zunimmt, achten schon jetzt Community und Turnierorganisatoren stark auf Manipulationen und stellen sie unter spürbare Strafen." Schon vor einiger Zeit hätten sich die weltweiten Integritätskontrollen mit Agenturen wie der Esports Integrity Coalition professionalisiert, so Jagnow. "Vereinzelte, Aufsehen erregende Fälle sorgen dafür, dass Prozesse verfeinert werden – und sie zeigen, dass Kontrolle und Prävention auf einem hohen Niveau sind. Das wird in Zukunft weiter ausgebaut und dynamisch an die Entwicklungen angepasst."
Hoffen wir, dass den Cheatern das Handwerk gelegt wird. Damit nicht das verlorengeht, was Spiele eigentlich auszeichnet: der Spaß. (Achim Fehrenbach)