Digitale Degustation: Worauf es bei Spiele-Demos ankommt

Wie versetzt man die Massen schon vor dem Release in Kauflaune? Dieser Frage geht
IGM in einem zweiteiligen Special nach. Teil 1 (IGM 03/2022) drehte sich um Sinn und Zweck von Game-Trailern – im vorliegenden Teil 2 geht es nun um ein weiteres Marketing-Instrument, nämlich Spiele-Demos. Was sollte eine Demo bieten, wann ist sie besonders wirkungsvoll – und welche Rolle spielt sie in pandemischen Zeiten? Darüber haben wir mit Publishern und Analysten gesprochen.
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© Ilshat /stock.adobe.com
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Es war ein Feuerwerk für Spiele-Fans – und für manche auch eine überwältigende Lawine: Am 28. Februar endete das einwöchige Steam Next Fest, bei dem Valve Hunderte von Indie-Games präsentierte. Zu jedem Titel gab es nicht nur Infos und Trailer, sondern auch mehr oder weniger ausführliche Demo-Versionen: Wer wollte, konnte eine Woche lang 24/7 in den Tiefen der Indie-Welt versacken. Eine andere Frage ist natürlich, ob und wie diese Demos letztendlich zum Verkaufserfolg beitragen. Oder anders formuliert: Eine Demo macht noch keinen (Spiele)frühling – sie muss schon was taugen!

Freudige Erwartung
Worauf kommt es bei einer guten Demo also an? Und ist sie als Marketing-Tool nicht vielleicht sogar überbewertet? Vorbei sind schließlich die Zeiten, in denen Millionen Magazin-LeserInnen den mitgelieferten Demo-CDs entgegenfieberten – in freudiger Erwartung auf einen mehrstündigen Probe-Zock. Inzwischen ist das Internet in den allermeisten Landesteilen dieser Republik schnell genug, um sich Demos direkt auf die Festplatte zu ziehen. Dass es mittlerweile Demos gibt wie Sand am Meer, freut vor allem die SpielerInnen – die Publisher und Entwickler hingegen müssen viel Aufwand betreiben, um mit ihrer Demo wirklich zu glänzen. „Eine Demo ist ein Vorab-Release“, sagt Christopher Kassulke, CEO von HandyGames. „Heute muss eine Demo gefühlt perfekt sein, um aus der Masse herauszustechen.“ Sie müsse im Prinzip wie ein perfekter Vertical Slice sein – oder wie eine Kostprobe bei einem Whisky-Tasting: „Man bekommt kein volles Glas, sondern nimmt einen kleinen Schluck, analysiert den Geschmack und sagt dann: ‚Oh ja, das ist gut!‘“ Kassulke ist ein Fan von Demos – denn der Publisher spiele hier mit offenen Karten. „Ich finde es schön, wenn man zeigen kann: So wird das Spiel sein – das ist die Qualität, die wir bieten wollen.“ Entscheidend sei allerdings, die beabsichtigte Message auch wirklich zu vermitteln. Das ist ja bekanntlich nicht ganz einfach: So manche Demo hinterlässt eher bei den Usern eher Frage- als Ausrufezeichen.

HandyGames jedenfalls hat in letzter Zeit gleich mehrere Demos veröffentlicht – etwa zum Platformer Airhead, zum Survival-Abenteuer Endling – Extinction is Forever und zum Point-and-Click-Adventure Chicken Police. „Bei Chicken Police ging es darum, die Film-Noir-Grundstimmung rüberzubringen“, sagt Kassulke. „Da haben die Leute auch gemerkt: Wow, alle Charaktere sind vertont! Das ist das, was wir Triple-I nennen: die nächste Qualitätsstufe für Indie-Games. Das spürt man am besten, wenn man spielt.“ Die Demo von Endling hingegen habe eine ganz andere Message gehabt, erläutert Kassulke: „Da sollte der Beschützerinstinkt geweckt werden – nach dem Motto: Ach, sind die kleinen Füchse süß! Auf die möchte ich aufpassen! Man will dann einfach weiterspielen.“ Das Ende der Endling-Demo bot zudem einen gewaltigen Cliffhanger, den wir hier nicht spoilern wollen. Der Cliffhanger jedenfalls brachte viele User dazu, gleich in der Demo den Wishlist-Button zu betätigen – die Einbindung des Buttons ist in heutigen Demos quasi Standard.

Das ist die Qualität, die wir bieten wollen

 

Speedrunner angefixt
Wieder anders ist die Demo von Airhead aufgebaut, erzäht Kassulke. „Da kann man einen kleinen Teil des ersten Levels spielen – aber dieser kleine Teil zeigt einige coole Features, die man bisher noch nicht gespielt hat.“ Im Lauf der Demo entwickeln die User ein Gefühl für das Spiel, so Kassulke: „Dass es Limbo-ähnliche Charaktere hat, dass es bockschwer ist – und dass man seine Umgebung nutzen kann. Da sagt man dann: ‚Ok, ich verstehe, worauf der Entwickler hinauswill. Darauf habe ich Lust, das fordert mich heraus!‘“ Mit ihrem hohen Schwierigkeitsgrad habe die Demo sofort zahlreiche Speedrunner angefixt, freut sich der HandyGames-CEO. „Genau das muss man schaffen: Dass die Spieler nach der Demo wissen, was ihnen daran gefallen hat.“

Auch Robbie Paterson ist vom „Prinzip Demo“ überzeugt. Der Sprecher des Indie-Publishers Devolver Digital (vgl. IGM 10/2021) glaubt, dass Demos Wunder wirken können – wenn sie denn zu den präsentierten Spielen passen. „Wir verbuchen große Erfolge bei Spielen, die einen ‚mundgerechten‘ Game Loop haben – zum Beispiel Loop Hero und Terra Nil“, berichtet Paterson. Im Roguelike Loop Hero beispielsweise ist das wiederkehrende Spielerlebnis so stark kondensiert, dass es sich hervorragend in einer kurzen Demo abbilden lässt. Das war wohl auch einer der Gründe, warum Loop Hero solch ein durchschlagender Erfolg wurde: Auf Steam hat sich das Spiel bis heute weit über eine Million Mal verkauft. Im Übrigen hält Paterson Digital-Events wie das Steam Next Fest für „eine großartige Gelegenheit, tausenden Menschen bestimmte Spiele näherzubringen“. Gleichwohl sei das kein vollwertiger Ersatz für die Präsentation auf physischen Events wie gamescom oder PAX. „Es gibt nichts Besseres, als Leute live spielen zu sehen – und mit ihnen über ihre Spielerfahrung zu reden“, sagt Paterson. Christopher Kassulke ist ähnlicher Meinung: „Bei einer Messe können die Entwickler dem Endkunden Tipps geben, wenn er etwas nicht versteht. Bei einer Download-Demo besteht die Gefahr, dass der Endkunde bestimmte Dinge einfach nicht versteht.“ Eben deshalb müssen die Qualität einer Download-Demo deutlich höher sein, so Kassulke: „Wenn eine Steam-Demo nicht funktioniert, bricht der User ab – und gibt vielleicht auch noch eine schlechte Bewertung.“

Systemlastig vs. erzähllastig
Devolver Digital ist für seine knackig-kantigen Spiele bekannt. Wie lässt sich das in einer Demo bestmöglich transportieren? „Wenn dein Spiel ‚systemlastig‘ ist, solltest du dem Spieler eine Momentaufnahme dessen bieten, was er in puncto Gameplay erwarten kann – und weniger auf die Charaktere oder die Story abzielen“, rät Robbie Paterson. Das Wichtigste sei, das Spiel über seine Stärken zu verkaufen. „Ist dein Spiel eher ‚erzähllastig‘, empfehle ich eine etwas längere Demo – dann können die Leute da stärker reinfinden. Wenn die Leute eine Demo spielen, wollen sie ja letztendlich wissen, wie sich ein Spiel anfühlt“, sagt Paterson.

 

Jetzt hat jeder eine Demo beim Steam Next Fest

 

Christopher Kassulke beobachtet, dass Demos durch Corona einen Boom erlebt haben: „Früher ist man auf die PAX, die gamescom oder die Hamburg Games Week gegangen – und hat sich dort das Feedback der Endkunden abgeholt. Nach jeder Messe gab es einen schönen Peak. Da hat man genau gemerkt: Dieses Spiel hat nicht nur der Presse und den Partnern gefallen, sondern auch den Endkunden. Durch Corona ist diese Möglichkeit von heute auf morgen weggebrochen.“ Allerdings sinke der Stellenwert von Demos nach zwei Jahren Pandemie auch schon wieder, beobachtet Kassulke: „Auf Messen musste man um Aufmerksamkeit kämpfen, wenn jeder dort ausgestellt hat. Jetzt hat jeder eine Demo beim Steam Next Fest.“

Henne-Ei-Problem
Nicht ganz unproblematisch ist auch, die Demo einem Influencer vorzusetzen. „Ist der Influencer nicht gut gebrieft oder hat einen schlechten Tag, dann kommt das Spiel nicht so rüber, wie wenn man es selbst spielt“, warnt Kassulke. Er gibt auch zu bedenken, dass Influencer heutzutage vor allem als Entertainer wahrgenommen werden, die wirtschaftlich selten unabhängig sind: „Wer sich für ein Spiel interessiert, möchte das am liebsten selbst ausprobieren“, beobachtet Kassulke. „Große Influencer spielen auch kaum noch Indie-Games – außer wenn man Geld auf den Tisch legt.“ Events wie das Steam Next Fest seien denn auch besser geeignet, eine Demo einer großen Masse Gleichgesinnter zu präsentieren. Wenn ein Influencer ein Spiel aufgreift, dann wahrscheinlich nur, weil sich viele Leute dafür interessieren. Das ist ein Henne-Ei-Problem.“

Simon Carless ist einer der besten Kenner der internationalen Indie-Szene. Der frühere Organisator und heutige Ehrenvorsitzende des Independent Games Festival (IGF) betreibt mittlerweile die Firma GameDiscoverCo, die detaillierte Analysen rund um Steam liefert. „Wenn es darum geht, dass Leute dein Spiel finden – dann können Demos eine großartige Möglichkeit sein, Interesse für kleinere Titel zu wecken“, sagt Carless. Große Promo-Events wie das Steam Next Fest seien dafür besonders gut geeignet. „Es ist schwierig, entdeckt zu werden“, betont Carless. „Jede Gelegenheit zählt!“ Für die Promotion einer Demo empfiehlt Carless einen Mehrkanal-Mix: „Mach eine Steam Beta mit einer begrenzten Anzahl Codes auf einem speziellen Branch – und annulliere sie dann später. Biete einen Prolog als Standalone-App an. Veröffentliche eine Demo zum Steam Next Fest. Und veröffentliche eine Demo unabhängig vom Steam Next Fest.“ Der Indie-Kenner berichtet, dass Top-Titel beim Steam Next Fest bis zu 100.000 Wishlist-Einträge generieren. Bei den meisten Titeln sei das aber natürlich deutlich weniger, so Carless: „Es hängt einfach davon ab, ob dein Titel es an die Spitze des Rudels schafft.“

 

Nicht zu viel vom Spiel preisgeben

Prolog statt Demo?
In den letzten Jahren haben immer mehr Entwickler sogenannte Prologe veröffentlicht – und keine klassischen Demos. „Prologe sind interessant“, sagt Carless. „Zum einen, weil sie bisweilen durchstarten, und zum anderen, weil es sich bei ihnen um Standalone-Apps handelt – dadurch tauchen sie gelegentlich sogar in wichtigen Steam-Charts wie ‚Neu und angesagt‘ auf.“ Der Knackpunkt: Die User wishlisten dann genau diesen Prolog und nicht etwa das eigentliche Hauptspiel – es sei denn, man erinnert sie daran.“ Manchmal sei es auch schwierig, das User-Interesse vom einen auf das andere zu lenken, bilanziert Carless. „Prologe haben also Vor- und Nachteile.“ Als Beispiel für einen sehr erfolgreichen Prolog nennt Carless das Spiel The Riftbreaker: Begeisterte Fans spielten den Prolog teils mehrere hundert Stunden, entsprechend erfolgreich waren die Sales. Christopher Kassulke gibt zu bedenken, dass der Appetithappen nicht zu umfangreich sein sollte: „In einer Demo darf man nicht zu viel vom Spiel preisgeben. Wenn gefühlt die Hälfte des Spiels schon in der Demo gezeigt wird, ist der Endkunde enttäuscht, weil er sich vom eigentlichen Spiel deutlich mehr erwartet hat.“

Auf Steam ist das Demo-Gedränge inzwischen groß. Doch wie sieht es auf anderen Plattformen aus? Weder der PlayStation Store noch der Microsoft Store besitzen eigene Bereiche, in denen User gezielt nach Demos stöbern können. Inzwischen gibt es sogar BloggerInnen, die sich darauf spezialisiert haben, die in den Stores verstreuten Demos für die LeserInnen zusammenzusuchen. Immerhin hat der Nintendo eShop einen sehr umfangreichen Demo-Bereich, der offenbar auch stark frequentiert wird. Gutes Beispiel: Gerade erst ist dort die Demo zu Kirby und das vergessene Land erschienen – ein veritabler Demo-Blockbuster!

Sind Demos also durchweg großartige Marketing-Werkzeuge? Das Fazit überlassen wir an dieser Stelle Christopher Kassulke: „Eine Demo ist wie ein Snack. Ich möchte reinbeißen und sie ausprobieren – und wenn ich Hunger auf mehr bekomme, hole ich mir das Spiel. Das ist für mich das typische Gefühl.“ Bleibt zu hoffen, dass der Snack auch schmeckt. (Achim Fehrenbach)

IGM 04/22
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