Wer Klartext bei Michel Wedler bestellt, bekommt ihn auch. Videospiele im stationären und Online-Handel? „Das Geschäft am POS mit physischen Games oder auch anderen Entertainment-Produkten wie Filmen und Musik wird in Zukunft keinerlei Rolle mehr im Handel spielen.“ Schon jetzt, aber erst recht perspektivisch wird es alleine um Konsolen-Hardware und Zubehör gehen. Die Analyse kommt aus berufenem Munde: Der Handels-Profi hat Myriaden von Konsolen, Publishern, Spielen und Zulieferern kommen und gehen sehen. Denn Wedlers Branchen-Karriere startete schon 1994 als Verkaufsleiter bei Saturn Berlin. In der Ingolstädter MediaMarkt-/Saturn-Zentrale ist er dann schnell aufgestiegen – zunächst zum Produktmanager, ab 2007 dann zum Bereichsleiter Einkauf. 2020 trennten sich dann die Wege, nach mehr als 26 Jahren.
Es erfüllt ihn mit Stolz, in seiner ‚Amtszeit‘ Konzepte für physische Produkte und Games im Handel erdacht und umgesetzt zu haben – gegen damals noch großen Widerstand und oftmals auch interne Vorbehalte mit Blick auf Killerspiel-Debatten. Wedler schmiedete Kooperationen mit den Messen in Leipzig und Köln zur Unterstützung der damals noch jungen Leitmessen und führte eine USK-/FSK-basierte Altersabgabekontrolle für das Kassensystem ein – woran sich andere Händler ein Vorbild nahmen.
Doch der Markt hat sich bekanntermaßen drastisch gewandelt: Die Games-Abteilungen in vielen Elektronikmärkten sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Eine Trendumkehr sei nicht zu erwarten, sagt Wedler. „Das Thema ist meiner Meinung nach durch und der Weg überall deutlich sichtbar. Die Distribution findet bereits jetzt und zukünftig verstärkt dann nur noch digital statt, mit der großen Herausforderung, die ‚älteren Zielgruppen‘ an irgendeinem Touchpoint (POI) überhaupt noch zu erreichen und abzuholen.“ Zufrieden ist er mit dieser Situation nicht: „Wollten wir nicht eigentlich gemeinsam mit Industrie und Handel die älteren Generationen für ‚unser‘ Thema nachhaltig begeistern?“ Zudem ärgert es ihn, dass das Wir-gegen-den-Rest-der-Welt-Gefühl zugunsten von Games und Entertainment nach den erfolgreichen fetten Jahren gefühlt einfach aufgegeben und vernachlässigt worden sei. Positiv überrascht hat ihn indes, mit welcher Dynamik und Professionalität der Handel während der beiden Pandemie-Jahre auf das Thema Omnichannel reagiert und agiert hat. „Sicherlich gibt es auch einige Ausnahmen, etwa ein schwedisches Möbelhaus und ein paar LEH. Aber der Großteil hat das wirklich gut und schnell umgesetzt und ist dem Kunden bereits deutlicher entgegen gekommen – was nicht heißt, dass es hier kein weiteres Potential gibt.“
Die einen sagen so, die anderen so ...
Wedler geht natürlich zwangsläufig mit einem ganz anderen Blick einkaufen als Otto Normalverbraucher. Als „schade“ empfindet er es bei diesen Gelegenheiten, wenn sich teuer bezahlte Werbeaussagen und Kampagnen nicht am POS und in den Stores wiederfinden – und die angepriesenen Themenwelten schlichtweg nicht vorhanden sind. „Auch das Thema fragwürdige Preisauszeichnungen – also: Was kostet das Produkt jetzt eigentlich? – und eine ‚Ansammlung von Ware‘ löst bei mir des Öfteren keine Begeisterung, sondern vielmehr Kopfschütteln aus.“ Umso mehr freut er sich über professionellen und sichtbaren Werbeaufbau und gut gemachte Themenwelten, die einen persönlichen Kaufimpuls auslösen.
Die Windschutzscheibe sei immer größer als der Rückspiegel, schrieb Wedler im Juni 2020, als er sich von Kollegen und Partnern via Mail aus seiner Saturn-Rolle verabschiedete. „Der Rückspiegel zeigt eine wunderbare und erfolgreiche Zeit in der ich viel bewegt habe“ – um augenzwinkernd hinzuzufügen: „Die einen sagen so, die anderen so ...“. In dieser Zeit habe er tolle Menschen kennenlernen dürfen – und von den meisten Menschen auch viel gelernt. Wie weite Teile der Branche schwärmt auch er von den „Klassentreffen“ auf Messen – E3, Games Convention, gamescom („mit sehr wenig Schlaf“). Nachdenklich stimmen ihn die inzwischen vielen Trauerfälle „von maßgeblichen Persönlichkeiten“ in den letzten Jahren – gerade in einer Branche, die „eigentlich immer jung und wild war und der nichts etwas anhaben konnte.“
Die ‚Windschutzscheibe‘ – also der Blick nach vorne – sei pandemiebedingt gerade „noch etwas verschmiert und somit alles anders als eigentlich ursprünglich mal angedacht“, räumt Wedler ein. „Viele Dinge und Projekte sind durch den dauerhaften Krisenmodus der Pandemie und aktuell durch die Ukraine-Krise nicht zustande gekommen oder so eingetroffen, wie eigentlich ursprünglich geplant. Jedoch gab und gibt es immer etwas zu tun als Ansprechpartner für diverse Interviews, Konsultationen, Sparringspartner, Netzwerkarbeit und zukünftige Aufgabenperspektiven und so weiter.“ Am wichtigsten sei für ihn aber gewesen, gerade in dieser außergewöhnlichen und herausfordernden Zeit für die Familie da sein zu können. Daneben begeistert er sich für World of Warships, trainiert im Fitness-Studio oder düst mit seiner Vespa Primavera durch die Gegend, gern auch in bella Italia. Und man merkt ihm an: Da hat jemand noch eine Menge vor – getreu dem aktuellen Saturn-Motto „Du kannst mehr“. (pf)
IGM in einem zweiteiligen Special nach. Teil 1 (IGM 03/2022) drehte…