Der unbekannte Riese: Die Firma Tencent im Porträt

Tencent ist die größte Games-Firma der Welt – doch der Gigant erhält in der westlichen Öffentlichkeit vergleichsweise wenig Beachtung. Wie tickt ein Unternehmen, das hunderte Millionen Nutzer erreicht und Milliarden US-Dollar Umsätze scheffelt? Wir haben mit zwei Experten für den asiatischen Spielemarkt gesprochen.
Image
Copyright: Promo
Copyright: Promo

Die Zahlen sind, nun ja, beeindruckend. In Q4 2019 erzielte Tencent einen Gesamtumsatz von umgerechnet 15,2 Milliarden US-Dollar. Der Betriebsgewinn lag bei satten 4,34 Milliarden US-Dollar – eine Steigerung von 35 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Tencent ist – wohlgemerkt – kein reines Games-Unternehmen. Gleichwohl tragen Games einen erheblichen Teil zum Geschäft des Giganten aus Shenzhen bei. Der Umsatz mit Online-Games wuchs um 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr, und zwar auf 7,42 Milliarden US-Dollar. Besonders ergiebig waren dabei die Mobile Games Peacekeeper Elite, PUBG Mobile und die Supercell-Titel, die sich Tencent mit dem Kauf des finnischen Entwicklers einverleibte. Geringere Einnahmen erzielten derweil PC-Client-Titel wie Dungeon und Fighter – wobei "geringer" in China immer noch "viel" bedeutet. Ehe wir's vergessen: Im gesamten Jahr 2019 machte Tencent einen Betriebsgewinn von 16,4 Milliarden US-Dollar. Uff.

Natürlich ist China mit seinen knapp 1,4 Milliarden Bürgern der größte Spielemarkt der Welt. Und natürlich hat Tencent auf heimischen Boden einen enormen Vorsprung vor Konkurrenten wie Netease oder Yoozoo. Das allein erklärt allerdings kaum den enormen Erfolg des Konzerns, dessen Games-Abteilung (Tencent Games) 2003 gegründet wurde. Wie also lautet das Erfolgsrezept? "Tencent hat sich auf drei Schlüsselbereiche konzentriert, um ein starkes Gaming-Business in China und weltweit aufzubauen", sagt Daniel Ahmad, Senior Analyst beim Marktforschungsunternehmen Niko Partners. "Erstens sind das die internen Entwickler-Ressourcen, zum Beispiel mit selbstentwickelten Titeln wie Honor of Kings oder Peacekeeper Elite. Tencent ist es gelungen, über herkömmliche MMORPGs hinauszugehen, die in China traditionell sehr beliebt waren - und neue Genres erfolgreich zu erschließen."

Zweitens habe sich Tencent die Telko-Gesetzgebung in China zunutze gemacht: Ein Gesetz schreibt vor, dass ausländische Entwickler mit örtlichen Firmen zusammenarbeiten müssen, wenn sie ihre Games nach China bringen wollen. "Dadurch konnte sich Tencent als führender Publisher für ausländische Games in China etablieren", so Ahmad. "Zum einen besitzt Tencent die nötige Expertise in Sachen Spieleentwicklung und Publishing. Zum anderen verfügt es aber auch über die großen und wohlbekannten Distributionskanäle WeChat und QQ, bei denen es sich im Wesentlichen um Social-Media-Plattformen und -Applikationen handelt."

Konzentration auf drei Schlüsselbereiche

Als dritte Zutat für das Erfolgsrezept nennt Ahmad die weltweite Expansion des Konzerns. Mittels Investitionen und Akquisitionen habe Tencent seine Games-Pipeline erweitert und gleichzeitig seine weltweite Präsenz erhöht. "Durch die Beteiligung an Riot Games wurde Tencent beispielsweise auf einen Schlag zum wichtigsten Publisher für PC-Spiele", so der Analyst. "Durch die Übernahme von Supercell wurden sie einer der größten Mobile-Game-Publisher weltweit." Ein weiterer wichtiger Expansionsschritt war der Kauf des norwegischen Studios Funcom, das gerade auf Live Services umstellt.

Auf einen Schlag zum wichtigsten Publisher für PC-Spiele

KompleTtes Ökosystem
Auch Frank Sliwka ist ein ausgewiesener Fachmann für den asiatischen Markt. Der frühere Vorsitzende der GDC Europe leitet seit nunmehr acht Jahren die Beratungsfirma ibMedia mit Sitz in Singapur. "Tencent hat sehr konsequent auf die Nutzerbedürfnisse in seinem Heimatmarkt gesetzt", beschreibt Sliwka das Erfolgsrezept des Gaming-Giganten. "Tencent hat nicht nur auf Games gesetzt, sondern auch auf Bezahlmöglichkeiten, Inhalte und so weiter. Sie haben für ihre Kunden ein komplettes Ökosystem geschaffen. Die Kunden spielen, socializen und bezahlen auch darüber." Als zweiten Erfolgsfaktor nennt auch Sliwka das Expansionsstreben des Konzerns: "Tencent ist sehr schnell aus seinem Heimatmarkt herausgegangen – und in Emerging Markets hinein, zum Beispiel Indien und Afrika. Außerdem sind sie in neue Bereiche gegangen – Spiele, Bezahlsysteme, Socializing." Nicht zu vergessen die bereits genannten Investitionen in westliche Spielefirmen. "Aus meiner Sicht geht es ganz klar um Distribution", so Sliwka. Tencent wolle schlichtweg Zugang zu bestimmten Märkten erhalten. Dass Tencent kürzlich eine nicht genannte Summe in das Berliner Studio Yager Development investiert hat, deutet womöglich auf weiterreichende Motive hin. "Vielleicht finden sie The Cycle von Yager interessant und wollen es in ihren Distributionskreislauf aufnehmen", sagt Sliwka. "Für Yager ist es aber ein sehr gut Deal. Congratulations!"

Doch wie geht Tencent eigentlich mit den eingekauften Firmen um? Übernimmt es die volle Kontrolle oder hält es sich eher zurück? "Tencent wählt normalerweise einen hands-off approach", berichtet Daniel Ahmad. "Es lässt die Firmen machen, was sie am besten können. Tencent sucht grundsätzlich nach Investitionen und Akquisitionen, die im Einklang mit den eigenen Werten und Schwerpunkten steht." Bei Supercell etwa habe Tencent genau diesen hands-off approach gefahren. "Hands-on wählen sie nur, wenn sie die betreffenden Games nach China bringen oder die Erfahrung der Entwickler nutzen wollen, um eigene Games auf Basis jener IP zu erschaffen", so Daniel Ahmad. Frank Sliwka berichtet, dass Tencent auch bei Epic Games eher im Hintergrund bleibt: "Bei Epic hat laut der Geschäftsführung Tencent keinen Einfluss auf das operative und strategische Geschäft."

Lohnende Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit von Tencent und Riot Games trägt derweil Früchte: "Tencent besitzt das nötige Fachwissen für den lokalen Markt, deshalb ist League of Legends in diesem Jahr in China stark gewachsen", so Ahmad. "Auch E-Sport ist ein wichtiger Teil des Geschäfts. League of Legends wurde erfolgreich promotet und läuft jetzt besser als letztes Jahr." Frank Sliwka bestätigt, dass Tencent dem Thema E-Sport große Bedeutung beimisst, auch wenn der Konzern nicht selbst als Turnierveranstalter in Erscheinung tritt. Tencent habe beim E-Sport gleich mehrere heiße Eisen im Feuer. Ein Beispiel: "Fünf der sieben Spiele bei den Asian Games 2019 waren von Tencent." Mobile sei in China ohnehin die dominierende Games-Plattform, so Sliwka. Konsolen seien demgegenüber noch ein Randgeschäft. "Der Umsatz mit Mobile Games liegt in China bei 18,5 Milliarden US-Dollar", zitiert Daniel Ahmad Marktzahlen von Niko Partners. Der PC sei immer noch eine starke Plattform, die jährlich rund 15 Milliarden US-Dollar Umsatz mache. "Mobile ist aber stärker und wächst schneller." Konsolen machen laut Ahmad weniger als ein Prozent des Marktes aus. "Tencent konzentriert sich folglich nicht so sehr auf Konsolen – es sei denn, es geht um Akquisitionen im Ausland."

Konsolenhersteller versuchen schon seit geraumer Zeit, mehr Marktanteile in China zu erobern – bisher war das allerdings nicht wirklich von Erfolg gekrönt. "Das ist im Wesentlichen ein Nischenmarkt, der seine eigene Berechtigung hat", sagt Ahmad. Allerdings arbeitet Nintendo nun gemeinsam mit Tencent daran, die Switch auf dem chinesischen Markt zu etablieren. Aus Sicht von Ahmad könnte das durchaus klappen, weil sie als Hybridkonsole den Mobile-Plattfomen ähnele, vergleichsweise günstig und zudem sehr familienfreundlich sei. "Momentan ist die Switch – wenn man den Graumarkt einrechnet – die Konsole, die sich in China am schnellsten verkauft", sagt Ahmad. "Wir rechnen damit, dass Tencent künftig einige seiner eigenen Spiele auf die Switch portieren wird, damit die Konsole attraktiver wird." Auch Ubisoft sucht übrigens eine starke Partnerschaft mit Tencent, um Zugang zum asiatischen Markt zu erhalten. "Tencent ist als Distributionspartner die Nummer eins in Asien", sagt Sliwka.

Auch E-Sport ist ein wichtiger Teil des Geschäfts

Die Corona-Krise wird Sliwka zufolge vorerst keinen großen Einfluss auf das Kerngeschäft von Tencent haben: "Digitale Services sind kurzfristig nicht stark davon betroffen. Die Frage bleibt natürlich, wie sich die Kaufkraft in den asiatischen Ländern weiterentwickelt." Sliwka glaubt, das Tencent seinen Expansionskurs ungerührt fortsetzen wird: "So wie ich Tencent einschätze, werden sie in Europa weitere Distributionsplattformen für ihre Games und Services suchen – und das dann stärker ausbauen. Sie sind nicht an kulturell wertvollen Produktionen interessiert. Es geht für sie einfach um Sales und Marketing." (Achim Fehrenbach)

IGM 05/20
Das Coronavirus hat die Welt im Griff – und starke Auswirkungen auf die Games-Branche. Wie gehen deutsche Spielefirmen mit der Situation um? IGM hat mit…
Iron Harvest könnte zum Strategie-Epos des Jahres avancieren: Große Kampagne, 30 Mechs im Ersten Weltkrieg, starker Multiplayer. Kreative Wege ist Entwickler…
Der 23. März war für Virtual-Reality-Fans ein ganz besonderer Tag: Die Valve Corporation veröffentlichte mit Half-Life: Alyx das mit Abstand aufwändigste aller…