ESports und Gesundheit, Teil 3: Mentale Fitness

Wer Leistungssport betreibt, sollte fit sein – das gilt natürlich auch für eSports. Denn professionelle Digital-Athleten sind nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie immer wieder punktgenau ihre Leistung abrufen können. Das allerdings setzt nicht nur physische, sondern auch mentale Fitness voraus. In unserer Serie "eSports und Gesundheit" widmen wir deshalb gleich zwei Artikel dem Thema "psychische Gesundheit". Zunächst geht es um die mentalen Anforderungen, die der eSports an Profis stellt – und welche Unterstützung diverse eSports-Organisationen hier bieten.
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© alphaspirit/stock.adobe.com
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Pokale, Konfetti, stolze SiegerInnen: Auf der großen Bühne hat eSports reichlich Glamour. Dass hinter glorreich gewonnenen Fifa-, LoL- oder CS:GO-Matches harte, kontinuierliche Arbeit steckt, ist vielleicht nicht allen ZuschauerInnen bewusst. Nahezu jeder dritte deutsche Jugendliche träumt von einer eSports-Karriere mit Ruhm und hohen Preisgeldern – das hat das Marktforschungsunternehmen YouGov unlängst herausgefunden. Doch was es bedeutet, stundenlang intensiv zu trainieren und sich gleichzeitig physisch und psychisch fit zu halten – das können sich wahrscheinlich nur die wenigsten so richtig vorstellen. Dabei gibt es immer wieder Fälle von eSports-Stars, die plötzlich einen massiven Leistungseinbruch erleiden – oder wegen eines Burnouts sogar ihre eSports-Karriere beenden müssen. Diese Fälle werden zwar längst nicht mehr so stark tabuisiert wie in den Anfangsjahren. Ein Unter-den-Teppich-Kehren wäre in Social-Media-Zeiten auch nahezu unmöglich. Dennoch herrscht massiver Aufklärungsbedarf, was die psychischen Herausforderungen des eSports betrifft – vor allem gegenüber dem Publikum, dass vielleicht nur die glamouröse Seite des digitalen Gladiatorentums sieht. Es hilft, wenn die eSports-Organisationen ihre vielfach längst vorhandenen Mentaltraingsmethoden stärker publik machen. Für die Organisationen ist das ein Image-Gewinn. Und für Nachwuchs-eSportlerInnen eine gute Orientierung.

Das Thema "eSports und mentale Gesundheit" ist sehr vielfältig – wir behandeln die unterschiedlichen Facetten in gleich zwei Serienfolgen. Im vorliegenden Artikel geht es darum, wo die besonderen Herausforderungen des digitalen Profisports liegen – und wie eSports-Organisationen damit umgehen. In der Folgeausgabe betrachten wir dann, welche Chance das Thema "mentale Gesundheit" für Sponsoren bietet: So können beispielsweise Krankenkassen sehr leicht an das Thema andocken.

Definitionssache
Doch was bedeutet eigentlich "mentale Gesundheit", speziell für e­Sports? Aus dem klassischen Sport wissen wir zwar, wie wichtig "der mentale Aspekt" (Oliver Kahn) für den Erfolg ist. Auch Boris Becker betonte ja irgendwann, ein Tennis-Match werde "zwischen den Ohren entschieden". Solche Bonmots zeugen zwar von der Entschlossenheit des Zitierten, geben aber nur ansatzweise Aufschluss darüber, was die psychische Stärke im Sport konkret ausmacht. Um das herauszufinden, haben wir mit Änne Wetzel gesprochen. Wetzel ist sowohl im klassischen Sport als auch im eSports als angewandte Sportpsychologin tätig: Sie arbeitet für das Fußball-Nachwuchsleistungszentrum von Energie Cottbus, für die weibliche U15-Fußball-Nationalelf, für den Olympiastützpunkt und die Sportschule Cottbus sowie für den Paderborner Baseballclub Untouchables. In den eSports bringt sie ihre Kenntnisse derzeit zweifach ein: bei der Plattform Senior eSports – und bei der esports player foundation (epf). Zu beiden Akteuren später mehr.

Bei der Begriffsbestimmung zitiert Wetzel die World Health Organization (WHO). Danach sei "mentale Gesundheit nicht mehr nur durch die Abwesenheit psychischer Krankheiten definiert, sondern auch durch den Zustand eines ganzheitlichen Wohlbefindens", sagt sie. "Dieses Wohlbefinden bezieht sich auf alle Bereiche des Lebens und integriert neben dem virtuellen eSports-Bereich zum Beispiel das soziale Umfeld und Tätigkeiten, die als Ausgleich zum Gaming dienen – sowie die allgemeine Zufriedenheit mit sich und seinem Körper. Einige dieser Bereiche werden hier gerne mal vernachlässigt." Wetzel umreißt, was den digitalen Sport so anspruchsvoll macht: "ESportlerInnen müssen über einen langen Zeitraum überdurchschnittlich hohe kognitive Leistungen erbringen. Dabei können beeinträchtigende Emotionen auftreten – und sie müssen zum Teil den Erwartungen und Kommentaren von ZuschauerInnen standhalten." Oder anders formuliert: Wer die erwarteten Leistungen nicht abrufen kann, wird von den Fans nicht unbedingt mit Nachsicht behandelt. Was den Druck natürlich noch verstärkt.

Schnelle Erfolge
Dass in der eSports-Karriere Hürden auftauchen, ist für Wetzel selbstverständlich. "Wir streben gerne großen und langfristigen Zielen entgegen und vergessen schnell das Hier und Jetzt", sagt sie. "Durch eine anfänglich schnelle Leistungssteigerung sehen eSportlerlnnen schnelle Erfolge und denken, dass das immer so weitergeht. Ab einem gewissen Level stagniert jedoch die Leistung – und jeder kleine Schritt muss sich mühsam erkämpft werden." Dieser Prozess sei ganz normal, stelle aber auch eine erste große Herausforderung dar. Und könne ziemlich demotivierend sein, wenn AthletInnen nur die großen, langfristigen Zielen im Kopf hätten. "Viele eSportlerInnen denken, sie müssen noch mehr spielen, um besser zu werden", so Wetzel. "Dabei zählt auch hier eher Qualität vor Quantität. Fünf weitere, unkonzentrierte und von negativen Emotionen begleitete Spiele bringen einen in der Regel auch nicht voran. Gefährlich wird es, wenn dann das gesamte Leben auf den Sport ausgerichtet wird."

Jeder kleine Schritt muss sich mühsam erkämpft werden

SK Gaming aus Köln ist eine der erfolgreichsten eSports-Organisationen der Welt. Die Verantwortlichen legen großen Wert auf die mentale Gesundheit ihrer Stars. "Sie ist der Schlüssel zum Erfolg", sagt Alexander Müller, CEO von SK Gaming. "Natürlich ist das nicht eSports-spezifisch, keine Frage, aber in unserem Bereich ist es sehr ausgeprägt." ESportlerInnen seien streng genommen Konzentrationsmaximierer, so Müller: "Alles, was hier eine zusätzliche Belastung ist, stört, wenn es darauf ankommt, das Maximum abzurufen – und genau das kann dann den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage ausmachen." Genau deshalb legt SK Gaming so großen Wert auf mentales Training. "Alles leitet sich aus einer 360-Grad-Betrachtung des Spielers ab", erläutert Müller. "Wir versuchen, ihn in allen Bereichen zu unterstützen, die einen Einfluss haben können." Natürlich arbeite ein Sportpsychologe sehr eng mit den Profis zusammen. "Darüber hinaus ist es aber auch genauso wichtig, dass wir Themen wie Ernährung, Belastungssteuerung oder auch Fitness mit den Spielern gemeinsam steuern. Es ist also eine horizontale Funktion, die sich durch alle Bereiche unseres Tuns hindurchzieht."

Karriereschub
Ähnlich sieht das auch Jörg Adami, Mitgründer der esports player foundation (epf): "Gesundheit ist die Basis von allem. Also auch die Basis einer erfolgreichen eSports-Karriere. Wie in jedem Profisport liegt auf den Spielern ein extremer Leistungsdruck." Im eSports sei der Druck allerdings noch größer als in vielen vergleichbaren Sportarten. Und zwar, weil "die Erfolgsabhängigkeit sehr hoch ist und die Spieler sich praktisch keine schlechten Spiele leisten können, ohne sofort unter Druck ihrer Organisation und – oft noch entscheidender –, ihrer Fans zu geraten". Um das über einen längeren Zeitraum zu bewältigen, benötige man eine starke, gefestigte Persönlichkeit, betont Adami. "Da die Spieler aber oft sehr jung sind, gilt es, sie gerade zu Beginn ihrer Karriere dabei zu unterstützen." Genau das ist eine der Hauptaufgaben der esports player foundation: Die Anfang 2020 gegründete Stiftung will Nachwuchstalente in ihrer sportlichen und persönlichen Entwicklung fördern. "Die Ziele der epf lassen sich am besten mit unserer Mission beschreiben: ‚enable talents to live their dreams and serve as role models'", sagt Adami. "Uns geht es darum, dass Exzellenz in allen Bereichen Förderung braucht und verdient hat. Gaming und eSports sind Teil der digitalen Revolution und bieten Chancen und Risiken. Wir wollen über Vorbilder positiv in die Gesellschaft wirken."
 

Das Ziel ist die Entwicklung einer starken Persönlichkeit
 

Den geförderten SpielerInnen stellt die epf eine erfahrene Sportpsychologin an die Seite – eben Änne Wetzel. Sie arbeitet dann im Zwei-Wochen-Rhythmus individuell mit den betreffenden SpielerInnen. "Das Ziel ist die Entwicklung einer starken Persönlichkeit, um es im besten Fall nie zu kritischen Situation kommen zu lassen", sagt Adami. Dass nicht jede eSports-Organisation eine solche Betreuung bietet, dafür hat der epf-Mitgründer Verständnis: "Es wäre falsch, die Verantwortung hier nur auf die Organisationen zu schieben. Diejenigen Orgs, die die Möglichkeiten haben, arbeiten an dem Thema." Viele könnten sich eine solche Dauerbetreuung aber wirtschaftlich nicht leisten, gibt Adami zu bedenken. "Dazu kommt, dass die SpielerInnen oft nur kurze Zeit bei einer Organisation sind. Wichtig ist aber ein kontinuierliches Arbeiten an dem Thema."

Stiftungskooperation
Die epf fördert nicht nur aufstrebende eSports-Talente – sie ist sich auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Im März 2021 haben epf und Konrad-Adenauer-Stiftung eine gemeinsame Initiative unter dem Titel "Werte im Gaming und eSports" gestartet. Die Initiative soll erfolgreiche eSportlerInnen als Vorbilder für ambitionierte Gamer und eSports-Fans positionieren. Geplant sind Workshops und Medientrainings mit epf-Nachwuchstalenten – und auch die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien gegen "Hate Speech" und "Toxicity", die beispielsweise an Schulen zum Einsatz kommen sollen. Die beiden Stiftungen wollen damit für "Respect, Fairplay und Performance" in der Gesellschaft werben. "Indem wir aktiv versuchen, hier Positives zu bewegen, schützen wir damit auch die Gesundheit vieler, die ansonsten davon betroffen wären", so Adami.

Auch Senior eSports will einen positiven Beitrag zur Gesellschaft leisten. Wer den Namen noch nicht kennt: Dabei handelt es sich um eine e­Sports-Plattform für SpielerInnen über 35 in der DACH-Region. Ziel ist, diesen Altersgruppen den Einstieg in kompetitives Spielen zu erleichtern. "In einer fairen und kompetitiven Umgebung können sich Erwachsene ganz nach ihren spielerischen – und zeitlichen – Vorlieben ausleben", heißt es in der Eigenbeschreibung, "und dabei sowohl ihr Hobby neu entdecken als auch neue Kontakte unter Gleichgesinnten knüpfen".

Gegen Einsamkeit
Letztendlich geht es hier also nicht um klassischen eSports mit Preisgeldern und Trophäen – sondern um ambitioniertes Hobby-Gaming. Das ist dann auch die Verbindung zum Thema "mentale Gesundheit": Angesichts der Coronavirus-Pandemie hat Senior eSports im März 2021 die Kampagne "Play against Loneliness" gestartet, die auch Teil von "Gemeinsam gegen Corona" ist. Mit dem Angebot will das Unternehmen sozialer Isolation und Einsamkeit entgegenwirken, die – gerade im Lockdown – viele Menschen betrifft. "Wir glauben an den positiven Effekt des gemeinsamen Spielens und die verbindende Kraft der Gaming-Community generell", sagt Christian Denk, Strategic Territory Lead Germany von Senior eSports. "Das heißt, wir wollen so viele Gamer und angehende Gamer mit der Botschaft erreichen wie nur möglich – dass auf unserer Plattform jeder willkommen ist, der gerne mit Gleichgesinnten zockt und neue Leute kennenlernen möchte." Speziell hierfür hat Senior eSports vor einigen Wochen einen Casual-Gaming-Bereich eingerichtet. "Hier sorgen wir mit organisierten Casual-Gaming-Sessions und -Nights aktiv für intensives Gemeinschaftsgefühl und Ablenkung", berichtet Denk. "Unsere bereits aktiven Mitglieder unterstützen und guiden das Ganze. Sie fungieren also als ‚Einsamkeitsbekämpfer'." Bei IGM-Redaktionsschluss Ende April umfasste der Casual-Bereich bereits 20 Spiele, darunter Mario Kart 8 Deluxe, Valorant, Fortnite, Among Us und Fall Guys. "Anbieten können wir im Prinzip fast alle Casual Games, die es gibt – da sind wir nicht eingeschränkt", so Denk. "Im Hinblick auf ‚Play against Loneliness' wollen wir das Angebot natürlich so breit wie möglich gestalten."

Nun gibt es ja einige Diskussionen darüber, ob Computerspielkonsum in der Pandemie überhand nimmt. Allerdings beziehen sich diese Diskussionen in erster Linie auf Kinder und Jugendliche – also keine Zielgruppen, die Senior eSports anspricht. Christian Denk sieht gemeinsames Online-Spielen bei Senior eSports als etwas durchweg Positives: Es sei "eine geteilte Leidenschaft, ein gemeinsames Hobby, ein positives Gemeinschaftsgefühl". Die Initiative könne "sehr viel Basisarbeit zur Verbesserung der mentalen Gesundheit leisten", betont Denk. Das spielt natürlich speziell in Zeiten der Pandemie bei eingeschränkten physischen Kontakten eine große Rolle. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen und sorgfältig ausgearbeitet werden."
 

Ein positives Gemeinschaftsgefühl

 
Mentale Bereicherung
Dass gemeinsames Online-Gaming positive Effekte hat, bestätigt auch Senior-eSports-Beraterin Änne Wetzel. "Das soziale Umfeld des Menschen hat wesentlichen Anteil am Erhalt der mentalen Gesundheit", sagt sie. "Ist dieser Baustein nur schwach ausgeprägt oder fällt durch verschiedene Umstände weg, zum Beispiel durch die aktuelle Pandemie, dann kann es zur Einsamkeit kommen. Die virtuelle Welt bietet hier einen Zufluchtsort, der von zu Hause aus erreicht werden kann." Die Menschen könnten sich dadurch von ihren Problemen ablenken, mit anderen GamerInnen austauschen und teils neue soziale Kontakte und sogar Freundschaften schließen. "Dazu kommt, dass in der virtuellen Welt jeder gleich ist – unabhängig vom Aussehen, Alter, Herkunft oder Bildungsstand." ESports ist also beides: Eine mentale Herausforderung – und eine mentale Bereicherung. (Achim Fehrenbach)

In der kommenden Ausgabe (IGM 07/2021) beleuchten wir weitere Aspekte von "eSports und mentaler Gesundheit". Zum Beispiel, was zur psychischen Stärkung beiträgt – und wie Partner (Krankenkassen, Versicherungen) solche Hilfestellungen kommunizieren.

IGM 06/21
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