IGM-Serie "Urgesteine": Heiko Klinge, GameStar

Er leitet das größte Computerspiele-Magazin des Landes – dabei wäre GameStar-Chefredakteur Heiko Klinge mit etwas Pech das geblieben, was er gelernt hat: Bänker.
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Heiko Klinge

Dass Heiko Klinge in der hiesigen Games-Industrie wirklich jeden kennt (und umgekehrt), hat viel damit zu tun, dass er als Trainee zu Beginn seiner GameStar-Laufbahn anno 2000 die "deutschen News" betreuen durfte. Zuvor hatte er buchstäblich alles auf eine Karte gesetzt, indem er sich bei exakt einer einzigen Zeitschrift beworben hat – "frei nach Pep Guardiola: GameStar oder nix", sagt Klinge. "Es war auch wirklich nur so ein ‚Will ich zumindest mal versucht haben'-Ding. Wäre ich nicht angenommen worden, hätte ich nach meiner Bankausbildung eben weiter Wirtschaftsinformatik in Braunschweig studiert und würde vermutlich heute irgendwas mit E-Commerce oder Online-Banking machen."

Heute – mehr als 20 Jahre später – leitet er ein 30köpfiges Redaktionsteam bei der wichtigsten deutschsprachigen PC-Spiele-Marke, die via Website, YouTube, Heft und Social Media ein Millionen-Publikum erreicht. Und wer ihn auf Messen oder Konferenzen erlebt, muss zwangsläufig den Eindruck gewinnen, dass er weiterhin seinen Traum lebt. Die Faszination, an vorderster Front über Studios und Spiele berichten zu dürfen, hat ihn nie losgelassen: "Mein persönlicher Schlüsselmoment war 2003 eine sehr spontane Titelstory zu Star Wars: Jedi Knight – Jedi Academy. Mittwochabend der Anruf vom Chefredakteur, Donnerstag der Flug nach Chicago zum Studiobesuch bei Raven Software, in der Nacht von Freitag auf Samstag auf dem Hotelzimmer die Titelstory geschrieben, damit sie das Team daheim am Wochenende noch ins Heft wuchten kann. Dann Samstagfrüh das bange Warten aufs Feedback des Chefs, das Glücksgefühl nach einem ungewohnt überschwänglichen Lob. Und schließlich dieser Moment im Hotelrestaurant, als ich mir zur Belohnung die Mutter aller Omelettes reinpfiff, aus dem Fenster auf die Straßen Chicagos schaute, und mich kneifen musste, weil das alles gleichzeitig so surreal und so super war. Da wurde mir zum ersten Mal so richtig bewusst, welch großes Glück ich eigentlich habe, diesen Job machen zu dürfen."

Längst nicht alle seiner beruflichen Situationen lösten Glücksgefühle aus – mit leichtem Frösteln erinnert er sich an den Moment, als 2004 gleich sieben GameStar-Kollegen kündigten, um dem Lockruf der frisch gegründeten PC Powerplay des Würzburgers Cypress-Verlags zu folgen. "Das war in dieser Geballtheit seinerzeit natürlich ein absoluter Schock für einen jungen Redakteur, auch wenn es sicherlich gute Gründe gibt, warum man den Job wechseln möchte. Im Nachhinein war diese Zäsur aber auch ein Stückweit heilsam für GameStar und zumindest aus meiner Sicht auch einer der Gründe, warum es uns nach wie vor gibt."

Frei nach Pep Guardiola: GameStar oder nix

PC Powerplay überlebte nur wenige Jahre: 2007 wurde das Heft eingestellt, während GameStar immer noch im gutsortierten Zeitschriftenregal zu finden ist. Die monatlich verkaufte Auflage gibt Webedia mit 45.000 Stück an, zu Beginn von Klinges Karriere lag sie jenseits von 360.000 Heften.

In zwei Jahrzehnten hat sich nicht nur der Print-Markt dramatisch gewandelt: Ungefähr alles sei sofort mess- und analysierbar, so Klinge. "Für mich als bekennenden Zahlenfreund hat das viele Vorteile. Andererseits ist dadurch sowohl im Gaming selbst als auch im Gaming-Journalismus der Mut zum Risiko ein wenig verloren gegangen. Und natürlich haben sich im Gaming-Journalismus auch Tempo und Druck massiv verändert. Früher gab es alle vier Wochen einen Redaktionsschluss, heute ist er täglich omnipräsent." Diese Taktung lässt wenig Freizeit, die er "an erster Stelle selbstverständlich" mit seiner Frau und seinem Kater Henry verbringt. "An zweiter ebenso selbstverständlich mit Spielen, egal ob digital oder analog auf dem Wohnzimmertisch. An dritter pflege ich als notorischer Klugscheißer meine Leidenschaft für Musik-Quizzes. Pandemiebedingt aktuell leider nur virtuell via Zoom, hoffentlich bald wieder in der Kneipe bei einem gepflegten Bierchen." Bestimmte System- und Games-Präferenzen haben sich in all den Jahren erstaunlicherweise nicht herausgebildet – Klinge spielt einfach alles: "Das Spiel definiert die Plattform. Ich habe auch keine Genre-Vorlieben. Für mich gibt's genau zwei Arten von Spielen: gute und schlechte."

An seinem Arbeitgeber Webedia schätzt der Chefredakteur nach wie vor, dass er den steten Wandel des Games-Journalismus in einem Umfeld mitgestalten darf, wo er sich "wohl, verstanden und wertgeschätzt" fühlt. Dazu gehöre auch der Mut und Wille zur Veränderung: "Ich werde häufig gefragt, warum ich denn nie den Job gewechselt und etwas anderes gemacht habe. Ganz einfach: Weil ich ständig den Job wechseln, dazu lernen und etwas anderes machen durfte. Meine Arbeit von heute hat mit der von 2000 so gut wie nichts mehr zu tun." Was sich aus seiner Sicht gottlob nicht verändert hat, ist der Umgang innerhalb der Branche: Der sei trotz aller Professionalisierung "genauso offen, freundschaftlich und hilfsbereit" wie zu Beginn seiner Laufbahn – als Betreuer der "deutschen News" bei GameStar. (pf)

IGM 06/21
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