Das Ehepaar Lohse sitzt am Mittagstisch. Es entspinnt sich folgender Dialog:
Herr Lohse: „Was ist denn das?“
Frau Lohse: „Birne Helene.“
Herr Lohse: „Das ist aber ein Apfel.“
Frau Lohse: „Mit Schokoladensoße.“
Herr Lohse: „Dann ist es keine Birne Helene, sondern ein Apfel Helene.“
Frau Lohse: „Das gibt‘s überhaupt nicht.“
Herr Lohse: „Ein Apfel ist ein Apfel und eine Birne ist eine Birne.“
Frau Lohse: „Lass es stehen, wenn‘s dir nicht schmeckt.“
Herr Lohse: „Es schmeckt mir ja.“
Frau Lohse: „Dann iss es doch.“
Herr Lohse: „Ich esse es ja. Aber nicht unter falschem Namen!“
(to be continued)
Kaum jemand hat das Aneinander-Vorbeireden so auf den Punkt gebracht wie Loriot. In seinen Sketchen zelebrierte der selige Vicco von Bülow die ausfransende Kommunikation und die vielfach vorhandene Unfähigkeit, einander wirklich zuzuhören. Im obigen Beispiel sind es Herr Lohses Denken in Schubladen (bzw. Äpfeln und Birnen) und sein mangelnder Pragmatismus, die für massive Reibungsverluste sorgen. Und auch bei den „Herren im Bad“, „Das Frühstücksei“ oder „Der kaputte Fernseher“ ließe sich ein Konsens finden – wenn, ja wenn die Protagonisten nicht so hemmungslos verbohrt wären.
Was das nun alles mit dem Pitchen von Games zu tun hat? Nun, wenn man ein tolles Spielkonzept als schmackhaften Apfel mit Schokoladensoße betrachtet, dann sollte der Spielekoch/Entwickler ihn auch als solchen pitchen. Sein Gegenüber, der Indie-Publisher, ist nämlich – anders als Loriot – gar nicht unbedingt scharf darauf, das immer gleiche Spielrezept vorgesetzt zu bekommen. Stattdessen sucht er nach etwas, das aus der unüberschaubaren Masse neuer Spiele heraussticht. Dass der Publisher den Geschmack des gepitchten Spiels nur erahnen kann – schließlich ist das Spiel noch nicht „verzehrfertig“ –, macht die Sache keineswegs einfacher. Will heißen: Der Entwickler muss die Erwartungshaltung des Publishers verstehen – und er muss in der Lage sein, die Vorzüge seines Spiels angemessen zu kommunizieren. Nur so landet das schmackhafte Spiel – vielleicht – irgendwann auf dem Tisch der Konsumenten.
Empathisch pitchen
Wie also bereitet man sich am besten auf einen Pitch vor? Die Grundrichtung hat Indie-Berater und Investor Jason Della Rocca in Teil 1 dieses Specials (IGM 05/2022) bereits vorgegeben. „Beim Pitchen geht es nicht darum, irgendwie zu beweisen, dass man das tollste Spiel aller Zeiten hat“, so Della Rocca. „Sondern darum, dem Publisher zu zeigen, wie gut das Spiel zu ihm passt – und was es für eine großartige Geschäftschance ist.“ Empathie sei die Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Pitch, betont der Kanadier. Wobei „Empathie“ hier auf ganz konkreter Recherche beruht: Zum Beispiel danach, welche Genres und Settings ins jeweilige Portfolio des Publishers passen – und welches kommerzielle Potenzial sich der Publisher von dem Neuzugang erhofft. Im eigentlichen Pitch müssen Entwickler dann in der Lage sein, ihr Projekt in wenigen Minuten angemessen zu präsentieren – und den Publisher davon zu überzeugen, dass sich eine Zusammenarbeit für ihn lohnen könnte. Doch worauf achten Publisher in einem Pitch am stärksten? Dazu haben wir mehrere Branchen-Profis befragt.
Chris Wulf ist gerade mal 25 Jahre alt, aber schon vergleichsweise lange in der Games-Branche aktiv. Direkt nach dem Abitur begann er als Kurator beim Indie Megabooth und als Assistant Producer bei Salmi Games in München. 2019 wurde er Publishing Director bei Those Awesome Guys, seit 2021 arbeitet er als Scout für Thunderful Games (vgl. IGM 09/2021) und als Business Developer für Fellow Traveller. Als Scout betreut Wulf eingehende Projekt-Pitches von Entwicklerstudios, darüber hinaus organisiert er auch publisher-seitige Portfolio-Pitches für Plattformen wie Steam, Playstation und Apple. Im Interview mit IGM beschreibt Wulf, worauf er in Project-Pitches besonders achtet: Zielgruppe, Zeitrahmen, Budgetvorstellungen und Qualifikation. Von pitchenden Indie-Studios möchte er wissen, „warum das Spiel entwickelt werden sollte und wer das Publikum für das Spiel ist – die sogenannte Target Audience“. Bei bereits angekündigten Spielen sei das vergleichsweise einfach zu beantworten, sagt Wulf: „Beispielsweise durch einen Verweis auf eine bereits geschaffene Discord-Community, die Anzahl der Steam-Wishlists oder andere Highlights, die durch Marketing und Community-Management erreicht werden konnten.“ Dabei gehe es nicht ausschließlich darum, imposante Zahlen vorzuweisen, so der Scout. Sondern auch darum, ob Publisher und Entwickler die Target Audience ähnlich einschätzen – und wie man sie ganz konkret anspricht. „Bei noch unveröffentlichten Titeln wünsche ich mir im Idealfall eine Marktanalyse, die jedoch vielfältig ausfallen kann und kein großes Investment benötigt“, erläutert Wulf. Vor allem gehe es darum, ähnliche Titel auf dem Markt zu identifizieren, ihr finanzielles Abschneiden zu analysieren – und zu überlegen, wie man sich in puncto Game-Design von dieser Konkurrenz abhebt.
Ungefähre Ahnung von einer realistischen Zeiteinteilung
Vertrauen aufbauen
Ein weiterer wichtiger Pitch-Punkt ist der Aufbau von Vertrauen – indem die Entwickler ihre Timelines und Budgetvorstellungen klar kommunizieren. „Als Publisher habe ich oft Slots in meinem Kalender, die ich füllen möchte“, berichtet Wulf. „Innerhalb dieser Slots liegt der Fokus primär auf dem Launch eines Titels, weshalb eine potenzielle Verschiebung des Titels aufgrund von Entwicklungsfortschritten massive Folgen für die Release-Planung meiner anderer Titel mit sich bringen kann.“ Normalerweise ließen sich Verzögerungen frühzeitig erkennen und ausbügeln, so Wulf. „Allerdings muss ich aus den ersten Gesprächen mit dem Gefühl herausgehen, dass ein Entwickler weiß, wovon er spricht – und eine ungefähre Ahnung von einer realistischen Zeiteinteilung hat.“ Selbiges gelte auch für das Budget des Spiels: Speziell in fortgeschrittenen Gesprächen sollten Entwickler hierzu einen detaillierten Plan auf den Verhandlungstisch legen.
Zielgruppenanalyse, Timing und Budget sind essenzielle Bestandteile eines Projekt-Pitches. Für Wulf ist aber genauso wichtig, „vom Entwicklerteam überzeugt zu sein“. Es gehe gar nicht unbedingt darum, jahrzehntelange Erfahrung bei einer großen Spielefirma vorzuweisen zu können, so der Scout. Wichtiger sei, dass ein Entwicklerteam auch genau die Qualifikationen vorweisen könne, die es zur Verwirklichung seines Projekts brauche. „Ein narrativer Indie-Titel profitiert von Writern und Narrative Designern, die bereits in dem Feld gearbeitet haben und Projekte veröffentlicht haben – auch wenn es kleinere, kostenlose Projekte sind, die nur auf itch.io veröffentlich wurden“, sagt Wulf. „Langjährige Erfahrung in einer anderen Abteilung eines großen Games-Publishers ist in dem Fall weniger überzeugend.“ Im Zweifelsfall sollten sich Entwickler also nicht zu sehr auf ihren Branchen-Lorbeeren ausruhen – sondern deutlich machen, dass bei ihrem Projekt auch die fachlich richtigen Leute am Start sind.
Lernfähig sein
Julia Kenny ist Leading Scout bei Thunderful Games, einem Teil der schwedischen Thunderful Group. (Der andere ist Thunderful Distribution.) Der Indie-Publisher beschäftigt mittlerweile weltweit mehr als 300 Fachkräfte und hat Niederlassungen in verschiedenen Teilen Europas – auch der deutsche Publisher Headup wurde 2021 von Thunderful übernommen. Als Leading Scout kümmert sich Julia Kenny um verschiedene Bereiche – vom Publishing über Investments und Prototype Funding bis hin zu Mergers & Acquisitions. Im IGM-Interview betont Kenny, pitchende Studios sollte vor allem eines sein: nämlich lernfähig. „Entwickler sollten sich ehrlich mit dem auseinandersetzen, was sie in der Vergangenheit gelernt haben“, so die Expertin. „Es geht nicht immer darum, super optimistisch zu sein und alles auf Anhieb zu schaffen. Wenn man versteht, was das eigene Team aus negativen Erfahrungen gelernt hat, dann zeigt das: Man ist bereit und fähig, neue Herausforderungen anzunehmen, wenn sie auftauchen.“ Neben dieser Lernfähigkeit sollten Entwickler auch eine gehörige Portion Realitätssinn mitbringen, so Kenny. Oder anders formuliert: „Lerne laufen, bevor du mit dem Rennen beginnst.“ Besonders Branchen-Neulinge müssten noch lernen, Ziele und Skills in Einklang zu bringen. „Man hegt womöglich den leidenschaftlichen Wunsch, ein Spiel zu erschaffen, das mit den AAA-Titeln da draußen konkurrieren kann“, sagt Kenny. „Es hilft aber, wenn man ein etwas kleineres und leichter handhabbares Projekt anpeilt. Dann kann man dazulernen und die ursprüngliche Idee in der Zukunft umsetzen.“ Entwickler sollten nicht erwarten, dass ihr erstes Projekt die reine Wonne sei: „Arbeitet stattdessen an einem Projekt, das ihr fertigstellen und abliefern könnt.“
Lerne laufen, bevor du mit dem Rennen beginnst
Apropos Erwartungshaltung: Kenny gibt zu bedenken, dass sich die Voraussetzungen für Pitches in den letzten Jahren verändert haben. „Mit dem Zufluss von Geldern in die Branche wachsen die Möglichkeiten, Partnerschaften zu schmieden – und die Angebote der Publisher werden immer komplexer“, sagt sie. „Pitches drehen sich nicht mehr rein um Third-Party-Publishing – also die Finanzierung durch den Publisher, die Beteiligung an den Einnahmen und die Bereitstellung von Publishing-Services. Stattdessen umfassen die Gespräche auch Themen wie Kapitalbeteiligung, Projektfinanzierung und sogar Übernahmen.“ Spielestudios würden immer stärker darauf achten, ob ein Publisher auch wirklich zu ihnen passt, so Kenny: „Wir befinden uns jetzt wirklich in der Ära der Verkäufer, also der Entwickler. Sie erkennen, ob es sich bei einer Investition um ‚smartes Geld‘ handelt, das einen Mehrwert bietet. Ich stelle fest, dass die Deals zunehmend flexibel sind – anders als früher, als sie eine feste Auswahl an Möglichkeiten boten.“
Selbstvetrauen beweisen
Flexibilität wird im Verhältnis von Studio und Publisher also immer wichtiger. Was die Entwickler allerdings nicht davon entbindet, im Vorfeld des Pitches ihre Hausaufgaben zu machen. Das bedeutet: Sie müssen nicht nur eifrig recherchieren (siehe oben), sondern auch ihre Botschaft in eine prägnante Form gießen. Im Internet wimmelt es denn auch vor Tipps und Tricks, wie man sein Pitch-Deck möglichst überzeugend gestaltet. Letztendlich hängen die Dos and Don‘ts aber auch immer von der Situation ab, in der man gerade pitcht. Julia Kenny beispielsweise findet Visuals und Diagramme sehr gut geeignet, um einen Pitch „verdaulicher“ zu machen. Auch der Gameplay-Loop, die wesentlichen Design-Grundsätze und eine Executive Summary gehören für sie ins Pitch-Deck hinein. Nicht zu vergessen: Konkrete Vorstellungen hinsichtlich Finanzierung und Publisher-Support! Kennys Kollege Chris Wulf empfiehlt Entwicklern, „mit einem gewissen Selbstvertrauen“ in den Pitch zu starten. „Gute Vorbereitung, einige Trial Runs und idealerweise eine Runde Feedback von einem vertrauten Scout sind dabei sehr hilfreich“, so Wulf. „Sollte dieser Scout nicht zur Verfügung stehen, reicht meist ein Blick auf die Website eines Publishers, um ein Formular oder Ähnliches zu finden, welches klargestellt, welche Fragen womöglich während eines direkten 1-on-1-Pitches aufkommen könnten.“ Selbstbewusstes Auftreten könne im Pitch sehr hilfreich sein, habe aber auch seine Grenzen – zum Beispiel dann, wenn der Entwickler eine bestimmte Publisher-Frage nicht spontan beantworten könne. „Hier sollte man nicht improvisieren“, warnt Wulf. Stattdessen sollte man klar und offen einräumen, dass man mit dem Entwicklerteam Rücksprache halten muss – „und die Frage im Nachhinein via E-Mail beantworten, anstatt sich spontan etwas aus dem Hut zu ziehen“. Besonders bei Fragen zum Budget.
Natürlich hat sich das Pitchen auch durch die Corona-Pandemie verändert: Viele Messen und Konferenzen wurden abgesagt, die Pitches fanden stattdessen online statt. Julia Kenny sieht hier sogar Vorteile: „Ich finde, dass die frühen Pitching-Stufen in der Pandemie besser geworden sind. Inzwischen ist es Standard, beim ersten Treffen einen Video-Call einzurichten und über den geteilten Bildschirm zu pitchen. In Sachen Accessibility ist das toll. Bei Konferenzen läuft es hingegen manchmal darauf hinaus, dass man jahraus, jahrein die selben Leute trifft.“ Für Scouts wie sie selbst sei es aber ziemlich schwierig geworden, zwischendurch abzuschalten: „Der Pitching-Alltag dreht sich immer mehr um die Inbox und den Kalender mit Video-Calls.“ Früher hätten Entwickler ihre Pitches rund um die GDC oder gamescom gelegt – inzwischen werde aber ganzjährig gepitcht. Chris Wulf beobachtet bei digitalen Konferenzen in der Branche einen gewissen Übersättigungseffekt. Dies habe dazu geführt, dass Pitching vermehrt über ausgewählte Kontakte und Calls stattfinde. Für 2022 sieht Wulf „einen Mix aus physischen B2B-Konferenzen und den erwähnten ausgewählten Calls. Persönlich versuche ich, digitale Konferenzen etwas zurückzufahren, da sie 2020 und 2021 zu viel Zeit in Anspruch genommen haben – im Vergleich zu den eigentlichen Resultaten dieser Meetings.“
Der passende Match
Robin Hartmann ist für Brand, Communication & Marketing der devcom zuständig – die mit „Pitch it!“ ein eigenes Verbandlungsformat betreibt. „Meetings und Pitches sind bereits zum Scheitern verurteilt, wenn Budgetrahmen, Plattform oder Portfolio nicht zusammenpassen – was unnötig Zeit und Nerven kostet“, sagt Hartmann. „Das ist eines der häufigsten Feedbacks, die wir im vergangenen Jahr von Entwicklern und Publishern erhalten haben.“ Gute Vorbereitung sei deshalb das A und O, um die richtigen Partner zu finden. „Natürlich ist es manchmal nicht so einfach, alle passenden Informationen zu sammeln – oder es fehlt dafür schlichtweg die Zeit“, gibt Hartmann zu bedenken. „So kommt es immer wieder vor, dass man in einem Termin sitzt – und entweder aus Höflichkeit bis zum Ende zuhört oder direkt versucht, das Meeting kurz zu halten, da man schnell erkennt, dass beide Parteien nicht zusammenfinden werden.“
Mit „Pitch it!“ wolle die devcom genau dieses Mismatch-Problem lösen, so Hartmann: „Bereits bei der Registrierung befragen wir Entwickler, Publisher und Investoren zu ihren wichtigsten Rahmenbedingungen und Eckdaten – wie zum Beispiel Investment Range, Art des gewünschten Vertrags, aktueller Zustand, Business Model, Genre und Art des Projekts, Zielplattformen und noch ein paar Dinge mehr.“ Anhand dieser Daten können die Teilnehmer dann gezielt Partner finden und Termine vereinbaren. „Für Publisher bereiten wir zudem noch Booklets vor, die die passendsten Projekte vorstellen“, berichtet Hartmann weiter. „Die Teams hinter den Projekten haben zudem die Möglichkeit, live zu pitchen – und besagten Pitch im Nachhinein als VOD zur Verfügung zu stellen.“ „Pitch it!“ findet übrigens nicht nur im Rahmen großer Konferenzen wie der devcom Developer Conference statt – sondern mittlerweile viermal pro Jahr. „Deals werden heutzutage schlicht und ergreifend nicht mehr nur vor Ort gemacht“, betont Hartmann. Die Spring Edition von „Pitch it!“ findet bereits am 27./28. April statt – unter anderem mit Gratis-Slots für ukrainische Entwicklerstudios.
Mehr Know-How
Hat sich das Pitching der Studios im Lauf der Jahre professionalisiert? Chris Wulf beantwortet die Frage mit einem klaren „Ja“. Zum Glück gebe es immer mehr Online-Resourcen wie Blogposts, Talks und Speeches, an denen man sich orientieren könne. „Indie-Entwickler werden professioneller und arbeiten vermehrt auch mit Agenturen zusammen, um sich voll auf die Entwicklung kümmern zu können“, bilanziert Wulf. Auch aus Sicht von Julia Kenny ist die Branche sehr viel offener geworden – und es werde viel mehr Wissen geteilt als früher. „Entwickler werden auch immer versierter darin, ihre Communities aufzubauen, bevor sie sich an einen Publisher wenden“, so die Expertin – sei es nun via Discord, TikTok oder Kickstarter. „Sowohl für Entwickler als auch für Publisher ist es von unschätzbarem Wert, Feedback zu einer Idee von den Leuten zu erhalten, die den Content auch tatsächlich kaufen und konsumieren“, sagt Kenny. „Das hilft uns, als Profis in der Games-Branche zu wachsen – denn es geht dabei mehr um die SpielerInnen als um unsere Vorurteile oder unser Ego.“ (Achim Fehrenbach)