Die Viertagewoche in der Games-Branche, Teil 1

Mehr Freizeit, weniger Stress, mehr Motivation: In der Theorie klingt die Viertagewoche ausgezeichnet. Aber kann sie – ganz praktisch – auch in der Games-Branche funktionieren? Dieser Frage gehen wir in einer zwei­teiligen Serie nach. Teil 1 beleuchtet wissenschaftliche Erkenntnisse – und erste Testläufe von Unternehmen.
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Im Herbst 2021 ließ eine Meldung die Games-Branche aufhorchen: Entwickler Eidos gab bekannt, in seinen Studios Montreal und Sherbrooke eine Viertagewoche einzuführen. Eidos wolle damit die Work-Life-Balance seiner Belegschaft verbessern, hieß es in der Pressemitteilung. Ziel sei, „die Werte des Studios abzubilden, indem wir ein gesundes, kreatives und nachhaltiges Arbeitsumfeld für unsere Angestellten schaffen“. In einem Blogpost erläuterte Eidos-Montreal-Chef David Anfossi den Wechsel von 40 zu 32 Stunden Wochenarbeitszeit: Man werde die Studios Montreal und Sherbrooke offiziell an Freitagen schließen – bei gleichen Arbeitsbedingungen und gleicher Bezahlung wie zuvor. „Es geht nicht darum, die Arbeitszeit auf vier Tage zu verdichten“, schrieb Anfossi, „sondern darum, unsere Arbeitsweise und die Quality Time zu überprüfen, die wir investieren – mit dem Ziel, besser zu arbeiten!“ Vor allem wolle man die Produktivität und das Wohlbefinden der MitarbeiterInnen steigern. Sämtliche Teams bei Eidos würden den Wandel mitgestalten, betonte der Studiochef – etwa durch ein Feedback zur sinnvollen Neustrukturierung der Arbeitszeiten. „Wir hoffen, dass das Zeit spart und die Effizienz steigert“, so Anfossi weiter. „Zum Beispiel dadurch, dass interne Meetings von einer Stunde auf 30 Minuten reduziert werden.“

Langeweile und Leerlauf in Meetings sind den wenigsten von uns fremd: Nicht selten zerfasern bedeutungsschwer zusammengetrommelte Unternehmenskonferenzen in Wortbeiträgen von minderer Relevanz. Dass das Verschlanken (oder Weglassen) von Meetings ein Baustein für mehr Arbeitseffizienz sein kann, leuchtet folglich unmittelbar ein. Dennoch bleibt die Frage, an wie vielen Stellschrauben Eidos drehen musste, um den Output trotz der Arbeitszeitreduktion einigermaßen konstant zu halten. (Evaluationsberichte aus besagten Studios sucht man vergebens.) Tatsache ist, dass Eidos die Einführung der Viertagewoche rund 20 Tage vor Erscheinen von Marvel‘s Guardians of the Galaxy verkündete – was darauf schließen lässt, dass die Viertagewoche erst nach dem Launch auch tatsächlich ausgerollt wurde. Bei vielen Studios ist es ja eher so, dass die Arbeitsbelastung rund um den Release eines Spiels exorbitant ansteigt – die Games-Branche ist für ihre Crunch-Exzesse geradezu berüchtigt, auch wenn sich in den letzten Jahren da einiges gebessert haben mag. Es stellt sich also die grundsätzliche Frage, wie Spielefirmen auf eine Viertagewoche umsatteln können – ohne dass es dabei zu massiven Reibungsverlusten kommt. Ist weniger hier tatsächlich mehr?

Breit angelegte Studie
Bevor wir uns weitere Beispiele aus der Games-Branche anschauen, blicken wir zunächst in Richtung Wissenschaft. Vergangenes Jahr fand in Großbritannien eine breit angelegte Studie zur Viertagewoche statt, die vom Interessenverband 4 Day Week Global beauftragt worden war – die Ergebnisse wurden dann vom Think Tank Autonomy, der University of Cambridge und dem Boston College ermittelt. An der Studie nahmen insgesamt 61 Firmen mit zusammengerechnet 2900 Angestellten teil – und zwar aus ganz unterschiedlichen Branchen: Die Bandbreite reichte von Fish-and-Chips-Läden über Wohlfahrtsverbände bis hin zu Software-Unternehmen. Sämtliche teilnehmenden Firmen verpflichteten sich, die Arbeitszeit ihrer Angestellten im Untersuchungszeitraum auf 80 Prozent zu reduzieren – und das bei vollem Lohnausgleich. Die Firmen konnten dabei zwischen „klassischen“ Viertagewochen (mit freiem Freitag) und anderen Zeitmodellen wählen. Die Ergebnisse der Studie sind durchaus beeindruckend. Immerhin 56 der 61 Firmen wollten die Viertagewoche fortsetzen, die große Mehrheit sieht positive Auswirkungen auf die Unternehmenskultur: Man habe den Geschäftsverlauf und die Produktivität konstant halten können und zugleich auch deutlich weniger Burnout-Fälle, Krankentage und Kündigungen zu verzeichnen – während die Angestellten ihre neu hinzugewonnene Freizeit für Kindererziehung und Alltagsaktivitäten nutzen konnten. Friede, Freude, Viertagewoche – oder etwa nicht?

 

Es war dann fast unmöglich, wieder zu den fünf Tagen zurückzukehren

Auch hier stellt sich die Frage, ob solche Studienergebnisse ohne Weiteres auf die Games-Branche anwendbar sind. (Nicht nur deshalb, weil das Launch Window eines Fish-and-Chips-Gerichts deutlich schmaler ist als das eines AAA-Titels.) Tatsächlich gibt es immer mehr Spielefirmen, die – ähnlich wie Eidos – auf die Viertagewoche umschwenken. Auffällig ist, dass besonders viele von ihnen ebenfalls aus Montreal kommen – bei der GDC 2022 diskutierten gleich vier VertreterInnen dortiger Spielefirmen über das Thema „Viertagewoche“. Zum Panel gehörten Tanya X. Short, Co-Founder und Creative Director von Kitfox Games, KO_OP-Studioleiter Saleem Dabbous, Armor-Games-CEO John Cooney und ManaVoid-Entertainment-CEO Chris Chancey. (Das Panel ist auf Youtube abrufbar.) Tanya X. Short berichtete, man habe die Viertagewoche 2021 testweise eingeführt, um zu verhindern, dass die Angestellten in der Pandemie ausbrennen. „Es war dann fast unmöglich, wieder zu den fünf Tagen zurückzukehren“, sagt sie. „Wir haben das kurz diskutiert, aber es gab niemanden, der das auch nur ausprobieren wollte.“ ManaVoid Entertainment wiederum experimentierte schon seit 2019 mit der Viertagewoche – und machte damit vorwiegend gute Erfahrungen. CEO Chris Chancey berichtet, es habe Zeiten gegeben, in denen manche Angestellte länger arbeiten wollten – das Studio musste ihnen Arbeitszeiten am Freitag ermöglichen, ohne die anderen Angestellten damit unter Druck zu setzen. Zugleich betont Chancey, dass die Viertagewoche die Attraktivität des Studios als Arbeitgeber erhöht: „In Montreal herrscht starker Wettbewerb um Arbeitskräfte, speziell solche mit viel Berufserfahrung.“ Man habe also entschieden, die Viertagewoche beizubehalten.

Schwer zu messen
Alle vier genannten Studios kommen aus dem Indie-Sektor und beschäftigen deutlich weniger Fachkräfte als AAA-Studios wie etwa Eidos Montreal. Insofern lassen sich erkennbare Auswirkungen der Viertagewoche – zum Beispiel „mehr Effizienz“ oder „gesteigerte Arbeitsmoral“ – nicht einfach so verallgemeinern. Sämtliche GDC-Panelisten räumten auch ein, mögliche Produktivitätsunterschiede nicht so einfach messen zu können – sie betonen eher „weiche“ Faktoren wie besagte „Arbeitsmoral“.

In vielen Fällen wird sich erst mittel- oder langfristig herausstellen, ob die Viertagewoche funktioniert – oder ob das Ganze doch zulasten der Produktivität geht. In Deutschland beispielsweise hat die Hamburger Firma Bytro Labs die Viertagewoche getestet – und zwar im vierten Quartal 2022. Bytro Labs beschäftigt rund 70 Fachkräfte und hat sich auf Mobile- und Browsergames spezialisiert, zu ihren bekanntesten Titeln zählen die Strategiespiele Iron Order 1919, Call of War und Supremacy 1914. Die Idee einer Viertagewoche sei während eines Firmen-Workshops entstanden, sagte CEO Tobias Kringe in einem Interview mit Gamecity Hamburg. Man habe sich dann dazu entschlossen, das Ganze einfach auszuprobieren. „Falls es funktioniert, haben wir einen großen Vorteil für unser Unternehmen und unsere MitarbeiterInnen gefunden“, so Kringe. „Falls wir Verbesserungsmöglichkeiten sehen, haben wir einen guten Benchmark, um unser Arbeitsumfeld weiter zu verbessern.“

 

Falls es funktioniert, haben wir einen großen Vorteil

 

Klares Ziel
Für sein Viertagewoche-Experiment hatte sich Bytro Labs ein klares Ziel gesetzt: Nämlich keinen Verlust in der Produktivität. Die geringere Zahl an Arbeitsstunden sollte durch konzentrierteres Arbeiten, eine höhere Arbeitsqualität, weniger Krankentage und eine geringere Fluktuation bei den MitarbeiterInnen kompensiert werden. „Jeder Tag beginnt mit der Haltung, 25 Prozent des Wochenpensums zu erledigen“, so Kringe gegenüber Gamecity Hamburg. „Jeder ist verpflichtet, nur an solchen Meetings teilzunehmen, zu denen sie oder er tatsächlich etwas beitragen kann. Außerdem soll verinnerlicht werden, dass immer die Arbeit priorisiert wird, die maximal zur Erreichung der aktuellen Ziele beiträgt.“ Gleichzeitig wolle man aber auch flexibel bleiben, um unterschiedlichen Zeitmodellen entgegenzukommen.

Die Ergebnisse dieser Testphase wären nun natürlich hochinteressant. Allerdings befindet sich Bytro Labs derzeit noch in der Evaluation – man wolle erst zu einem späteren Zeitpunkt Auskunft geben, hieß es auf unsere Anfrage. Dies ist auch durchaus nachvollziehbar – wir bleiben auf jeden Fall am Ball.

Flexibleres Arbeitsumfeld
Ein anderes deutsches Studio hat ebenfalls schon Erfahrungen mit der Viertagewoche gemacht – nämlich Twin Drums aus Berlin. Das Freelancer-Kollektiv entwickelt mit einem rund zwanzigköpfigen Team das MMORPG The Wagadu Chronicles, das verschiedene afrikanische Kulturen aufgreift. „Wir haben die Viertagewoche gleich zur Unternehmensgründung im Jahr 2019 eingeführt – noch vor der Pandemie und bevor es mehr ‚Mainstream‘ wurde“, erzählt Studiogründer und Creative Director Allan Cudicio. „Der Vorschlag kam von einem Manager mit zwei reizenden Kindern. Ich habe schnell erkannt: Für Menschen, die nicht die typischen alleinstehenden Tech-Angestellten sind, würde dadurch die Arbeit bei Twin Drums einfacher werden. Also habe ich eingewilligt – und das hat sich als tolle Entscheidung erwiesen.“ Ursprünglich ging es Twin Drums vor allem darum, ein nachhaltigeres und flexibleres Arbeitsumfeld zu schaffen, sagt Cudicio. „Später wurde klar, dass die Viertagewoche auch eine ganze Reihe zusätzlicher Vorteile hat. „Zum Beispiel sind die MitarbeiterInnen gesünder und fallen seltener durch Krankheit aus“, freut sich Cudicio. „Außerdem ist der Arbeitsplatz für neue MitarbeiterInnen attraktiver, die derzeitigen Angestellten bleiben dem Unternehmen eher treu – und das Risiko der Arbeitsüberlastung sinkt.“

 

Das Risiko der Arbeitsüberlastung sinkt

 

Das Team von Twin Drums arbeitet jeweils montags bis donnerstags, erläutert Cudicio. „Der Freitag dient als Puffer für den Fall, dass man beispielsweise am Dienstagmorgen Einkäufe erledigen muss. Diesen halben Tag verschiebt man dann auf den Freitag.“ Für Cudicio war wichtig, bestimmte Kernarbeitszeiten und einen gemeinsamen Arbeitsablauf zu gewährleisten. Als größte Herausforderung bezeichnet er, die Arbeitswoche „schlank“ zu halten: „In einer Viertagewoche können sich überflüssige Meetings noch negativer auswirken als sonst.“ Umgekehrt sei eine effiziente Konferenzkultur auch ein Vorteil der Viertagewoche, so der Studiogründer: „Niemand will in überflüssigen Meetings sitzen – selbst dann nicht, wenn es darum geht, eine längere Woche aufzuholen.“

Viele Vorteile
Von den Auswirkungen der Viertagewoche ist Cudicio vollauf überzeugt: „Das Ergebnis ist ein gesünderes, glücklicheres und produktiveres Team, das auch dem Unternehmen gegenüber loyaler ist.“ Natürlich spielten auch andere Faktoren eine Rolle, sagt er, etwa die auf Vielfalt und Nachhaltigkeit ausgerichtete Firmenkultur – oder auch die kulturelle Relevanz des aktuellen Spiels. Gleichwohl sei der Effekt der Viertagewoche nicht zu unterschätzen – auch wenn es schwierig sei, die Leistungsänderung quantitativ zu messen. „Ich glaube, dass das Ergebnis letztlich recht willkürlich ist und A/B-Tests sehr schwierig sind“, so der Studioleiter. „Wie kann man beispielsweise wirklich die Auswirkungen von Burnout auf ein Unternehmen und die Industrie messen und gewichten?“ Abgesehen davon glaubt Cudicio, dass die extrem niedrige Fluktuation und die allgemeine körperliche und geistige Gesundheit des Teams ein starker Gradmesser für den Erfolg der Viertagewoche sind – „ebenso wie das Erreichen unserer internen Production Milestones“. Kurz gesagt: Die Viertagewoche hat Twin Drums nicht ausgebremst – sondern zu einem nachhaltigeren Arbeitsplatz gemacht. (Achim Fehrenbach)

In Teil 2 unserer Serie (IGM 07/2023) stellen wir Firmen vor, die – vor dem Hintergrund der Viertagewoche – mit unterschiedlichen Zeitmodellen experimentieren.

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