Spieleentwicklung 2025: Neue und alte Herausforderungen

Budgetierung, Projektumfang und vieles mehr: Game-Development ist vor allem harte Arbeit, die mit mehr Herausforderungen und rationalen Entscheidungen verbunden ist, als viele Außen­stehende vermuten.
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Quelle: Hooded Horse
Der Aufbau-Hit „Manor Lords“ wurde zum größten Teil vom Solo-Entwickler Grzegorz „Greg“ Styczeń entwickelt. Das Spiel verkaufte sich bis Februar 2025 über drei Millionen Mal
Quelle: Hooded Horse

„Es müsste 2009 gewesen sein, als wir ‚The Book of Unwritten Tales‘ veröffentlicht haben. Das Spiel lief richtig gut. Wir haben deshalb an einem Add-on zum Spiel gearbeitet. Zugleich sprachen wir mit dem damaligen Publisher (HMH Interactive, Anm. d. Red.) über ein größeres, neues Spiel. Wir waren also richtig happy: Wir kriegen ordentlich Kohle, machen das Add-on und die Pre-Production für das neue Projekt – wir sind für die nächsten fünf Jahre ausgebucht. Und dann: Der Publisher geht pleite und ist weg vom Fenster“, erinnert sich Jan Theysen im Video-Podcast DevPlay an frühe Zeiten bei KING Art.

Plötzlich stand das Unternehmen vor dem Aus: Das Geld vom letzten Projekt war noch nicht da. Die Kosten für die Produktion des Add-ons waren in der Insolvenzmasse. Und an das potenziell neue Spiel war erst gar nicht zu denken. Statt finanzieller Sicherheit mussten die KING-Art-Verantwortlichen erst einmal auf die Suche nach einem Publisher gehen, um nicht selbst in die Insolvenz abzurutschen und damit die Zukunft des damals 20-köpfigen Teams zu gefährden. Die Spieleentwicklung steckt voller Unwägbarkeiten – vom finanziellen Druck über kreative Entscheidungen bis hin zu Dingen, die mit dem Erschaffen von Computer- und Videospielen eigentlich kaum etwas zu tun haben.

Größer ist nicht besser!
Im Laufe des monate- oder oft jahrelangen Entwicklungsprozesses tauchen immer wieder neue Ideen auf, die „unbedingt“ ihren Weg in das Spiel finden müssen. An dieser Stelle kommt es häufig zum sogenannten „Scope Creep“. Dieser Begriff bezeichnet im Projektmanagement die Überschreitung des ursprünglich vereinbarten Projektumfangs durch zusätzlich geforderte Ergebnisse. In der Spieleentwicklung benennt dies schlicht das „Aufblähen“ eines Projekts durch das Hinzufügen neuer Features. Nimmt dies überhand, kann es negative Folgen für das gesamte Unternehmen haben – von verschobenen Deadlines und Meilensteinen bis hin zu gesprengten Budgets und sinkender Arbeitsmoral aufgrund mangelnder kreativer Führung.

So schreibt Rufino Acosta, Head of Technical Art bei GSC Game World (bekannt durch „S.T.A.L.K.E.R. 2: Heart of Chornobyl“) in einem LinkedIn-Blogeintrag: „Scope Creep ist eines der häufigsten Probleme von Entwicklern, und zwar nicht nur für Juniorentwickler, sondern für jeden.“ Er empfiehlt, sich bewusst Minimalziele mit entsprechenden Fristen zu setzen. „Einer der Schlüssel, um Scope Creep zu vermeiden, liegt in der klaren Definition des ‚Minimum Enjoyable Products‘ und dem Fokus darauf, dieses Ziel zu erreichen.“ Acosta betont, dass es auf dem Weg dorthin zwar einen gewissen Spielraum gibt, warnt aber vor einem „Overscope“ – also dem übermäßigen Wachsen eines Projekts.

Gerade junge Studios oder auch unerfahrene Solo-Entwickler verrennen sich oft in ihren ersten Projekt. Die Folge: Eine übermäßig lange Produktion und damit verbundene Kosten. Ob das Produkt dann zum Release Erfolg hat, steht bis zu diesem Zeitpunkt noch in den Sternen. Deshalb kann es ratsam sein, bereits früh in der Entwicklung den Kontakt mit der Community zu suchen – beispielsweise durch regelmäßige Developer-Blogs oder auch durch das Präsentieren früher Artworks und Grafiken auf Social Media. Es ist wichtig, die potenzielle Käuferschaft bereits frühzeitig mit ins Boot zu holen. Nicht nur, um Feedback zu erhalten, sondern auch, um herauszufinden, ob es für die eigene Vision überhaupt einen Markt gibt. Ein weiterer Indikator dafür können Kickstarter-Kampagnen oder auch Early-Access-Phasen sein. Sollte das Konzept früh „scheitern“, kann es auch finanziell klüger sein, die zur Verfügung stehenden Ressourcen in andere Projekte zu stecken. In der Branche spricht man in diesem Zusammenhang oft von „Kill your Darlings“ oder auch „Kill your Babies“ – also dem Streichen bereits erarbeiteter Konzepte.

Eine sichere Basis
Letztendlich dreht sich auch in der Spieleentwicklung alles um das leidige Thema Geld. Spieleentwicklung bedeutet auch, unter dauerhaftem „Druck” zu arbeiten. Schließlich sind Rücklagen begrenzt, während die Kosten weiterlaufen. Sören Lundgaard, CEO und Gründer von Ghost Ship Games (bekannt durch „Deep Rock Galactic“), erklärt in einem Interview mit Rengen Marketing: „Wir können uns darauf einigen, dass wir alle tolle Spiele entwickeln wollen. Aber um das zu erreichen, musst du Zeit in den Aufbau eines Unternehmens und eines funktionierenden Teams stecken, die Finanzierung klären sowie PR und viele weitere Dinge erledigen, die nichts mit der Spieleentwicklung zu tun haben.“

 

Wir können uns darauf einigen, dass wir alle tolle Spiele entwickeln wollen

 

Es ist wichtig, eine sichere Basis zu schaffen. Denn eine solche Entscheidung beeinflusst nicht nur den Beruf, sondern auch das Privatleben: „Wir sind erfahrene Entwickler mit Familien und Hypotheken, daher hatte die Finanzierung für uns oberste Priorität“, sagt Lundgaard. Nur mit großem zeitlichen Mehraufwand gelang es, zwei Investoren ins Boot zu holen, eine staatliche Förderung zu erhalten und einen Vertrag mit einem Publisher abzuschließen. „Dennoch war es eine große Herausforderung, da keiner von uns diesen Teil des Geschäfts vor der Gründung von Ghost Ship Games gemacht hatte“, führt er diese Problematik weiter aus.

Der Entwickler Lucas Zanenga hat unter anderem am Actionspiel „Lords of the Fallen 2“ mitgearbeitet und fasst treffend zusammen: „Eine sinnvolle Budgetierung hängt eng mit dem richtigen Projekt­umfang und den Marketingplänen zusammen. Man muss wissen, was man wirklich braucht und was Luxus ist. Sobald diese Prioritäten gesetzt und verstanden sind, beginnt die Budgetierung auch Sinn zu ergeben.“ Zanenga empfiehlt, immer nach günstigeren Optionen und auch Alternativen zu suchen. Die scheinbaren Einsparpotenziale sollten jedoch immer im Verhältnis zum Aufwand gesehen werden. „Etwas, das finanziell günstiger ist, aber dreimal mehr Zeit erfordert, ist auf lange Sicht keine Ersparnis“, erklärt er abschließend.

Eine weitere Herausforderung bei größeren, internationalen Produktionen ist das Arbeiten über mehrere Zeitzonen hinweg. Wie koordiniert man Mitarbeitende, wenn mehrere Stunden Zeitunterschied bestehen? Wie verhindert man, dass Deadlines oder Meetings „verrutschen“? Oftmals sind es diese vermeintlich kleinen Probleme, die die Moral im Team und die Produktivität beeinträchtigen können.

Der Zufall spielt mit
Letztlich geht es aber vor allem um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit auf Verkaufsplattformen wie Steam. Die Datenbank SteamDB bezifferte die Zahl der Neuerscheinungen im Jahr 2024 auf über 18.000 Spiele. Anfang Mai 2025 waren es bereits mehr als 6.500 neue Titel. Zum Vergleich: 2019 waren es noch rund 8.000, 2020 bereits über 11.000 Titel.

Dieses rasante Wachstum bringt viele Herausforderungen mit sich und macht die Spieleentwicklung schwer kalkulierbar. Es reicht nicht mehr aus, ein gutes Spiel zu entwickeln. Um sich im engen Markt des Jahres 2025 durchzusetzen, braucht es neben einer gewissen Einzigartigkeit auch das richtige Timing und eine gehörige Portion Glück.
 

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ist ein großer Teil des Erfolgs

 

Rhys Elliott, Analyst bei MIDiA Research, hat für die BBC einen Blick auf die Spiele-Hits des Jahres 2024 geworfen, darunter „Helldivers 2“, „Balatro“ oder auch „Palworld“. Sein Fazit: „Faktoren wie eine starke Marke, eine gelungene Marketingkampagne, die Förderung der Community und das richtige Timing können hilfreich sein, aber tatsächlich gehört auch Glück dazu. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, ist ein großer Teil des Erfolgs. Aber Gameplay und Innovationen zählen weiterhin, weshalb wirklich gute Spiele sich auch von der Masse abheben und ihren Markt finden.“

Ein gutes Beispiel hierfür ist das von Sandfall Interactive entwickelte Fantasy-Rollenspiel „Clair Obscur: Expedition 33“. Das an die französische Belle Époque angelehnte Abenteuer hebt sich optisch und akustisch massiv von der Konkurrenz ab, das Gameplay erinnert dagegen stark an „Final Fantasy“ oder „Persona“. Die gleichzeitige Veröffentlichung von „The Elder Scrolls IV: Oblivion Remastered“ durch Bethesda per Shadow Drop, also ohne vorherige Ankündigung, kam überraschend und zeigt einmal mehr die Unberechenbarkeit dieses Metiers. Shadow Drops, wie sie auch bei Titeln wie „Apex Legends“, „Fallout Shelter“ oder „Unravel Two“ zum Einsatz kamen, können in einem idealen Marktumfeld ebenfalls eine Möglichkeit sein, um schnell Hype zu erzeugen.

Dem Erfolg von „Clair Obscur: Expedition 33“ tat diese plötzliche Konkurrenzsituation aber keinen Abbruch. Keplers Portfolio Manager Matt Handrahan attestierte gegenüber The Games Business sogar: „Tatsächlich schien uns die Nähe zu ‚Oblivion‘ überhaupt nicht zu schaden. Ich glaube, es hat in dieser Woche eher die Aufmerksamkeit auf hochwertige RPGs gelenkt. Alle dachten und sprachen über das Genre.“ „Clair Obscur: Expedition 33“ verkaufte sich in den ersten zwölf Tagen nach Erscheinen über zwei Millionen Mal und gilt vielerorts als Game-of-the-Year-Kandidat.

 

Deine eigenen Erwartungen festlegen

 

Zurückhaltendes Wachstum
Doch auch wenn sich der Erfolg eines Projekts einstellt, beginnt gleichzeitig ein neues Arbeitsfeld. Zum einen müssen rechtzeitig Folgeprojekte auf Kurs gebracht werden. Und das nicht erst nach Erscheinen des vorherigen Projekts. Idealerweise sind weitere Produktionen bereits in der Pipeline – sowohl kreativ als auch finanziell. Darüber hinaus stellen veröffentlichte Inhalte nach dem Launch – seien es Patches oder weitere Inhalte – gerade kleinere Entwickler vor Herausforderungen.

Die Erwartungen der Community sind oft hoch. Dennoch rät Snow (Xue) Rui, Mitgründerin des „Manor Lords“-Publishers Hooded Horse, zur Besonnenheit und bezeichnet zu schnelles Wachstum als äußerst gefährlich. In einem Interview mit der BBC rät sie zur Zurückhaltung: „Man darf nicht damit rechnen, dass sich ein solcher Hit Jahr für Jahr wiederholt. Und wenn das nicht geschieht, werden dich manche Leute dazu drängen, dies als Misserfolg zu betrachten. Das ist aber nicht der Fall. Es geht vielmehr darum, deine eigenen Erwartungen festzulegen und dich auf dich selbst zu konzentrieren.“ (ob/bpf)

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