Gerard Piqué und bekannten Internet-Streamern gegründet, hat es in wenigen Monaten zu internationaler Bekanntheit gebracht. Aus Gaming-Sicht ist die neue Fußball-Liga besonders interessant, denn das 7-gegen-7-Spiel auf Kleinfeldern wird um etliche Gamification-Elemente angereichert. Mario Leo, Gründer und Geschäftsführer von RESULT Sports, beobachtet die Entwicklung der Kings League sehr genau. Wir haben mit ihm über Marktchancen, Kommunikationsstrategien und Parallelen zum E-Sport gesprochen.
Mario Leo (52), verheiratet, drei Kinder, lebt und arbeitet im hessischen Büdingen. 2009 gründete Leo die Firma RESULT Sports, die Anwender, Entscheidungsträger und Verantwortliche in den digitalen Sportmedien mit relevanten Kennzahlen begleitet. Leos Firma ist im Bereich Analyse und Monitoring ein Marktführer. Als Plattform hat sich RESULT Sports auf die digitalen Kommunikations-, Marketing- und strategischen Anforderungen von AthletInnen, Vereinen, Ligen, Verbänden und Sponsoren im Sport spezialisiert. Das Unternehmen entwickelt mit kreativen Daten ganzheitliche Ansätze und arbeitet individuell und zielgerichtet mit seinen Partnern zusammen.
IGM: Herr Leo, ist die Kings League mehr als ein vorübergehendes Phänomen?
Mario Leo: Sie hat sicherlich Potenzial. Als Privatunternehmen kann sie wie ein Schnellboot agieren. Die Organisatoren haben sich – quasi aus einer Bierlaune heraus – eine neue Fußballliga ausgedacht, die Online-Elemente und klassische Fußball-Elemente miteinander verbindet. Am nächsten kommt die Kings League dem Futsal, den die Fifa und die Uefa stark pushen, den sie weltweit bekannt machen wollen. In Deutschland ist Futsal noch nicht besonders erfolgreich, in vielen anderen Ländern aber schon. Moldawien hat sogar eine eigene Futsal-Infrastruktur dafür aufgebaut, genauso wie Kasachstan oder Aserbaidschan, wo Fußball witterungsbedingt nur sechs bis sieben Monate jährlich im Freien stattfinden kann. Der erste Angriffspunkt der Kings League ist also Futsal. Die Organisatoren wollen die Entwicklungen der Verbände ein bisschen torpedieren, disruptiv mit Mehrwert und neuen Formaten ausgestalten. Also ja: Ich glaube, dass die Kings League schon in den nächsten zwei bis fünf Jahren in der globalen Unterhaltung eine zentrale Rolle spielen kann.
IGM: Wie gehen die Kings-League-Macher strategisch vor?
Leo: Die Organisatoren haben schnell erkannt, dass die digitalen Medien in der Kings League von zentraler Bedeutung sind. Sie haben die Präsidenten der zwölf beteiligten Vereine so ausgewählt, dass diese bereits Millionen Follower mitbringen. So hat die Kings League direkt Zugang zu einem großen Publikum. Ende Januar geriet die Kings League zudem in den Fokus europäischer Medien. Wenn man Spieler wie Chicharito, Kun Agüero und Ronaldinho plötzlich aktiv in eine Liga einbindet – gewissermaßen als Joker –, dann ist das für die Medien natürlich berichtenswert – und das hat dann auch plötzlich in Deutschland für große Aufmerksamkeit gesorgt. In Spanien war die Sichtbarkeit und die Euphorie zu diesem Zeitpunkt bereits sehr groß. Mich hat nicht gewundert, dass das Kings-League-Finale Mitte März im Camp Nou komplett ausverkauft war – mit über 90.000 ZuschauerInnen! Das hat selbst der heimische FC Barcelona bisher nur zweimal in dieser Saison geschafft. Aber dass dieses neue Format funktionieren würde – mit einer jungen, familiären Zielgruppe, unterbrochen von kurzen Konzerten und einem vielfältigen Unterhaltungsprogramm –, das war mir schon bewusst.
Wie ein Schnellboot agieren
IGM: Was planen die Veranstalter als Nächstes?
Leo: Bereits Im Mai soll die Queens League für Frauen starten, danach kommt dann die Prince League für den Jugendfußball. So schaffen es die Organisatoren, Woche für Woche mediale Strahlkraft zu erzeugen. Damit das Ganze keine Eintagsfliege bleibt, muss es stetig befeuert und sichtbar gemacht werden. Es geht darum, Neugier in Interesse zu verwandeln – und Interesse in Sympathie. Der nächste Schritt ist, aus dieser Sympathie eine Fan-Community zu erzeugen – und diese Fans dann in KonsumentInnen zu verwandeln. Das sind die Entwicklungszyklen, die ich da sehe.
IGM: Wie wichtig ist der Faktor „Personalisierung“?
Leo: Das Ganze ist stark auf bekannte Persönlichkeiten wie Gerard Piqué und seinen Mitgründer Ibai Llanos, Spaniens bekanntesten Streamer, ausgerichtet. Außerdem natürlich auf Fußball-Stars wie Chicharito und Ronaldinho. Die Präsidenten der anderen Teams sind Influencer, die auf Twitch und YouTube bestimmte Themenfelder besetzen. Die Kings League ermöglicht somit den Protagonisten einen Zugang zu Sport, Leidenschaft und Emotionen. In der digitalen Transformation sind wir körperlich weniger aktiv – wir streamen die Inhalte direkt auf Smartphone und Laptop. Wenn Jugendliche Streams anschauen, dann ja meistens in ihrer Freizeit, ihrer Ruhezeit. Durch die hochemotionale Moderation der Spiele und des Erlebnisses „Sport“ wird somit die „junge Zielgruppe“ besonders angesprochen und sensibilisiert.
IGM: Wie stark ist die Kings League von Computerspielen inspiriert?
Leo: Der deutlichste Anknüpfungspunkt sind die Joker Cards, die in der Kings League zum Einsatz kommen. Das läuft ähnlich wie bei Gaming-Apps wie Toon Blast, in denen man zu bestimmten Uhrzeiten an Quizzes teilnimmt und dafür irgendeine Verstärkung erhält, zum Beispiel Extraleben. So ähnlich ist das auch in der Kings League. Vor dem Spiel zieht jedes Team in einem Losverfahren zwei Karten. Es gibt zum Beispiel Karten, mit denen man sich selbst einen Elfmeter zusprechen kann. Das wird häufig in den letzten Spielminuten angewandt, wenn es gerade unentschieden steht. Das ist aber kein Elfmeter, wie wir ihn vom Fußball her kennen, sondern ein Penalty ähnlich wie beim Eishockey. Man läuft also von der Mittellinie an und versucht, den Torhüter zu umdribbeln.
IGM: Welche Joker Cards gibt es noch?
Leo: Sehr beliebt sind auch Rote Karten, die man dem Gegner zeigen kann. Das sind keine dauerhaften Strafen wie im Fußball. In der Kings League muss man dann – bei zwölf Minuten Spieldauer – für fünf Minuten mit einem Spieler weniger auskommen. Auf dem kleinen Feld steigert das die Überlegenheit deutlich, weil der Torhüter ja auch ins Spiel eingebunden ist. Man hat also eine deutlich höhere Chance, ein Tor zu schießen. Die Penalty Cards und die Red Cards sind also zwei besonders beliebte Elemente.
IGM: Die SportlerInnen werden dadurch quasi zu Spielfiguren, ähnlich wie in einem Computerspiel ...
Leo: Richtig. Für die Teams kann sich auch quasi jeder bewerben. Das gibt es dann ein Vorsprechen wie bei einem Schauspiel-Casting. In der zurückliegenden Saison war übrigens ein maskierter Spieler im Einsatz, von dem man munkelte, er sei ein Vertragsspieler aus der ersten spanischen Liga – und müsse deshalb anonym bleiben. Die Teams können pro Partie einen solchen Joker nominieren, der dann bei ihnen mitspielt – ob das nun ein Ronaldinho oder ein Chicharito ist.
Sehr beliebt sind auch Rote Karten
IGM: Die Gamification lässt sich bestimmt noch weiter ausbauen ...
Leo: Ja, man könnte zum Beispiel die Online-Community wählen lassen, in welchen Trikots die Teams spielen. Oder man lässt die Trikots gleich von der Community designen – ähnlich wie Skins in einem Computerspiel. Das kann um weitere Spieleffekte ergänzt werden, etwa um „Drei Ecken, ein Elfer“.
IGM: Im E-Sport gibt es Versuche, das Publikum noch stärker ins Spiel einzubinden. Zum Beispiel können Fans den Teams in Echtzeit Ressourcen spenden oder Hindernisse in den Weg legen. Alles, um das Geschehen für die Zielgruppe noch spannender zu machen ...
Leo: Bei der Kings League geht es auch darum, die phasenweise Langeweile eines neunzigminütigen Fußballspiels aufzubrechen – und das Ganze mit Überraschungselementen aufzulockern. Sie haben recht, da stehen wir noch am Anfang der Entwicklung. Ich glaube, dass die Kings League bisher ganz bewusst nur eine Handvoll neuer Elemente einsetzt, damit die Kluft zum klassischen Fußball nicht zu groß wird.
IGM: Sie haben ein Buch über Social-Media-Strategien von Fußballvereinen geschrieben, Titel: „Kaufen Sie Ronaldo“. Wo sehen Sie – in Bezug auf Social Media – die größten Unterschiede zwischen Profifußball und Kings League?
Leo: In der Kings League muss man kein gestandener Sportdirektor sein, um ein Team zu leiten und erfolgreich zu sein. Stattdessen wird sehr fanzentriert, sehr zielgruppenzentriert agiert und kommuniziert. Die Kommunikation ist sehr emotional, empathisch und euphorisch – und bezieht das Produkt quasi zusätzlich mit ein. Ibai Llanos ist vom Körperbau eben gerade nicht der klassische Fußballer – aber wenn er plötzlich als Präsident eines Fußballclubs in der Kings League auftritt, dann macht das natürlich etwas mit seiner Anhängerschaft. Mit dieser Influencer-Strategie hat die Kings League binnen weniger Monate etwas geschaffen, was die Menschen bewegt. Ob das Finale im Camp Nou wirklich so gut rüberkam, wage ich ein Stück weit zu bezweifeln – wenn man da im Oberrang sitzt und runter auf das Kleinfeld schaut, bekommt man längst nicht alles mit. Was die Kings League aber insgesamt geschaffen hat – davor kann ich nur den Hut ziehen. Die Spieltage der Kings League waren auch sehr gut inszeniert. Alle Teams waren zusammen in der Arena, die Spiele fanden im Stundentakt statt – die Zielgruppe wurde dadurch permanent bei der Stange gehalten.
IGM: Müssen nun sogar E-Sport-Organisationen Angst vor der Kings League haben?
Leo: Angst nicht unbedingt. Aber sie sollten schon erkennen, dass da eine Sache entsteht, die auch digital gestreamt wird. In der Kings League kann man nicht aktiv mitspielen, man ist kein Protagonist, aber man ist – wie bei vielen E-Sport-Aktivitäten auch – ein Zuschauer. Insofern ist die Kings League schon eine Form der Konkurrenz.
IGM: Noch so eine Ähnlichkeit: Die Kings League findet vor allem auf Twitch statt.
Leo: Genau. Twitch ist der Hauptkanal und YouTube ist so etwas wie das Video-Archiv. Natürlich findet die Kings League auch auf allen anderen Social Networks statt, die wichtig sind. Bestimmte Spielszenen werden beispielsweise als Stories auf Instagram geteilt.
Schon eine Form der Konkurrenz
IGM: Sprechen wir ein bisschen über E-Sport. Was kann der – in puncto Social Media – vom Profifußball lernen?
Leo: Was die E-SportlerInnen so ein bisschen verpassen, ist, auch außerhalb ihrer spielerischen Aktivitäten Akzente zu setzen. E-Sport ist längst nichts Nerdiges mehr, es ist zur Massenunterhaltung geworden. Allerdings werden E-SportlerInnen hierzulande vor allem dann erkannt, wenn sie eine Arena betreten. Bis zur breiten Masse ist ihre Bekanntheit noch nicht wirklich durchgedrungen. Mit einer nachhaltigen Medien-Kommunikations-Marketing-Strategie könnte man versuchen, diese Stars auch außerhalb der eigenen Community bekannter zu machen. Dafür muss man aber wirkliche Charaktere entwickeln, die quasi als Botschafter des E-Sports auftreten. Dafür müssen sie ein Stück weit raus aus der eigenen Komfortzone, aus der eigenen Community. Sie müssen sich andere Themenfelder erschließen und Mitsprachemöglichkeiten entwickeln, um auch außerhalb der Community sichtbarer zu werden.
IGM: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Kings League – oder ähnliche hybride Formate – dem herkömmlichen Fußball den Rang ablaufen?
Leo: Im Profisport gibt es einige Tendenzen, die jahrzehntelangen Gepflogenheiten zu durchbrechen. Im Fußball sind es Futsal oder auch die Kings League, im Basketball ist es das Spiel 3 gegen 3, im Volleyball ist es Beachvolleyball und im Eishockey gibt es inzwischen ähnliche Formate. Viele klassische Sportarten sind durch Gaming zu Veränderungen gezwungen. Ich glaube, die Verantwortlichen haben erkannt, dass man sich dem nicht verschließen kann und darf, wenn man mittel- und langfristig noch relevant bleiben möchte. der Bayerische Fußball-Verband hat zum Beispiel schon Turniere veranstaltet, bei denen die erste Halbzeit als Computerspiel und die zweite Halbzeit auf dem Feld stattfand.
Raus aus der eigenen Komfortzone
IGM: Klingt ein bisschen nach dem berüchtigten Schachboxen ...
Leo: Genau. Ich sehe das auch als völlig falschen Ansatz. Stattdessen sollte die E-Sport-Strategie eines Vereins harmonisch in die Vereinsaktivitäten eingebettet sein, damit die Gefahr einer Kannibalisierung gar nicht erst aufkommt. Ich glaube, in Zukunft wird das nicht ein Entweder-Oder sein, sondern etwas Gemeinsames. Viele Profifußballer haben bei Auswärtsspielen eine Konsole dabei und spielen in ihren Hotelzimmern. Ja, und häufig spielt man dann auch seinen eigenen Charakter. Diese realen Fußballstars könnten aber noch viel stärker Präsenz im E-Sport zeigen.
IGM: Zum Beispiel, in dem sie ganz offiziell an E-Sport-Turnieren teilnehmen?
Leo: Ganz genau. Es geht nicht darum, für zwei, drei Stunden auf die Gamescom zu gehen und mit den MessebesucherInnen zu spielen. Sondern darum, wirklich Teil des Spiels zu werden – als echter Brand Ambassador und Content Creator. (Achim Fehrenbach)