„Kaffee gibt‘s gratis“: Interview mit Valentina Birke, Direktorin der Indie Arena Booth (IAB)

Die jüngsten Showcases haben es einmal mehr gezeigt: Die Bedeutung von Indie-Games wächst rapide. Valentina Birke kennt sich mit dem Thema bestens aus: Sie leitet die Indie Booth Arena, die jedes Jahr auf der gamescom tausende BesucherInnen anzieht. Ein Interview über Messekosten, Games-Finanzierung und die Krise der Branche.
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Valentina Birke, Direktorin der Indie Arena Booth (IAB)

IGM: Valentina, immer weniger AAA-Publisher kommen zur gamescom. Sind Indie-Games dort mittlerweile die Hauptattraktion? Eure Indie Arena Booth hat 1500 Quadratmeter Ausstellungsfläche ...

Birke: Indies sind auf jeden Fall für viele Besuchende interessant, aber nicht für alle. Die meisten sind schon noch wegen der großen Publisher da – das sind die Zugpferde. Aber Indies sind natürlich ein sehr wichtiger Teil der Messe.

IGM: Wie hoch ist die Fan-Schnittmenge zwischen AAA und Indie?

Birke: Ich glaube, das ist gemischt. Wir haben viele BesucherInnen, die jedes Jahr vorbeikommen und auch mindestens einen ganzen Tag einplanen, um bei uns alle Spiele auszuprobieren. Andere Leute, die zur gamescom fahren, kommen aber primär wegen der AAA-Studios nach Köln. Wir haben schon eine sehr feste Fanbase, für die die Indie Arena Booth das Highlight der gamescom ist. Das merken wir immer wieder durch den ganzen Support, den wir von der Community erfahren.

IGM: Dieses Jahr habt ihr 130 Aussteller und 185 Games. Worauf kommt es an, wenn man so viele Games in solch geballter Form präsentieren möchte?

Birke: Wir sind ja ein kuratierter Stand. Es gibt also eine Bewerbungsphase und man kommt nicht einfach so rein. Wir haben eine große internationale Fachjury, die uns hilft, diese Spiele zu bewerten. Dieses Jahr haben uns etwa 40 Leute geholfen, die insgesamt 420 Bewerbungen zu spielen und zu bewerten. Für die BesucherInnen ist es schon sehr attraktiv zu wissen, dass sie bei uns die Indie-Hits von morgen ausprobieren können. Deshalb ist auch die Präsentation sehr wichtig. 2013 haben wir unseren Stand zum ersten Mal selbst gebaut, wir lagern den jedes Jahr wieder ein und bauen ihn im nächsten Jahr wieder auf. Mit der Zeit haben wir uns immer besser auf die Bedürfnisse der EntwicklerInnen eingestellt. Die gamescom ist für Indie-Devs schon teuer genug: Du musst hinfahren und dir ein sehr teures Hotelzimmer leisten. Deshalb bieten wir den Devs ein günstiges Rundum-sorglos-Paket. Das umfasst beispielsweise auch die Prints ...

IGM: ... also die gedruckten Grafiken für die einzelnen Stände ...

Birke: Genau, damit das alles hübsch aussieht – da muss man das als Studio schon mal nicht selber machen. Stichwort Marketing-Maßnahmen: Wir haben einen Stream mit sehr vielen ZuschauerInnen – und wir haben ein Steam-Event für die Leute, die vielleicht gar nicht auf der gamescom sind, aber auch die Demos ausprobieren wollen. Wir sind auch nicht nur consumer-focused, sondern haben zusätzlich einen großen B2B-Bereich – also eine eigene Mini-Business-Area und ein Networking-Event. Das ist so das, was unser Rundum-sorglos-Paket ausmacht. Man muss als Dev eigentlich nur noch hinkommen, sich an den Stand stellen und fünf Tage wach bleiben (lacht).

IGM: Kaffee gibt‘s gratis?

Birke: Kaffee gibt‘s gratis und jeden Tag auch einen Snack. Wir haben vegetarische Hotdogs für alle!

 

Insgesamt sind wir in Köln wohl 300 Leute

 

IGM: Ihr habt auch Premium-Partnerschaften. Welche sind das genau?

Birke: Wir haben bei uns auch Delegationen und Publisher. In diesem Jahr haben wir unter anderem eine rumänische, eine spanische und eine Schweizer Delegation. Es sind auch einige deutsche Bundesländer dabei, die eigene Bewerbungsphasen für ihre Stände haben – die Länder zahlen das für die Ausstellenden. Es ist uns wichtig, dass wir auf diesem Weg auch Devs erreichen, die sich das vielleicht alleine nicht leisten können. Wir haben auch einige Publisher-Stände, die strategisch in der Mitte der Booth positioniert sind. Auf diese Plätze kann man sich nicht bewerben, wir suchen die Teilnehmenden selbst aus. Und das bietet dann auch nochmal einen Mehrwert für unsere Ausstellenden: Dass man neben Publishern steht und vielleicht deren Interesse weckt.

IGM: Wie groß ist eigentlich euer Team?

Birke: Bei Super Crowd sind wir zwölf Leute, davon arbeiten vielleicht sieben an der Indie Arena Booth. Außerdem haben wir viele externe MitarbeiterInnen, die jedes Jahr dabei sind – plus die Volunteers. Auf der gamescom haben wir bestimmt 200 Volunteers, insgesamt sind wir in Köln wohl 300 Leute.

IGM: Viele Aussteller klagen über steigende Preise. Betrifft euch das auch?

Birke: Für uns ist das noch okay. Die gamescom hat ja seit neuestem einen speziellen Indie-Area-Preis – der ist günstiger als die Preise für die übrigen Aussteller. Bei uns entstehen auch nicht so viele externen Kosten. Unser Stand ist schon fertig und wir haben immer dieselben Leute, die ihn aufbauen, deshalb treffen uns diese Preissteigerungen nicht besonders hart. Natürlich werden auch einige unserer DienstleisterInnen teurer, auch Strom und Materialien. 2022 beispielsweise gab es überhaupt kein Holz, da waren die Preissteigerungen schon dramatisch.

IGM: Anderes Thema: Die „Indiepocalypse“ wurde ja schon vor zehn Jahren beschworen. Inzwischen gibt es aber noch mehr Indie-Games und noch weniger Sichtbarkeit für einzelne Titel. Wie schwierig ist es speziell für deutsche Indie-Studios, sich in dieser Gemengelage zu behaupten?

Birke: Das Wegbrechen und die Neuausrichtung der Bundesförderung ist auf jeden Fall ein Problem. Zum Glück gibt es ja in den meisten Bundesländern immer noch eine separate Förderung. Viele Indies sind aber auch von Work-for-Hire abhängig. Sie können sich mit einem Spiel – außer, sie haben einen Hit gelandet –, nicht lange über Wasser halten. Deshalb übernehmen sie Auftragsarbeiten von Unternehmen. Und auch da ist die Auftragslage einfach zurückgegangen. Außerdem hatten viele Publisher im letzten halben Jahr einen Funding-Stopp. Jetzt wird es langsam wieder ein bisschen besser – aber leicht ist es nach wie vor nicht.

IGM: Muss man ein wenig verrückt sein, um gerade jetzt in Deutschland ein Indie-Studio zu gründen?

Birke: Ich würde es nicht machen. Aber es kommt natürlich auch auf das Bundesland an. Wenn dein Bundesland eine Prototypenförderung hat, dann ja, dann kannst du es machen. Oder wenn du sonst eine gute Auftragslage hast.

IGM: Wie sehr kann da noch Crowdfunding helfen?

Birke: Crowdfunding ist sehr schwer vorhersehbar – ich würde es niemandem empfehlen, ausschließlich auf Crowdfunding zu setzen. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute die Arbeit unterschätzen, die so ein Crowdfunding-Projekt erfordert. Du brauchst ja fast eine feste Stelle, die sich mindestens ein halbes Jahr lang nur um diese Kampagne kümmert. Crowdfunding ist meiner Meinung nach eine Marketing-Maßnahme, die hilft, wenn man schon eine Community hat. Es ist aber nicht unbedingt eine Finanzierungsmaßnahme für ein Game. Ich glaube, da sind für Games die goldenen Zeiten vorbei. Bei Boardgames geht das vielleicht noch – die haben ziemlich kaufkräftige Backer. Was vielen Indies tatsächlich noch etwas einbringt, ist das Portieren ihrer PC-Games auf Konsolen. Das habe ich jetzt häufiger von FreundInnen gehört, dass die ihre fünf bis zehn Jahre alten Spiele auf die Switch portiert haben. Reich wird man davon nicht, aber es hat schon etwas eingebracht.

IGM: Auf der diesjährigen gamescom gibt es neben euch noch viele andere Indie-Aussteller, teils auch Gruppenaussteller. Seht ihr die als Konkurrenz?

Birke: Ich sehe das tatsächlich komplementär zu unserem Angebot. Wir können ja nicht alle nehmen. Wir hatten 420 Bewerbungen, das war ganz schön viel – und es bricht mir das Herz, Leuten deswegen abzusagen. Es ist auch nicht so, dass wir nur  schlechten Spielen absagen – wir haben in der Auswahl viele gute Spiele und müssen dann entscheiden, welche wir nehmen. Wenn sie noch irgendwo anders hingehen können, finde ich das wirklich gut! Wir brauchen auch keine Monopolstellung – wir sind ja schließlich nicht die Deutsche Bahn.

 

Wir sind ja schließlich nicht die Deutsche Bahn

 

IGM: Während der Pandemie habt ihr auf ein hybrides gamescom-Konzept gesetzt. 2022 hattet ihr neben dem physischen auch einen digitalen Showcase. Warum jetzt nicht mehr?

Birke: Das waren schon zwei komplett verschiedene Projekte – mit einem eigenen Worldbuilding- und Dev-Team. Das war so viel Overhead, der dann gar nicht so viele Leute interessiert hat.  Jetzt haben wir unser eigenes Steam-Event und unsere eigene Streaming-Show. Und wir haben einen Testballon für eine Pitch-Party.

IGM: Worum geht es da genau?

Birke: Das ist ein reines Online-Format, das nichts direkt mit der gamescom zu tun hat und für das die Bewerbungsphase bereits abgeschlossen ist. Da können Studios mitmachen und ihr Game pitchen. Wir haben sie gefragt: „Was braucht ihr? Wie viel Geld braucht ihr? Braucht ihr Marketing? Schickt uns mal euer Pitch-Deck.“ Und dann laden wir dazu noch Publisher ein. Es gibt einen Workshop, der die Teilnehmenden möglichst gut auf das Pitchen vorbereitet. Auf diese Weise wollen wir generell dazu beitragen, das Indie-Funding zu erhöhen. Wir probieren das jetzt zweimal aus, nach dem ersten Mal sammeln wir Feedback und arbeiten es ein. Danach schauen wir, ob wir das Format weiterführen – unabhängig von der gamescom.

IGM: Eure Firma Super Crowd veranstaltet ja auch die Polaris in Hamburg. Wie wichtig ist da im Vergleich die gamescom?

Birke: Die Polaris ist für Super Crowd das wichtigste Projekt, das ist unsere eigene Messe. Die Polaris hat ihre eigene Community innerhalb von drei Jahre aufbauen können. Im letzten Jahr hatten wir etwa 30.000 BesucherInnen. Die Polaris ist ein Herzensprojekt von Super Crowd und wird von der Community angenommen.  Die Indie Arena Booth wiederum ist mein eigenes Projekt bei Super Crowd – und dafür ist die gamescom natürlich extrem wichtig. Auch B2B-seitig hat sie – neben der GDC – sehr große Bedeutung. Deshalb begrüßen wir natürlich eine starke gamescom, zu der auch viele AAA-Publisher und -Fans kommen. Denn das ist letztendlich für alle Seiten gut.

IGM: Welche aktuellen Trends siehst du bei Indie-Games? Es war ja zuletzt viel von Triple-I die Rede – also von Indie-Games, die auch dank der Engines immer aufwendiger und professioneller werden. Wie siehst du das?

Birke: Naja, Triple-I ist ja eigentlich ein: „Guck mal, wir machen auch hochwertige Spiele!“ Das war schon immer so. Von vielen Consumern werden Indie-Titel zum Teil noch als „Pixel-Spiele“ wahrgenommen. Nicht, dass Pixelgrafik schlecht ist – das ist eine Sehgewohnheit, und einige Menschen verknüpfen Pixelgrafik mit Retrospielen. Dass Indie-Games vielfältig und qualitativ hochwertig sind, wissen leider nicht alle Menschen. Daher finde ich es sehr begrüßenswert, wenn Menschen jetzt von Triple-I sprechen. Davon abgesehen beobachte ich im aktuellen Line-up der Indie Arena Booth einige kleinere Trends. In diesem Jahr gibt es besonders viele Deduction-Games.

IGM: So etwas wie Duck Detective von Happy Broccoli Games?

Birke: Genau, solche Sachen. Und auch viele Farming-Games und Cozy-Games.

IGM: In der Games-Branche geht es ja gerade nicht besonders gemütlich zu, im Gegenteil: Sie befindet sich in einer veritablen Krise, mit mehr als 10.000 Entlassungen allein in diesem Jahr. Siehst du irgendwo Licht am Ende des Tunnels?

Birke: Krisen gibt es ja immer wieder. Es wird auch wieder besser werden. Natürlich ist es dramatisch, wenn so viele Leute entlassen werden – mir tut es für jeden Einzelnen leid. Aber vielleicht hat es auch etwas Gutes, wenn Monopolstellungen einzelner Firmen aufgelöst werden und der Markt im Anschluss wieder organisch wachsen kann. Zum Beispiel hat Embracer ja zwischenzeitlich viele Indie-Studios aufgekauft, die jetzt wieder abgestoßen werden. Das ist eine dramatische Entwicklung. Vielleicht ist es gut, wenn das wieder ein bisschen schrumpft und das dann zu einer stärkeren Diversifizierung der Games-Landschaft führt. Bis sich die Branche erholt, wird es wohl noch ein bisschen dauern. Dieses Jahr wird, glaube ich, schon noch hart. Ich hoffe aber, dass es nächstes Jahr wieder besser wird. Irgendwann wird es das auf jeden Fall. (Achim Fehrenbach)

IGM 07/24
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