
IGM: Tommy, die Massenentlassungen in der Games-Branche gehen weiter. Wie viel davon hat mit KI zu tun?
Tommy Thompson: Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Die Games-Branche hat in den letzten Jahren eine aggressive Überinvestition erlebt, besonders während der Pandemie. Viele Games sind finanziell nicht so erfolgreich, wie es sich die Investoren erhofft hatten. Außerdem werden die Games immer größer, komplexer und teurer in der Herstellung. Die Standardlösung der Branche war lange, einfach mehr Leute auf die Projekte anzusetzen – in der Annahme, dass sich das am Ende auszahlt. Rückblickend hat sich die Industrie da vielleicht ein bisschen zu oft durchgemogelt. Es gibt zu viele AAA-Games, deren Herstellung ein einziges Chaos war. Heute lassen sich viele dieser Games einfach nicht mehr wirtschaftlich nachhaltig produzieren. Dazu kommt, dass wir uns gerade mitten in einem Hype Cycle rund um Generative AI befinden. Künstliche Intelligenz wird als Lösung für viele selbstgemachte Probleme gesehen. Einige der großen Spielefirmen hoffen, damit die aufgeblähten Strukturen in den Griff zu bekommen. Also verkleinern sie Teams oder ersetzen externe Dienstleister durch KI. Ich halte das nicht für den richtigen Weg. Aber der Kapitalismus tut eben das, was er tut.
IGM: Warum ist KI hier der falsche Weg?
Thompson: KI kann nicht die strukturellen Fehler in der Spieleproduktion beheben. Viele Leute aus der Branche sehen in KI aber eine geradezu magische Patentlösung, sei es für die Spieleproduktion, die Management-Strukturen oder die Arbeitskultur. Ich sehe das anders. KI-Automatisierung ist eine tolle Sache – aber nur, wenn man ganz genau weiß, welche Dinge man automatisieren will – und wenn man die zugrundeliegenden Probleme versteht. Ja, KI kann Unregelmäßigkeiten und Fehler im Produktionsprozess aufzeigen. Aber: KI ist kein Patentrezept.
KI kann nicht die strukturellen Fehler in der Spieleproduktion beheben
IGM: Laut „GDC 2025 State of the Game Industry Report“ nutzen immer mehr Spielefirmen KI. Nur wenige sprechen aber offen über diese Nutzung. Ist das einfach die Angst vor dem schlechten Image?
Thompson: Ich denke, da gibt es mehrere problematische Aspekte. Zwar wollen manche Firmen ihre KI-Nutzung demonstrieren, um Investoren zu beeindrucken. Gleichzeitig sind sie aber auch besorgt, dass sich das negativ auf die Arbeitsmoral der Belegschaft auswirken könnte. Außerdem muss man sich nur die Schlagzeilen der letzten Wochen anschauen – dann sieht man, was passieren kann, wenn SpielerInnen das mitbekommen. Das Spiel The Alters war eigentlich mit einem überwiegend positiven Feedback gestartet. Aber jetzt [Stand: 11. Juli] dreht sich die ganze Diskussion nur noch um den Einsatz generativer Technologien bei der Produktion. The Alters ist auch deshalb ein besonders interessanter Fall, weil das Studio die Nutzung von Generative AI auf der Steam-Page nicht explizit angegeben hatte – was man aber laut Steam-Regularien eigentlich tun muss. Nun sieht es so aus, als hätten sie ihre SpielerInnenschaft belogen. Die öffentliche Wahrnehmung von Generative AI ist also mittlerweile extrem toxisch. So gut wie jede Schlagzeile dreht sich darum, wie Unternehmen KI auf die schlimmstmögliche Weise nutzen. Infolgedessen stecken Spiele wie The Alters jetzt in echten Schwierigkeiten. Es ist spannend, wie sich die KI-Diskussion langfristig auf den Erfolg des Spiels auswirken wird.
IGM: The Alters ist offenbar nicht das einzige Spiel, das jetzt Schwierigkeiten hat ...
Thompson: Ja, es gibt noch weitere Beispiele. Vor ein paar Wochen auf dem Youtube-Kanal von PlayStation ein Spiel namens Little Droid vorgestellt. Seitdem sieht sich das Entwicklerteam mit Vorwürfen konfrontiert, das Titelbild und das Promo-Material des Spiels mit Generative AI erstellt zu haben. Das Team hat zwar beteuert, dass das nicht stimmt, dennoch steckte es plötzlich mitten in einem Skandal. Selbst Spiele wie Clair Obscur: Expedition 33 wurden bereits mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert. Die grundsätzliche Frage ist also: Wer will eigentlich Games spielen, in denen Generative AI steckt?
IGM: Die bisherigen Fälle scheinen da recht eindeutig ...
Thompson: Ja, allerdings gab es schon 2021 ein Spiel, bei dem Generative AI zum Einsatz kam – nämlich die Mass Effect Legendary Edition. BioWare hat damals KI genutzt, um die Texturen zu skalieren und 4K-tauglich zu machen. Fakt ist, dass die Legendary Edition sehr gut ankommt – sie ist ein wirklich gelungenes Remaster der Trilogie. Aber was denken die SpielerInnen, wenn sie hören, dass dafür KI genutzt wurde? Abgesehen davon wäre es natürlich interessant zu wissen, wie viel Geld BioWare dadurch gespart hat, dass nicht alle Texturen von Hand neu erstellt wurden. Dieses Spiel bietet also eine wirklich gute Diskussionsgrundlage dafür, wie KI-Technologie ein Studio bei seiner Arbeit unterstützen kann. Gleichzeitig sind wir an einem Punkt angekommen, an dem sowohl die allgemeine Öffentlichkeit wie auch die GamerInnen ein sehr viel tieferes Technologieverständnis besitzen. Sie sind deshalb auch viel eher in der Lage, Geschäftsentscheidungen und deren ethische Konsequenzen zu hinterfragen.
IGM: Social Media werden mittlerweile von KI-Schrott [englisch: AI slop] überschwemmt. Das dürfte auch zum schlechten Image von Generative AI beitragen ...
Thompson: Momentan erleben wir, dass „AI slop“ Auswirkungen auf alle Gesellschaftsbereiche hat. Wir erkennen solche Betrügereien inzwischen sehr gut – in der Games-Branche gab es ja schon Vergleichbares mit dem Web3. Außerdem steigen die Lebenshaltungskosten vieler Menschen massiv an. Spielefans achten deshalb stärker auf den Preis und den Wert von Games. Wenn die Games-Branche jetzt also den Eindruck vermittelt, mit KI herumzupfuschen, dann wird das für zusätzliche Reibung sorgen. Im Umkehrschluss heißt das: Games-Firmen, die generative Technologien nutzen, müssen praktische Anwendungsfälle vorweisen können – also Dinge, die den SpielerInnen einen echten Mehrwert bieten. Sie sollten die Technologien nicht nur dafür nutzen, um Kosten mit Hilfe von KI-generierten Assets einzusparen.
IGM: Welche Tech-Demos haben dir vergleichsweise gut gefallen?
Thompson: Die Neo-Demo von Ubisoft, die übrigens auch mit der Inworld-Technologie erstellt wurde. Hier haben die Entwickler verstanden, wie man das Ganze strukturieren muss. All die anderen Firmen, die ursprünglich Chatbot-APIs gebaut hatten, haben inzwischen auch viel bessere Tools entwickelt, mit denen sie die Story und die Spielerfahrung strukturieren können. Sie haben mittlerweile verstanden, dass es nicht ausreicht, dass SpielerInnen einfach nur völlig frei mit NPCs sprechen können. Denn das ist schwer zu steuern und meistens auch gar nicht besonders interessant.
IGM: Es gibt ja mittlerweile auch einige Games, bei denen KI eine wichtige Rolle im Gameplay spielt ...
Thompson: Das größte davon ist wahrscheinlich Inzoi von Krafton, eine Art Sims mit generativen Technologien. Das ist so etwas wie ein Lackmustest dafür, ob sich ein großes Publikum für Spiele dieser Art aufbauen lässt. Inzoi ist noch in der Entwicklung, hat sich zum Start des Early Access aber schon sehr gut verkauft. Inzwischen ist es seltsam ruhig um das Spiel geworden ... ich bin gespannt, wie es damit weitergeht.
Das ist so etwas wie ein Lackmustest
IGM: Es gibt auch „generative AI games“, die ihr Gameplay komplett auf Konversation mit KI-gesteuerten NPCs zentrieren. Welche sind da besonders zu empfehlen?
Thompson: Von diesen Spielen sind in den letzten Monaten ein paar erschienen, allerdings ist das immer noch eine ziemliche Nische. Anfang des Jahres erschien beispielsweise AI2U – With You ´Til The End. Da geht es um niedliche japanische Mädchen, oft mit Katzenohren, die im Laufe des Spiels immer unheimlicher werden, dich in einem Haus gefangen halten und dabei sehr freundlich mit dir sprechen. Es ist eines der ersten Beispiele für eine Art „AI Girlfriend Simulator“. Das Spiel scheint auch durchaus positives Feedback erhalten zu haben. Zwei Games, die die Vorstellungskraft der SpielerInnen wirklich anregen, sind 1001 Nights und Dead Meat. 1001 basiert auf der Geschichtensammlung „Tausendundeine Nacht“: Man muss als Prinzessin Sheherazade einen KI-gesteuerten Herrscher mit Geschichten bei Laune halten, um zu überleben. Dead Meat wiederum ist ein Detektivspiel, bei dem man KI-gesteuerte Mordverdächtige mit Hilfe eines Lügendetektors verhört. Die beiden Games haben nicht nur deshalb viel Aufmerksamkeit erhalten, weil die Entwickler auf Festivals gehen und direkt mit den SpielerInnen über ihre Projekte sprechen. Sondern auch, weil sie dabei ganz offen darüber reden, wie wichtig ihnen eine ethisch möglichst einwandfreie KI-Nutzung ist. Diese Debatte werden sie auch künftig öffentlich führen müssen. Die größte Herausforderung ist allerdings eine andere: Solche Games rentabel zu machen.
IGM: Inwiefern?
Thompson: Viele dieser Games brauchen eine dauerhafte Internetverbindung, da sie mit einem Server verbunden sind, auf dem das jeweilige Sprachmodell läuft. Das ist aber auf Dauer für die Betreiber sehr teuer. Anders als bei klassischen Online-Games ist hier nämlich deutlich weniger absehbar, wie die Serverkosten in Relation zur SpielerInnenzahl skalieren. Zwei SpielerInnen können ganz unterschiedliche Serverkosten verursachen – je nachdem, wie und wie oft sie spielen.
IGM: Wie lässt sich das Problem lösen, ohne dass Entwickler und User ständig draufzahlen?
Thompson: Wir bewegen uns immer stärker hin zu lokalem, gerätebasiertem Inferecing. Das bedeutet: Man kann jetzt große Sprachmodelle direkt auf dem eigenen Rechner laufen lassen, sofern die GPU leistungsfähig genug ist. Man braucht dafür aber oft ein paar Gigabyte an Grafikspeicher. Millennium Whisper beispielsweise – ein Game, das im Februar im Early Access erschienen ist – führt ein großes Sprachmodell lokal aus. Das ist auch der einzige Teil des Spiels, in dem Generative AI zum Einsatz kommt. Alle anderen Inhalte – also Grafik, Texte und so weiter – wurden vollständig vom Entwicklerteam selbst erstellt. Die Texte wurden ins Konversationssystem eingespeist, das daraus die Reaktionen der Figuren generiert. Laut Entwickler braucht man mindestens sechs Gigabyte VRAM auf der Grafikkarte, um das Spiel zu spielen. Das schränkt den Nutzerkreis natürlich schon mal etwas ein. Auch das Team von Meaning Machine setzt bei seinem Spiel Dead Meat auf lokales Inferencing und nutzt dafür Nvidia ACE.
IGM: Inwieweit lassen sich KI-Modelle auch auf Konsolen nutzen?
Thompson: Das ist deutlich schwieriger, weil Konsolen darauf nicht ausgelegt sind. Die PlayStation 5 und die Xbox Series X stoßen ja bereits an ihre Grenzen, wenn sie die Grafikqualität bieten sollen, die man von ihnen erwartet. Und jetzt sollen sie auch noch zusätzlich vier Gigabyte VRAM für ein lokales Large Language Model bereitstellen. Es überrascht mich deshalb nicht, dass Xbox kürzlich eine langfristige Zusammenarbeit mit AMD angekündigt hat. Aktuell konzentriert sich AMD stark darauf, KI-Rechenleistung in ihre GPUs zu integrieren. Und schon die aktuelle Generation der Ryzen-Chips, die im ROG Ally X verbaut wird, ermöglicht Berechnungen auf Basis von KI. Ich wäre nicht überrascht, wenn eine der großen Neuerungen in der nächsten Konsolengeneration genau das wäre: Dass man KI-Modelle direkt auf der Konsole ausführen kann.
IGM: Wie sieht es mit KI auf der Switch 2 aus?
Thompson: Die Switch 2 beherrscht Deep Learning Super Sampling, kurz: DLSS. Die Konsole berechnet Bilder also in einer niedrigeren Auflösung und skaliert sie mithilfe von KI-Algorithmen auf die gewünschte Auflösung hoch. Dass die Switch 2 DLSS beherrscht, bedeutet, dass auf ihrer GPU grundsätzlich auch KI-Modelle laufen können – ich bin gespannt, ob Spielestudios das versuchen werden. Derweil hat DLSS in manchen Gamer-Kreisen wegen seiner „fake frames“ schon einen schlechten Ruf. Manche beschweren sich, dass man Cyberpunk 2077 auf der Switch 2 nur mit DLSS spielen kann, auf anderen Plattformen aber auch ohne. Ich bin deshalb auch gespannt, wie diese Diskussion um „echte“ Grafik weitergehen wird. Also zwischen klassischem Rendering auf der einen und KI-Rendering auf der anderen Seite.
IGM: Wird bald ein AAA-Game erscheinen, bei dem KI eine zentrale Rolle spielt?
Thompson: Ich habe gehört, dass etwas im Anmarsch ist, darf darüber aber leider nicht sprechen. Abgesehen davon gibt es auch sehr spannende KI-Forschungsprojekte. Da werden gerade Werkzeuge entwickelt, die vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen wären. Ein Beispiel ist das Projekt MLMove, das von David Durst während seines Studiums in Stanford entwickelt wurde. MLMove bietet Counter-Strike-Bots, die sich wie echte Menschen bewegen. Das Ganze basiert zwar auf dem üblichen Bot-Code, nutzt für die Bewegungen auf der Karte aber kein Navigation Mesh. Stattdessen haben die Entwickler einen Transformer trainiert – also die Technologie, die wir auch für Sprachmodelle nutzen. Die Entwickler haben den Transformer mit tausenden Replays eines E-Sport-Teams trainiert. Das Ergebnis ist unglaublich beeindruckend: Man hat das Gefühl, einem menschlichen Team beim Spielen zuzuschauen – aber es sind nur Bots, die gelernt haben, wie Menschen zu spielen.
Vor fünf Jahren noch nicht möglich gewesen
IGM: Was gibt es sonst noch für spannende Projekte?
Thompson: Das Coolste, was ich zuletzt gesehen habe und worüber ich sprechen darf, ist lustigerweise ein Projekt, von dem die SpielerInnen gar nichts merken werden. Es handelt sich um ein Developer Tool namens Snowcap. Die Firma Massive Entertainment hat dieses Tool für die Snowdrop Engine entwickelt, die bei Tom Clancy’s The Division, Star Wars Outlaws und Avatar: Frontiers of Pandora zum Einsatz kommt. Schon seit langem lässt Massive seine Spiele durch Bots testen – und hat dabei riesige Mengen an Telemetriedaten gesammelt, wie gut die Spiele auf verschiedenen Plattformen laufen. Mit diesen Daten hat Massive ein KI-Modell trainiert, das die in ihrem Level-Editor nutzen können. Das Modell kann in Echtzeit die GPU-Leistung voraussagen, die für bestimmte Spielszenen benötigt wird. Die Voraussage basiert ausschließlich darauf, an welcher Stelle des Levels man sich gerade befindet – also wie viele 3D-Modelle gerade gezeichnet werden, wie die Texturen aussehen und so weiter. Als jemand, der selbst Spiele entwickelt hat, weiß ich: Es kostet jedes Mal viel Zeit, wenn man einen neuen Build auf der Konsole testen will. Mit Snowcap kann Massive das jetzt direkt im Editor vorhersagen – und dadurch viel Zeit sparen; das verändert die Entwicklung von Spielen grundlegend. Für die SpielerInnen bedeutet das idealerweise: Es gibt weniger Performance Drops in der finalen Version – die Spiele werden langfristig besser für verschiedene Konsolen optimiert.
IGM: Sprechen wir über Indie-Studios. Wie stark profitieren diese von KI?
Thompson: Indie-Studios sind in einer interessanten Position: Sie können zeigen, was sich mit generativer KI auf Gameplay-Ebene anstellen lässt. Im Gegensatz dazu nehmen sich viele AAA-Studios lieber erst die Zeit, die Technologie zu durchdringen – und entwickeln KI-Technologie lieber intern, als auf externe Anbieter zurückzugreifen. Die Gründe dafür sind Bedenken hinsichtlich der Betriebssicherheit und natürlich auch rechtliche Fragen, etwa zum Schutz des geistigen Eigentums. Indie-Studios können sich viel schneller an die KI-Entwicklung anpassen. Ich habe einige Indie-Studios beraten, die kleine Sprachmodelle sinnvoll einsetzen wollen, ohne ethische Grenzen zu überschreiten. Allerdings machen viele andere Indies den Fehler, KI-Tools für sämtliche Arbeiten zu nutzen – in der Hoffnung, dass die SpielerInnen das akzeptieren oder es gar nicht erst bemerken.
IGM: Das könnte schnell nach hinten losgehen, siehe The Alters ...
Thompson: Ja, wobei es auch andere Wendungen gibt. Im Januar ist beispielsweise das Puzzle-Game The Roottrees are Dead erschienen. Ursprünglich war das ein Game-Jam-Projekt, bei dem die gesamte Grafik mittels KI generiert wurde. Die Entwickler waren sich aber einig, dass man das so nicht veröffentlichen konnte. Sie haben sich also Zeit genommen, Spenden gesammelt und Artists engagiert, die alles von Hand gestaltet haben. Das Spiel erhielt sehr gute Kritiken und ist kommerziell erfolgreich. Das ist spannend, weil das Spiel als reines KI-Projekt auf Steam sehr wahrscheinlich abgestürzt wäre. So aber wurde das Ganze zu einer Feelgood-Story mit viel positivem Marketing. Das zeigt, dass es sich auszahlt, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen.
IGM: Wie wichtig könnte das in Zukunft für die Außenwahrnehmung werden?
Thompson: Wir sind schon an dem Punkt angekommen, an dem Indie-Studios eine Art Qualitätssiegel verwenden und sagen: „Unser Spiel ist zu 100 Prozent handgemacht, es kommt keine Generative AI zum Einsatz.“ Und daraus wird gerade so etwas wie eine Bewegung. Ich behalte in diesem Fall ungern recht, aber ich habe schon im März letzten Jahres bei einem Talk gescherzt: „Games werden bald so behandelt wie Bio-Lebensmittel. Die Leute werden sagen: Das sind die Games, die ich spielen will, weil ich weiß, dass sie zu 100 Prozent von Menschen erschaffen wurden.“ Es ist interessant zu beobachten, wie die Leute – in Zeiten von KI – menschliche Autorenschaft und Kreativität schätzen lernen. Es zeichnet sich eine interessante Zukunft ab, in der KI-generierte Inhalte vor allem bei Großproduktionen zum Einsatz kommen. Gleichzeitig werden sich viele davon abwenden, weil ihnen das Ganze zunehmend beliebig erscheint. Momentan bemühen sich nur sehr wenige Unternehmen, den Nutzen von KI für Games zu verdeutlichen. Stattdessen liefert die Industrie massenhaft Gegenargumente.
Games werden bald so behandelt wie Bio-Lebensmittel
IGM: Du organisierst die „AI and Games Conference“, die am 3. und 4. November in London stattfindet. Was genau wird da geboten?
Thompson: Ich war im Verlauf dieses Interviews teilweise ziemlich zynisch. Dennoch bin ich fest davon überzeugt, dass KI eine große Zukunft hat – vorausgesetzt, sie wird auf praktische und verantwortungsvolle Weise genutzt. Es gibt bei Games auch viele Anwendungsfelder von KI, die gar nichts mit Generative AI zu tun haben. Wir brauchend also dringend einen Ort, an dem Fachleute – von kleinen Indie-Studios bis hin zu AAA-Entwicklern – zusammenkommen, Erfahrungen austauschen, voneinander lernen und sich vernetzen können. Genau deshalb hat unsere Non-Profit-Organisation die Konferenz im vergangenen Jahr gegründet. Wir sind übrigens sehr streng, was die inhaltliche Qualität und Integrität der Panel Talks angeht. Wir bekommen viele Vorschläge, die stark vom KI-Hype getrieben sind, lehnen diese aber ab, weil sie unserer Community nicht helfen. Die Konferenzteilnehmer sollen später sagen können: „Ich habe hier etwas Wertvolles gelernt – etwas, das ich für meine eigene Arbeit nutzen kann.“
IGM: Wagen wir einen Ausblick. Wie wird es mit Gaming-KI weitergehen?
Thompson: Gaming-KI durchläuft gerade den „Gartner hype cycle“. Erst kommt der Gipfel des Hypes, dann folgt das Tal der Ernüchterung – und am Ende pendelt sich alles ein. Ich hoffe, wir werden bald verstehen, wie man KI verantwortungsvoll nutzen kann – auf eine Weise, die uns langfristig hilft. Aber um das zu erreichen, müssen Firmen Fehler machen; Regierungen müssen sich einmischen und handeln. Wir erkennen jetzt, dass sich die Beteiligten grundsätzlich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Die traurige Wahrheit ist: Das alles dauert sehr lange. Ich bin optimistisch, dass sich die Lage beruhigen wird, sobald die „Spielregeln“ klarer definiert sind. Erste Spiele, die KI wirklich gewinnbringend nutzen, werden wir aber wohl erst in ein bis zwei Jahren sehen.
IGM: Klingt aus KonsumentInnensicht nach einer ziemlichen Geduldsprobe ...
Thompson: Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, was da passieren wird. Dass etwas auftaucht und klar zeigt: Aus genau diesem Grund machen wir das alles! Ich denke, dass der Markt einen solchen Durchbruch braucht. Andererseits hat maschinelles Lernen bei Games in den letzten 10 bis 15 Jahren so etwas wie eine stille Revolution ausgelöst. Das umfasst viele kleine Dinge, die inzwischen völlig alltäglich sind. Wir nutzen heute KI, um Toxicity in Online-Games zu überwachen. Oder auch für Matchmaking, Animation Blending und Gameplay-Tests. Vor 15 Jahren hätte das alles noch wie Science-Fiction geklungen. (Achim Fehrenbach)