
Der Blick schweift aus dem Fenster über die Spree – bis zur nahen Oberbaumbrücke und die Bahntrasse der U1. Wer aus den Fenstern auf der gegenüberliegenden Seite des Raums schaut, erblickt das Badeschiff, den Molecule Man und die weiter entfernte Elsenbrücke. Bei Bedarf lassen sich die Fenstervorhänge aber auch zuziehen und der Raum komplett abdunkeln: Dann nämlich, wenn im nhow Gaming Studio unter professionellen Bedingungen gespielt wird.
Passgenaue Ausstattung
Mitte Juni hat das Hotel nhow Berlin diesen Raum eingeweiht, der speziell Streamer, Content Creators, E-Sport-Teams und -Agenturen anspricht. „Alles, was man hier sieht, ist speziell auf die Bedürfnisse der Gamer-Szene ausgerichtet“, sagt Janina Bachmann-Graffunder, General Manager des nhow Berlin. Beim Ortstermin in Berlin-Friedrichshain zeigt uns die Hotelchefin die Details des gut 70 Quadratmeter großen Gaming-Studios, das vor dem Umbau als Lager genutzt wurde. An der Rückwand des nahezu quadratischen Raumes steht ein Konferenztisch, der sich modular auseinandernehmen und neu zusammensetzen lässt. Vor den Fenstern in Richtung Oberbaumbrücke wiederum sind vier Gaming-Desks platziert, an denen die Hotelgäste – auch über längere Sessions hinweg – bequem zocken können. Die hier vertretenen Marken dürfte man als Spielefan zumindest teilweise kennen: Die Gaming-PCs sind von Terra, die Stühle von Noblechair, die höhenverstellbaren Desks von Schwarzwald-Lab und die Kopfhörer, Tastaturen und Mäuse von der Firma Cherry. Beim Hardware-Setup und der Gestaltung des Raums wurde das Hotel von der Kölner E-Sport-Organisation SK Gaming beraten. Der Raum hat eine Klimaanlage, dimmbare Beleuchtung und natürlich eine Hochgeschwindigkeits-Datenleitung, um lästige Lags zu vermeiden. Das Gaming Studio eignet sich für Zock- und Streaming-Sessions, aber nicht nur das: „Er wird auch von Firmen gebucht, die mal ein Gaming-Wochenende veranstalten wollen“, sagt Bachmann-Graffunder. „So lassen sich Kreativprozesse innerhalb der Firma aus einer anderen Perspektive betrachten.“ Gerade erhalte man auch aus diesem Segment die ersten Anfragen, so die Hotelmanagerin. „Leute wollen diesen Raum nicht nur als Gamer-Bereich haben, sondern auch als ‚Crazy Tagungsraum‘.“
Alles, was man hier sieht, ist speziell auf die Bedürfnisse der Gamer-Szene ausgerichtet
Schon 2024 sorgte das nhow Berlin – es gehört zur Gruppe Minor Hotels – mit einem ähnlichen Angebot für Aufsehen: Damals richtete es zwei Hotelzimmer als sogenannte Gaming Rooms ein. Die je 28 Quadratmeter großen Räume haben (neben dem obligatorischen Queen-Size-Bett) ein Gaming-Desk, eine PlayStation 5 und je zwei 25-Zoll-Monitore von Samsung. „In den letzten zwei Jahren hat unser Hotel immer häufiger Anfragen aus der Gamer-Szene bekommen“, berichtet Bachmann-Graffunder. „Deshalb hat unser Senior Director of Operations, Minor Hotels Northern Europe, Alexander Dürr, beschlossen, hier die ersten Gaming Rooms einzurichten.“ Parallel entstand die Idee mit dem Gaming Studio, die nun ebenfalls umgesetzt wurde.
Trend aus Asien
Dass Hotels, Restaurants und Cafés gezielt Spielefans ansprechen, ist in Deutschland eher die Ausnahme. Das Ende 2022 in Hamburg-Bergedorf eröffnete Rcadia Gaming House ist mittlerweile wieder ein herkömmliches Hotel/Hostel namens Bettenburg. Angebote dieser Art kennt man eher aus Asien, den USA oder anderen europäischen Ländern. Viele der asiatischen Hotels richten sich an die E-Sport-Szene, etwa das Arena eSports Hotel in Singapur, das i Hotel in Taoyuan/Taiwan oder das Mayfield Hotel in Seoul. In Japan gibt es – neben etlichen Manga- und Anime-Cafés – auch Cafes von Nintendo und Capcom. Insofern ist es durchaus bemerkenswert, dass nun in Deutschland ein Gastronomiebetrieb gestartet ist, der an eine Gaming-Marke andockt: Das HoYoverse Café öffnete am 20. Juni in Berlin-Mitte (Rochstraße 4) seine Pforten. Publisher HoYoverse ist für Games wie Genshin Impact, Honkai: Star Rail und Zenless Zone Zero bekannt – und so soll auch diese neue Location ausgerichtet sein. „Für Spieler und Fans wird mit dem Café ein immersiver Raum geschaffen, in dem sich alles um die Geschichten, Figuren und Welten der Spiele von HoYoverse dreht“, heißt es in der Pressemitteilung. „Thematische Speisen und Getränke, offizielle Fan-Artikel sowie Kulturveranstaltungen ermöglichen einen intensiven, gelebten Austausch zwischen der Community und der Gaming-Kultur.“ Zur Eröffnung im Juni kamen denn auch etliche GamerInnen – sie wurden vor Ort von den Cosplayern Taryn und hyoga.x bespaßt und durften einem Streichquartett à la Genshin Impact lauschen. Das Café zielt auf Berliner Fans der genannten Spiele – und natürlich auch auf games-affine Touristen, die sich in Berlin tummeln.
Die beiden Beispiele aus der Hauptstadt zeigen: Die Nachfrage nach „Gaming-Wallfahrtsorten“ ist offenbar groß genug, um solche Locations dauerhaft einzurichten. Doch worauf kommt es bei deren Einrichtung an – und wie genau profitieren Betreiber und Lizenzgeber davon? „Gaming-Hotels oder thematische Cafés schaffen Räume, in denen Fans Zeit mit ihrer Lieblingsmarke verbringen können – und genau diese Zeit ist für Marken Gold wert“, sagt Stefan Dettmering, Managing Director der Agentur BXDXO. „Hier entstehen emotionale Bindungen, direkte Interaktionen und authentische Social-Media-Momente.“ Orte wie diese ermöglichten es den Marken, „von einem rein digitalen Produkt zu einer echten Erlebniswelt zu werden, die Menschen miteinander verbindet und Communities stärkt“. Damit solche Locations bei GamerInnen Anklang finden, reicht es laut Dettmering aber nicht, „nur ein paar Konsolen oder PCs in eine Ecke zu stellen oder ein Logo an die Wand zu kleben“. Stattdessen brauche es ein durchdachtes Konzept, das sowohl spielerisch als auch atmosphärisch überzeuge. „Wichtig ist vor allem, dass die technische Ausstattung auf Top-Niveau liegt“, sagt der BXDXO-Chef. Das sind aus seiner Sicht vor allem hochwertige Hardware, schnelles Internet und bequeme Setups. „Ebenso spielt das themenbezogene Design eine zentrale Rolle“, sagt Dettmering. „Die Räume sollten die Markenwelt widerspiegeln und immersive Erlebnisse bieten, anstatt beliebig oder austauschbar zu wirken.“
Räume, in denen Fans Zeit mit ihrer Lieblingsmarke verbringen können
Unterschiedliche Konzepte
Sowohl das nhow Berlin als auch das HoYoverse Café erfüllen diese Kriterien – wobei sie ja sehr unterschiedlich ausgerichtet sind. Jonas Selzer von der Agentur Jung von Matt NERD findet diese Angebote sehr spannend. „Das nhow Hotel verfolgt ein Modell, das sich auf individuelle Erlebnisse konzentriert, wodurch Marken individuelle Highlights setzen können“, sagt Selzer, der als Director Client Services und Prokurist arbeitet. Als mögliches Beispiel nennt er einen „Room Takeover“, bei dem ein Zimmer von einer Marke komplett umgewandelt wird – zum Beispiel anlässlich eines Spiele-Launches – und der Hotel-Gast auf einmal Teil der Spielwelt ist. „Man stelle sich so etwas wie die atemberaubenden Welten von Zelda oder The Witcher vor“, sagt Selzer. „So etwas kann unvergesslich sein.“ Das HoYoverse Café wiederum setze auf ein sehr Community-basiertes Modell, das als Treffpunkt auf soziale Interaktion und gemeinschaftliche Erlebnisse abziele.
Besonders interessant findet der Marketing-Profi, dass dies als Vorbild oder Test-Case gesehen werden könne: „Ein Erfolg schafft auch Türen für weitere Community-spezifische Orte.“ Selzer selbst hat 2019 seinen Junggesellenabschied im Arcade Hotel in Amsterdam gefeiert. „Das war eine fantastische Erfahrung, die Nostalgie der LAN-Partys aus Schulzeiten wieder aufleben zu lassen und gemeinsam mit seinen Liebsten Spaß beim Spielen zu haben.“ Um Spielefans für solche Angebote zu begeistern, brauche es jedoch bestimmte Voraussetzungen, so Selzer. „Wir SpielerInnen lieben immersive Erlebnisse, mit denen unsere Leidenschaft für ein Videospiel in die echte Welt transportiert wird. Damit das gelingt, ist Authentizität essenziell.“ Ähnlich wie Dettmering nennt auch Selzer Ausstattung, Atmosphäre und Programm als entscheidende Erfolgsfaktoren. Ziel sei, dass sich die GamerInnen „wie zuhause fühlen“. Die Betreiber und Veranstalter müssten die Community mit besonderen Events einbeziehen. „Das können Turniere sein, ‚Meet and Greets‘ mit Influencern oder auch exklusive Release-Parties“, sagt Selzer. „Gerade das ‚LVL‘ in Berlin ist hier ein sehr bewundernswertes Beispiel.“ Im Gaming-Center LVL unweit des Checkpoint Charlie finden seit der Eröffnung im Jahr 2020 immer wieder E-Sport-Turniere und Promo-Aktionen statt; dort gibt es auch etliche Zock-Plätze für Spielefans und ein gastronomisches Angebot. Grundsätzlich ist die deutsche Hauptstadt in Sachen „Gaming-Wallfahrtsorte“ ohnehin ein gutes Pflaster: Das XPERION Berlin in der Saturn-Filiale am Alexanderplatz bietet so ziemlich alles, was die Herzen der Spielefans höher schlagen lässt (vgl. das Porträt in IGM 01/2025).
So etwas kann unvergesslich sein
Markenplatzierung vor Ort
Auch für Agenturen wie BXDXO und Jung von Matt NERD sind solche Locations aus Veranstaltungsorte interessant. „Solche Locations bieten definitiv Vorteile für Dienstleister wie uns“, sagt Stefan Dettmering. „Besonders attraktiv ist es, wenn bereits eine solide technische Infrastruktur vorhanden ist – denn Technik und Venue-Aufbau gehören oft zu den größten Kostenfaktoren bei Events.“ Allerdings dürfe man das Ganze auch nicht überstrapazieren, warnt der Experte: „Wenn viele unterschiedliche Marken ihre Events immer in denselben Räumen durchführen, können die Veranstaltungen trotz individuell angepasstem Branding irgendwann alle ziemlich ähnlich wirken.“ Es bestehe das Risiko, dass sich Events visuell und atmosphärisch anglichen und die Einzigartigkeit der jeweiligen Marke verloren gehe. „Aus Markenperspektive versuche ich deshalb immer, zunächst Locations zu finden, die thematisch perfekt zum Spiel passen oder sogar direkte Bezüge zum Spielinhalt herstellen“, erläutert Dettmering. „So wird ein Event nicht nur eine schöne Veranstaltung, sondern ein echtes Markenerlebnis, das hängen bleibt.“ Natürlich müsse man bei solchen Sonderlösungen immer auch aufs Budget achten, so der Marketing-Mann. „Aber wo es möglich ist, lohnt es sich definitiv, kreativ zu werden.“
Jonas Selzer hält „Gaming-Wallfahrtsorte“ ebenfalls für gute Anlaufstellen. „Für eine kuratierende Agentur wie uns – mit einem inhaltlichen Fokus auf Gaming und die digitale Popkultur – sind Gaming-Hotels, -Bars und -Cafés super spannend“, sagt er. Dies gelte sowohl im Hinblick auf die Kunden der Agentur wie auch im Hinblick auf die eigene Markenstrategie. „Diese Locations ermöglichen uns, mit den Communities aus der Gaming-Welt authentisch in Interaktion zu treten und damit unser Netzwerk zu stärken und zu erweitern – und gleichzeitig Communities auch besser zu verstehen und zu lernen“, sagt Selzer. Dies helfe sehr, je nach Briefing und Themenwelt die besten strategischen und kreativen Lösungen zu erarbeiten. „Manchmal ist es auch die perfekte Gelegenheit, um direkt wieder zurückzukommen, um eine Marke dort zu aktivieren“, so der Experte. Darüber hinaus böten solche Locations auch Möglichkeiten für das eigene Marken-Image, sei es nun durch Team- oder Kunden-Events. „Wie cool ist es bitte, vor einem wichtigen C-Level-Workshop mit einem traditionellen Großkonzern für alle Teilnehmer einfach das Gaming-Hotel zu buchen?“, fragt Selzer rhetorisch. „Damit beginnt die Reise in die Welt des Gamings nicht erst zum Workshop-Start, sondern alle sind schon – bevor es losgeht – mental in der Welt angekommen: 360 Grad immersiv.“
Eine Art Gaming-Straße am Wasser
Nah an der Branche
Halten wir fest: Für Markeninhaber, Agenturen und Spielefans sind solche Locations gleichermaßen ein Gewinn. Auch beim nhow Berlin passen die Gaming-Angebote nahtlos ins firmeneigene Grundkonzept. „Alle nhow-Hotels sind Designhäuser“, sagt Janina Bachmann-Graffunder. „Jedes Haus hat seinen eigenen USP. Dieses Haus ist ein Musik- und Lifestyle-Hotel.“ Das Hotel-Design stamme von Sergei Tchoban, das Interior-Design von Karim Rashid; im angebauten Silver Tower des Hotels gebe es auch Aufnahmestudios, wo Popstars wie Nina Chuba oder Shirin David Musik produzieren. „Von den nhow-Hotels haben wir aktuell erst zwei in Deutschland, aber sieben in Europa“, ergänzt Bachmann-Graffunder. Firmen, die hier Räumlichkeiten buchen, können diese nach ihrer eigenen Brand gestalten: „Als Metallica auf Deutschland-Tour waren, haben sie unsere Gallery zum Popup-Store umgebaut.“ Mit insgesamt 304 Zimmern – als maximal 650 Gästen – bietet das nhow Berlin auch einen Austragungsort für Großveranstaltungen, nicht zuletzt aus der Games-Branche; hier fand der Managerin zufolge auch schon ein E-Sport-Turnier zu einem Strategiespiel statt. (Gäste- und Firmennamen werden vertraulich behandelt.) Die vorgelagerte Terrasse an der Spree bietet Platz für 500 Personen und ist direkt von benachbarten Gaming Station aus zu erreichen; diese wiederum hat einen separaten Ein- und Ausgang, so dass Gäste nicht durch die Hotellobby laufen müssen. „Wir haben Spiele-Accounts für unsere Gäste, jeder Gast kann aber natürlich auch seine eigenen Accounts benutzen“, berichtet die Hotelchefin. Für Großveranstaltungen stehen zwei Technikfirmen zur Verfügung, die bei Bedarf kontaktiert oder vorab hinzugebucht werden können. Die Gaming Rooms sind indes strategisch positioniert: Sie liegen jeweils an einem kleinen Flur, den man vom eigentlichen Hotelgang über eine Zwischentür erreicht werden kann. Eine Übernachtung im Gaming Room kostet laut Bachmann-Graffunder nur unwesentlich mehr als in einem Standardzimmer. Bei unserem Ortsbesuch waren beide Zimmer gerade gebucht.
In unmittelbarer Nähe des nhow Hotels wird 2026 ein Zentrum der Spielebranche entstehenn: das House of Games. Bachmann-Graffunder findet die Nähe zur Spieleindustrie großartig: „Ich begrüße sehr, dass das hier in der Stralauer Allee eine Art Gaming-Straße am Wasser entsteht“, sagt sie – und verweist damit auch auf die Nachbarschaft von Firmen wie Wooga. Für die Zukunft planen der Hotelkonzern, weitere nhow-Standorte mit Gaming Studios und -Rooms auszustatten. Fazit: Aktuell sind Hotels, Cafés und Restaurants mit Gaming-Ambiente in Deutschland noch die Ausnahme. Sollte ihr Beispiel Schule machen, könnte es aber schon bald mehr von diesen „Wallfahrtsorten“ geben. (Achim Fehrenbach)