Auf den Punkt: Was Games-Investoren wirklich wollen

Die Games-Branche befindet sich nach wie vor in schwerer See, das Geld für neue Projekte ist knapp – und um dieses knappe Geld konkurrieren mehr Projekte denn je zuvor. Woher also frisches Geld nehmen? Deutschland ist nicht gerade als Investorenparadies bekannt – aber es gibt sie doch, die Akteure, die zielgenau Geld auf vielversprechende Games setzen. Worauf achten diese Investoren, wenn sie sich am Markt umschauen? Und was halten sie vom Produktionsstandort Deutschland? Wir haben dazu mehrere Experten befragt.
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© AtlasComposer / elements.envato.com
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Wenn deutsche Entwicklerstudios ein Projekt auf der Pfanne haben, wählen sie meist einen von zwei Wegen: Sie suchen sich einen Publisher, der die Rundum-Betreuung übernimmt – oder sie versuchen auf eigene Faust, ihr Spiel in den Markt zu bringen. Dass sie sich allerdings Investoren dazuholen, ist eher selten ... wohlgemerkt: in Deutschland. In Ländern wie Frankreich, UK oder Kanada ist es sehr viel üblicher, sich in dieser Richtung umzuschauen. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass sich in diesen Ökosystemen etliche Investoren tummeln – und selbst auch auf die Studios zugehen, wenn sie einen Rohdiamant erspähen.

Tiefe Branchenkenntnis
Immerhin: Wir haben zwei Investoren gefunden, die von Deutschland aus operieren – auch wenn ihre Investitionsobjekte meist im Ausland liegen. Einer von ihnen ist Robin Houben mit seiner Firma Aeronaut Invest. Houben, er lebt in Frankfurt am Main, kennt die Games-Branche in- und auswendig: Seit 2007 war er als Anwalt für IP- bzw. IT-Recht für Firmen wie Frogster, Crytek und Deck13 tätig; ab 2009 arbeitete er als General Counsel für Travian Games. Später begann Houben, selbst in Start-ups der Fintech-, Legaltech-, Games- und Modebranche zu investieren; 2019 stieg er nach erfolgreichen Exits als Investor und Business Angel bei verschiedenen Start-ups ein. Aktuell ist Houben bei zwei Games-Firmen investiert: Der Firma Thera Bytes aus München, die das Spiel Global Farmer entwickelt, und beim schwedischen Publisher Jumpgate. „Games sind ein sehr risikoreiches Segment“, sagt Houben. „Wenn du als Business Angel in Startups investierst, bist du sowieso schon risikoaffin. Aber es ist noch ein zusätzlicher großer Schritt, ins Games-Segment zu gehen und dort zu investieren.“ Die letzten zwei Jahre seien für Startups nicht einfach gewesen, vor allem nicht im Games-Bereich. „Es gab unglaublich viele Entlassungen. Diese Hochphase des Investments, wo auch absurde Bewertungen gegeben wurden, ist einfach vorbei“, beobachtet Houben – und lobt, dass „ein gewisses Maß an Realismus und Rationalität“ in die Branche zurückgekehrt sei.

Wenn Houben in ein Projekt investiert, dann steigt er immer mit rund 100.000 Euro ein – mittelfristig können es aber bis zu 500.000 Euro sein. „Das wichtigste Kriterium für ein Investment ist das Team“, sagt er. „Das hört sich vielleicht jetzt ein bisschen banal an, aber letztlich investierst du in Menschen.“ Er selbst habe da auch aus Fehlern gelernt, berichtet der Experte: „Ich habe in die tollsten Produkte investiert, das Team sah auf den ersten Blick auch toll aus. Aber dann hat die Chemie nicht gestimmt und das Team hat sich zerstritten – und damit ist das ganze Ding gesunken.“ Wenn ein Team allerdings Hand in Hand arbeitet und im Studio eine gute Atmosphäre herrscht, dann ist das eigentliche Produkt aus Houbens Sicht fast schon zweitrangig. „Selbst wenn das Produkt am Anfang noch nicht funktioniert, werden die Leute auf dem Weg dazulernen und dann vielleicht das Produkt finden, das erfolgreich ist“, betont er. Das erste Projekt eines Entwicklerstudios sei vielleicht noch ein Flop. Mit der Zeit könne sich aber eine Einheit bilden, ein Team, bei dem verschiedene Stärken zusammenkommen. Und damit werde ein Erfolg dann wahrscheinlicher.

 

Das wichtigste Kriterium für ein Investment ist das Team

 

Genauer hingeschaut
Weil die Team-Chemie entscheidend ist, schaut Houben bei seinen Investments ganz genau hin. In der Corona-Pandemie sei das natürlich schwieriger gewesen, da habe er nicht ungehindert hinter die Team-Fassade blicken können – und prompt auch viel Geld verloren, weil er aufs falsche Team setzte. Diese Phase sei zum Glück vorbei, nun könne man sich wieder besser kennenlernen. „Wenn mich der Pitch überzeugt, wenn mich das Produkt überzeugt, wenn mich das Team überzeugt, dann sage ich: ‚Okay, lasst uns einen Deep Dive machen, lasst uns tiefer reingehen“, berichtet Houben. Beim persönlichen Treffen mit den Entwicklern stelle er dann auch schon mal ein paar unangenehme Fragen und versuche, das Team mit Reizthemen aus der Reserve zu locken – einfach um zu beobachten, wie es mit Stress umgeht. „Wer springt für wen ein, wer versucht, wen irgendwie auszugleichen – und wie kommunizieren sie in solchen Situationen, auf die sie nicht vorbereitet sind?“, erläutert Houben. „Das hat ein bisschen den Charakter eines Assessment Centers.“

Beim Treffen mit Thera Bytes hat es ganz offensichtlich gefunkt. Das Müncher Studio entwickelt gerade das Top-Down-Management-Game Global Farmer, das auf Steam bald in den Early Access gehen soll. „Mit Thera Bytes versuchen wir, den Realismus in die Spiele hineinzubringen“, beschreibt Houben den USP. Der Schlüssel seien hier Realdaten, mit denen man das Spiel so weit an die reale Welt anpasse, dass es zur Simulation werde. „Bei Global Farmer machen wir das beispielsweise mit einem Landwirtschaftsmanager, der mit echten Wetter- und Bodendaten gespeist wird“, erklärt Houben. Diese Realitätsnähe gebe dem Spiel das gewisse Etwas.

Verschiedene Modelle
Bertrand Vernizeau ist ebenfalls als Investor in der Games-Branche unterwegs. Zusammen mit einem schwedischen Partner gründete er 2019 die Firma Game Seer, die ihren Sitz in Aschaffenburg hat; als Publishing Producer und Scout ist ein Franzose mit an Bord. „Wir hatten ein Unternehmen für den digitalen Vertrieb und die Monetarisierung von Games, das wir 2015 verkauft haben“, berichtet Vernizeau. „Deshalb reinvestieren wir.“ Game Seer ist eine Firma ohne limited partners, also ohne Kommanditisten, und finanziert vor allem Indie-Games für PC und Konsole. „Wir können Spiele mit oder ohne Publishing finanzieren“, erläutert Vernizeau, der in Deutschland aufgewachsen ist, aber in Genf lebt. „Außerdem investieren wir auf einer dritten Ebene – meist wenn wir eine etablierte Beziehung zu einem Studio haben – auch in Aktien des Studios.“ Die jüngste Investition von Game Seer ist Half Sword, ein physikbasiertes mittelalterliches Singleplayer-Fechtspiel für PC. „Half Sword ist jetzt unser neues Flaggschiff“, sagt Vernizeau stolz. „Wir haben die Investition vor etwa drei Wochen angekündigt. Wir werden das Spiel vollständig publishen und helfen dem Team gerade dabei, die Produktion zu strukturieren und auf einen Early Access hinzuarbeiten.“ Das Spiel habe bereits 160.000 Wishlist-Einträge, 24.000 Discord-Follower und eine sehr stabile Anzahl von Concurrent Users, berichtet der Investor. Vor allem aber habe das Spiel eine Steam-Demo, die schon mehr als eine halbe Million Mal heruntergeladen worden sei. „Die meisten Spiele, die man beobachtet, befinden sich in einem sehr frühen Stadium und können nicht solche Zahlen vorweisen“, betont Vernizeau. Half Sword allerdings habe schon eine ganze Menge traction.

Den großen Vorteil des Fechtspiels sieht Vernizeau darin, dass es die User umgehend fesselt. „Wenn du in einer fünfsekündigen Spielsequenz Befriedigung erzeugst, ist das großartig“, sagt der Experte. „Das Gehirn braucht keine 60 Minuten, um zu wissen, ob es an etwas interessiert ist oder nicht. Wenn wir also nach Games Ausschau halten, dann schauen wir uns Games an, die genau das auslösen können.“ Bei Half Sword komme die Befriedigung von der präzisen Steuerung und verschiedenen Spielelementen, etwa Roguelite-Mechaniken und Loot. Als entscheidende Metrik sieht Vernizeau nicht die Wishlist-Einträge, die generell sehr hype-abhängig seien, sondern die Anzahl der Demo-Downloads – und auch die Concurrent User. SpielerInnen jeden Tag aufs Neue ins Spiel zu locken, sei mit die schwierigste Aufgabe überhaupt. „Man kann InfluencerInnen bezahlen und an einem Tag oder in einer Woche einen Boom auslösen, aber anschließend kann die Spielerbasis schrumpfen und im Grunde auf Null sinken“, mahnt Vernizeau. Dass Half Sword so konstant gespielt wird, sieht er als vielversprechendes Erfolgssignal.

Kennenlernen ist Pflicht
In seiner Zeit als Investor hat Vernizeau allerdings auch schon Fehler gemacht. Zum Beispiel habe er nicht in den – später überaus erfolgreichen – PowerWash Simulator investiert, weil er sich nicht mit dem Entwicklerteam treffen konnte, um eine Eigenkapitalfrage zu klären. „Das zeigt, wie wichtig der menschliche Faktor bei Investitionen in Games ist: Man muss sich mit den Teams treffen, sie kennenlernen und sich mit ihnen abstimmen“, pflichtet Vernizeau seinem Kollegen Houben bei. Wenn er nach investitionswürdigen Projekten Ausschau hält, lässt sich Vernizeau zum Beispiel nicht von track records beeindrucken – schließlich ändere sich die Dynamik eines Teams mit jedem personellen Zu- oder Abgang. „Die  besten Games kommen nicht von gut finanzierten Teams, die tolle, renommierte VCs und viel Geld im Hintergrund haben“, weiß er. „Die meisten der besten Games entstehen durch Schmerz, Stress und exzessives Bootstrapping. Das ist kein Spaziergang im Park.“ Um die Suche nach passenden Teams zu umschreiben, wählt Vernizeau denn auch markige Worte. „Wenn wir uns umschauen, suchen wir nach Killern“, sagt er, „denn die Videospielproduktion ist Chaos und Hölle“. Die Partnerschaft mit einem Team solle die Entwicklung beruhigen und etwas Licht ins Dunkel bringen. „Wenn wir nicht in der Lage sind, das Chaos mit dem Team zu bändigen und es zu strukturieren, dann macht die Partnerschaft keinen Sinn“, sagt Vernizeau.

Interessenten, die Game Seer ihr Projekt vorschlagen wollen, rät Vernizeau einen Besuch auf der Website. „Dort gibt es ein Formular, mit dem sie sich für einen Pitch bewerben können – und es gibt auch einen Artikel mit dem Titel ‚Warm up your cold start‘ mit einer Menge Tipps“, so der Investor. Doch wann macht es aus seiner Sicht eigentlich Sinn, einen Investor zu kontaktieren – und wann eher einen klassischen Pu­blisher? „Wenn man ein wirklich kleines Team ist, bereits sehr viel zu tun hat und mit der Produktion kämpft, dann macht es Sinn, sich mit einem Publisher zusammenzuschließen“, rät Vernizeau. „Aber wenn man eine freiere Herangehensweise ans Publishen wünscht und mehr Kontrolle über die Produktion haben will, dann sollte man sich vielleicht nach einem Investor umsehen.“ Bei Publishern sei es eben oft so, dass diese einen Executive Producer ins Spiel brächten – was die Autonomie des Studios natürlich reduziere. „Wir haben einen Publishing Manager, der die Entwicklung des Spiels verfolgt, aber wir haben keinen Executive Producer“, betont Vernizeau. „Die Studios, mit denen wir zusammenarbeiten, sind näher am Self-Publishing als am Full Publishing.“

Ressourcen-Bündelung
Neben einzelnen Business Angels und Investoren gibt es in der Branche auch entsprechende Netzwerke. Ein Beispiel aus Schweden ist PlayCap, ein Netzwerk, das ausschließlich aus weiblichen Business Angels besteht. Bibbi Wikman (vgl. S. 20ff.) hat es ins Leben gerufen, „um mehr Frauen mit einem ausgeprägten Verständnis für Games und die Branche zu ermutigen, sich an Investitionen zu beteiligen“, wie sie sagt. Durch die Bündelung der Ressourcen können die Mitglieder auch kleinere Beträge investieren und das Risiko über mehrere Investitionen streuen, so Wikman. „Das führt auch zu saubereren Cap Tables für die Unternehmen, die die Investition erhalten.“ Weitere, aber nicht frauenspezifische Investoren-Netzwerke sind beispielsweise der Indie Fund und Outersloth.

 

Das zeigt, wie wichtig der menschliche Faktor bei Investitionen in Games ist

 

Wie aber wird eigentlich Deutschland als Investitionsort wahrgenommen? Was sagen die Experten zu den hiesigen Bedingungen? Das fragen wir zunächst André Bernhardt, der als „Indie Advisor“ kleine und mittelgroße Spielestudios berät, wenn sie einen Publisher oder Investor suchen. „‚Risikofreudigkeit‘ ist in meinen Augen nicht Deutschlands zweiter Vorname“, sagt Bernhardt. In diesem Punkt sieht er einen großen Unterschied zwischen deutschen und internationalen Studios: „Die internationalen Entwickler sind besser darin, die Vision zu verkaufen – und die deutschen Entwickler verkaufen das mehr oder minder fertige Produkt.“ Das Problem sei dann allerdings, dass man dieses Produkt erst noch bauen müsse. Eine Vision hingegen könne man Investoren frühzeitig präsentieren und zu verkaufen versuchen. Auch bei externen Beteiligungen seien deutsche Firmen nicht besonders risikoaffin, so Bernhardt – und berichtet von seiner Arbeit für die Global Top Round. „Ich bringe deren Angebot seit 2015 unter die Leute“, erzählt er. Mit dem Accelerator-Programm können Indie-Studios einen großen Schritt nach vorne tun und womöglich auch einen Publisher finden, müssen dafür allerdings fünf Prozent der Firma abgeben. „Es ist das Geschäftsmodell von Global Top Round, dass sie dann die Anteile mit einem höheren Wert verkaufen, wenn sie das ganze Unternehmen vorangebracht haben“, sagt Bernhardt. Er merke aber, dass „viele Firmen immer noch sehr zögerlich sind, was das Abtreten von Firmenanteilen betrifft“.

Wenig risikobereit
Robin Houben hat in Deutschland ähnliche Erfahrungen gemacht. „Amerikanische Investoren sagen: ‚Bringt erst mal die PS auf die Straße. Wenn das Auto dann Probleme hat, können wir uns während der Fahrt darum kümmern.‘ Deutsche Entwickler wollten aber oft das perfekte, bug-freie Spiel herausbringen.“ Was die Bereitschaft für externe Beteiligungen angeht, erkennt Houben jedoch ein langsames Umdenken: „Die bundesstaatliche Förderung wurde eingefroren, deshalb brauchen die Studios Geld und sind eher bereit, externe Leute mit reinzunehmen.“ Aus Sicht von Bertrand Vernizeau mangelt es in Deutschland grundsätzlich an bundesstaatlicher Bereitschaft, die Games-Produktion konsequent zu fördern. „Es scheint, dass sich Deutschland nicht besonders auf Games fokussiert“, urteilt der Investor. Das Land habe eine solch große Exportwirtschaft und eine solch starke Industrie – und sei daran gewöhnt, in Feldern wie dem Ingenieurswesen zu brillieren. „Der kreative Aspekt von Games passt also vielleicht nicht ganz so gut zur deutschen Kultur“, wird Vernizeau recht deutlich.

In Frankreich gebe es eben Tax Credits – und nicht nur Grants wie in Deutschland. „Die Steuererleichterungen werden in Frankreich automatisch vergeben“, berichtet Vernizeau. „Wenn man als privater Investor eine Million US-Dollar in die Spieleproduktion investiert und das Spiel veröffentlicht wird, kann man sicher sein, 30 Prozent dieser Investition zurückzuerhalten.“ In Kanada sei das System ähnlich strukturiert. „Ich denke also, Deutschland könnte mehr tun, um die Kreativwirtschaft zu unterstützen“, sagt Vernizeau.

Wer weiß, vielleicht gibt es eines Tages wirklich auch Tax Credits für deutsche Games. Für Investoren könnte es hierzulande dann sehr viel interessanter werden. (Achim Fehrenbach)

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