US- und UK-Publisher für Indie-Games: Die neue Unübersichtlichkeit

Ob Sony, Microsoft oder Nintendo, ob Ubisoft, Square Enix oder Electronic Arts: Jeder kennt diese großen Publisher. Doch unterhalb der AAA-Ebene etablieren sich immer mehr Firmen, die Spiele jenseits des Mainstreams veröffentlichen – und in ihren wohl gewählten Nischen sehr erfolgreich sind. Auch unter diesen Indie- bzw. Boutique-Publishern gibt es etliche bekannte Namen. Allerdings sind im letzten Jahrzehnt viele neue Player hinzugekommen, die teils sehr unterschiedliche Publishing-Ansätze verfolgen. In den vorigen IGM-Ausgaben haben wir beleuchtet, wie Indie-Publisher an ihrem Image feilen und wie sie ihre Sichtbarkeit steigern. Nun widmen wir uns dem englischsprachigen Raum – in dem es von spannenden Indie-Publishern nur so wimmelt.
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© finecki/stock.adobe.com
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Ist das ein Computerspiel – oder ein eben noch verschollener Film von Akira Kurosawa? Der schwarzweiße Trailer des Spiels Trek to Yomi ist jedenfalls eine tiefe Verbeugung vor dem Werk der japanischen Regie-Legende (Ran, Die Sieben Samurai): Ein Kämpfer pirscht durchs körnige Bild, kämpft elegant gegen Feindeshorden und steht vor der Kulisse eines brennenden Palasts. Trek to Yomi ist das neueste Spiel von Leonard Menchiari: Der Indie-Entwickler wurde mit dem pixeligen "Ausschreitungssimulator" Riot – Civil Unrest (2019) bekannt, ist aber auch in der Filmbranche aktiv – und bringt nun seine Leidenschaften in Trek to Yomi zusammen. Erscheinungsdatum: 2022.

 

Größtmögliche Körperkraft, Geschwindigkeit und Ausdauer

 

Menchiari veröffentlicht das Spiel allerdings nicht selbst. Stattdessen hat er sich unter die Fittiche von Devolver Digital begeben. Der Indie-Publisher ist für seine rebellische Attitüde und für sein satirisch-splatteriges Portfolio bekannt (vgl. IGM 09/2021) – mit Erfolgstiteln wie Shadow Warrior, Serious Sam, Hotline Miami und Broforce. Wie passt das teils meditative Trek to Yomi in dieses Umfeld? Nun, die Antwort ist einfach: Devolver setzt seit seiner Gründung im Jahr 2009 immer auch auf Überraschungseffekte – und dazu zählt eben ein Samurai-Abenteuer-Film-Spiel. Oder auch ein "Reverse City Builder" wie Terra Nil (TBA), in dem man eine Zivilisation nicht auf-, sondern abbauen muss.

Anarchische Außenwirkung
Devolver ist es gelungen, zu einer unverwechselbaren Marke zu werden. Der Indie-Publisher aus Austin/Texas beschäftigt mittlerweile rund 30 Leute und arbeitet mit dutzenden externer Partner auf der ganzen Welt zusammen. Während andere Spielefirmen dieser Größe meinen, sich einen seriösen Anstrich verpassen zu müssen, setzt Devolver weiter auf seine durchaus anarchische Außenwirkung. Die IGM-Anfrage nach dem Erfolgsrezept von Devolver beantwortet deren Sprecher Robbie Paterson wie folgt: "Größtmögliche Körperkraft, Geschwindigkeit und Ausdauer, um unserer Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein – und um natürlichen Feinden auszuweichen." Aha. Auch die Frage nach wichtigen Indie-Publishing-Trends beantwortet Paterson mit großer Prägnanz: "Ich bezeichne sie gerne als ‚die drei Ds': Diversity, Distribution und Devolver." Wir lernen: Die Pressearbeit von Devolver folgt denselben Grundprinzipien wie die Portfolio-Gestaltung: Augenzwinkernde Breitspurigkeit und gepflegte Unberechenbarkeit. Berechenbar bleibt eigentlich nur der hohe Output des Publishers: Für dieses und nächstes Jahr hat Devolver – neben Trek to Yomi und Terra Nil – auch Shadow Warrior 3, Card Shark, Devolver Tumble Time, Inscryption, Demon Throttle, Weird West und Wizard With A Gun angekündigt. Um nur einige prominente Beispiele zu nennen.

Wenn schon Devolver so viele Titel raushaut – wie unübersichtlich wird es dann erst, wenn auch noch andere Indie-Publisher derart publikationsfreudig sind? Grundsätzlich ist es ja so, dass sie den Fans Orientierung bieten, nach dem Motto: "Sieh her, wenn du Titel X von uns mochtest, wirst du wahrscheinlich auch Titel Y mögen." Doch mittlerweile ist das Feld der Indie-Publisher selbst derart angewachsen, dass sie teils Mühe haben, sich klar voneinander abzugrenzen. Besonders in den USA und Großbritannien wimmelt es nur so von aufstrebenden Digitalverlagen, die mit wachsenden Portfolios um Kundschaft buhlen. Zu den bekanntesten Indie-Publishern der USA zählen – neben Devolver – Firmen wie Modus Games, tinybuild (vgl. IGM 10/2021), Skystone und Annapurna Interactive. Darüber hinaus gibt es Firmen, die man nicht unbedingt als "Indie-Publisher" bezeichnen würde: Zum Beispiel Finji, das mehr eine Mischung aus Studio und Publisher ist, also auf Co-Production setzt. Oder auch Private Division, das – als Publishing-Label von Take-Two – selbst nicht wirklich unabhängig ist. Und das neben klassischen Indie-Titeln (Kerbal Space Program) auch AA- und III-Titel veröffentlicht (The Outer Worlds, Ancestors: The Humankind Odyssey).

Komplette Dienstleistungspalette
So weit, so unübersichtlich. Ein waschechter Indie-Publisher aus den Staaten ist allerdings Versus Evil. Die Firma wurde 2013 von Bethesda-Veteran Steve Escalante gegründet, hat ihren Hauptsitz in Baltimore/Maryland und mittlerweile auch Dependancen in Kalifornien, Colorado, Texas, Großbritannien und den Niederlanden. "Das Team von Versus Evil ist mit etwa zehn Personen strategisch klein", sagt Escalante. "Aber das Unternehmen besitzt auch Red Cerberus, das von den USA und Brasilien aus operiert." Red Cerberus ist ein QA-, LQA-, Lokalisierungs-, Zertifizierungs- und Portierungsstudio mit mittlerweile über 210 Mitarbeitern. "Wir haben in den letzten Jahren in diesem Business ein erstaunliches Wachstum erlebt", berichtet Escalante. Zu den bekanntesten Titeln von Versus Evil zählen The Banner Saga (Stoic), Pillars of Eternity II: Deadfire (Obsidian) und das noch frische First Class Trouble (Invisible Walls). "Versus Evil ist seit acht Jahren im Geschäft", so der Firmengründer, "und bietet eine komplette Dienstleistungspalette, mit der wir die Indie-Games unserer Development-Partner unterstützen. Marketing, PR, der Kontakt zu Influencern, Social Media, Community, QA, Lokalisierung und Development Services, mit denen wir weitere Plattformen erreichen."
 

Es wird immer schwieriger, sich von der Masse abzuheben

 
Die Titel des Publishers erscheinen auf allen wichtigen Plattformen – inklusive Current-Gen-Konsolen, PCs und Smartphones. Als wichtigste Plattform sieht Escalante nach wie vor den PC. "Wir sind stolz darauf, dass wir unseren Indie-Wurzeln weiterhin treu bleiben und dass 70 Prozent unserer Titel profitabel sind", freut sich Escalante. "Titel wie Armikrog, Guild of Dungeoneering, Antihero und Let Them Come waren alle für sich erfolgreich. Und jeder dieser Titel hatte Entwicklerteams mit weniger als fünf Personen." Zu den von Versus Evil veröffentlichten Titeln zählt übrigens auch ein deutsches Game – nämlich Hitchhiker – A Mystery Game von Mad About Pandas aus Berlin. Momentan arbeitet Versus Evil an verschiedenen Titeln, die noch dieses Jahr erscheinen sollen. Eines davon ist das 2D-Action-Stealth-Game UnMetal, das schon reichlich Vorschusslorbeeren erhielt.
Spieleschwemme

Steve Escalante sieht Indie-Publishing als Herausforderung. "Jedes Jahr kommen mehr Spiele auf den Markt", sagt er. "2019 wurden 8.033 Spiele auf Steam veröffentlicht, im Jahr 2020 waren es mehr als 10.000. Es wird immer schwieriger, sich von der Masse abzuheben. Selbst die besten Spiele haben es schwer, Eindruck zu hinterlassen." Versus Evil sei sich der Tatsache bewusst, dass in diesem Markt selbst kleinste Indie-Teams ohne Publisher erfolgreich sein können. Allerdings gebe ein Indie-Publisher dem jeweiligen Studio mehr Zeit, "sich auf die Arbeit am Spiel zu konzentrieren – und es zu dem zu machen, was es sein soll – ohne Kompromisse". Der Publisher kümmere sich um Sichtbarkeit und ein möglichst großes Publikum. "Damit das aber funktioniert, muss als erster, entscheidender Schritt Vertrauen und Verständnis zwischen beiden Parteien entstehen", betont Escalante. "Sobald das der Fall ist, werden die nächsten Schritte der Kampagne viel einfacher."

Auch in Großbritannien wächst die Zahl der Indie-Publisher kontinuierlich. Zu den bekanntesten Namen zählen hier Curve Digital, Modern Wolf, No More Robots, Hound Picked Games und Team17 – die sich nach langen Worms-Entwickler-Jahren als Indie-Publisher quasi neu erfunden haben (Overcooked!, The Escapists, My Time at Portia etc.). The Irregular Corporation ist ein weiterer Name aus UK, der immer häufiger auftaucht (Going Medieval, Tohu, Good Company etc.) – wobei die Firma selbst auch nicht mehr "indie" ist: Sie wurde – als Teil von Mediatonic Limited (Fall Guys: Ultimate Knockout) von Epic Games gekauft.

Kontinuierliches Wachstum
Der britische Indie-Publisher Merge Games wurde ursprünglich von einem Ehepaar gegründet – nämlich 2011 von Luke und Joanne Keighran. Heute beschäftigt das Unternehmen 20 MitarbeiterInnen und hat seinen Sitz in Knutsford bei Manchester. Im Mai diesen Jahres wurde Merge Games von der schwedischen Firma Zordix AB übernommen – ist also ein weiteres Beispiel für den Trend des "Indie-Publisher-Shopping" (siehe auch Thunderful und Headup Games). "Merge unterstützt zahlreiche Indie-Entwicklungsteams und bietet Entwicklungs-, Publishing- und Vertriebslösungen, die auf das jeweilige Spiel zugeschnitten sind", erzählt Product Manager Ross Griffith. Der Weg dorthin nahm allerdings mehrere Wendungen: So habe Merge als Nischenvertrieb im Einzelhandel begonnen, dann Märkte im Nahen Osten und in Osteuropa erschlossen – und sich schließlich in Richtung In-House-Development, Publishing und Distribution weiterentwickelt. Seitdem sei man von Jahr zu Jahr gewachsen, berichtet Griffith. Zu den wichtigsten Titeln des Indie-Publishers zählen Spirit of the North, Alex Kidd in Miracle World DX, Cloudpunk (vom Berliner Studio Ion Lands), Dead Cells sowie Streets of Rage 4. Gerade erst hat Merge das sehr stylische Cyberpunk-Abenteuer Foreclosed herausgebracht – und wird bald mit weiteren Titeln nachlegen, darunter Monster Harvest, Smalland, Deathrun TV, Definitely Not Fried Chicken sowie Haunted Space.

Lokale Anbindung
Wir wollen von Griffith mehr über die Unternehmensphilosophie des Publishers wissen. "Unser Ruf beruht auf Ehrlichkeit und Vertrauen", so der Product Manager. "Wir sind sehr offen und ehrlich mit unseren Entwicklern – das hilft, enge Beziehungen aufzubauen. Wir streben langfristige Partnerschaften mit talentierten Spieleherstellern an." Man arbeiten in den Bereichen Marketing, Produktion, Digitalveröffentlichungen und Retail. "Außerdem haben wir ein Sortiment von Collector's-Edition-Games, die Signature Edition." Als besonders wichtig sieht Griffith die Anbindung an lokale Communitys: "Städte wie Manchester, Leeds und Liverpool spielen eine Schlüsselrolle, wenn wir nach potenziellen Development-Partnern und MitarbeiterInnen suchen." Uns interessiert natürlich auch, wie Merge zum Thema "Boxed Versions" steht - Stichwort "Signature Edition". "Der Einzelhandel war schon immer ein sehr wichtiger Teil unseres Geschäfts – und ist es auch weiterhin", betont Griffith. "Nicht alle Indie-Spiele funktionieren im Einzelhandel. Wir wählen dafür Spiele aus, die entweder bereits bei den Konsumenten Anklang finden – oder die sich bereits im Digitalvertrieb etablieren konnten." Grundlage der Entscheidung seien mehrere Leistungsindikatoren. In jedem Fall gebe es "bei den Indie-Game-Fans immer noch eine beträchtliche Zielgruppe, die Liebhaber von Boxed Games sind".

Auch Versus Evil veröffentlicht einzelne Titel aus Boxed Versions. Bei der Auswahl sei man allerdings sehr wählerisch, erläutert Steve Escalante – entscheidend sei das Vorab-Feedback aus der Fans. "Aus unserem eigenen Portfolio haben wir die Banner-Saga-Trilogie, Pillars of Eternity und Yaga physisch veröffentlicht", so der Veteran. Dabei sei klar geworden, dass auch Indie-Titel physisch erfolgreich sein können. "Spiele leben von den Communitys, die sie spielen und über sie sprechen", sagt Escalante. "Es wird also immer eine Gruppe leidenschaftlicher Fans und SpielerInnen geben, die mehr wollen als nur den Digital-Release eines bestimmten Indie-Spiels." So kann auch der Einzelhandel vom Indie-Boom profitieren. (Achim Fehrenbach)

IGM 11/21
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